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Zedler: Unhöflichkeit HIS-Data
5028-49-1631-2
Titel: Unhöflichkeit
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 49 Sp. 1631
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 49 S. 831
Vorheriger Artikel: Unhöfliches Umreuten
Folgender Artikel: Unhold
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel

  Text Quellenangaben
  Unhöflichkeit, kan am ersten erkannt werden aus dem Gegentheil, nehmlich der Höflichkeit; diese aber besteht in der thätigen Erweisung seiner Hochachtung gegen andere, dabey der nöthige Unterscheid beobachtet wird.  
  Es wird also derjenige der Unhöflichkeit mit Recht beschuldiget, welcher theils andern die thätige Erweisung seiner Hochachtung versagt, theils aber auch, wenn ers ihnen auch erweiset, den nöthigen Unterscheid nicht dabey beobachtet.  
  Man nennt auch Unhöflichkeit, wenn man nicht diejenige Mode beobachtet, die einmahl hergebracht ist, sondern vielmehr derselben entgegen handelt.  
  Was die Sittlichkeit dieses Fehlers anlanget, so ist er nicht anders böse, als wenn er von Hochmuthe herkömmt, und von einer ausdrücklichen Absicht. Wenn man aber wieder die Höflichkeit verstößt, entweder weil man unschuldiger Weise die Sitten nicht weiß, oder weil man vernünfftiger Weise urtheilet, daß man ihnen nicht folgen darff, so sündigt man nicht. Glaubt man wohl, daß ein alter Professor der Sorbonne verbunden sey, alles zu wissen, was die jungen Hof-Äbte in Franckreich von der Kunst wissen, den Damen viel Ehrerbietung mit grosser Höflichkeit zu erzeigen? Dieser Professor hat wohl andere viel wichtigere Dinge zu lernen als jene; und wenn er auch von den Sitten der Modehöflichkeit hätte reden hören, so würde er sich rechtmäßiger Weise die Freyheit nehmen können, sich demselben nicht gemäß zu bezeigen. Sein Alter und sein Character erfordern nicht, daß er sich denselben gemäß bezeige.  
  Wir wollen auch sagen, daß die neuen Höflichkeiten Dienstbarkeiten sind, welche die Grossen entweder auflegen, oder die ihre Schmeichler zum Nachtheil der alten Freyheit erfunden haben. Wann es nun einem jeden erlaubt ist, einem alten Gebrauch abzusagen, so ist es auch erlaubt, denselben so lange zu behalten, bis ihm alle Welt abgesaget hat; und verschiedenen Personen läßt es wohl, wenn sie die Sitten langsam ändern.  
  Es geht damit, wie mit der Kleider-Mode. Die Weltlichen eilen, neue Moden anzunehmen; allein kluge Leuge nehmen sie nur an, wenn die Moden ein männliches Alter erreicht haben, wenn es uns erlaubt ist, so zu reden. Doch thut man ohne Zweiffel am klügsten, wenn man auch diese Art der Unhöflichkeit so sehr als möglich zu vermeyden bedacht ist.  
  Ein Exempel, in was vor Unglück uns die Unhöflichkeit stürtzen kan, kan uns Julius Cäsar abgeben. Es ist kein Zweiffel daß dieser Fehler einer von den vornehmsten Ursachen seines Verderbens gewesen. Er vergaß sich nehmlich einsmahl so sehr, daß er sich auch nicht einmahl die Mühe nahm aufzustehen, als ihm der Rath den Schluß überbrachte, den man zur Vermehrung seiner Ehren-Bezeugungen gemacht hatte. Und dieses war eine Ursache seines Falls. Zwo Stellen, eine aus dem Suetonius und die andere aus dem Dio Caßius werden dieses beweisen.  
  "Praecipuam et inexpiabilem sibi invidiam hinc maxime movit: adeuntes se cum plurimis honorificentissimisque decretis universos Patres Conscriptos edens, pro aede Veneris Genitricis, excepit. Quidam putant, retentum a Cor-  
  {Sp. 1632}  
  nelio Balbo, cum conaretur assurgere: alii ne cognatum quidem omnino, sed etiam admonentum Cajum Trebatium, ut assurgeret, minas familiari cultu respexisse. Suetionius in Julio cap. LXXVIII.
  Dio Caßius erzehlt die Sache mit allen Umständen.  
  “Eines Tages, sagt er L. XLII p. 255, da man über verschiedene grosse Ehren- Bezeigungen berathschlaget, welche dem Cäsar zu ertheilen in Vorschlag gebracht worden waren, sind alle Stimmen der Raths-Herrn ausser dem Caßius und einigen andern diesem Schlusse beygetreten; worauf sich diese Gesellschafft erhoben, dem Kayser diese Zeitung zu hinterbringen, welcher in der Halle vor dem Tempel der Venus gesesessen. Er war daselbst geblieben, damit niemand sagen solle, er hätte durch seine Gegenwart die Freyheit der Stimmen verhindert. Er ist nicht aufgestanden, als er den Rath ankommen gesehen, und hat dasjenige sitzend angehöret, was man ihm zu sagen hatte. Dieses hat nicht allein die Raths-Herrn, sondern auch die andern Römer in einen solchen Zorn gesetzt, daß es einer von denen vornehmsten Prätexten dererjenigen gewesen, welche die Verschwörung wieder sein Leben verursacht haben.„  
 

Der Geschicht-Schreiber weiß nicht, ob diese Unhöflichkeit ein unglücklicher Streich der Vorsehung, eine von oben herab gekommene Betäubung oder eine Würckung der übermäßigen Freude Cäsars gewesen,

 
  [zwei Zeilen Griechisch].“Sedens senatum excepit, sive fatali quodam errore sive nimio gaudio correptus.„  
  Allein er setzt darzu, daß man denen keinen Glauben beygemessen habe, welche sagen: Es hätte Cäsar damahls einen Bauch-Fluß gehabt, welcher ihn befürchten lassen, er möchte beym Aufstehen denselben wieder rege machen. Diese Entschuldigung ist nicht angenommen worden; denn man hat kurtz darauf erfahren, daß er sich zu Fusse nach Hause begeben hat. Man hat also seine behaltene Stellung seinem Hochmuthe zugeschrieben. Er war eben durch die ertheilten hohen Ehren-Stellen hochmüthig gemacht worden, und man haßte ihn, so bald er hochmüthig geworden war. Wir wollen die Stelle des Dio nur Lateinisch anführen:  
  "Quod enim nonnulli purgandi Caesaris causa postea attulerunt, profluvio cum ventris laborasse, veritumque, ne inter assurgendum aluum deiiceret, „consedisse: id propterea creditum non est, quod paullo post pedibus ipse domum redierit: sed fastu elatum hoc fecisse suspicabantur, eumque superbiae nomine odio prosequebantur, quem immodicos honores deferendo ipsi superbum reddiderant.  
  Der Geschicht-Schreiber läßt in den letzten Worten eben dieselbe Begierde sehen, den Rath zu tadeln, die er bereits hatte mercken lassen. Er hatte gesagt, daß unter den Dingen, welche dem Cäsar den tödtlichen Haß und Neid zuvor gesaget, das Versehen der Raths-Herrn viel grösser gewesen, als seiner selbst. Ebend. p. 274.
  Sie haben ihm neue Ehre angetragen, welche allzuweit gegangen sind, hernach haben sie ihm getadelt, daß er einen Gefallen gehabt, sie anzunehmen, und dadurch hochmüthiger geworden ist. Er ist in der That zu tadeln gewesen, daß er nicht einen Theil derselben ausgeschlagen, und geglaubt, man sey  
  {Sp. 1633|S. 832}  
  überzeugt, daß er sie verdiene; allein die Raths-Herrn sind noch tadelnswürdiger gewesen, indem sie ihm durch Antragung dieser Ehre den Weg zu seinem Fall eröfnet: Denn wenn er sie ausgeschlagen hätte, so würde man es für eine Verachtung aufgenommen haben; und durch Annehmung derselben hat er sich der Eitelkeit ausgesetzt, angesehen die allerbescheidensten Menschen sich durch dieses Gifft verderben lassen, und sich einbilden, dasjenige zu seyn, was man sagt, daß sie sind. Nouvellen der Republick der Gelehrten Brach-Monat 1686. 1 Art. p. 631.
  Man findet darinnen die Worte Juvenalis Satyr. IV v. 70.  
  Nihil est, quod credere de se
Non possit, cum laudatur Diis aequa potestas.
 
  Und Horatii L. I Ep. 16 v. 19.  
  Sed vereor, ne cui de te plus quam tibi credas etc.  
  [3 Zeilen Griechisch].
  Nam immoderati honores laudesque levitatem animi etiam modestissimo cuique adferunt, ut se jam tales esse, quales praedicantur, existiment." Dio L. XLII p. 274.
  Wir wollen, weil doch dieses Exempel der Unhöfflichkeit würdig genug ist, daß wir ihm einige Betrachtung widmen, dabey ein wenig stehen bleiben. Wir wollen die Ursache ein wenig untersuchen, warum man nicht glauben wollen, daß Cäsar aus Furcht sitzen geblieben, es mochte ihm sein Durchfall einen übeln Possen spielen. Sie scheint uns nicht gegründet zu seyn; denn daraus, daß er kurtz darauf zu Fusse nach Hause gegangen ist, folget nicht, daß er bey Annäherung des Raths nicht hefftiges Schneiden empfunden haben könnte. Ein Durchfall ist ja nicht beständig unhöflich.  
  Allein wenn auch diese Entschuldigung ihren guten Grund hätte, so würden wir doch Materie haben die seltsamen Begebenheiten zu bewundern. Wir könnten sagen, daß die allerwichtigsten und die allerkläglichsten mit Nichtswürdigkeiten verknüpfft wären; und daß ihnen die allerarmseligsten Treib-Federn den Schwung geben. Cäsar hat seinen Untergang beschleinigt, weil er sich, wegen einer kleinen Unordnung in seinem Eingeweide in keiner höflichen Stellung zeigen können, die bey einer andern Gelegenheit ohne Folgerung gewesen seyn würde; allein damahls ist sie eine grosse Sache gewesen; und der Zufall, den man beym Aufstehen befürchtet, hat verdrießliche Folgen gehabt.  
  Er hätte dem gantzen Römischen Volcke zum Gelächter gedienet, und die Übelgesinnten würden ihm eine entsetzliche Auslegung gegeben haben. Was für eine Verachtung der Religion und des Raths! Wie! in dem Tempel der Venus selbst und in Gegenwart der allererlauchtesten Gesellschafft von der Welt! Diese That hätte von so vielen Seiten vergifftet werden können, daß dieses auch einem Menschen selbst, der alle Folgen dieser Ruhe sehr starck eingesehen hätte, zu dem Entschlusse vermocht haben könnte, seinen Platz nicht zuverlassen.  
  Hat sich Constantinus Copronymus nicht einen sehr häßlichen und verächtlichen Bey-Nah-  
  {Sp. 1634}  
  men zugezogen, der sein Gedächtniß noch jetzo verfolgt? Ist er nicht der Gegenstand von hundert Lästerungen und unendlich schimpflichen Betrachtungen geworden, weil er sein Tauff-Wasser ohne Gedancken und Wissen besudelt hat?  
  "Impio patri scelestissima succedit proles Constantinus cognomento Copronymi, quod infans baptismi lauacro admotus, mediis sacris alimonii excremento aquam polluerat.„ Joh. Baptista Egnatius in Roman. Princip.
  Diß wäre noch ärger gewesen, wenn ihm dergleichen in einer Kirche unter währender Zeit begegnet wäre, da er den Krieg wider die Beschützer der Bilder geführet hat.  
  Dem sey wie ihm wolle, so könnte man die Vertheidiger Cäsars viel besser als durch die vom Dio angeführte Ursache widerlegen. Man könnte ihnen sagen, daß wenn diese Leibes-Schwachheit die Ursache gewesen, daß Cäsar nicht aufgestanden, er denen Raths-Herrn die Ursache hätte melden sollen. Da er nun dieses nicht gethan hat, so ist es ein Merckmahl, daß er sich wenig darum bekümmert hat, ob sie urtheilen möchten, daß solches aus einem Mangel der Höflichkeit gegen diese erlauchte Gesellschafft geschähe: Und hierdurch ist er in die erste Verdrießlichkeit gefallen.  
  Wir können uns vorstellen, daß sich die Raths Herrn mit dieser Entschuldigung befriedigt haben würden. Laban, ob er gleich sehr ergrimmt gewesen, hat sich fast mit einer gleichmäßigen Entschuldigung besänfftigen lassen, da ihn seine Tochter sitzend empfangen.  
  "Da sprach Rahel zu ihrem Vater, mein Herr, zürne nicht, denn ich kan nicht aufstehen gegen dir; denn es geht mir nach der Weiber Weise.„ 1 Mos. XXXI.
  Hier ist noch ein ander Muster der Entschuldigung. Cäsar hätte sagen können: Ich stehe im Hertzen, ob ich gleich vor euch sitze, u. s. w.  
  Einsmahls befand sich der Cardinal Perron in ziemlicher Verwirrung, da er vor der Königin von Frankreich das Wort für die Clerisey führte. Denn da er sich auf einem Stuhle befand, worauf ihm die Gicht, vor einer so Majestätischen Prinzeßin, zu bleiben zwang, so wolte er derselben ein Compliment machen, worzu er sich nicht vorbereitet hatte:  
  "Gnädigste Frau, sagte er zu ihr, ich liege auf den Knien des Hertzens, ob ihr mich gleich sitzend sehet ---(da er bey diesen Worten es nicht für ehrerbietig genug fand, denjenigen Theil zu nennen, mit welchen er saß, und lange Zeit eine ehrbare Ausdrückung suchte, ohne dieselbe zu finden, so muß er endlich darzu setzen) „auf den Schenckeln.„  
  Man ließt bey dem Plutarcho in Caesare p. 736 etwas, das uns an der Einsicht des Dio zu zweiffeln Anlaß geben kan. Es beobachtet nehmlich Plutarchus, daß Cäsar über die Unhöflichkeit in Verzweiffelung gewesen, die er dem Rathe erwiesen, und die dem Volcke so sehr mißfällig gewesen war.  
  "Jedoch man sagt, setzt er noch hinzu, daß er nach diesen zur Entschuldigung dieses Fehlers seine Kranckheit angeführet habe; weil diejenigen die mit der fallenden Sucht beladen sind, nicht ihren völligen Verstand behalten, wenn sie stehend vor eine Gemeine reden sollen, so, daß sie sich leicht verirren und öffters in eine Ohnmacht fallen, allein diß ist falsch gewesen.„  
  Dio hat den Plutarch gelesen gehabt; dieses muß man seiner Ehre wegen glauben. Woher kommt es denn, daß er nichts von  
  {Sp. 1635|S. 833}  
  dieser Entschuldigung gesagt und eine andere angeführet hat, die lange nicht so wahrscheinlich und gewisser massen lächerlich ist.
  • Baylens Wörter-Buch II Th. p. 131.
  • Baumgartens Theol. Moral §. 264 p. 680 u. f.

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Stand: 27. Oktober 2016 © Hans-Walter Pries