Titel: |
Pflichten gegen andere |
Quelle: |
Zedler Universal-Lexicon |
Band: |
27 Sp. 1620 |
Jahr: |
1741 |
Originaltext: |
Digitalisat BSB
Bd.
27 S. 823 |
Vorheriger Artikel: |
Pflichten der Ärtzte |
Folgender Artikel: |
Pflichten gegen die Bestien |
Siehe auch: |
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Hinweise: |
- Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe
Hauptartikel
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Text |
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Pflichten gegen andere sind diejenigen
Handlungen, welche wir in Ansehung anderer
Menschen vornehmen
müssen, und zwar nach
gegenwärtiger Betrachtung, sofern uns das
natürliche Gesetz dazu verbindet. |
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Diese
Pflichten können auf zweyfache Art
betrachtet und eingetheilet werden: |
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1) |
In Ansehung derer, gegen
welche man sie zu beobachten hat, sind sie
entweder allgemeine, oder besondere; jene gehen
auf alle und iede Menschen, sofern sie sich in der
grossen menschlichen
Gesellschafft befinden, da
einer den andern als einen Menschen ansiehet
und tractiret, sofern er ihm diejenigen
Rechte
zukommen lässet, die ihm als einem Menschen
gehören. |
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Die besondern Pflichten
hingegen beziehen sich auf eine über die
natürliche besondere eingeführte Gesellschafft, da
man einander nicht bloß als Menschen, sondern
auch in einer besondern
moralischen
Beschaffenheit ansiehet, dergleichen die Pflichten
der
Eheleute, der
Eltern und
Kinder,
Herren und
Knechte,
Regenten
und
Unterthanen |
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{Sp. 1621|S. 824} |
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unter einander sind, von
denen unter den besondern
Artickeln ist gehandelt
worden. |
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2) |
In Ansehung der Absicht
und
Verbindlichkeit sind es entweder Pflichten der
Nothwendigkeit, oder
Bequemlichkeit; durch jene
leisten wir dem andern dasjenige, ohne dem er
nicht leben und bestehen kan; durch diese
hingegen erweisen wir ihm dasjenige, so sein
Leben
bequem machet. |
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Jene haben eine vollkommene Verbindlichkeit, daß
derjenige, welcher sie einem versaget, zu Leistung derselben kan gezwungen
werden, und zwar im natürlichen Stand durch
Gewalt, daher der Krieg
entstehet; im bürgerlichen Stand aber durch
Obrigkeitliche Hülffe.
Sie sind wieder zweyerley: |
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- entweder officia absoluta, unbedungene Pflichten,
die schlechterdings aus
der Beschaffenheit menschlicher Natur fliessen;
- oder hypothetica, bedungene Pflichten, welche
menschliche Anordnungen voraussetzen.
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Diese, oder die Pflichten
der Bequemlichkeit, haben eine unvollkommene
Verbindlichkeit, das ist, sie geben dem andern
kein Recht in Händen, im Weigerungs-Fall
niemand dazu zu zwingen. Doch ist zu mercken,
daß manche Handlung im menschlichen
Gericht
eine unvollkommene Verbindlichkeit hat, dazu wir
hingegen in dem Göttlichen Gericht vollkommen
verbunden sind; wie denn auch in dem natürlichen
Stand solche Fälle kommen können, da sich die
unvollkommene Verbindlichkeit in eine
vollkommene verwandelt, wenn nemlich
dasjenige, was sonst nur zur Bequemlichkeit
gedienet, nunmehro zur Erhaltung des Lebens
schlechterdings nöthig. |
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Der nächste Grund-Satz,
woraus alle Pflichten gegen andere am
bequemsten können geleitet werden, ist: Lebe
gesellig, welcher füglich aus dem allgemeinen
Grund-Satz des natürlichen Rechts herzuführen:
lebe der Beschaffenheit und dem
Endzweck
deiner Natur gemäß. Denn da der Endzweck der
menschlichen Natur die Beförderung der
Glückseligkeit ist, deren Beschaffenheit aber
deutlich an Tag leget, daß dieses ausser der
menschlichen Gesellschafft nicht geschehen kan,
so muß man darinnen geruhig leben, damit man
den Endzweck erreiche, und das ist eben das,
was man sagt: Socialiter est vivendum. Weil aber
die Gesellschafft nicht nur zu erhalten, sondern
auch ein solches Leben darinnen anzustellen, daß
man die Glückseligkeit erhalte, so muß man bey
einem solchen geselligen Leben dem andern
leisten, was sowol zur Nothwendigkeit, als
Bequemlichkeit gehöret. |
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Bey den Pflichten der
Nothwendigkeit betrachtet man den Menschen
entweder vor, oder nach dem Vergleich: vor dem
Vergleich werden sie in ein Gebot: tractire deinen
Neben-Menschen als deines gleichen, und in ein
Verbot:
beleidige niemand, eingeschlossen; nach
dem Vergleich aber bleibts bey dem Gebot: die
Vergleiche muß man halten. |
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Wie aber dieses nur auf
die Officia absoluta gehet, also können auch die
Officia hypothetica, was unter andern das
Eigenthum oder den Handel und Wandel betrifft,
aus dem Grund-Satze: lebe gesellig, gar füglich
geleitet werden. Denn da sie sich auf solche
menschliche Anordnungen gründen, ohne welche
der Mensch nicht leben kan, so sind sie von
GOtt
gut geheissen worden, und fliessen in |
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{Sp. 1622} |
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der
That aus dem
allgemeinen Grund-Satz des natürlichen Rechts;
folglich aus dem besondern Satz, daß man
gesellig leben müsse. |
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Man pfleget drey solcher
allgemeinen Anordnungen nahmhafft zu machen,
die
Rede, die Eigenthums-Herrschafft und den
Werth der
Dinge. Zwar was die Rede betrifft, so
wird sie mit keinem richtigen
Grund hieher
gezogen, indem ja nicht zu erweisen, daß sich die
Menschen darüber verglichen, und sie auf solche
Art entstanden wäre. |
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Von den hier vorkommenden
Materien
müssen die besondern
Artickel aufgesucht
werden, da auch die dahin gehörigen
Scribenten
angeführet worden sind. |
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Wolff hat die Pflichten gegen andere in diesen
Schrancken eingeschlossen: |
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1) |
Wir sind nicht verbunden,
andern dazu zu verhelffen, was sie selbst in ihrer
Gewalt haben; aber wohl |
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2) |
dazu, was ein anderer
nicht, hingegen wir in unserer Gewalt haben. |
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Dergleichen Pflichten gegen andere sind z.E.
Liebe, Freundschafft, Bescheidenheit: hingegen
zu meiden Feindschafft, Stoltz, Hoffart. |
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