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Zedler: Zorn [3] HIS-Data
5028-63-501-3-03
Titel: Zorn [3]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 63 Sp. 522
Jahr: 1750
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 63 S. 274
Vorheriger Artikel: Zorn [2]
Folgender Artikel: Zorn [4]
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen, Bibel
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

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Übersicht
II. Der Zorn GOttes
  (A) Dogmatische Abhandlung
 
  (1) Beschaffenheit
  (2) Das Object oder der Vorwurff
  (3) Die Eintheilung
  (B) Polemische Abhandlung

  Text Quellenangaben
  II. Der Zorn GOttes.  
  (A) Dogmatische Abhandlung.  
  Unter denen Eigenschafften GOttes, die ihm als Neigungen des Hertzens in der Heiligen Schrifft zugeschrieben werden, als da sind Freude, Traurigkeit, Liebe und Haß, ist auch der Zorn, siehe Psalm XC, 7. Röm. I, 18. und andere Schrifft-Stellen mehr.
  Der Zorn ist eine Art und Blick des Hasses und Widerwillens.  
  (1) Beschaffenheit.  
  Insgemein ist der Zorn eine Lust, das Unrecht, das uns angethan ist, zu rächen, oder er ist eine Bewegung des Gemüths, denen zu vergelten, die uns entweder beschädiget haben, oder beschlossen hatten, uns zu beleidigen. Ein solcher Zorn ist in GOtt nicht. Lactantius Firmianus de ira Dei … hat geirret, daß er von dem Zorn Gottes geschrieben, da er die Meynungen der Philosophen widerleget, als des Epicuri, der in GOtt weder Gnade noch Zorn wissen wolte, auch der Stoicker, die in GOtt zwar Gnade sahen und erkannten, aber den Zorn läugneten, und da er den Zorn zwar feste setzt, aber doch solchen beschreibet, daß er eine gewisse Bewegung in GOtt, um zu straffen sey.  
  Denn gleichwie in GOtt keine bösen Bewegungen seyn, so seynd auch in GOtt keine Bewegungen zum Guten. Denn GOtt ist unveränderlich. In GOtt sind derowegen die Neigungen nur allein Würckungen: Also hat GOtt Zorn, dieweil er das thut, welches jemand thut, der zornig ist, nehmlich er schicket Straffe, welche die Sünde und Missethat verdienet hat.  
  Der Zorn Gottes bedeutet demnach in der Heil. Schrifft  
  1) einen heiligen und gerechten Willen, auch festen Schluß, die Sünde zu straffen, und über alle Übertretung gerechte Vergeltung zu geben. Also wird der Zorn Gottes beschrieben:  
  „Wer an den Sohn gläubet, der hat das ewige Leben, wer den Sohn nicht gläubet, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibet über ihn;„ Joh. III, 36.
  das ist, Gottes gerechte und festbeschlossene Rache.  
  Diese wird bisweilen der Eyfer GOttes wider die Sünde genennet, dieweil GOtt gleichsam im Eyfer feste stellet und beschliesset zu rächen und zu straffen sein geschändetes Gesetz, da er wird ein eyfriger GOtt genennet,
  • 2 Buch Mose XX, 5.
  • Nah. I, 2.
  Hierdurch wird auch  
  2) bisweilen die ausgedrückte und mannigmahl geschehene Dräuung Gottes verstanden, dadurch er seine Straffen und Gerichte ankündigen und vorstellen lässet.  
  Hiervon spricht David: „GOtt schwur in seinem Zorn, sie solten nicht zu seiner Ruhe kommen,„ Ps. XCV, 12.
  das ist, öffentlich und mit einem Eyde bey mir selbst habe ich ihnen gedräuet und verkündiget, daß sie in meine Ruhe nicht kommen sollen,
  • Ps. VI, 2.
  • Jon. III, 9.
  Endlich werden  
  3) die Gerichte, Plagen und Straffen selbst durch den Zorn Gottes verstanden, welche GOtt dem Sünder zusendet,
  • Matth. III, 7.
  • Luc. XXI, 23.
  • Röm. II, 8.
  • Ps. XC, 7. 15.
  • Offenb. XV. 7.
  {Sp. 523|S. 275}  
   
  Cap. XIV, 9. 10.
 
  • und sonderlich Colosser III, 6. und Ephes. V, 6.
  in welchen Stellen stehet: Der Zorn GOttes kommet über die Kinder des Unglaubens.  
  Dieser Zorn ist nicht ein blosser Blitz, noch allein ein Nachsinnen des Gehirns, nicht eine Chymere, ein Gedicht, das niemahlen geschicht, sondern ein Übel, das gewißlich kommt und nicht dahinten bleibt, darum spricht er, daß Gottes Zorn kommt.  
  Bisweilen heisset es in Gottes Wort, daß Gottes Zorn wie eine Fackel, wie ein brennendes Feuer angezündet wird, wie denn das Wort orgē von orō anzünden, und von agō erhitzen herkommt. Bisweilen wird er von dem Zorn Gottes gesagt, daß er offenbaret wird, Röm. I, 18.
  daß er wie Wasser ausgegossen wird. Offenb. XVI, 1.
  Bisweilen stehet zörnen, Röm. III, 5.
  und Zorn erzeigen, Cap. IX, 22.
  In ob angezogenen Stellen Coloss. und Ephes. stehet, daß er kommt, wie mehrmahlen in dem Worte Gottes. Unter andern spricht Paulus:  
  „Lasset euch niemand verführen mit vergeblichen Worten, denn um dieser Willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens etc.„ Ephes. V, 6.
  Es ist anmercklich, daß der Apostel in der gegenwärtigen Zeit redet, er kommt. Hierdurch wird zu erkennen gegeben:  
  α) Die gegenwärtige Schuld und schleunig darauf erfolgende Straffe von dem Augenblicke an, darinne der Mensch sündiget; in Ansehung des Beschlusses und der Dräuung Gottes muß er gewärtig seyn; daß der Zorn alsobald kommt. Er hat sich des Zorns Gottes schuldig gemacht, und in dieser Absicht, ist es allezeit war, daß zu allen Zeiten, und nun und nach dieser Zeit, und also allezeit könne gesaget werden, der Zorn kömmt über die bösen Wercke, das ist, er hat den Zorn verdienet, und sich dessen schuldig und würdig gemacht.  
  β) Der Apostel spricht, daß der Zorn kömmt, damit er actionem contiuam zu erkennen giebt. Der Zorn fänget mit der Sünde an, er gehet mit der Sünde fort, und höret niemahl auf, so lange sich der Sünder nicht bekehret: Hier in diesem Leben nimmt der Zorn seinen Anfang, und mancherley zeitliche Plagen, die GOtt dem Sünder entweder an seiner Seelen, Leibe oder Stande, darinnen er in der Welt sich befindet, zusendet. Wo der Sünder gehet oder stehet, er schlaffe oder wache, er vergesse oder gedencke an die Sünde, so ist er doch unter Gottes Zorn und Fluch, er kömmt überall und allezeit. Dieses ists, welches Christus kräfftig ausdrücket:  
  „Wer an den Sohn gläubet, der hat das ewige Leben, wer den Sohn nicht gläubet, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibet über ihm.„  
  Er ist, er bleibet, er ruhet in dem Sünder, als in seinem Elend und eigenen Sitze.  
  Endlich  
  γ) spricht der Apostel: Der Zorn kömmt, dieweil solcher gewiß und wahrhafftig kommen wird, den Menschen ewiglich zu verderben und zu verdammen, welches so gewiß ist, als wenn der Zorn schon gegenwärtig da wäre. Also ist in Gottes Wort diese Redens-Art sehr gemein, daß die gegenwärtige Zeit vor die Zukünfftige gesetzet wird, damit die Gewißheit derselbigen zu erkennen zu geben,
  • Offenb. I, 7. Cap. III, 11.
  • 1 Tessal. I, 10.
  {Sp. 524}  
  GOtt schiebet zwar seinen Zorn bisweilen wohl auf eine lange Zeit auf; er kommt aber zu seiner Zeit gantz gewiß, damit seine Gerichte desto gerechter und schwerer werden, und die Sünder destoweniger Entschuldigung haben möchten, Röm. II, 5. Cap. IX, 22.
  (2) Das Object oder der Vorwurff.  
  Der Apostel führet ferner an die Objecte und Vorwürffe des Zorns Gottes, und spricht, daß die seynd  
  1) die Kinder des Unglaubens, das sind Ungehorsame, die dem Worte Gottes nicht glauben, und mit Lust und Gewohnheit sündigen, nach der Redens-Art, die bey den Ebreern sehr gebräuchlich ist, da sie denjenigen darzu er irgend geneigt, darinne er erfahren ist, oder deme er sich ergeben hat, ein Kind desselben nennen, als der da von diesem oder jenen gebohren und desselben eigen ist, als  
  im Guten  
 
  • Kinder des Trostes, Kinder des Bundes,
  • Ezech. XXX, 5.
  • Apost. Gesch. III, 25.
 
  • Der Verheissung,
Röm. IX, 8.
 
  • Der Auferstehung,
Luc. XX, 36.
  also auch im Bösen:  
 
  • böse Buben, oder Kinder der Boßheit,
2 Sam. III, 34.
 
  • Kinder der Ungerechtigkeit,
Ps. LXXXIX, 23.
 
  • Judas, das verlohrne Kind,
Joh. XVII, 12.
  Und hier Kinder des Unglaubens, wie auch Eph. V, 6. die eigen sind am, und gebohren aus und zum Unglauben, und dem übergeben. Das Wort, daß der Apostel hier gebrauchet, bezeichnet nicht allein einen blossen und einfältigen Unglauben und Ungehorsam, sondern einen vorsetzlichen und unveränderlichen Unglauben, die wir mit einem Worte Hartnäckigkeit, oder Widerspenstigkeit nennen können, also daß diese Kinder des Unglaubens sind Leute  
  a) denen der Teuffel die Augen verblendet und verfinstert hat, daß sie nicht verstehen noch begreiffen das Evangelium ihrer Seeligkeit, dasselbige zu glauben, sondern verwerffen es, und sind also dem Evangelium ungehorsam, 2 Cor. IV, 4.
  b) oder, wenn sie das mit ihrem Verstande einigermassen erkennen, so verstocket ihnen doch der Teuffel das Hertz, daß sie das Evangelium Christi mit ihrem Gehorsam nicht zieren, sondern gäntzlich verunehren, und zu Schanden machen, Ebr. X, 26-30.
  c) Endlich sind es solche Leute, die sich verführen lassen, alle Sünden und Greuel mit Lust und Ergötzlichkeit zu begehen, oder eintzige Reue und Leid zu beweisen, oder zu sagen: Was mache ich doch? Jer. VIII, 6;
  sondern die von einer Boßheit zur andern fortgehen, wie ein grimmiger Hengst im Streit, und wie ein Wild in der Wüsten pflegt, wenn es für grosser Brunst lächzet und läufft das niemand aufhalten kan.
  Diese beschreibet der Apostel also Ephes. IV, 19.  
  „Welche ruchloß sind und ergeben sich der Unzucht, und treiben allerley Unreinigkeit sammt dem Geitze.„  
  Diese sind der eigene und rechte Vorwurf des Zornes Gottes. Denn obschon auch Gott wohl seinen Zorn über seine lieben Kinder ausschüttet, wenn sie sich zu einigen, vornehmlich aber zu diesen garstigen Sünden aus Schwachheit des Fleisches begeben, wie an Davids Ehebruch und Loths Blut-Schande zu sehen: So müssen wir dennoch wissen, daß es nicht ein Zorn eines Richters zur Genugthuung seiner Gerechtigkeit sey, sondern eines Vaters aus Liebe zu ihrem Heyl, wie  
  {Sp. 525|S. 276}  
  GOtt verhieß:  
  „Ich will sein Vater seyn, und er soll mein Sohn seyn, wenn er eine Missethat thut, will ich ihn mit Menschen Ruthen, und mit der Menschen-Kinder Schlägen straffen. Aber meine Barmhertzigkeit soll nicht von ihnen entwandt werden, wie ich sie entwandt habe von Saul, den ich vor dir habe weggenommen.„ 2 Sam. VII, 14. 15.
  Die Kinder des Unglaubens aber sind der eigene Vorwurff dieses Zorns, welchen GOtt bis ans Ende über sie ausgeschüttet, dieweil sie hartnäckig und widerspenstig bleiben.  
  „Denn GOttes Zorn vom Himmel wird offenbar über alles gottlose Wesen, und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten.„ Rom. I, 18.
  Und darum nennet die Heil. Schrifft dieselbigen vornehmlich Kinder des Zorns, Eph. II, 3.
  Petrus füget darum hier sehr kräfftig diesen garstigen Sünden, die hie v. 5 gemeldet werden, in Betrachtung der Auswürcker derselben hinzu, und nennet sie verfluchte Leute, wenn er spricht:  
  „Sie haben Augen voll Ehebruchs, lassen ihnen die Sünde nicht wehren, locken an sich die leichtfertigen Seelen, haben ein Hertz durchtrieben mit Geitz, verfluchte Leute,„
  • 2 Petr. II, 14.
  • Knibbe Explic. Ep. Coloss. …
  • Exegetisch. Prediger-Lex. II Th. …
  (3) Die Eintheilung.  
  Einige theilen den Zorn GOttes ein in den begleitenden (concomitantem) wovon
  • Joh. III, 36,
  • Röm. II, 8, IX, 22,
  • Eph. V, 6,
  • Col. III, 6,
nachzulesen;
 
  und in den nachfolgenden (consequentem) davon Matth. III, 7, Rom. II, 5 gesaget wird. Borns neu-eröffnete Schatz- Cammer aller Theolog. Wissensch. I Th. ...
  (B) Polemische Abhandlung.  
  Die Socinianer lehren unter andern in dem Artickel von dem Versöhnungs-Amte des HErrn Christi: Daß GOtt aus Zorn seinen Sohn nicht geschlagen habe, oder, daß der zornige GOtt im Himmel durch Christi Leiden und Tod nicht sey versöhnet worden. Sie wollen solches  
  1) Aus der Heil. Schrifft und zwar aus den Worten Pauli 2. Cor. V, 19 beweisen, allwo der Apostel nicht sage: „GOtt war in Christo, und versöhnete sich mit der Welt, sondern: Versöhnte die Welt mit ihm selber:„ es heisse nicht, Katallassōn heauton tō Kosmō, sondern Katallassōn ton Kosmōn eautō.
  • Schmaltz de divinit. Christi
  • Smiglec. de Satisf. …
  • C. Democritus im Beweiß …
  Allein hierauf wird geantwortet: Daß, dieser Ort den Artickel von der wahrhafftigen Aussöhnung GOttes hier nicht zweiffelhafftig mache, in welchem gesaget wird, daß GOtt die Welt zu ihm selber versöhnet? Denn man kan leicht die Ursache mercken, warum der Apostel so, und nicht anders geredet, und warum er nicht vielmehr gesaget, daß GOtt sich mit den Menschen versöhnet. Nehmlich GOtt ist hier der beleidigte Theil; und da er durch sein allgemeines Erbarmen gegen das menschliche Geschlecht in seinem Sohne ein Mittel erfunden, daß er nicht die Menschen vermöge seiner Gerechtigkeit darf zur Höllen verstossen, sondern sie bekehren, und seelig machen kan: Ja da er den Anfang zur Versöhnung gemacht, und allen Sündern seine Gnade und Pardon anbieten läßt;  
  {Sp. 526}  
  so kan der Apostel mit gutem Fug sagen, daß er die Welt mit ihm selber versöhne; gleich einem Könige auf Erden, der seinen rebellischen Unterthanen selbst Gnade anbieten läst; daferne sie die Waffen wollen niederlegen, und mehr bereit ist, alle Königliche Güte und Schutz ihnen zu erzeigen, als dieselben, als solche Aufrührer zu verderben und umzubringen, und sie seinen gerechten Zorn fühlen zu lassen.  
  Ja es sind mehrere Orte in der Heil. Schrifft vorhanden, da diese Redens-Art daß GOtt versöhnet worden, und versöhnet werden könne, nichts ungewöhnliches ist. Z.E. im VI Capitel des Propheten Micha stehet: und wird gefraget v. 6: Womit soll ich den HErrn versöhnen? Mit Heuchlerischen Bücken vor dem hohen GOtt? soll ich mit Brand-Opfern, und mit dem blossen äusserlichen Wercke ihn versöhnen? oder soll ich meinen ersten Sohn vor meine Ubertretung geben? Hieraus siehet man ja, daß es auf Seiten GOttes keinen Widerspruch in sich enthalte, noch seinem Göttlichen Wesen zuwider sey, daß er könne versöhnet werden.  
  Es ist nur bey dem Propheten die Frage von der rechten Art und Weise, wodurch solches geschehen müsse. So beschreibt auch der weise Haus-Lehrer Sirach in seinem 39 Capitel das Amt eines Predigers, wie derselbige vor GOtt so wohl für sich selbst, als für des gantzen Volcks Sünde bete, und also den HErrn versöhne, der ihm dann den Geist der Weisheit reichlich gebe, v.8.
  Kan GOtt von den Menschen dermaßen beleidiget werden, daß er ihr Feind wird, so wird es auch nichts ungeräumtes seyn, zu sagen, daß er versöhnet werde.  
  Nun aber ist das erste wahr. Die Sünder sind nicht nur GOttes Feinde, nach dem 5 Capitel der Epistel an die Römer, sondern es wird auch von GOtt gesagt, daß er ihr Feind sey, ja daß er, als ein Feind hernach wider sie streite, u. sie um ihrer Sünde willen, wie seine ärgsten Feinde, tractire. Sie erbitterten, und entrüsteten seinen Heiligen Geist, heist es von den gottlosen Jüden, im 63 Capitel Jesaiä, v. 10. Darum ward er ihr Feind, und streitet wider sie.  
  Ja, was soll man sagen von denjenigen Örtern, wo unser Heyland hilasmos, die Versöhnung selbst, und NB. vor unsere Sünde, nicht die Versöhnung der Menschen genennet wird; welches Wort, als ein vox relativa, sich auf jemanden beziehet, der durch die Sünde muß seyn beleidiget worden, und der nun wieder ausgesöhnt wird, welches niemand anders, als GOtt selber seyn kan? Bernds Wahrheit der Christ-Lutherischen Religion ...
  Ja es finden sich auch klare und deutliche Zeugniße in der Heil. Schrifft, darin die Schläge und Leiden des Meßiä als Würckungen des Göttlichen Zorns angegeben werden. Als im Ps. XXXVIII, 2. redet der Heyland also:  
  „Herr straff mich nicht in deinem Zorn, und züchtige mich nicht in deinem Grimm, denn deine Zorn-Pfeile, (5 B. Mos. XXXII, 23) stecken in mir etc.„  
  welche Worte eben den Verstand haben, als jene Lucä XXII, 42. Vater, wilst du, so nimm diesen Kelch, (das innerliche Gefühle deines Zorns) von mir.  
  Ps. LXXXVIII, 8. ruffet er: Dein Grimm drücket mich, oder eigentlich: stützet und lehnet sich auf mich, und drengest mich mit allen deinen Fluthen, vergl. Ps. LXIX,
  {Sp. 527|S. 277}  
  2, 3.  
  Und abermahl, v. 17.
  Dein Grimm gehet über mich, dein Schrecken drücket mich; da auch wohl ein Kind siehet, daß ein solcher Grad der Empfindung des Zorns GOttes, mit diesen Worten beschrieben werde, als kein blosser Mensch zu ertragen fähig ist. Hier aber stehet ein Mann, der die gantze Last des Zornes des Allmächtigen auf seinen von der inwohnenden Gottheit gestärckten Schultern an unserer statt träget, damit wir nicht ein ewiges Opfer desselben werden dürfften.  
  Was heist Gal. III, 13. die Redens-Art: Christus ist für uns, (nicht uns zum Exempel der Nachfolge, sondern an unserer statt,) ein Fluch worden, anders, als: Es ist in ihm und an ihm die allerschrecklichste Offenbarung des Zornes GOttes vorgegangen, über die ihm zugerechnete Sünden der Welt. Und was wird wohl durch das Schwerd verstanden, welches der höchste Richter, über dem Meßiam rufet, Zach. XIII, 7.
  „Schwerd mache dich auf über meinen Hirten, und über den Mann, der mir der Nächste ist, spricht der HErr Zebaoth. Schlage den Hirten!„  
  Der HErr Zebaoth rufft hier nicht der Ruthe, die noch ein Vater aus Liebe gegen seinen Sohn ergreiffen kan, sondern er rufft dem Schwerd, und zwar einem solchen Schwerd, das sich selbst aufmachen kan: Schwerd, mache dich auf! einem Schwerd, das eigenmächtig schlagen kan: Schlage den Hirten. Das kan kein ander Schwerd seyn, als der Zorn und die Gerechtigkeit des Allmächtigen; ein Schwerd, das durch die Seele dringet, und bis auf den Grund derselben verwundet; 5 B. Mos. XXXII, 41,
  daher Matth. XXVI, 31. GOtt selbst redend eingeführet wird: Ich, ich will den Hirten schlagen.  
  Die Schläge des Satans und seiner Werckzeuge waren hier bey weiten nicht hinlänglich. GOtt selbst war Richter, GOtt selbst führte das Schwerd, GOtt selbst schlug mit demselben unsern Hirten. Die Faust-Schläge des Satans sind empfindlich; aber es sind doch nur Schläge einer zornigen Creatur. So viel aber der Schöpffer stärcker ist, als alle seine Creaturen, so viel durchdringender sind auch seine Schläge, als die Schläge der zornigsten Geschöpffe. Sein Zorn ist ein solcher Abscheu für der Sünde, die seiner Heiligkeit gemäß, das ist, unendlich ist, welcher dergestalt auf alle sündliche Creaturen dringet, daß sie fühlen müssen, was für ein grosser Feind und Rächer der Sünde der Heilige GOtt sey.  
  Diese Schwerd-Schläge des Allmächtigen muste der Mittler auch empfinden, als er die Sünden der Welt auf sich genommen, samt allen dadurch verdienten Straffen. Denn ob er wohl an sich der liebe Sohn war, an welchem die Seele des Vaters Wohlgefallen hatte, so sahe doch GOtt bey dem Wercke der Versöhnung nicht auf die persönliche Heiligkeit JEsu, an welcher er mehr zu lieben, als an unser aller Sünden zu hassen fand: Sondern er sahe auf die ihm zu geeignete Sünden der Welt: Gleichwie ein unpartheyischer Richter keine Reflexion machet auf die Würde, die sonst ein Bürge im gemeinen Wesen haben kan, sondern auf die würckliche Leistung der Bürgschafft dringet. Besiehe des Herrn Past. Joh. Wincklers, das Vollkommene Alles unserer Seelen, JEsus Christus, der gecreutzigte, … allwo er mit diesem Gleichniß die Sache erläutert.  
  Also da GOtt  
  {Sp. 528}  
  unsere Sünde in Christo richtete, setzte er die hohe Liebwürdigkeit seiner Person aus, und sahe blos auf ihn, wie er sich für uns zum Bürgen dargestellet, und sich erkläret zu zahlen, was er nicht geraubet hatte, Ps. LXIX. 5.
  Wie er nun diese unsere Sünden-Schulden so wahrhafftig übernommen, als er unsre Natur angenommen; so drung auch GOttes Zorn so wahrhafftig und gewaltig auf ihn, als er auf aller Menschen Sünde dringen solte. Denn ob man gleich keinesweges sagen kan, daß GOtt seinen Sohn zu solcher Zeit gehasset habe; so offenbarte er doch seinen Haß gegen die Sünde nicht nur dadurch, daß er ihn in die Hände der Ungerechten gab, ihn zu schlagen und zu tödten; sondern, da diese nur den Leib schlagen konnten, so ließ er zugleich seine Heiligste Seele, sonderlich am Ölberge und am Creutze, etwas von demjenigen empfinden, was die Verdammten in eine ewige Verzweiffelung stürtzet: Er aber ohne Verzweifelung in der grösten Liebe und Gelassenheit zu seinem Vater erduldete, indem er mitten in dem Stande der Verlassung, unter der Entziehung des innerlichen Trostes, unter dem Gefühl einer unaussprechlichen Angst und Traurigkeit, sich fest an GOtt hielt, und rief: „Mein GOtt, Mein GOtt, warum hast du mich verlassen?„ Dieses innerliche Seelen-Leiden des Mittlers, welches das äusserliche unendlich an Hefftigkeit u. Empfindlichkeit überwogen, und ihm in einem entsetzlichen Todes-Kampfe blutigen Schweiß ausgepresset, waren die eigentlichen Schläge GOttes und seines tief verwundenden Schwerdes. Heßisches Heb-Opffer, III Stück …
  Jedoch denen Gegnern ist es nicht genung, daß sie, wie wir bisher gehöret, die Örter, so in Heiliger Schrifft von Christi Versöhnungs-Amte handeln in falschen Verstande annehmen, oder nur lauter menschliche Weisen zu reden, in demselbigen suchen; sie bemühen sich auch  
  2) Sogar aus der Vernunfft, und mit vernünfftigen Gründen darzuthun, daß es weder möglich, noch nöthig gewesen, den Vater im Himmel auszusöhnen. GOtt sey nicht ein GOtt, sagen sie, daß er nicht erzürne, u. erboße, noch ein Menschen-Kind, daß er an jemanden Rache ausüben, u. an den gefallenen Sündern seinen Muth kühlen wolle. Es sey alles dieses auch nur auf menschliche Weise von GOtt geredet. Denn er sey lauter Liebe; er straffet auch die Menschen eigentlich nicht, so gesündiget, sondern die Menschen als freye Creaturen wenn sie von ihm, als dem höchsten Gute abfielen, strafften sich selbst: brächten sich selbst in Unglück u. in lauter Höllische Pein und Angst, und auch diese Höllische Pein und Angst wären lauter Ausbrüche der Liebe Gottes: Denn GOtt suche sie dadurch als durch heilsame Artzney-Mittel wieder gesund zu machen, u. von ihren Thorheiten zu bekehren. Alle Straffen wären zur Besserung; Und folglich hätten auch alle Straffen, womit GOtt die Sünder in dieser, u. in der zukünfftigen Welt belege, keinen andern Endzweck, als ihre Busse und Besserung; so daß, wenn diese Besserung erfolge, alle Straffen, ja die Pein der Höllen selbst endlich ein Ende haben, und aufhören müsten. Democritus in der Entdeckung …
  Auf alle dieser Einwürffe aber wird folgendes geantwortet: Daß einmahl unser GOtt sich nicht erzürne noch erboße, wie wir Menschen, und  
  {Sp. 529|S. 278}  
  also der Gemüths-Affect, den wir Zorn nennen, und der mit Alteration und Verwirrung des Gemüths verknüpffet ist, bey GOtt nicht gefunden, sondern ihm auf eine menschliche Weise zu reden beygeleget werde, solches giebt man gerne zu; inzwischen geht es doch dem Menschen, und dem Sünder so, und kommt wegen seiner Missethaten so viel Unglück, Angst und Pein über ihn, als ob GOtt zornig wäre, wie wir Menschen; indem seine Gerechtigkeit, die ihm wesentlich ist, erfordert, daß er die Sünder straffe, ob er schon keine Lust an ihrem Verderben hat, noch sein Müthlein an ihnen zu kühlen suchet. Ein weltlicher, und irdischer Richter erboßt sich auch nicht über den Delinquenten, den er vor sich hat, und doch pfleget er, wenn er gerecht ist, den Übelthäter auf die schimpflichste und empfindlichste Weise zu straffen, und hinrichten zu lassen.  
  Daß GOtt lauter Liebe sey, stehet mit so viel Worten und Buchstaben wohl nicht in der Heiligen Schrifft; Man müste denn den Ort des Apostels Johannis hieher ziehen, da er von GOtt schlecht weg saget, daß er die Liebe sey. GOtt ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibet, der bleibet in GOTT, 1 Joh. IV.
  Und wenn es auch von GOtt stünde, daß er lauter Liebe wäre, so könnten wir mit eben so gutem Recht, und mit gleichem Verstande sagen, daß er lauter Zorn sey; Wie ihm denn auch die Heilige Schrifft ein verzehrend Feuer, und eine ewige Gluth nennet, Es. XXXIII, 34.
  Es sind rhetorische, und nicht logische oder eigentliche Sätze, welche demnach auf gebührende Weise müssen erkläret werden. Ist bey GOtt nicht der Affect des Zorns, der bey uns Menschen öffters erreget wird, anzutreffen; so mögen wir sicher dencken, daß GOtt auch nicht auf eine solche Weise liebe, wie wir Menschen, lieben: und daß auch der Affect der Liebe, der absonderlich, wenn er starck ist, niemahls ohne grosse Bestürtzung und Bewegung des Gemüthes ist, bey GOtt nicht gefunden werde. Wird doch unser Heyland auch in abstracto selbst die Weißheit, die Wahrheit, der Weg, und das Leben genennet. Wer wolte denn daraus schliessen, daß in Christo nichts als Weißheit, nach unserer Art zu begreiffen, zu finden sey? Es ist bald, als wenn man spräche: Die menschliche Seele ist eine Gedancke, oder nichts, als lauter Gedancke; Wie man den Cartesianischen Weltweisen Schuld giebt, daß sie sagen sollen: Verständige Philosophen wissen es besser zu treffen, und sagen, daß die menschliche Seele eine Substantia cogitans, und ein denckendes Wesen sey.  
  Eben so ist GOtt auch nicht lauter Liebe, wo man diesen Satz als einen puren Logicalischen Satz, und propriam propositionem synonymicam annehmen will; sondern eine Substantia amans, ein Wesen, das Liebe hat. Denn er hat ja auch Weisheit, Verstand und Erkenntniß; und, wie er von Ewigkeit sich selbst gewolt, approbiret, und geliebet, und sich in ihm selbst erfreuet: so hat er sich auch von Ewigkeit selbst erkennet, und verstanden; und in solchem Verstande könnte man auch sagen, daß er das Erkenntniß selbsten sey.  
  Daß die Sünder sich selbst straffen, und daß Unglück, Jammer, Hertzeleid, Verzweifelung auch natürliche Effecte und Wür-  
  {Sp. 530}  
  ckungen der Sünde sind, räumet man auch gerne ein; aber deswegen folget es nicht, daß GOtt davon auszuschliessen, und daß er nicht auch selbst die Sünder straffen, und heimsuchen solte. Er thut solches eben, einmahl mittelbahr, und vermittelst des natürlichen Zusammenhangs, den er zwischen der Sünde und zwischen dem Unglück gestifftet, und in die menschliche Natur geleget. Denn, wenn er nicht die Natur des Menschen selbst so erschaffen hätte, daß, wo sie sich von GOtt, als der Quelle des Guten abwendet, sie lauter Pein, Angst und Unruhe fände, so müste er allemahl die Sünder zu straffen, und zu bekehren unmittelbahre Hand anlegen, und ihnen allerhand Pein und Schmertzen verursachen, sie auf bessere Gedancken zu bringen: Gleich einem irrdischen Vater, der sein Kind mit der Ruthe züchtiget: welche Züchtigung und Handlung doch mit der Sünde des Kindes keine natürliche Verbindung hat.  
  Man thut nicht wohl, wenn man bey den Wegen und Mitteln der Natur, wodurch die Sünden gestrafft werden, GOttes, des Urhebers der Natur, gantz vergessen will. Die weltlichen Richter haben viel Mühe mit den Delinquenten auf Erden. Sie müssen Gefängnisse vor sie bauen, vor Gerichte sie ziehen, in Pranger stellen, den Staubbesen ihnen geben, ja sie zuweilen gar schmählich hinrichten lassen; entweder sie noch zu bessern, und nützliche Werckzeuge der Republick aus ihnen zu machen, oder andere Unterthanen von gleicher Boßheit abzuschrecken. Wären sie aber so weise, mächtig und künstlich wie GOtt, und könnten mit leichter Mühe Wege, Mittel und Maschinen erfinden, wodurch die Übelthäter sich selbst entweder mit grosser Schmach, oder mit grossen Schmertzen strafften, so daß solche zulänglich wären, dem Übel zu steuren, und jetztgedachte Endzwecke zu erhalten; sie würden solches zu thun gewiß nicht unterlassen.  
  Wer wolte aber alsdenn so einfältig seyn, und jubiliren und sagen: Die Obrigkeit ist gut, sie ist lauter Liebe, sie thut niemanden was böses; Die Diebe und Todtschläger hencken und straffen sich selbst? Darnach, ob man wohl zugestehen muß, daß gewisse Schmertzen, Pein, Angst und Unruhe der Seelen natürliche Früchte und Folgen der Sünde sind, und auch in der Höllen solche Angst und Schmertzen anzutreffen seyn werden, die eine natürliche Verwandniß mit der Sünde haben, so die Verdammten in der Welt begangen; So sind doch auch viele poenae positivae und arbitrariae, wie man sie zu nennen pflegt, willkührliche Straffen, die GOtt den Übeltäthern schon in dieser Welt öffters anthut; entweder durch die Engel, die er hier zu seinem Dienste als Werckzeug brauchet, oder, weil er als ein allwissender GOtt, da er die Welt erschaffen, alles so weißlich eingerichtet, daß allerhand Jammer, Noth, Unruhe, und Plagen über die Sünder kommen müssen, die keine natürliche Verbindung mit der Sünde selbst haben. Ja, es würde auch nicht mit GOttes Heiligkeit und Güte streiten, das selbst zu thun, was er durch andere, nehmlich durch Engel und Menschen, und natürliche Zufälle thut, und die Sünder unmittelbahr anzufallen, und z.E. den Sünder auf der Stelle zu tödten; gleichwie auch in GOttes  
  {Sp. 531|S. 279}  
  Wort von mehr als einem Sünder stehet: Der Herr schlug ihn, daß er starb.  
  Die heiligen Scribenten sehen in solchen Fällen so wenig auf die Natur, und auf die natürlichen Mittel, deren sich GOtt bedienet, die Bösen zu straffen, und die Frommen zu belohnen, daß sie fast überall von dem grossen GOtt im Himmel so reden, als ob er allemahl unmittelbahr würckte, ohne Zweifel, damit die Menschen nicht GOttes vergessen, der alles solches thut, noch bloß auf die Natur, und natürliche Einrichtung sehen, sondern GOtt zu fürchten, und ihn zu lieben Gelegenheit haben sollen: welche Furcht und Liebe zu GOtt bey den Menschen überaus sehr geschwächt wird, daferne sie nur immer auf die Neben-Ursachen, und auf die natürlichen Ursachen sehen wollen, wodurch sie in Unglück gerathen, und darbey manchmahl denen Hunden gleich werden, die in den Stein beissen, womit sie geworffen werden, und nicht auf den sehen, der ihn geworffen.  
  Doch, so offt auch GOtt sich der natürlichen Mittel und Wege bedienet, die Sünder zu straffen mit der Ruthen, die sie sich selbst gebunden; so ist die Heilige Schrifft doch auch voll von solcher Straff-Gerichten, die keinen natürlichen Zusammenhang mit den Sünden der Übelthäter gehabt haben. Das Feuer vom Himmel so Sodom und Gomorra in die Asche legte, war keine natürliche Folge ihrer Geilheit, noch das Erdbeben, welches die Rotte Korah verschlang, eine natürliche Würckung ihres Aufruhrs; sondern man kan bey solchen, und bey andern Straffen der Sünder mehr wahrnehmen, daß GOtt, weil hier noch keine natürliche böse Folgerungen der Sünden vorhanden waren, selbst nach seiner freyen Willkühr Tod und Unglück über die Sünder zu bringen gewust habe.  
  Und da man aus GOttes Wort wohl hundert Exempel anführen könnte, solcher Sünder, die GOtt willkührlich gestrafft; Wer wolte läugnen, daß nicht auch einst in dem Orte der Quaal GOtt die Verdammten auf allerhand willkührliche Art und Weise peinigen, oder peinigen werde lassen; und sagen, daß die Hölle, und die höllischen Plagen bloß natürliche Früchte und Würckungen der Sünden seyn werden. Bernds Wahrheit der Christen-Lutherischen Religion ...
  Endlich ist noch zu gedencken, was Herr Reinbeck in seiner Sammlung einiger Leichen-Predigten Theil II … von dem Zorne GOttes saget:  
  „Weil GOtt der Allerheiligste ist, so kan es nicht anders seyn, er muß die Sünde hassen, er muß sie auch straffen. GOtt ist zwar die Liebe, daher einige auf die Gedancken kommen, daß der Haß bey und in GOtt nicht statt finde; aber es ist zu bedencken, daß GOtt nicht anders, denn das wahre Gute, dessen innere Beschaffenheit er aufs genaueste kennet, lieben könne, und daß er, da er die Natur der Sünde, als schädlich, schändlich und thöricht einsiehet und kennet, dieselbe hassen und verabscheuen müsse, und ihme der Haß gegen das Böse eben so eigen sey, nach seiner wesentlichen Gerechtigkeit und Heiligkeit, als ihn die Liebe gegen das wahre Gute eigen ist.  
  Wie GOtt das Böse oder die Sünde, und zugleich  
  {Sp. 532}  
  den Sünder hasse, sagt David, Psalm V, 5: Du bist nicht ein GOtt, den gottloß Wesen gefället, wer böse ist, bleibet nicht für dir. Daher auch Christus den Göttlichen Zorn und Haß wider die Sünder fühlen und empfinden müssen.„  
  Und ebendas. … fähret er weiter fort und saget:  
  „Christus hat uns zwar nicht davon erlöset, daß wir nicht auch den Zorn GOttes über die Sünde in etwas solten empfinden müssen, und daß wir auch von allem Leiden des Leibes befreyet bleiben solten; sondern, daß der Zorn GOttes nicht an uns hafften, und daß unsere Leibes-Leiden nicht Vorboten der ewigen Leiden seyn dürfen, sondern daß sie uns zu unserm Besten gereichen müssen.  
  Die Menschen, wenn sie ihre Sünden recht zu erkennen anfangen, müssen auch offt inne werden, daß GOtt nicht ein GOtt sey, dem gottloß Wesen gefällt. Diese schmertzliche Empfindung hat ihre gewisse Grade und Zeit: und ist bey manchen grösser, währet auch länger, als bey andern. Man sehe an das Exempel des bußfertigen Davids, Psalm VI, 2. 5. 8. XXXVIII, 2 7. 9. 10. 11.
  So geht es manchen. Sie werden um ihrer Sünde willen so geängstiget, daß sie die grösseste Seelen-Pein empfinden. Wie Augustinus von sich schreibet, daß er mannichmahl solche Freude in sich verspühret, daß, wenn selbige beständig wäre, es nichts anders seye, als eine Freude des ewigen Lebens; Dagegen haben manche solche schmertzliche Empfindungen über ihre Sünden in ihren Seelen, daß es recht wie eine Höllische Marter anzusehen ist. Was nützet denn nun bey solchen Christus und sein verdienstliches Leiden, wenn sie so viel um der Sünde willen ausstehen müssen?  
  a) Dieses, daß sie nicht verzagen dürfen, das Leiden hat ein Ende, wie bey Christo.  
  b) Die Sünde wird ihnen um destomehr verbittert, daß sie mit Hiskia sagen können: Ich will mich meine Tage hüten für solcher Angst meiner Seelen. Alles Leiden muß zum besten dienen; darzu sind sie zeitlich und leichte, und sie schaffen eine ewige und über alle Massen wichtige Herrlichkeit.  
     

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Stand: 8. April 2013 © Hans-Walter Pries