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Quellenangaben |
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Unhöflichkeit, kan am ersten erkannt werden aus dem Gegentheil, nehmlich der Höflichkeit; diese
aber besteht in der thätigen Erweisung seiner Hochachtung gegen andere, dabey der
nöthige
Unterscheid
beobachtet wird. |
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Es wird also derjenige der Unhöflichkeit mit
Recht beschuldiget,
welcher theils andern die thätige Erweisung seiner Hochachtung versagt, theils aber
auch, wenn ers ihnen auch erweiset, den nöthigen Unterscheid nicht dabey
beobachtet. |
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Man
nennt auch Unhöflichkeit,
wenn man nicht diejenige Mode beobachtet, die einmahl hergebracht ist, sondern
vielmehr derselben entgegen handelt. |
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Was die Sittlichkeit dieses Fehlers anlanget, so ist er nicht anders
böse, als wenn er
von Hochmuthe herkömmt, und von einer ausdrücklichen Absicht. Wenn man aber wieder
die Höflichkeit verstößt, entweder weil man unschuldiger Weise die
Sitten nicht
weiß, oder weil man
vernünfftiger Weise
urtheilet, daß man
ihnen nicht folgen darff, so sündigt man nicht. Glaubt man wohl, daß ein alter
Professor der Sorbonne
verbunden
sey, alles zu
wissen, was
die jungen Hof-Äbte in Franckreich von der
Kunst wissen, den
Damen viel Ehrerbietung mit grosser Höflichkeit zu erzeigen? Dieser Professor hat
wohl andere viel wichtigere Dinge zu lernen als jene; und wenn er auch von den Sitten
der Modehöflichkeit hätte
reden hören, so
würde er sich rechtmäßiger Weise die
Freyheit
nehmen können, sich demselben nicht gemäß zu bezeigen. Sein
Alter und sein
Character erfordern nicht, daß er sich denselben gemäß bezeige. |
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Wir wollen auch sagen, daß die neuen Höflichkeiten Dienstbarkeiten sind, welche
die Grossen entweder auflegen, oder die ihre Schmeichler zum
Nachtheil der
alten
Freyheit
erfunden haben. Wann es
nun einem jeden erlaubt ist, einem alten
Gebrauch abzusagen, so
ist es auch erlaubt, denselben so lange zu behalten, bis ihm alle
Welt
abgesaget hat; und
verschiedenen
Personen läßt es
wohl, wenn sie die Sitten langsam ändern. |
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Es geht damit, wie mit der Kleider-Mode. Die
Weltlichen
eilen, neue Moden anzunehmen; allein kluge Leuge nehmen sie nur an, wenn die Moden
ein
männliches
Alter erreicht
haben, wenn es uns erlaubt ist, so zu reden. Doch
thut man ohne
Zweiffel am
klügsten, wenn
man auch diese
Art der
Unhöflichkeit so sehr als
möglich zu vermeyden
bedacht ist. |
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Ein
Exempel, in was vor
Unglück uns die
Unhöflichkeit stürtzen kan, kan uns Julius Cäsar abgeben. Es ist kein Zweiffel daß
dieser Fehler einer von den
vornehmsten
Ursachen seines Verderbens gewesen. Er vergaß sich nehmlich einsmahl
so sehr, daß er sich auch nicht einmahl die
Mühe nahm aufzustehen, als
ihm der
Rath den
Schluß
überbrachte, den man zur Vermehrung seiner Ehren-Bezeugungen gemacht hatte. Und
dieses war eine Ursache seines Falls. Zwo Stellen, eine aus dem Suetonius und die
andere aus dem Dio Caßius werden dieses
beweisen. |
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"Praecipuam et inexpiabilem sibi invidiam hinc maxime movit: adeuntes se cum
plurimis honorificentissimisque decretis universos Patres Conscriptos edens, pro aede
Veneris Genitricis, excepit. Quidam putant, retentum a Cor- |
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{Sp. 1632} |
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nelio Balbo, cum conaretur assurgere: alii ne cognatum quidem omnino, sed etiam
admonentum Cajum Trebatium, ut assurgeret, minas familiari cultu respexisse.„ |
Suetionius in Julio cap. LXXVIII. |
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Dio Caßius erzehlt die Sache mit allen
Umständen. |
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“Eines Tages, sagt er L. XLII p. 255, da man über verschiedene grosse Ehren-
Bezeigungen berathschlaget, welche dem Cäsar zu ertheilen in Vorschlag gebracht
worden waren, sind alle Stimmen der Raths-Herrn ausser dem Caßius und einigen andern
diesem Schlusse beygetreten; worauf sich diese Gesellschafft erhoben, dem Kayser
diese Zeitung zu hinterbringen, welcher in der Halle vor dem Tempel der Venus
gesesessen. Er war daselbst geblieben, damit niemand sagen solle, er hätte durch
seine Gegenwart die Freyheit der Stimmen verhindert. Er ist nicht aufgestanden, als
er den Rath ankommen gesehen, und hat dasjenige sitzend angehöret, was man ihm zu
sagen hatte. Dieses hat nicht allein die Raths-Herrn, sondern auch die andern Römer
in einen solchen Zorn gesetzt, daß es einer von denen vornehmsten Prätexten
dererjenigen gewesen, welche die Verschwörung wieder sein Leben verursacht
haben.„ |
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Der Geschicht-Schreiber
weiß nicht, ob
diese Unhöflichkeit ein
unglücklicher
Streich der Vorsehung, eine von oben herab gekommene Betäubung oder eine
Würckung der
übermäßigen Freude Cäsars gewesen, |
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[zwei Zeilen Griechisch].“Sedens senatum excepit, sive fatali quodam errore sive nimio gaudio correptus.„ |
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Allein er setzt darzu, daß man denen keinen
Glauben beygemessen habe,
welche
sagen: Es
hätte Cäsar damahls einen Bauch-Fluß gehabt, welcher ihn befürchten lassen, er möchte
beym Aufstehen denselben wieder rege machen. Diese Entschuldigung ist nicht
angenommen worden; denn man hat kurtz darauf erfahren, daß er sich zu Fusse nach
Hause begeben hat. Man
hat also seine behaltene Stellung seinem Hochmuthe zugeschrieben. Er war eben durch
die ertheilten hohen
Ehren-Stellen
hochmüthig gemacht worden, und man haßte ihn, so bald er hochmüthig geworden war. Wir
wollen die Stelle des Dio nur
Lateinisch anführen: |
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"Quod enim nonnulli purgandi Caesaris causa postea attulerunt, profluvio cum
ventris laborasse, veritumque, ne inter assurgendum aluum deiiceret, „consedisse: id
propterea creditum non est, quod paullo post pedibus ipse domum redierit: sed fastu
elatum hoc fecisse suspicabantur, eumque superbiae nomine odio prosequebantur, quem
immodicos honores deferendo ipsi superbum reddiderant.„ |
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Der Geschicht-Schreiber läßt in den letzten
Worten eben
dieselbe
Begierde sehen,
den Rath zu tadeln, die er bereits hatte mercken lassen. Er hatte gesagt, daß unter
den Dingen, welche dem Cäsar den tödtlichen Haß und Neid zuvor gesaget, das Versehen
der Raths-Herrn viel grösser gewesen, als seiner selbst. |
Ebend. p. 274. |
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Sie haben ihm neue
Ehre angetragen,
welche allzuweit gegangen sind, hernach haben sie ihm getadelt, daß er einen Gefallen
gehabt, sie anzunehmen, und dadurch hochmüthiger geworden ist. Er ist in der That zu
tadeln gewesen, daß er nicht einen
Theil derselben
ausgeschlagen, und geglaubt, man sey |
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{Sp. 1633|S. 832} |
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überzeugt, daß er sie verdiene; allein die Raths-Herrn sind noch tadelnswürdiger
gewesen, indem sie ihm durch Antragung dieser Ehre den Weg zu seinem Fall eröfnet:
Denn wenn er sie ausgeschlagen hätte, so würde man es für eine Verachtung aufgenommen
haben; und durch Annehmung derselben hat er sich der Eitelkeit ausgesetzt, angesehen
die allerbescheidensten
Menschen sich
durch dieses Gifft verderben lassen, und sich einbilden, dasjenige zu seyn, was man
sagt, daß sie sind. |
Nouvellen der Republick der Gelehrten Brach-Monat 1686. 1 Art. p.
631. |
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Man findet darinnen die Worte Juvenalis Satyr. IV v. 70. |
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Nihil est, quod credere de se
Non possit, cum laudatur Diis aequa potestas. |
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Und Horatii L. I Ep. 16 v. 19. |
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Sed vereor, ne cui de te plus quam tibi credas etc. |
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[3 Zeilen Griechisch]. |
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„Nam immoderati honores laudesque levitatem animi etiam modestissimo cuique
adferunt, ut se jam tales esse, quales praedicantur, existiment." |
Dio L. XLII p. 274. |
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Wir
wollen, weil
doch dieses
Exempel der
Unhöfflichkeit
würdig genug ist, daß
wir ihm einige Betrachtung widmen, dabey ein wenig stehen bleiben. Wir wollen die
Ursache ein wenig
untersuchen, warum man nicht
glauben wollen, daß Cäsar
aus
Furcht sitzen geblieben,
es mochte ihm sein Durchfall einen übeln Possen spielen. Sie scheint uns nicht
gegründet zu seyn; denn daraus, daß er kurtz darauf zu Fusse nach Hause gegangen ist,
folget nicht, daß er bey Annäherung des Raths nicht hefftiges Schneiden empfunden
haben könnte. Ein Durchfall ist ja nicht beständig unhöflich. |
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Allein wenn auch diese Entschuldigung ihren guten
Grund hätte, so
würden wir doch
Materie haben
die seltsamen Begebenheiten zu bewundern. Wir könnten sagen, daß die allerwichtigsten
und die allerkläglichsten mit Nichtswürdigkeiten verknüpfft wären; und daß ihnen die
allerarmseligsten Treib-Federn den Schwung geben. Cäsar hat seinen Untergang
beschleinigt, weil er sich, wegen einer kleinen Unordnung in seinem Eingeweide in
keiner höflichen Stellung zeigen können, die bey einer andern
Gelegenheit ohne
Folgerung gewesen seyn würde; allein damahls ist sie eine grosse Sache gewesen; und
der Zufall, den man beym Aufstehen befürchtet, hat verdrießliche Folgen gehabt. |
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Er hätte dem
gantzen Römischen Volcke
zum Gelächter gedienet, und die Übelgesinnten würden ihm eine entsetzliche Auslegung
gegeben haben. Was für eine Verachtung der
Religion und des Raths!
Wie! in dem Tempel der Venus selbst und in
Gegenwart der
allererlauchtesten
Gesellschafft von der
Welt!
Diese
That hätte von
so vielen Seiten vergifftet werden können, daß dieses auch einem Menschen selbst, der
alle Folgen dieser Ruhe sehr starck eingesehen hätte, zu dem Entschlusse vermocht
haben könnte, seinen Platz nicht zuverlassen. |
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Hat sich Constantinus Copronymus nicht einen sehr häßlichen und verächtlichen
Bey-Nah- |
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{Sp. 1634} |
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men zugezogen, der sein Gedächtniß noch jetzo verfolgt? Ist er nicht der
Gegenstand von hundert Lästerungen und unendlich schimpflichen Betrachtungen
geworden, weil er sein Tauff-Wasser ohne
Gedancken und
Wissen
besudelt hat? |
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"Impio patri scelestissima succedit proles Constantinus cognomento Copronymi,
quod infans baptismi lauacro admotus, mediis sacris alimonii excremento aquam
polluerat.„ |
Joh. Baptista Egnatius in Roman. Princip. |
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Diß wäre noch ärger gewesen, wenn ihm dergleichen in einer Kirche unter währender
Zeit begegnet
wäre, da er den
Krieg wider die
Beschützer der Bilder geführet hat. |
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Dem sey wie ihm wolle, so könnte man die Vertheidiger Cäsars viel besser als
durch die vom Dio angeführte Ursache widerlegen. Man könnte ihnen sagen, daß wenn
diese Leibes-Schwachheit die Ursache gewesen, daß Cäsar nicht aufgestanden, er denen
Raths-Herrn die Ursache hätte melden
sollen. Da er nun dieses
nicht gethan hat, so ist es ein Merckmahl, daß er sich wenig darum bekümmert hat, ob
sie
urtheilen möchten, daß
solches aus einem
Mangel der
Höflichkeit gegen
diese erlauchte
Gesellschafft geschähe: Und hierdurch ist er in die erste
Verdrießlichkeit gefallen. |
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Wir können uns
vorstellen, daß
sich die Raths Herrn mit dieser Entschuldigung befriedigt haben würden. Laban, ob er
gleich sehr ergrimmt gewesen, hat sich fast mit einer gleichmäßigen Entschuldigung
besänfftigen lassen, da ihn seine
Tochter sitzend
empfangen. |
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"Da sprach Rahel zu ihrem Vater, mein Herr, zürne nicht, denn ich kan nicht
aufstehen gegen dir; denn es geht mir nach der Weiber Weise.„ |
1 Mos. XXXI. |
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Hier ist noch ein ander Muster der Entschuldigung. Cäsar hätte sagen können: Ich
stehe im Hertzen, ob ich gleich vor euch sitze, u. s. w. |
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Einsmahls befand sich der Cardinal Perron in ziemlicher Verwirrung, da er vor der
Königin von Frankreich das
Wort für die
Clerisey führte. Denn da
er sich auf einem Stuhle befand, worauf ihm die Gicht, vor einer so Majestätischen
Prinzeßin, zu bleiben zwang, so wolte er derselben ein Compliment machen, worzu er
sich nicht vorbereitet hatte: |
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"Gnädigste Frau, sagte er zu ihr, ich liege auf den Knien des Hertzens, ob ihr
mich gleich sitzend sehet ---(da er bey diesen Worten es nicht für ehrerbietig genug
fand, denjenigen
Theil zu nennen, mit
welchen er saß, und lange Zeit eine ehrbare Ausdrückung suchte, ohne dieselbe zu
finden, so muß er endlich darzu setzen) „auf den Schenckeln.„ |
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Man ließt bey dem Plutarcho in Caesare p. 736 etwas, das uns an der Einsicht des
Dio zu
zweiffeln Anlaß
geben kan. Es beobachtet nehmlich Plutarchus, daß Cäsar über die Unhöflichkeit in
Verzweiffelung gewesen, die er dem Rathe erwiesen, und die dem
Volcke so sehr
mißfällig gewesen war. |
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"Jedoch man sagt, setzt er noch hinzu, daß er nach diesen zur Entschuldigung
dieses Fehlers seine Kranckheit angeführet habe; weil diejenigen die mit der
fallenden Sucht beladen sind, nicht ihren völligen Verstand behalten, wenn sie
stehend vor eine Gemeine reden sollen, so, daß sie sich leicht verirren und öffters
in eine Ohnmacht fallen, allein diß ist falsch gewesen.„ |
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Dio hat den Plutarch gelesen gehabt; dieses muß man seiner
Ehre wegen
glauben. Woher kommt es
denn, daß er nichts von |
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{Sp. 1635|S. 833} |
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dieser Entschuldigung gesagt und eine andere angeführet hat, die lange nicht so
wahrscheinlich
und gewisser massen lächerlich ist. |
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Baylens Wörter-Buch
II Th. p. 131.
- Baumgartens Theol. Moral §. 264 p. 680 u. f.
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