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Quellenangaben |
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Vorstellen (sich),
Lat.
percipere,
repraesentare, heißt so viel als ein Bild von einer
Sache in seiner
Seele haben oder sich in seinem
Gemüthe eine Sache abbilden. |
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Herr M. Bernd in seiner Abhandlung von der
menschlichen Seelen gleich in Anfange tadelt die
Weltweisen unserer
Zeiten, daß sie das
Wort
repräsentiren oder vorstellen brauchen, wenn sie
eine Beschreibung von
GOtt machen
wollen. Man
beschreibt nemlich GOtt als ein
Wesen, welches
alle möglichen
Welten, und also auch diese
gegenwärtige sich auf das vollkommenste
und deutlichste vorstellet, |
besiehe Wolffens Metaphysic
… |
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Es deucht ihm aber, daß das Wort vorstellen
sey ein dunckel und zweydeutiges Wort, welches
auch nach seinem Vorgeben, vielen bisanher
anfänglich frembde vorgekommen, so daß sie
nicht
gewußt, was sie vor einen
Begrief sich
davon machen sollen. Einige haben es
angenommen als ob nur ein blosses Betrachten
und Ansehen GOttes darunter
verstanden werde,
nach welchen GOtt die Welt stets nur so ansieht,
und allen
Dingen zusieht, die sich darinnen
ereignen und begeben. Gleichwie jener
Atheist,
dessen
Schrifft Herr M.
Bernd; wie er daselbst
meldet, in Handschrifft besitzet, und von der er
nicht weiß, ob sie in Druck herausgekommen, von
GOtt auf eine leichtfertige und Gotteslästerliche
Weise saget, daß er nichts
thue, sondern seinen
Braten-Wender der Welt nur so ewig zusehe, und
denselben anschaue. |
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Vor diesen brauchte man das
Wort
repraesentare und vorstellen, wenn man die
Einbildungs-Krafft der
menschlichen
Seele
beschreiben wolte. Wenn die Seele gegenwärtige
Materialische Dinge siehet, höret, schmecket,
fühlet, so
sagt man von ihr, daß sie
empfinde (sentire); wenn sie aber an diese Materialische
Dinge, so sie ehemahls
gegenwärtig empfunden,
von neuen gedencket, und sich dieselben
wiederum einbildet, als wenn sie gegenwärtig
wären, so sagt man, daß sie imaginire und sich
solche wieder vorstelle. So kan man sich in
Gedancken denjenigen
Ort wieder vorstellen, an
welchem man gestern gewesen; dannenhero
mancher sich auch im
Lateinischen des Worts
repraesentare bedienet, weil man sich da die
abwesenden Dinge gleichsam in Gedancken
wieder gegenwärtig macht. |
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Nach der
Zeit hat man es auch manchmahl in
weitläufftigern
Verstande genommen, und, da die
Einbildungs-Krafft, wo nicht die Helffte, doch einen
grossen
Theil des menschlichen Gedächtnisses
ausmachet, und in so weit mit dem Gedächtniß
auf eins hinausläufft, es von allen Dingen
überhaupt gebraucht, sie mögen nun materialisch
oder immaterialisch seyn, derer man sich wieder
erinnert, und an welche man wieder gedencket,
und die man sich
Krafft des Gedächtnißes, ob sie
wohl abwesend, wiederum als gegenwärtig
vorstellet. |
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Endlich merckt Herr Bernd aus den
Schrifften
der heutigen
Weltweisen an insonderheit wenn er
ließt, wie sie die Lehre von
Affecten und von dem
Einflusse des
Verstandes in den
Willen
erklären,
daß sie das Wort vorstellen brauchen, alle drey
Geschäffte und
Würckungen des menschlichen
Verstandes |
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{Sp. 1281|S. 656} |
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auszudrücken; so daß sie die
Urtheile und
Schlüsse der Vernunfft sogar darunter
begriffen. |
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Nun in so weit schicket sich dieses
Wort zwar
nicht auf unsern
GOtt, als welcher keine solche
hintereinander folgende Überlegungen und
Urtheile, und vielweniger solche
Schlüsse macht,
wie wir Menschen, sondern sich selbst, und alle
Dinge so gewesen seyn, sind, und seyn werden
(uno aeterno videndi, intelligendi et sciendi actu)
durch eine einige ewige
Handlung auf einmahl
siehet,
verstehet, und
erkennet; so daß also
dieses Wort repraesentare, vorstellen, sich nur in
so ferne auf GOTT schickte in so ferne man
gleichsam die erste
Würckung des
Verstandes,
das blosse einfältige Ansehen, und Wahrnehmen
der Dinge (simplicem rerum intuitionem) bey den
Menschen darunter verstehet. Denn wenn bey
GOtt nicht solche, Urtheile und Schlüsse, wie bey
uns Menschen sind, so ist sein vorstellen nur als
ein blosses Anschauen der Dinge (intuitus rerum)
anzusehen. |
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Aus dem
unterschiedenen
Gebrauch dieses
Wortes ist also, nach der
Meynung des Herrn M.
Bernds, gekommen, daß die Leute im gemeinen
Leben, und auch wohl die, so
studiert, öffters
einander selbst nicht verstehen, und der eine nicht
weiß, was der andere mit dem Worte
vorstellen
haben will; in dem der eine es in diesem, der
andere in einem andern
Verstande zunehmen
pflegt. |
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Denn auch was die Beschreibung von dem
Ursprung der
Affecten anbetrifft, bey welcher sich
gleichfalls viele dieses Wortes vorstellen
bedienen, wenn sie
sagen, daß die Affecten bey
einem Menschen entstünden aus der
unterschiedenen
Vorstellung unsers
Guten und
unsers
Bösen (ex repraesentatione boni et mali ad
nos pertinentis); so ist es wie angeführter Auctor
davor hält, ein unbequehmes Wort, wodurch
selten ein jeder gleich sich einen rechten
Begriff
von Affecten und derselben Ursprung machen
kan. Weil viele das Vorstellen vor ein bloß
Betrachten und Ansehen der Dinge annehmen, so
hat wohl eher einer und der andere sich verlauten
lassen: |
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Ich sehe nicht, wie die Affecten und Gemüths-Neigungen
aus der Vorstellung des Guten und
Bösen herkommen können: Ich stelle mir
offtermahls bald dieß bald jenes
Übel und Gute,
Reichthum, Gesundheit,
Leben,
Todt, und andere
Dinge mehr vor; ich fühle nicht, daß deßhalber
bey mir Freude,
Begierde,
Furcht, Traurigkeit oder
andere Affecten dadurch entstünden. |
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Diese
Sache also deutlicher zu machen,
thun,
nach offt belobten Verfassers Gutdüncken,
diejenigen Sitten-Lehrer viel besser, welche von
den Affecten sagen, daß sie entstehen aus den
unterschiedenen Urtheilen und Schlüssen, nach
welchen wir mit unsern menschlichen Verstande
ein gewisses Gut und Übel entweder als groß
oder als klein,
gegenwärtig oder als zukünfftig,
vermuthlich oder als unfehlbar zukünfftig halten,
urtheilen, schliessen. |
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Zum Exempel führet er den Achan an, dieser
sahe unter dem Raube der Kinder Israel einen
Babylonischen Mantel und eine güldene Zunge.
Das blosse Ansehen, Betrachten und Vorstellen
wird noch keine
Affecten bey ihm rege machen:
ein an- |
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{Sp. 1282} |
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derer
Jüde hat es vielleicht so gut als er
gesehen, betrachtet, und sich vorgestellet. Daß er
aber hernach Liebe,
Lust, und Begierde bekommt,
diesen Mantel zustehlen, und solchen hernach
gestohlen, daß machen seine
Urtheile und
Schlüsse, die er fället, durch welche er diesen
Mantel, als ein grosses
Gut, wenn es sein eigen
wäre, und als ein sehr nützliches Gut, wenn es
sein eigen würde, ansahe. |
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Eben so verhält sich die Sache bey dem Ertz-Vater Jacob, da er den Rock seines
Sohnes sahe,
und glaubte, daß ihn ein wildes Thier zerrissen.
Herr Bernd hat sich auch vorgestellt ein blutiges
Kleid, ein wild Thier, einen Menschen oder auch
den Joseph selbst, der von demselben zerrissen
wird: er hat deswegen doch nicht gefühlt, was der
Ertz-Vater Jacob in seinem
Willen und in seiner
Seele
empfunden. Das macht, er urtheilte, daß
was seinem Sohn begegnet, ein grosses
Übel
wäre; und daß dieß grosse Übel und
Unglück sein
eigen wäre: und daß er eines grossen Gutes und
seines Trostes im
Alter dadurch wäre beraubt
worden. |
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Diese Sitten-Lehrer, welche das
Wort
vorstellen bey solcher Gelegenheit brauchen,
mercken auch wohl, daß es nicht so deutlich und
verständlich, als es seyn solte: darum suchen sie
ihrer Beschreibung zu Hülffe zu kommen, und
sagen, daß wenn
Affecten entstehen sollen, der
Mensch,
das
Gut oder das Übel sich als sein
eigenes vorstelle müsse. |
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Bey dem allen bleibet es doch ein
unbequehmes Wort, so daß wie gedacht die
Menschen einander selbst nicht
verstehen. Herr
M. Bernd hatte einst eine krancke
Weibs-Person zu
besuchen, die er in grosser Betrübniß und
Angst
nebst ihrer leiblichen Kranckheit antraf. Da er
nach der
Ursache der Angst fragte, sagte sie, sie
wäre mit so vielen Vorstellungen geplagt und
gequälet: Ach wenn ich nur der
ängstlichen
Vorstellungen könnte loß werden,
sprach sie. Er
hat nicht
gewußt, was sie damit meynte, oder was
sie damit haben
wolte. Hätte sie gesagt, ich
schliesse aus meiner Kranckheit, daß ich leicht
meines
Verstandes könnte beraubet werden: ich
halte dieses vor ein grosses
Übel; ich
vermuthe,
daß ich sterben werde: ich sehe vorher das
Unglück meiner
Kinder,
die noch nicht
erzogen
sind, ich fürchte, daß sie werden bey der jetzigen
bösen
Welt verführet und von
GOtt abgezogen
werden etc. so würde er sie, wie er spricht, wohl
verstanden haben. |
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Denn dieses waren eben die
Dinge, die sie in
Furcht, Kummer, und Betrübniß setzten. Gleichwie
er nun bey keinen Fällen den Gebrauch des Worts
repraesentare, vorstellen, vor dienlich hält, ohne
wo man solches nach der ehemaligen Weise von
der Einbildungs-Krafft, das ist von dem
Vermögen
sich anwesender materialischer Dinge wieder zu
erinnern, brauchet: so befindet er es auch nicht
vor gut, daß man es GOtt beyleget, und das, wenn
man seinen unordentlichen Verstand ausdrücken
will, Krafft dessen er die vollkommenste und
deutlichste
Idee von der Welt und allen Dingen, ja
von sich selbst hat, solches ein vorstellen
nennen
will. Wir überlassen unserm Leser das
Urtheil, in
wie weit Herr Bernd recht oder unrecht habe. |
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