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Zedler: Eigen-Liebe HIS-Data
5028-8-510-5
Titel: Eigen-Liebe
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 8 Sp. 510
Jahr: 1734
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 8 S. 270
Vorheriger Artikel: Eigenleidig
Folgender Artikel: Eigenlöhner
Siehe auch:
  • Ersch/Gruber: Sect. 1 Th. 32 (1839) S. 193: Eigenliebe, s. Egoismus
  • Wikipedia: fehlt
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

  Text Quellenangaben
  Eigen-Liebe, ist derjenige natürliche Trieb, da ein Mensch sich in seiner Dauerhafftigkeit glückselig zu erhalten suchet, und dahero alles dasjenige, was ihm dazu zuträglich ist, verlanget, und hingegen, was ihm daran hinderlich seyn könnte, flühet.  
  In dem Griechischen heist sie philautia, welches aber nicht von der Eigen-Liebe überhaupt sondern nur von der verderbten Eigen-Liebe gebraucht wird.  
  Es sind allen Menschen von Natur gewisse Begierden eingepflantzet. Ridiger Philos. Pragm. ... theilet diese natürlichen Triebe also ein: Er nennet dieselben entweder animalische oder menschliche Triebe.  
  Die Animalischen betreffen entweder die Erhaltung des lebendigen Cörpers, als erstlich überhaupt: Die Liebe des Lebens, hernach insonderheit der Adpetit nach Speiß und Tranck, darauf die Erhaltung des Blutes, und der Schlaff, der auf die Erhaltung derer Lebens-Geister seine Absicht hat.  
  Oder sie betreffen die Fortpflantzung des Geschlechts; als nemlich die Buhlen-Liebe, die auf den Zweck der Zeugung, und die Kinder-Liebe, die auf den Zweck der Erziehung derer Kinder gerichtet ist.  
  Die vernünfftigen Triebe betreffen Theils den Verstand, nemlich die Curiosität  
  {Sp. 511|S. 271}  
  zum Zweck der Erkenntniß der Wahrheit; Theils den Willen, zu Ausübung der Tugend und zwar Theils gegen andre Menschen, dahin die natürliche Menschen-Liebe gehöret; Theils gegen sich selbst, nemlich die natürliche Selbst-Liebe; welche letztere aber in der That nichts anders als der Grund von denen obigen erwehnten Trieben ist.  
  Die Eigen-Liebe ist also ein natürlicher Trieb. Menschen und Thiere haben diesen mit einander gemein. Wie wir uns aber alle in dem Stande der Verderbniß befinden, und jeder von der Unordnung seiner Eigen-Liebe aus der eigenen Empfindung versichert seyn kann, ein jeder aber auch zugleich Ursache hat an eine bessere Einrichtung seiner Eigen-Liebe zu gedencken; so giebt solches Gelegenheit, daß wir die Eigen-Liebe nach einem dreyfachen Stande betrachten können.  
  Der erste ist der Stand der Natur, wie die Eigen-Liebe, da sie GOTT denen Menschen eingepflantzt, beschaffen gewesen. Hierbey können wir sie nach der Vernunfft nicht anders als einen blossen Trieb ansehen, darbey das göttliche Absehen gewesen, daß der Mensch dadurch zu seiner Erhaltung und Beförderung seiner Glückseligkeit angetrieben werde.  
  GOTT hat ihm zu dem Ende gewisse Sachen vorgelegt, deren er sich als Mittel, zu seinem End-Zwecke bedienen kann. Wir müssen also bey diesen Trieben so wohl auf die göttliche Absicht, als auf die Mittel sehen.  
  Vermöge dieses Triebs sollte der Mensch alles dasjenige suchen, was ihm angenehm und zu seiner Erhaltung dienlich; hingegen alles dasjenige flühen, was ihm unangenehm, und der Erhaltung zuwieder.  
  Ist die Eigen-Liebe an sich selbst ein von GOTT eingepflantzter Trieb, so folget daraus, daß sie auch nicht schlechter Dings zu verwerffen; Und wenn bey denen menschlichen Verrichtungen das Gesetz nichts ausdrückliches bestimmet, alles erlaubt, was dieselbe in ihrem ersten natürlichen Stande mit sich bringet.  
  Sind also diejenigen alle Narren, welche darwieder handeln, als wenn geitzige sich nicht satt essen und trincken, ein ehrgeitziger gelehrter nicht gnug schläfft. Salomon sagt im Prediger 4, 5. Ein Narr schläget die Finger in einander, und frisset sein Fleisch.  
  Der andere Stand der Eigen-Liebe ist der Stand des Verderbens, welcher auch allgemein und natürlich, in so fern allen Menschen, nachdem einmahl die Verderbniß entstanden, eine verderbte Eigen-Liebe angebohren, und also fortgepflantzet wird. Die Vernunfft kann von dem ersten Ursprunge dieser Verderbniß nichts wissen.  
  Wenn man sich gleich die Sache so vorstellet, daß GOTT dem Menschen diesen Trieb, als eine Fähigkeit mitgetheilet. Diese Fähigkeit sey nachgehends durch den übeln Gebrauch der Vernunfft und durch die offt wiederhohlte unvernünfftige Begierden derer Mittel zu einer Gewohnheit, Fertigkeit oder zu einem Habitu worden; so verhält sich doch die Sache, ob man sich gleich natürlicher Weise keinen andern Begriff davon machen kann, gantz anders, wenn wir die Heilige Schrifft zu Rathe ziehen.  
  Diese weiset, daß so gleich nach der ersten Sünde des ersten Menschen ein Habitus des Bösen entstanden, welches wir, nach der ordentlichen Beschaffenheit eines Habitus, für uns nicht erkennen können. Mithin macht sich die sich selbst gelassene Vernunfft einen gantz andern Concept, so wohl von dem  
  {Sp. 512}  
  Stande der Unschuld, als dem Falle des Menschen, als wir ihn in der Heil. Schrifft antreffen.  
  Die Eigen-Liebe aber ist dadurch verderbt, daß sie nicht mehr nach dem Willen GOttes, der auf die Glückseligkeit des Menschen zielte, eingereichtet, und mithin in der That auf des Menschen Verderben gehet. Dieses geschicht auf zweyerley Art: Es ist dieser Trieb dem göttlichen Willen an einem Theile in Ansehung der Absicht, am andern Theile in Ansehung derer Mittel entgegen.  
  Die göttliche Absicht bey diesem Triebe war, daß der Mensch sich selbst lieben, und vor seine Erhaltung sorgen sollte; jedoch nach gehöriger Proportion und demjenigen Maaß der Liebe, welches der eigentliche Werth der Sache, oder sein selbst, mit sich brächte. Weil nun GOTT ein weit vortrefflicher ja das alleredelste Objectum ist, so sollte er GOtt mehr als sich lieben, und weil zwischen ihm und seinem Nächsten eine völlige Gleichheit, so sollte er selbigen als sich selbst lieben. Weil auch endlich an der Glückseligkeit vieler Menschen mehr als eines eintzigen gelegen, so sollte er das gemeine Beste dem Priuat-Nutzen vorziehen. Hierbey äussern sich nun die drey verkehrten Arten der Selbst-Liebe:  
 
1) da man GOtt weniger als sich liebet,und sich selbst als einen Abgott verehret, wie denn Ehr-Geitz, Wollust und Geld-Geitz, als drey leibliche Töchter der Eigen-Liebe, in der That gewisse Arten der subtilen Abgötterey sind, woraus denn die Gottlosigkeit entstehet.
  Daß dieses unvernünfftig sey, erhellet daher, weil GOtt das allerhöchste Gut ist, und deßwegen auch am allermeisten verehret werden muß.
 
 
2) Wenn man seinen Nächsten weniger als sich selbst liebet.
  Der Heiland hat uns diese Regel hinterlassen: Liebe deinen Nächsten als dich selbst; und dieses ist der Vernunfft gemäß. Die natürliche und moralische Gleichheit derer Menschen unter einander, nebst der allgemeinen Vorsehung GOttes vor alle Menschen geben zu erkennen, daß GOtt einen wie den andern liebe. Unser Wille soll nach dem göttlichen Willen eingerichtet seyn. Also soll unsre Liebe gleich seyn, und wir müssen unsern Nächsten so sehr lieben, als uns selber.
  In der That gehet uns drunter nichts ab, die Liebe, die ich meinem Nächsten schuldig bin, ist er mit gleichfalls zu erweisen verpflichtet, und was ich ihm thue, das muß er mir wieder thun. Woraus denn wiederum flüsset
 
 
 
α) daß ich meinen Nächsten nicht mehr lieben muß, als wie mich selbst, denn sonst müste mich mein Nächster auch höher lieben als sich selbst, da dann solchergestallt unsere Rechte und Verbindlichkeiten nicht mit einander übereinstimmen würden. Denn ich wäre verbunden ihm Pflichten zu erweisen, die zu meinem Schaden gereichten, und die er eben deßwegen, weil er mich höher als sich selber lieben müste, nicht annehmen könnte. Indem jederzeit, wo auf einer Seite eine Verbindlichkeit ist, auf der andern Seite auch eine Verbindlichkeit seyn muß;
 
 
 
β) folgt hieraus, daß ich meinen Nächsten nicht weniger, als mich selbst lieben muß.
  Wenn ich mich höher als ihn zu lieben befugt wäre, so würde er auch sich höher, als mich, zu lieben, befugt seyn. Solcher gestallt würde ein jeder von dem andern mehr praetendiren zu dürffen urtheilen, als der andre aus eben dem Principio ihm schuldig zu seyn urtheilen würde. Und mithin würden die Rechte und die Verbündlichkeit sich gleichfalls niemahls zusammen schicken.
Müller über Gracians Orac. ...
  {Sp. 513|S. 272}  
 
3) So ist es unvernünfftig, wenn man den Nutzen vieler Menschen dem Nutzen eintzelner Personen nachsetzen will.
  Auf diese Weise ist die Eigenliebe in Ansehung der Göttlichen Absicht unvernünfftig und verderbt. Hierzu kommt noch ein unvernünfftiger Gebrauch der Mittel. Man siehet dieselben nicht vor Mittel, sondern vor Absichten selbst an. Man suchet nicht ein beständiges Vergnügen, sondern nur einen gegenwärtigen Kützel unsrer Sinnen. Hierdurch ist die Eigenliebe zu der Mutter des Ehrgeitzes, der Wollust und des Geld-Geitzes geworden, und ist also die Quelle alles Übels.
 
  Der dritte Stand der Eigenliebe ist der Stand der Verbesserung, daß man sie nach dem, durch die Vernunfft erkannten Göttlichen Willen einrichte. Man muß die Göttliche Absicht beobachten, und die angewiesenen Mittel vernünfftig gebrauchen. Ein Philosophus soll zu einer solchen Verbesserung nichts beytragen können, also muß uns eine höhere Krafft, welche die Theologie lehret, zu Hülffe kommen.
  • Vitringa de Concupiscentia recta et laudabili ...
  • Saldenus de Philautia ...
  • Buddeus Instit. Theol. Mor. ...
  • Peter Müller in Dissert. de Philautia.
     

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Stand: 3. Januar 2023 © Hans-Walter Pries