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Quellenangaben |
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Erfindung, es sind nicht alle
Gemüther derer
Menschen
geneigt, nur demjenigen nachzusinnen,
was sie von andern gelernet haben: es sind auch
einige beflissen,
Vermöge der Weite ihres
Verstandes, auf etwas neues zu
gedencken, und
ihren Verstand nach der rechten Weite
zugebrauchen; und diese, die solches
thun, werden
die Erfinder
genennet. |
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Die Natur unsers Verstandes zeiget
gantz
deutlich, daß ein jeder, welcher nur nachsinnet,
etwas, das vorhin noch nicht gewesen, entdecken
könne. Es geschiehet aber solches auf zweyerley
Art: Einige erfinden neue Grund-Lehren einer zuvor
bekannt, oder noch nicht bekannt gewesenen
Disciplin, auf welche sie solche auf eine neue
besondre Art
bauen. Dergleichen Erfindung wir in
der Lehre von dem
Rechte der Natur, bey dem
Grotio, Pufendorf, Hobbesio, und andern, die alle
neue
Principia dieser Disciplin setzen, antreffen.
Andre hingegen gründen sich auf die schon
erfundenen Principia, suchen dieselben nur weiter
auszuarbeiten, und die
Lehr-Art bey derselben zu
verbessern, welches eben so wohl eine
nützliche
Erfindung ist, als das erste, ungeachtet dieses nicht
so viel Aufsehens als jenes machet. |
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Das
Recht und die
Verbindlichkeit, neue
Gedancken zu erfinden, gründet sich auf die
Beschaffenheit des menschlichen Verstandes, aus
welchen man den
Willen GOttes, von dem sie ihren
Ursprung hat,
erkennen kann. Der menschliche
Verstand ist keinen
Gesetzen unterworffen, und da
der
Raum oder die
Grentzen desselben, von dem
Schöpffer des menschlichen Verstandes
herstammet, so folget, daß sich der Mensch
desselben zu seinem
Nutzen soweit
gebrauchen
kann, als es die Natur zulässet, und also kein
menschliches Ansehen engere Grentzen zu setzen
berechtiget sey. |
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So höchst
nöthig dergleichen Erfindungen
neuer Gedancken sind: so viel
Verdruß pflegen sie
ihren
Urhebern zu erwecken. Die Geschichte der
gelehrten
Welt stellen davon gnugsame Zeugnisse
an den
Tag. Diejenigen, welche das
alte bereits
erlernet, und auch dieses ihnen sauer genug
geworden, werden allemahl verdrüßlich, wenn sie
von neuen Erfindungen hören, welche ihnen ihre
Arbeit zu verdoppeln scheinen. Man höret alsobald
ein Geschrey von Neulingen, und die
schädlichen
Neuerungen sind ihnen das allergrösseste
Übel. Sie
geben vor, es könne nichts
gesagt werden, was
nicht von denen Alten allbereits wäre gesagt
worden, und wären eben diese Alten auch keine
Narren gewesen. |
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Franciscus Redus ein Florentinischer
Medicus,
war so sehr vor den Aristotelem eingenommen, daß
er in keinen Tubum sehen wollen, damit er nicht
überzeugt wurde, daß Gallilaeus a Gallilaeis mehr
Sterne als Aristoteles gesehen hätte. Hisbertus
Voetius, als er etwas von der neuen
Methode des
Cartesii hörete,
schrieb schon ein
Jahr vorher, ehe
solche zum
Vorschein gekommen, eine
Wiederlegung. |
- Lilienthal de
Machiavellismo Litterar. …
- Clericus in Epistol. Criticis
…
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Die gelehrte
Historie giebt auch ferner Zeugniß,
wie manchen seine
gute Erfindungen so übel
belohnet worden, und wie wenig sie Bey- |
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{Sp. 1601|S. 832} |
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fall gefunden. Der
berühmte Anatomicus
Haruaeus
muste lange
Zeit die verdrüßlichsten
Urtheile derer Medicorum und Anatomicorum hören,
als er die vortrefflichste Erfindung der Circulation
des Geblüts erfunden. Cartesius gab durch sein
Erfinden in der
Philosophie zu denen hefftigsten und
bittersten Streitigkeiten
Gelegenheit. Josephus
Quercetanus und Theodorus Meyer hatten
Noth
genug auszustehen, als sie die chymische Physic in
Aufnahme zu bringen suchten. |
Mehrere
Exempel findet man
beym Webster in Untersuchung derer so genannten
und vermeynten Hexereyen ... |
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Andere plagt der Neid, daß sie nicht vertragen
können, wenn einige mit neuen Erfindungen zum
Vorschein kommen. So bald sich nur einer mercken
läst, daß er die Ehre
einer
eignen Meditation
erlangen
will, so bald
wissen die Vertheidiger derer
alten Lehren, einige alte Ketzer anzuführen, deren
Grillen nur sollen wieder aufgewärmet werden.
Dergleichen Verehrer des Alterthums geben ihre
Blösse allzusehr an den Tag, daß sie die
Beschaffenheiten derer
Wissenschafften und des
menschlichen Verstandes nicht eingesehen
haben. |
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Es ist unbesonnen, daß man eine Lehre
deswegen vor
falsch ausgeben will, weil sie neu ist,
gleich als wenn das
Alter der Wichtigkeit einer
Sache etwas zusetzen könnte. Sie
mögten nur
überlegen, daß die alten
Meynungen zu denen
Zeiten, da sie erfunden worden, auch neu gewesen
seyn, und daß ihre Erfinder nichts anders als
Nouatores gewesen, und sie also Vertheidiger derer
Nouatorum seyn, indem sie die Nouatores
bestreiten wollen. |
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Weil es also gefährlich ist, neue
Wahrheiten
hervorzubringen, so hat man hierbey einer
besondern
Klugheit von
Nöthen. Die Klugheit führet
uns alle mahl auf unsern
Nutzen. Es ist also
vernünfftig in Wissenschafften eine Erneuerung zu
treffen, wo der gehörige Nutzen durch die gemeinen
Lehren nicht erlanget wird. Wenn der alte Weg nicht
mehr
nützlich ist, so
muß ein neuer erfunden
werden. Die Erfinder zu unsern Zeiten haben also
gute
Ursache gehabt, die
Sitten-Lehre des
Aristotelis, welche sehr wenigen Nutzen hatte, zu
verwerffen, und ihre neue zu dem Rechte der Natur
gehörigen Gedancken an deren Stelle
anzunehmen. |
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Findet man aber unter denen alten auch
Lehren, die ihre gute Richtigkeit haben, und ihren
Nutzen in der Praxi zeigen, so ist es der andre
Fehler, wenn man sie gleichfalls so schlechter
Dings verwerffen wollte. Es ist dieser zu unsern
Zeiten gleichfalls nicht ungewöhnlich, und entstehet
er gemeiniglich aus einem unzeitigen Hochmuthe
sich hervorzuthun, und aus der wenigen Einsicht in
die Lehren derer Alten. Man will gemeiniglich das
Unkraut mit dem Weitzen ausgäten, wie solches
bey der alten Lehre von denen Syllogismis
geschehen ist. |
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In
Glaubens-Sachen lasse man das Erfinden
neuer
Dinge bleiben. Es ist eine gefährliche und
meistens
unglückliche Bemühung grosser
Männer
gewesen, wenn sie die Fähigkeit ihres Verstandes
in solchen Dingen zeigen wollen, welche der
Vernunfft nicht unterworffen sind. Der Mensch kann
zwar seine Vernunfft gebrauchen, aber er muß nicht
über die Grentzen derselben schreiten.
GOTT giebt
uns viele Lehren, welche er eben deßwegen
Geheimnisse nennet, weil wir sie nicht begreiffen
sollen. Bey solchen Geheimnissen muß die
Vernunfft stille stehen, und sich dem
Gehorsam des
Glaubens unterwerffen, da wir der Vernunfft
deßwegen nur glauben zustellen, weil GOTT |
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{Sp. 1602} |
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nur mittelbar durch sie
redet. Warum wollen wir
demselben nicht Glauben zustellen, wenn er
unmittelbar in seinem Worte mit uns redet? |
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Die Art und Weise, wie man seine neue
Gedancken hervorbringen, der
Knechtschafft der
menschlichen Auctorität entrinnen, und demnach
sein zeitliches
Glück dadurch nicht verderben soll,
solches erfordert eine besondere Klugheit. Man hat
aber hier insonderheit drey Stücke zu
betrachten. |
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1.) Die
Zeit, darinnen man
lebet. Eine Zeit
verträgt nicht so viel Wahrheit als die andre.
Socrates muste seine
Freyheit zu gedencken mit
dem Leben bezahlen. Jo. Huß hatte ein gleiches
Schicksal. Hingegen drang Lutherus vielleicht aus
einer sonderbaren Schickung GOTTES zu seinen
Zeiten hindurch. |
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2.) Die
Umstände derer eigentlichen
Personen,
ob man durch den
Stand und zeitliches Glücke über
den Haß und Neid andrer allbereit erhaben, daß uns
selbige nicht schaden können, wie sich solche
Umstände bey dem Cartesio befanden. |
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3.) Die
Wahrheiten selber. Man muß hierbey
betrachten, wie viel an denenselbigen gelegen, und
wie weit sich der
Vortheil dererselben erstrecket.
Man muß wegen derer Vorurtheile, die sich dabey
befinden, nicht gerad zugehen, sondern die
Gelegenheit erwarten, wie man am besten die
Vortheile bestreiten könne. Mit denen neuen
Wahrheiten viel zu prahlen und grossen Wind zu
machen, ist nur eine Verhinderung, indem hierdurch
nur das Aufsehen vergrössert, und der Neid desto
mehr erreget wird. Columbus wäre vielleicht mit
seinem neuen Angeben nicht so sehr verlachet
worden, wenn er nicht seine neue Entdeckungen
auf eine prahlerische Art vorgetragen hätte. |
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Doch muß ein vernünfftig gelehrter Mann das
Gelächter seiner Zeiten nicht achten, sondern das
rechte
Urtheil der unparteyischen Nachwelt
überlassen, die offtmahls Dinge lobt, die man vor
dem gescholten, u. vielmahl das verwirfft, was doch
vor dem gegolten. |
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Offtmahls geschiehet es auch, daß viele, aus
Begierde etwas neues zu sagen, alte Dinge mit
einem neuen Fürniß überstreichen. Es hat der
gelehrte Huet Censura Philos. Cartes. 8. gezeigt,
daß der Mechanismus Cartesii eine alte Meynung
sey, u. wäre sie von dem Cartesio auf eine neue Art
vorgetragen worden. Bey solchen Sachen muß man
behutsam gehen, u. durch Hülffe einer
historischen
Erkenntniß den wahren Werth einer Meynung
einsehen. |
-
Müllers Anmerck. über
Gracians Oracel …
-
M.
Jo. Friderich Crellii
Diss. de
Obligatione ad Inuentenonem nouorum
Leipzig
1729.
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