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Text |
Quellenangaben |
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Der andere geistliche Feind, wieder welchen
ein Wiedergebohrner streiten muß, ist die Welt,
unter welcher alle Gottlosen verstanden
werden. |
Rom. XII. 2. |
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Diese sucht die Wiedergebohrnen bald durch
Reitzungen, indem sie ihnen das Böse unter einer
guten Gestalt zeiget, bald durch Schrecken und
Drohungen, bald durch böse Exempel zur Sünde zu
verführen. |
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Es ist sehr leicht zu erweisen, daß die Welt,
oder wenn man es deutlicher sagen will, die Sitten
und die Lebensart derer Gottlosen ein sehr starcker
Feind der Wiedergebohrnen sey. Man darf nur mit
Fleiß auf dieselbe sehen wollen, so wird man bald
begreifen, daß sie vielen hinderlich fallen müssen,
der Stimme des Heylandes zu gehorchen, welche
sie zur Busse und Heiligkeit des Lebens rufft. |
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Un- |
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{Sp. 874} |
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ter den Gewaltigen, Angesehenen und
Begüterten ist eine Weise zu leben eingeführet, die,
wo sie nicht sündlich und verboten, doch gewiß die
Krafft der Seelen schwächet, und den Geist mit
mancherley Lüsten und Thorheiten füllet, die den
Würckungen der Gnade wiederstehen. |
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Die am ordentlichen wandeln, setzen einen
Theil ihrer Zeit zu ihren Arbeiten und Geschäfften
aus. Der Zwang, den sie sich in diesen Stunden
angethan, wird hernach in einer eitlen Gesellschafft
durch ein unordentliches Gespräche, durch einen
ungereimten Schertz, durch Spielen und andre
Dinge versüsset. Dem Herrn bleiben nichts als die
Augenblicke übrig, in denen der Geist abgemattet
und seiner Krafft schon beraubet ist. Viele, die mit
Gütern gesegnet sind, dencken gar an nichts
anders, als wie sie sich nach den Geschmack ihrer
Zeiten ergötzen, und andern, die so wie sie geartet,
sich gefällig bezeigen mögen. Was ist für Hoffnung,
daß die Gnade über solche Hertzen siegen
werde? |
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Es ist durch eine langwierige Erfahrung
bewiesen und ausgemacht, daß die Sitten und
Gewohnheiten der Völcker kein geringes zu ihrem
Glücke oder Unglücke beygetragen haben. Kleine
oder mäßige Gesellschafften haben durch einen
ordentlichen, ernsthaften und eingezogenen Wandel
sich die Liebe ihrer Nachbarn, Gewalt, Macht, und
Ansehen zu wege gebracht. Sie sind hernach
gefallen oder gar vertilget worden. |
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Und man hat allezeit bemercket, daß zu diesem
Unglücke die Veränderung der Lebensart das
allermeiste geholffen. So bald Üppigkeit, Wollust,
Unordnung, Trägheit sich unter die mächtigsten
Völcker gemenget, ist ihre Ehre verdunckelt, ihre
Macht verkleinert, und der Anfang zu ihrem
Untergange gemacht worden. Rom und
Griechenland würden vielleicht das noch seyn, was
sie ehedem gewesen, wenn sie sich nicht in die
thörichten und eitlen Sitten einiger
morgenländischen Völcker verliebet, und eben die
Gewohnheiten angenommen hätten, die ihnen
ehedem den Sieg über fremde Völcker
erleichtert. |
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Mit der Religion stehen die Sitten der
Menschen noch in einer grössern Verwandschafft.
Die Wahrheit und Gottseeligkeit werden noch so
deutlich vorgetragen: Sie leidet doch, wenn ein
Volck sich an eine unvernünfftige und ungereimte
Lebensart gewöhnet. |
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Der Wohlstand solte sich nach der Religion
richten: Und insgemein muß die Religion sich der
Bothmäßigkeit des Wohlstandes unterwerfen, und
eine solche Gestalt annehmen, als es der gemeine
Lauf der Welt haben will. Daß aber die Sitten der
Christen die Religion beflecken, und verschiedene
heilige Wahrheiten derselben hier und da verstellen
und verderben, kan man aus unzähligen Exempeln
wahrnehmen. Wir wollen dieses nur an einem
eintzigen zeigen. |
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Es geschiehet offt, daß die Lehre Jesu Christi
und die ordentliche Weise zu leben so nahe an
einander gerathen, daß entweder diese geändert,
oder jene abgeschaffet werden muß. In solchen
Fällen, die so selten eben nicht sind, finden sich
allezeit Unterhändler, die einen Vergleich stiften,
und die Religion mit den üblichen Sitten der Welt
vereinigen wollen. |
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Der Frieden wird gemacht; allein stets zum
Nachtheil der Gottseeligkeit und des Glaubens. Die
Religion |
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{Sp. 875|S. 451} |
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muß etwas von ihrem Rechte verliehren, damit
das Wesen der Welt seinen freyen Gang behalten
möge. Wie künstlich weiß der menschliche Verstand
die deutlichsten Worte des Erlösers zu verdrehen,
wenn er seinen eignen Lüsten Lufft machen, oder
den Grossen dieser Welt das Gewissen erleichtern
soll? |
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Die Sitten der Hohen und Niedrigen, der
Begüterten und der Unbegüterten, der Mächtigen
und der Geringen sind unter allen Völckern stets
unterschieden gewesen. Wenn man also sagt, daß
die Sitten und Arten zu leben, die in der heutigen
Welt für geschickt und anständig ausgegeben
werden, denen die sich daran gewöhnet, hinderlich
fallen, entweder den Ruf zur Busse anzunehmen,
oder in der Gottseeligkeit zu wachsen: So muß
man, um ordentlich zu handeln, auf diesen
bekannten Unterschied Acht haben. |
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Die so in der Welt groß, begütert und
angesehen sind, führen einen Wandel, in dem alles
auf Vergnügen, Lust, Veränderung der Wollüste,
Gemachlichkeit und Ansehen eingerichtet ist. So
viel Vergnügen als es immer möglich ist, geniessen,
sein Leben in einer gewissen Art des Müßigganges
hinbringen, den Geist allezeit munter und frölich
erhalten, die Sinnen durch tägliche Abwechßlungen
vergnügen, bey andern sich beliebt und angenehm
machen, den Gottesdienst so geschwinde, als es
seyn kan, abstatten: Dieses ist der Wunsch, der
Zweck derer, die etwas gelten. Auf diese Dinge
zielet alles ab, was man jetzt Wissenschafft und Art
zu leben nennet. |
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Es ist eine ausgemachte Wahrheit, daß sich
alles, was in unsern Sitten schön, anständig, zierlich
heisset, auf zwo Begierden gründe. Auf die Wollust
der Sinnen und der Einbildung, und auf die
Ehrsucht. Man sucht den Sinnen stets eine Lust zu
machen. Daher kommen unsre wollüstigen
Mahlzeiten, bey denen nichts versäumet wird, was
alle Sinnen vergnügen und die Begierden erhitzen
kan: Daher die Zusammenkünffte, in denen
gespielet, getantzet, geschertzet, und allerley Dinge
vorgenommen werden, die niemand für Zeugnisse
der Weisheit ausgeben wird: Daher unsre
Schauspiele, die noch an den meisten Orten
Schulen der Thorheiten und der Laster heissen
können: Daher unsre Lustbarkeiten, die auf
unzählige Weise verändert werden, weil die Sinnen
sammt der Einbildung bald einer Sache müde
werden, der sie stets geniessen: Daher die
Besuchungen andrer, bey denen wir gemeiniglich
durch die Ohren unsrer Einbildung eine Lust
verschaffen wollen. |
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Wir sind begierig, Ehre und Ansehen unter
andern zu erhalten. Darzu gelanget man in der
verdorbenen Welt insgemein durch zwey Dinge:
Durch die Meynung von unsern Vermögen und
Reichthum, und durch unsre Gefälligkeit. Der kan
sich auf Ehre und Ansehen eine unstreitige
Hoffnung machen, der einmahl andern die Meynung
beygebracht hat, er sey glücklich, reich und
begütert. |
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Daher thun wir alles, was darzu dienen kan. Die
Welt soll durchaus glauben, daß wir vollkommen
glücklich, daß wir in Überflusse sitzen, daß unser
Einkommen unerschöpflich sey. Daher unser
mühsamer Putz, unsre prächtigen Kleider, unsre
unnöthigen Bedienten, unsre sorgfältig und kostbar
geschmückten Cammern, unser Abscheu |
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{Sp. 876} |
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für alles, was Arbeit und Mühe heissen kan,
unsre Versäumung aller Geschäffte, unsre offt
erdichtete Gemächlichkeit und Zärtlichkeit, unsre
Nachahmung aller ausländischer Weisen und
Gewohnheiten. |
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Daher unsre ewige Unbeständigkeit in Kleidern,
Zierrathen, Bedienung und andern Dingen. Daher
unsre so genannte Grosmuth und Verachtung des
Geldes, oder vielmehr unsre Verschwendung, die
der Elende offt mit seinem Schweisse und Kummer
unterhalten muß. Daher viele andre Dinge, die man
nicht zählen kan. |
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Und wenn fast die gantze Welt weiß, daß unser
Vermögen abgenommen, daß unsre Schätze
zerstoben, daß unser Einkommen geschwächt; so
arbeiten wir doch mit allen Kräfften, sie zu blenden,
und durch eine doppelte Üblichkeit dahin zu
bringen, daß sie uns, gegen ihre Überzeugung, für
glücklich halten sollen. Warum? Wir würden sonst
einen Theil unsers Ansehens einbüßen. |
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Wie bekümmert machen wir unser Leben, um
grösser zu scheinen, als wir sind! Wir gleichen
denen Zwergen, die lieber mit Gefahr und
Unbequemlichkeit auf Steltzen gehen, als in ihrer
natürlichen Länge erscheinen wollen. Wer sich nach
der Neigung andrer richten, und mit einen jeden so
umgehen kan, wie er es gerne siehet, der hat mehr
denn eine Ursache zu glauben, daß er sich in der
meisten Hertzen Liebe und Hochachtung erwecken
werde. |
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Wie sorgfältig verfahren wir nach dieser Regel!
Woher unsre offt verdrießliche und unangenehme
Höflichkeit, woher unsre verstellte Demuth, und
Erniedrigung; woher unsre ungereimten
Schmeicheleyen; woher unsre Sorgfalt, jederman zu
unterhalten und zu vergnügen, woher unser Eifer,
andre zu bedienen; woher unsre Fertigkeit, vieles
ohne Verzug zu thun, was uns in der That
verdrießlich ist; woher unsre ungereimten
Schertzreden; woher unsere muntern und dabey so
unnützen Gespräche; woher viele andre Dinge, die
ein Mensch an sich haben muß, wenn er den Ruhm
haben will, daß er zu leben wisse? Allein von unsrer
Begierde, durch Gefälligkeit zum Ansehen und zur
Ehre in der Welt zu gelangen. |
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Man nenne, was man will, von unsern heutigen
Sitten und Gewohnheiten: Der so das Hertz der
Menschen kennet, wird gleich zeigen, daß es eine
Frucht der Wollust oder der Ehrbegierde sey. Der
Mensch ist nie mehr ein Mensch, als zu der Zeit, da
er mehr als ein elender Mensch scheinen will. Und
wer recht die Eitelkeit unsrer Seelen und die
Nichtigkeit unsers Wesens einsehen will, der muß
uns zu der Zeit mit Verstand ansehen, da wir unsre
Mängel gerne bedecken, und die Augen unsrer
Mitgenossen an diesem Elende füllen wollen, damit
sie uns erheben mögen. |
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Nie war Salomo nach dem Ausspruche unsers
Jesu kleiner und niedriger, als wenn er in seiner
größten Pracht und Herrlichkeit erschiene. Ich sage
euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit
nicht bekleidet gewesen wie eine Lilie. |
Matth. VI, 29. |
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Wie viel begreift dieses Wort? Wie offt muß
sich ein Weiser daran erinnern, wenn er die
Aufzüge und den Stoltz der Menschen erblicket?
Man ersinnet darum allerhand Künste, sich groß
und ansehnlich zu machen, weil man weiß, daß
man elend |
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{Sp. 877|S. 452} |
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und nichts ist. |
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Dieses, was von den Ursachen unserer
heutigen Sitten und Gewohnheiten erinnert worden,
ist schon zulänglich, das darzuthun, was dargethan
werden soll. Unser gantzer so berühmter Wohlstand
entsteht aus der Ehrsucht und Wollust. Einige
stellen sich würcklich diese Absichten, bey ihrer Art
zu leben vor. Andere dencken so eigentlich daran
nicht, und folgen mehr der eingerissenen
Gewohnheit als ihrem Gutachten. Jene sind ärger
als diese. Doch beyde entfernen sich von dem
Reiche Gottes durch ihre Begierde sich zu
vergnügen, und der Welt zugefallen, oder
verwickeln sich zum wenigsten in allerhand Stricke,
die ihnen den Fortgang im Guten beschwerlich
machen. |
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Wer sich stets beschäfftiget, seinen Sinnen das
verlangte Vergnügen auf mancherley Weise zu
verschaffen, wer allezeit sorget, wie er andern
gefallen, und dieser Welt sich gleich stellen möge,
wer täglich seinem Leibe, dem Gesichte, der Zunge,
und allen Gliedmassen verdrüßliche Gesetze
vorschreibet, um das zu scheinen, was er nicht ist,
der muß allezeit mit sehr vielen fremden und der
Gottseeligkeit nachtheiligen Gedancken behafftet
seyn. |
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Zu welcher Zeit soll der Geist erhoben, und zur
Annehmung der Gnade bereitet werden? Des
Morgens? In diesen Stunden denckt das Hertze
schon an die Veränderungen, Pflichten und
vermeynte Nothwendigkeiten des Tages. Kaum
erwacht man, so regen sich die ungestümen
Zweifel: Wie werde ich mich heute kleiden, um zu
gefallen? Wird dieses oder jenes besser stehen?
Was werde ich vornhmen, die Zeit mit Lust
hinzubringen? Wen habe ich heute zu besuchen?
Wer wird sich etwan bey mir angeben? Was werde
ich denen, die ich erwarte, für Zeitvertreib schaffen?
Wie offt reicht der gantze Morgen kaum zu, alles zu
veranstalten, was der Tag zu erfordern
scheinet? |
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Des Abends, oder nach unsern heutigen Sitten,
um Mitternacht, da das Spiel oder die übrigen
Vergnügen aufhören? Alsdenn ist Leib und Geist
von dem Zwange, womit man sich gequälet, so
ermüdet, daß die beste Bewegung gleich an der
Schwelle der Seelen aufhören muß. |
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Gesetzt, es wäre in allen denen Dingen, die zu
der Lebensart der Hohen und Begüterten gehören,
nichts unzuläßiges: Gesetzt, alles wäre unschuldig,
was man jetzt zu einem anständigen und edlen
Wesen rechnet: So wird doch dieses unstreitig
bleiben, daß in einer so stetigen Abwechselung und
wollüstigen Unruhe die Seele unendlich müsse
zerrüttet, beschweret, und hin und her getrieben
werden. Ist eine so beladene und ausser sich selbst
gesetzte Seele das feine und gute Hertz, in dem
das Wort des Herrn bewahret werden muß, wie
Jesus sagt, wenn es Frucht bringen soll? |
Luc. VIII, 15. |
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Die so eben keine neuen Wollüste und
Lebensarten zu erfinden suchen, sondern sich blos
an das halten, was andre ausgedacht, und zur
Gewohnheit gemacht haben, sind nicht viel
geschickter zu dem Wercke des Herrn als jene.
Einerley Zweck, einerley Bemühung, einerley
Hindernisse, einerley Unruhen. |
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Man sehnet sich nach Wollust und Ehre: Man
glaubet beydes durch die Beobachtung der üblichen
Sitten und Gewohnheiten zu erhalten: Man giebt
scharf auf diejenigen |
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{Sp. 878} |
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acht, die gleichsam für Meister einer
anständigen und schönen Lebensart gehalten
werden: Man richtet sich bald mit Verdruß, bald mit
Schaden nach ihrem Vorbilde: Man bringt offt ein
Theil seiner Zeit mit Nachsinnen und Rechnen zu,
wie die Kosten anzuschaffen sind, die diese
Nachahmung erfordert. |
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Der böse Wille benebelt bey dieser Überlegung
den Verstand, und macht, daß man auf ungerechte
und schädliche Wege verfällt. Man lässet einen Tag
nach den andern in der Unordnung hingehen, und
besinnet sich offt nicht eher, als bis das Geschrey
der Hintergangenen, die das Ihrige wieder fordern,
uns aufwecket. |
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Ist in diesem immer währenden Getümmel der
Geist so frey und rein, daß er auf das Wort des
Herrn zu seiner Heiligung mercken kan? Ist es zu
vermuthen, daß Leute, die mit einer solchen
Beschaffenheit des Geistes zum Gehör der
Göttlichen Wahrheit kommen, werden gerühret und
gewonnen werden? |
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Paulus redet umsonst vor Agrippa und
Berenice, ob er gleich ein Apostel war. Man wundre
sich nicht darüber. Der Geist des Herrn sagt nicht
ohne Ursache, daß sie mit grossen Gepränge
gekommen, Paulum zu hören. |
Apost. Gesch. XXV,
23. |
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Viele, die zum Reiche Gottes kommen würden,
werden durch die Sorgfalt, ihr Ansehen in der Welt
zu erhöhen, und die Augen derer, die wenig
nachdencken, auf sich zu wenden, zurücke
gezogen. Alle Mittel, die wir brauchen, unsre Lüste
zu vergnügen und zu sättigen, haben diese Art, daß
sie die Lüste, die sie befriedigen sollen, allezeit
erfrischen und noch mehr erregen. Sie sind wie das
Wasser, womit der Wassersüchtige seinen Durst
leschen will, welches nur neuen Durst erreget. Eine
Wollust ist vorbey: Und gleich spürt man einen Trieb
zu einer andern. Ein Schatz ist gewonnen: Und
gleich denckt man darauf, wie man ihn zu
vermehren möge. |
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Die Ursache davon ist bald auszumachen. So
offt eine Begierde vergnüget wird, so offt spüren wir
eine angenehme Empfindung. Diese lässet gewisse
Spuren und ein Andencken zurücke, wodurch wir
allezeit gereitzet werden, die ehedem empfundene
Wollust zu erneuern. Der weise ist, der urtheile
hieraus von den Würckungen der Sitten und
Lebensarten der Welt über unsre Seele. |
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Es ist klar, daß sie zu nichts dienen sollen, als
unsre Wollust und Ehrbegierde zu befriedigen. Und
zum Theil glauben, zum Theile mercken wir
würcklich, daß wir durch die Beobachtung derselben
diesen Zweck erreichen. Daher ernähren sie stets
diese beyden unruhigen Bewegungen in unsern
Hertzen. |
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Und was saget Jesus von denen Seelen, in
welchen diese Begierden herrschen? Sie gehen hin
unter den Sorgen, Reichthum und Wollust dieses
Lebens, und ersticken das Wort, und bringen keine
Frucht. |
Luc. VIII, 14. |
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Die Mittelgattung von Menschen, die weder zu
den Hohen noch Niedrigen gehöret, ahmet diese
Sitten so gut nach, als es ihr Vermögen verstatten
will. Was haben wir für Weisen und Gewohnheiten
von den Höhern erborget, die unser irdisches Glück
öfters niederreissen, und unserm ewigen Wohlseyn
hinderlich fallen? Was sind die üppigen und
kostbaren Mahlzeiten und Gastereyen, die wir unter
einander anstellen? Was sind unsere ordentlichen
Gesellschafften und Zusammenkünffte, |
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{Sp. 879|S. 453} |
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in denen wir von unsern Arbeiten ausruhen
wollen? Was sind unsre so gewöhnlichen
Verstellungen, die wir für kein geringes Stück der
Klugheit ausgeben? Was unsre immerwährenden
Sorgen, wie wir unsern Leib, andern Menschen
zugefallen, bald so bald anders zieren mögen? Was
viele andre Dinge mehr, die bekannter sind, als daß
man sie nennen darf? Nichts anders als Zeugnisse
unsers lüsternden und weltgesinnten Hertzens, das
von keiner andern Freude und Vergnügung weiß,
als von der, die durch die Sinnen und Einbildung
erwecket wird, und zugleich Hindernisse der wahren
Busse und Heiligkeit des Lebens. |
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Wie kan ein Mensch, der einige Stunden bey
guten Weine und Speise seiner Zunge den Lauf
gelassen, und die Gesellschafft durch Schertz und
Thorheiten ermuntern wollen, seine Seele
nachmahls auf das Unsichtbare wenden, und zu
Gott richten? Wie wird der, so fast alle Tage eine
gewisse Zeit mit einem eitlen, unnützen und
vergeblichen Geschwätze verdirbt, seine
Gedancken in den Augenblicken, die er noch zur
Andacht aussetzet, recht sammlen können? Wie
viel fremde Bilder werden ihm erscheinen, wenn er
beten, oder an den Zustand seiner Seele dencken
will? Wie schlaff und träge wird er den Geist finden,
wenn er von ihm eine ernsthafte Überlegung
verlanget? |
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Und kan man es glauben, daß es dem um den
Herrn und seine Gnade zuthun sey, der sich
unermüdet bearbeitet, andre Menschen durch
Pracht und Üppigkeit zu übertreffen, den
neugierigen Augen der Welt stets etwas neues und
scheinbares bald in seiner Kleidung in andern
Dingen darzustellen, den nichtigen und
verweßlichen Leib in Decken von mancherley
Farben und von verschiedener Einrichtung zu
stecken und die Natur zu verstellen? |
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Wer die Welt in ihrer rechten Blösse sehen, und
ihr tieffes Verderben erkennen will, der muß sie zu
der Zeit mit Verstand betrachten, wenn sie meynet,
in ihrer Herrlichkeit zu seyn, und den Jammer ihrer
Natur auf alle Weise bedecken will. Wenn der
Einfältige für Verwunderung über die besondern
Aufzüge erstarret, wenn der Wollüstige seine Augen
weidet, und kaum weiß, wohin er zuerst sehen soll,
wenn der Neidische sich heimlich mit Unmuth
quälet, weil er sich überwunden siehet, wenn der
Speicher über den Mangel der Worte klaget, die
Schönheit der Dinge recht zu beschreiben, wenn
der Hochmüthige das Muster nimmt, und sich rüstet,
sein Geld auf eben solche Weise zu verwenden,
wenn die Menschen selber, die sich sehen lassen,
oder unter einander schwermen und toben, für
Vergnügen kaum zu leben scheinen; so sieht der
Kluge durch alle diese Vorhänge den Menschen in
seiner elendesten Gestalt und seufzet. Hilf Herr? die
Heiligen haben abgenommen, und der Gläubigen ist
wenig unter den Menschen-Kindern. Einer redet mit
den andern unnütze Dinge, und heucheln. |
Ps. XII 1. 2. |
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Wenn man das Leben der mittelmäßigen und
geringen Leute betrachtet, so findet man, daß es ein
Inbegriff vieler Plage, Mühe und Arbeit sey. Da ist
immer Sorge, Furcht, Hoffnung und zuletzt der
Todt. |
Syr. XLI, 2. |
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Und sind diese Bewegungen nicht von den
größten Feinden unsrer Seeligkeit? Die, so Handel
und Gewerbe treiben, lassen sich gemeiniglich so
starck von der Ge- |
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{Sp. 880} |
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winnsucht einnehmen, daß sie fast nichts für
ein Laster halten, daß zur Ersättigung derselben
dienet. Die, so durch die Arbeit ihrer Hände den
Unterhalt suchen müssen, werden eben so
niederträchtigen Geistes, als die Dinge sind, mit
denen sie umgehen, und verliehren unter der
beständigen Ermüdung des Leibes allgemach die
Kräffte so wohl als die Lust, ihren Geist zur Andacht
und zur Betrachtung zu erheben. |
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Das Wort des Herrn höret man aus
Gewohnheit. Und wenn es noch mit einiger
Achtsamkeit vernommen ist, kan es doch nicht
lange in solchen Gemüthern würcken, die entweder
gleich zu ihren Geschäfften zurücke eilen, oder mit
einer sündlichen und unordentlichen Belustigung die
Mühe ihres Lebens erleichtern. |
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Das Reich Gottes hat vom Anfange her unter
den Geringen und Verachteten dieser Welt mehr
Beyfall und Liebe gefunden, als unter den
Begüterten und Mächtigen der Erden. Und so viel
die Menschen urtheilen können, denen die Hertzen
verschlossen sind, geht es noch in unsern Zeiten
nicht anders zu. |
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|
Dem ungeachtet ist doch die Gottlosigkeit und
Unordnung unter denen Leuten, die zu den
niedrigen Ordnungen gehören, groß, und wächset
mehr, als daß sie abnehmen solte. Man siehet an
dem einen Orte etwas mehr äusserlicher Ordnung
und Zucht als an dem andern: Man klagt dort
weniger als hier über offenbare Greuel, Schande
und Laster: Allein wo ist die glückseelige Gegend,
da man keine Ursache hat, Blindheit, Unwissenheit,
Trägheit und Kaltsinnigkeit der meisten zu
bedauren, und nach einer Besserung zu verlangen?
Auch da, wo es am besten ist, ist mehr Schein der
Gottseeligkeit als Krafft. Dieses Elend wird durch
die viele Ursachen gepfleget und unterhalten: Und
unter diesen scheint die Lebensart der Menschen,
die ihr Brod durch Arbeit und Mühe gewinnen
müssen nicht die geringste zu seyn. |
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Untersuchet man den Grund des
unordentlichen Wandels vieler Menschen, die im
niedrigen Stande Leben; so kömmt es alles auf die
folgenden beyden Betrachtungen an. |
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1) Die meisten Menschen,
die im Mittel- oder niedrigen Stande leben, sind in
den ersten Jahren ihres Lebens mäßig und schlecht
in der Religion unterrichtet worden. |
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2) Die geringen Geschlechter und Ordnungen
sparen keine Mühe, den Unterschied zwischen den
Ständen dieser Welt aufzuheben, und so nahe, als
es immer geschehen kan, mit ihren äusserlichen
Wesen an die Höhern hinan zu rücken. |
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Hier sieht man zwo fruchtbare Mütter vieler
Unordnungen und Laster, die unter den Menschen
herrschen. Leute, die kaum die ersten Buchstaben
der christlichen Lehre in den jüngern Jahren fassen,
und mit diesem geringen Erkänntnisse in
beschwerliche Dienste gesetzt werden, müssen in
kurtzer Zeit auch das Wenige verliehren, was sie
wissen. |
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Und was können diese unbereiteten Seelen
nachmahls für Nutzen aus dem Lesen der Bibel und
den öffentlichen Ermahnungen ziehen? Auf was Art
können sie gewonnen, und zu einer wahren
Veränderung des Hertzens und Willens gebracht
werden? Ist es nicht offenbahr, daß der gröste Theil
seinen Neigungen den Zügel in diesem gefährlichen
Zustande schiessen lässet, und die Gottseeligkeit in
der Beobachtung der äusserlichen Übungen des
Gottesdienstes setzet? |
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Die |
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{Sp. 881|S. 454} |
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blinde Begierde, denen Leuten von höhern
Stande nachzuahmen, ist jetzt zu einer allgemeinen
Plage und Kranckheit geworden. Der hochmüthige
Mensch bildet sich ein, ihm sey Unrecht von der
Vorsehung geschehen, er sey niedriger gestellet
worden, als es seine Gaben und Verdienste
erfordern, ein Geist seiner Art und Gattung hätte
sich zu grössern Dingen geschicket. |
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Mit GOtt verlangt man eben nicht zu rechten.
Allein man macht sich selbst einen Götzen, über
welchen man seinen Unmuth ohne Gefahr
ausgiessen kan: Und diesen nennet man das
Glücke. Wie viel Flüche und Beschwerungen
werden gegen diesen Schatten, den unsere
Einbildung zu einen herrschenden Wesen gemacht,
ausgegossen? |
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Er ist blind, verkehrt, leichtsinnig, unbeständig:
Er handelt weder nach Recht noch nach Billigkeit:
Er hat seine Lust an einer stetigen Verwirrung und
Unordnung: Er macht aus Steinen und Klötzen
Götter, und die, so Götter seyn könnten, verweiset
er in einen Winckel, wo sie kaum gesehen und noch
weniger begrüsset werden. |
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Ist es Sünde und Unrecht, diesem
wunderlichen Regenten zu wiederstehen, und sich,
so weit es angehen will, Recht wieder seinen
seltsamen Eigensinn zu verschaffen? Und was ist
für Rath dazu? Die Ordnungen selber, die einmahl
in der Welt fest gesetzet sind, aufzuheben, ist
unmöglich, zum wenigsten denen viel zu schwer,
die damit nicht zufrieden sind. Von tausenden
gelingt es kaum einem, sich aus seinem niedrigen
Stande in einen weit höhern zu schwingen. |
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Es bleibt daher nichts mehr übrig, als daß man
durch Kleidung, Sitten und andere Dinge sich denen
nähere, die man auf eine andere Art nicht erreichen
kan. Die meisten sehen auf die Art Menschen, die
ihnen am nähesten ist, und richten sich in allen
nach ihren Muster und Vorbilde, ungeachtet weder
ihr Vermögen noch ihre übrigen Umstände das
Vorhaben des aufgeblasenen Hertzens unterstützen
können. Viele bemühen sich noch höher zu steigen,
und die Niedrigkeit ihres Standes und Gewerbes mit
dem Glücke und der Pracht der Hohen zu
vereinigen. |
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Was aus dieser Seuche für böse Folgen
entstehen, ist offenbahr. Ein so aufgeschwollner
Geist, der auf nichts mehr, als auf die Ersättigung
seiner Ehrbegierde bedacht ist, leidet zuerst weder
Straffe noch Ermahnung. Könnte er noch eines von
diesen beyden dulten, so ist doch die Empfindung
des Guten bey nahe erstickt, weil er gar zu starck
mit fremden und zur Welt gehörigen Begriffen
überhäuffet ist. |
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Was soll man von den Sünden und Lastern
sagen, die daher erwachsen? Man teuschet und
betrüget diejenigen, die man nie als mit einer reinen
Ehrerbietung und Liebe ansehen solte. Man borget
und leihet, ohne daran zu dencken, ob und wie man
die Schuld wieder tilgen könne Man stöhret den
Frieden seines Hauses und Geschlechtes; man
reisset den Grund seiner irrdischen Wohlfahrt
um. |
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Man macht sich selbst zum Feinde und
Verräther der Seinen, und bereitet denen, welchen
man Häuser bauen solte, Stuffen zur Grube des
Elendes. Man erwecket den Neid und die
Feindschafft |
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{Sp. 882} |
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seiner Mitbürger, und beraubet sich dadurch
selbst einer Stütze in den Tagen der
Wiederwärtigkeit. Man bringet seine Kinder selbst
auf den Weg der Wollust und der Üppigkeit, der sie
dereinst vielleicht zum Untergange führen wird. Auf
was für eine Art wird man Leute zur Busse und
Gottseeligkeit bewegen, die mit einer so
schädlichen Kranckheit der Seelen behafftet
sind? |
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Man kan die, so zur niedrigen Welt gehören,
einiger massen in zwo Hauptabtheilungen abtheilen.
Einige treiben Handlung und Gewerbe. Andere
suchen ihr Brod durch die Arbeit ihrer Hände. Beyde
Lebens-Arten sind mit Mühe, Sorge und Kummer
angefüllt. |
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Der so handelt, versucht zuerst die Krafft
seines Geistes, und treibet hernach den Leib und
die Glieder desselben an, die Gedancken und
Schlüsse der Seelen zu vollziehen. Der so mit der
Hand seine Nahrung erwerben muß, mattert den
Leib unaufhörlich ab, und benimmt durch diese
beständige Bewegung dem Geiste das Vermögen,
ordentlich und richtig zu dencken, und sich recht zu
fassen. |
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Unter dieser täglichen Last und Plage liegt der
Saame der Gottseeligkeit zuweilen so bedrücket,
daß sich kaum ein Schein einer Frucht äussern kan.
Beyde Lebens-Arten beschäfftigen sich mit nichts,
als irrdischen, vergänglichen und zu dieser Welt
gehörigen Dingen, deren einige der Nothdurfft der
Menschen, andere ihren Wollüsten und bösen
Begierden dienen. Und man befleißiget sich, diesen
in sich nichtigen Dingen allezeit einen andern und
neuen Glantz zu geben, um sie angenehm und
beliebt zu machen. |
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|
Der starcke Abgang derselben, ist der einige
Grund des Glücks dieser Leute. Man thut daher
alles, was man kan, den Werth derselben in den
Augen der unbedachtsamen Menschen zu erhöhen,
damit in ihnen eine Lust darnach erreget werden
möge. Was erwirbt der nicht, der eine Kunst
ersonnen, etwas wieder schätzbar und angenehm
zu machen, das eine Zeitlang verachtet worden ist?
Und ist es nicht ausgemacht, daß das Hertz der
Menschen sich insgemein nach den Dingen richte,
mit denen sie stets umgehen, und auf gewisse
Weise die Natur derselben annehme? |
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Ist es nicht durch die Vernunfft und Erfahrung
bewiesen, daß die Seelen derer, die bey kleinen
und geringen Sachen sich aufhalten, nichts als
Gedancken und Regungen spüren, die denselben
gemäß sind; und die hergegen, die ihre Zeit mit
hohen und edlen Geschäfften zubringen, selbst
unvermerckt hoch und edel gesinnet werden? Ist es
nicht gewiß, daß der Mensch insgemein eine grosse
Liebe und Hochachtung für diejenigen Dinge
gewinne, woraus er alles ziehen muß, was zu seiner
Wohlfarth gehöret? |
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Was kan man also anders in den Seelen der
meisten Menschen, von denen jetzt gereded wird,
als lauter irrdisch gesinnte Neigungen un- eine
starcke Welt-Liebe vermuthen? Die Religion ist
groß, hoch, edel, und lehret die Verachtung dieser
Welt. Wie wird sich diese zu Gemüthern reimen, die
aus den Kleinigkeiten dieses Lebens alles
machen? |
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Beyde Lebens-Arten sehen aufs ungewisse.
Der Handelsmann ist stets in Gefahr, zu verliehren.
Kein Witz, kein |
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{Sp. 883|S. 455} |
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Fleiß, keine Vorsichtigkeit kan der Zufälle sich
bemeistern, die ihm das Erworbene wieder nehmen
können. Der Arbeiter lebet auf Hoffnung. Eine
mäßige Veränderung im Wetter, in den Zeiten, in
den Meynungen und in vielen andern Dingen, kan
ihm eine Ursache der Armuth und des Elendes
werden. |
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Leute, die in einer solchen Ungewißheit leben,
werden stets von den beyden Bewegungen, welche
eine so starcke Gewalt über unsre Seelen haben,
nehmlich die Furcht und Hoffnung, hin und her
getrieben, und gelangen schwerlich zu einer rechten
Festigkeit des Hertzens. Indeß wünschen und
sehnen sie sich doch, krafft eines eingepflantzten
Triebes, dieser Unruhe zu entgehen, und zu einer
rechten Stille und Zufriedenheit des Hertzens zu
kommen. |
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|
Was stifftet dieser Wunsch für neue Sorgen?
Was bringet er vor Anschläge und Erfindungen
hervor? Was erwecket er für Begierden zu betrügen
und zu sündigen? Was macht er für Reisen und
Arbeiten? Was lehret er für Künste und Handgriffe,
die Unvorsichtigen zu berücken? Ein Hertze, das so
zerrüttet ist, nimmt alle Vorstellungen, die auf eine
andere Welt gehen, ohne Überlegung an, und lässet
sie eben so unbedachtsam und nachläßig wieder
fahren, als es sie angenommen hat. |
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Beyde Lebens-Arten haben vor sich nichts
angenehmes. Daher wünschen die Menschen, die
denselben zugethan sind, eine öfftere
Abwechselung und Vergnügung, und versäumen
nicht leichte eine Gelegenheit, dieselbe zu erlangen.
Diese Ergötzungen, womit man die
Beschwerlichkeiten seines Lebens erleichtern will,
verderben alles völlig. |
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Man wehlet nichts als Wollüste der Sinnen und
der Einbildung. Man weiß von keinen andern, und
hat nie erfahren, was ein stilles Vergnügen des
Geistes und des Verstandes sey. Last und
Hindernisse genung für eine Seele, die allezeit so
viel von ihrer Herrlichkeit und Stärcke verliehret, als
die Sinne und Einbildung gewinnen, und nie mehr
von ihrer wahren Ruhe und Wohlfahrt getrennet
wird, als wenn man sie durch den Leib vergnügen
und befriedigen will! |
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|
Doch das ist es nicht alles! Man glaubt noch
darzu, daß der Gebrauch dieser Wollüste
unumschränckt und gantz ungebunden sey, und
nicht eher aufhören müsse, als bis die Vernunfft
völlig bezwungen, und aus ihrem Sitze getrieben
worden. Eine Lust, die sich mit einer offenbahren
Raserey beschliesset, ist nach der Meynung der
Welt die beste. Wo Maasse, Regel und Ordnung
beobachtet wird, da ist Zwang: Und was ist ein
Vergnügen, das durch Furcht und Zwang begleitet
und gemäßiget wird? Ist es zu verwundern, daß aus
solchen Leuten so wenige zur Gottseligkeit
gebracht, und in derselben befestiget werden
können? |
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|
Die, so handeln und Kauffmannschafft treiben,
werden frühe mit Fleiß so angeführet, daß sie von
der Gewinnsucht recht eingenommen und besessen
werden mögen. Aller Unterricht, den man ihnen in
den Jahren der Lehre ertheilet, beziehet sich auf
diesen Zweck. Und der meynet, seine Lehrlinge
recht gezogen zu haben, der alle übrigen Begierden
durch die einige Lust zu gewinnen aus ihren Her-
|
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{Sp. 884} |
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tzen getrieben, und ihnen die Meynung
beygebracht, daß die wahre Ehre allein durch die
Geschicklichkeit, seinen Vortheil zu machen,
erworben werde. |
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Wer so weit gebracht ist, der sieht alle Wege
und Mittel, die zu diesem Ziele führen können, für
billig und erlaubt an, sie mögen mit der
Gerechtigkeit streiten oder nicht. Aus diesem
Grunde entspringen die mannigfaltigen Räncke, die
man ausdencket, die Käuffer zu berücken, und
seinen Nutzen durch andrer Verlust und Schaden
zu schaffen. Und eben dieses ist die Ursache,
weswegen diese listigen Griffe für nothwendige
Tugenden ausgegeben, auf vielfältige Weise
eingekleidet, und unter dem Scheine einer
unentbehrlichen Handels-Klugheit mit dem höchsten
Fleisse fortgepflantzet werden. |
|
|
Was man auf diese Weise zusammen
gebracht, heisset hernach der Seegen des HErrn:
Und das heilige Wesen, das Greuel an den
Falschen hat, muß der Helffer und Bundes-Genosse
derjenigen heissen, die durch die Übertretung
seiner Gesetze reich geworden, weil es ihm nicht
beliebet, durch seine Allmacht die bösen
Rathschläge der Gewinnsüchtigen
zuzerstöhren. |
|
|
Wer weise ist, kan hieraus abnehmen, wie
schwer es fallen müsse, das Hertze derjenigen dem
HErrn zuzuführen, die zu den Handlungs-
Geschäfften von Jugend auf angeführet sind. Man
muß allezeit zweene der wahren Gottseligkeit sehr
gefährliche Feinde bey ihnen vermuthen: Eine
ungemessene Lust zu erbeuten, und eine Liebe zu
aller der Ungerechtigkeit, die Vortheil und Nutzen
schaffen kan. |
|
|
Ein Mensch, der den gantzen Tag bald
gerechnet, bald das Haupt durch allerhand
Anschläge ermüdet, seine Waaren wohl
anzubringen, bald die Krafft seines Geistes
angespannet die schwache Seite der Käuffer zu
bemercken, bald viel unnütze Worte gegen seine
Überzeugung und Gewissen heraus gestossen,
bald gar sein falsches Zeugniß durch einen Eyd
bekräfftiget, setzet sich am Abend nieder, ein Gebet
aus einem Buche, woran er sich gewöhnet, oder ein
Stück aus der Bibel ohne Bedachtsamkeit zu lesen,
leget sich mit dem bösen Vorsatze nieder, den
künfftigen Tag so anzufangen, wie er den jetzigen
beschlossen, verlässet mit einer frischen Begierde
sein Lager, sich durch List und Sünde zu
bereichern, ruffet gar den HErrn an, daß er ihm
Gnade zum Handel geben, das heißt, seinen
Verstand schärffen wolle, die zu berücken, welche
sich mit ihm einlassen werden, und diejenigen zu
blenden, die eben nicht geneigt sind, seinen Worten
Glauben zu geben. Ist diese Lebens-Art dem
Reiche GOttes nahe? |
|
|
Die nach dieser Weise sechs Tage zugebracht,
finden sich am siebenden in den Versammlungen
ein, die des Gottes-Dienstes wegen angestellet
werden, und bringen die gantze Last in dieselben
mit, welche ihre Seelen zu einer wahren Andacht
untüchtig machet. Das Hertze rechnet, fürchtet,
hoffet, rathschlaget, indem das Ohr höret, und der
Mund ein Lied singet. Ist es zu vermuthen, daß sie
erbauet, gerühret, beweget und geheiliget zurücke
kommen werden? |
|
|
Zu den bemerckten beyden bösen Begierden
gesellen sich noch andere, nachdem die |
|
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{Sp. 885|S. 456} |
|
|
Sachen lauffen, die nicht weniger gefährlich
und hinderlich sind. Gelingt der Vorsatz , den man
gefasset hat, reich zu werden, so wird von den
meisten Leuten dieser Gattung die Verschwendung
und Üppigkeit aufgenommen. Keine sind williger,
vieles zu verthun, als die, so ohne grosse Mühe und
Arbeit ein starckes Vermögen gesammlet. Und
keine wissen weniger ihr Gut recht zu gebrauchen,
als die, so sich beredet haben, das Glück der Men
schen bestehe in Reichthum und Überfluß. |
|
|
Scheint die Hoffung, die man sich auf grosse
Schätze gemacht, zurücke zu gehen, so wird die
Begierde, durch Frevel und Nachstellung etwas zu
erobern, desto hitziger. Mit derselben vereiniget
sich der Neid über das Wohlergehen andrer, denen
es besser geglücket. Und was können diese beyden
Bewegungen in der Seele eines verdorbenen
Menschen für Zerrüttungen stifften? |
|
|
Kömmt die Furcht für der Armuth darzu, so ist
alles verlohren. Es ist schwerer, als es viele glauben
können, die so handeln zu überzeugen, daß das
Reich der Himmel die köstliche Perle sey, die ein
Kauffmann durch die Verläugnung seines gantzen
Vermögens an sich bringen müsse. |
Matth, XIll, 45. 46. |
|
Die mit der Hand und im Schweiß des
Angesichts das wenige, das ihre und der Ihrigen
Nothdurfft erfordert, erwerben müssen, werden
theils durch andre Umstände, theils durch die
Beschwerlichkeit und Plage, die ihr Leben nie
verlässet, aufgehalten, dem Ruff des HERRN zu
folgen. Ein freyer und reiner Geist kan allein die
Schönheit der Gottseligkeit und der Verheissungen,
die ihr gegeben sind, recht erkennen. |
|
|
Und wenn findet sich der bey den Leuten von
dieser Lebens-Art? Ihre Gedancken sind allezeit mit
sichtbaren, irdischen und cörperlichen Sachen
beschäfftiget. Das macht es , daß man eine
ungemeine Blindheit und Trägheit findet , wenn man
sie auf geistliche Dinge führen, und die Grösse
GOttes und seiner Wohlthaten ihrem Verstande
vorstellen will. Man kan ihnen schwerlich die
Geheimnisse der Gnade anders als durch Bilder
erklären, die von ihren Beruffs-Arbeiten und den
gemeinsten Dingen dieser Welt hergenommen
sind. |
|
|
Und die, welche die Religion nicht eher
begreiffen können, als bis sie gleichsam sichtbar
geworden , und mit menschlichen Farben
abgemahlet ist, unterscheiden selten das Bild von
der Sache selber, und vermengen die
Unvollkommenheiten, die der Schatten an sich hat,
mit dem Wesen der Dinge, die man ihnen
schattenweise bekannt machen wollen. Muß dieses
nicht dem Werthe des Glaubens und der
Gottseligkeit kein geringes in ihrem Hertzen
benehmen? |
|
|
Von eben der Ursache kömmt es, daß die
Bücher, die von der Gottseligkeit handeln, ohne
grosse Frucht von ihnen gelesen werden. Ihre Seele
ist so starck an sichtbare Dinge gewöhnet, daß sie
gleich zurücke fällt, wenn sie sich von denenselben
absondern und erheben soll. Sie lesen daher ohne
Verstand und ohne Vergnügen: Und sie würden
vielleicht nie ein Buch ergreiffen, wenn sie nicht in
der Meynung stünden, das Lesen sey ein Stück des
Gottesdienstes, ohne welchen man nicht selig
werden könnte. Der Leib wird durch die Arbeit des
Tages so erschöpffet und ermüdet, daß er der
Seelen, die des |
|
{Sp. 886} |
|
Abends noch an GOtt gedencken will, alle
Hülffe zu ihrem Vorhaben versaget. |
|
|
Wie kan sich ein Geist recht fassen, und der
Welt entziehen, der in einem schläffrigen und
abgematteten Leibe wohnet? Er muß gegen seinen
Willen mit einschlummern. Er träumet schon halb,
wenn er meynet, daß er der Andacht pflege. Er
glaubet, daß er bete, und weiß nicht, was er saget.
Er spüret offt bey seinem Lesen oder Beten ein
gewisses Vergnügen, und bildet sich ein, dieses sey
der Frieden des Reichs GOttes. Und das, was ihm
eine geistliche Wollust zu seyn scheinet, ist in der
That nichts, als eine natürliche Empfindung, welche
die Ruhe nach einer schweren Bemühung
ordentlich zu erwecken pfleget. |
|
|
Die Tage des öffentlichen Gottesdienstes sind
ohne Arbeit, und könnten daher, wenn sie recht
genutzet würden, den Schaden ersetzen, der durch
die stetige Ermüdung des Leibes und die
beschwerliche Sorge der Nahrung der Seelen in der
Wochen zugefüget wird. Allein wie groß ist der
Mißbrauch dieser Tage? Die Helffte derselben wird
von den meisten zu einer unordentlichen
Erquickung des Leibes oder zu einem lasterhafften
Müßiggange angewendet. |
|
|
Die in der Wochen mäßig leben, und durch ihre
Geschaffte abgehalten werden, die Neugierigkeit
und Bosheit des Her- Hertzens zu befriedigen,
überschreiten doch an diesem Tage Maaß und
Ordnung, und bemühen sich so viel Nachrichten,
oder vielmehr Fabeln von den Händeln andrer
Menschen einzuziehen, als sie brauchen, einige
Tage eine tolle Freude über den Schaden oder über
die Fehler ihrer Brüder bey sich zu unterhalten.
|
|
|
Und was ist der Dienst, den man sich
verbunden erachtet dem HErrn zu leisten? Wenn
man die Sache reiflich überleget, so wird man
finden , daß der gröste Hauffe denselben in der
That zu den Wollüsten rechne; die er an den Tagen,
so dem HErrn zugehören, erlaubt zu seyn erachtet.
Keine Leute besuchen fleißiger, richtiger und
ordentlicher die Versammlungen, als die, so sich
durch die Arbeit ihrer Hände nähren. Und keine
Leute scheinen andächtiger, sittsamer und
aufmercksamer bey demselben zu seyn. |
|
|
Die nicht gar zu tieff in das Hertz der Menschen
sehen, werden durch diese Schein-Tugenden
eingenommen und glauben, daß der Hunger nach
dem Worte des HErrn und die wahre Audacht fast
nirgends als bey den niedrigen Zünfften und
Ordnungen der Welt anzutreffen sey. Und man
betrügt sich in dieser Meynung. |
|
|
Man kan njcht läugnen , daß viele
rechtschaffene Seelen unter denen sich finden , die
an den Tagen des HErrn in so grosser Menge aus
ihren Werckstätten und Hütten zu den Häusern des
Gottesdienstes eilen.Man kan gar zugeben, daß
sich unter denselben mehr Kinder des Höchsten
finden, als unter denen, die ihre weltlichen
Thorheiten, ihre eitlen Sitten und Geberden und ihre
gantze Pracht für das Angesicht des HErrn bringen ,
damit sie der Welt gefallen mögen. Doch das
wissen wir auch, daß die gröste Anzahl derer, die
wir für so gottselig und wohlgesinnet ausgeben,
mehr auf sich als auf den HErrn sehe, und nichts als
eine Art der Ergötzung an den Örtern suche, wo der
Nahme des Höchsten öffentlich angeruffen wird.
Man muß, dieses zu verstehen, mercken, |
|
{Sp. 887|S. 457} |
|
daß bey denen Leuten, die unter vieler Arbeit
und Mühe ihr Leben zubringen, die blosse Ruhe des
Lei bes und ein stiller Müßiggang an statt einer
besondern Wollust angesehen werde. Ihre Glieder
sind stets von der Arbeit steiff und entkräfftet, und
ihr Geist ist stumpft und so gleichsam
eingeschlossen, daß er weder Krafft noch Lust hat,
sich viel zu regen. Daher kömmt ihnen ein blosser
Stillstand aller Bewegungen des Leibes und des
Geistes als etwas reitzendes und angenehmes vor;
und sie sind geschickt, zu unsrer Verwunderung
viele Stunden so hinzubringen, als wenn sie Uhren
wären, von denen das Gewichte genommen ist.
Wer sich hieran erinnert, der wird bald die Ursache
der grossen Sittsamkeit und Stille begreiffen, die an
den meisten in den Stunden der Andacht
beobachtet wird. |
|
|
Man muß weiter mercken, daß eine Ruhe des
Leibes, die mit einer Wollust der Augen vereiniget
ist, bey nahe das höchste Gut der Leute sey, die
den Verstand wenig brauchen und an der Erde
kleben. Bey dem öffentlichen Gottesdienste kan
man dieser vermeynten Vergnügung geniessen. Der
Leib ruhet; Und den Augen wird eine
Mannigfaltigkeit vieler Dinge, Gebräuche,
Kleidungen und Menschen vorgestellet, woran sie
sich weiden können. Ist es Wunder, daß der
Niedrige dabey zufrieden ist, und sich gerne da
einstellet, wo er einer solchen Wollust geniessen
kan? |
|
|
Zu diesen beyden Dingen kan man noch eines
hinzusetzen. Die, so unter einer starcken Last
seuffzen, sind gemeiniglich in sich mißvergnügt, und
wollen gerne getröstet und aufgerichtet werden. Die
Ungleichheit unter den Menschen dieser Welt ist
ihnen unerträglich. Und deswegen wird ihr Hertz
natürlich durch nichts so sehr gerührt, als durch die
Hoffnung einer bevorstehenden Veränderung und
eines solchen Zustandes, in welchen kein
Unterschied der Stände gelten, und keine Stimme
des Treibers mehr gehöret werden wird. |
|
|
Die Lehre JEsu ist voll von einem wahrhafftigen
Troste, und ein rechtes Labsal für die, so mühselig
und beladen sind. Sie stärcket das Gesichte der
Blöden, daß sie durch die Dunckelheit dieser
mühseligen Tage in eine andere Welt sehen
können, in der weder Wechsel noch Unbestand,
weder Schmach noch Arbeit regieren wird. |
|
|
Man kömmt nie zum Gottesdienste zusammen,
ohne etwas von den herrlichen Verheissungen des
Evangelii und den zukünfftigen Gütern zu hören.
Und der elende und geplagte Arbeiter nimmt daher
mir Begierde seine Zuflucht zu diesen Andachten,
um etwas zu vernehmen, wodurch sein Unwille über
den Zustand dieser Welt kan gedämpffet, und sein
gefallener Muth wieder aufgerichtet werden. Es ist
also nicht stets Gottseligkeit und Andacht; es ist offt
nichts als Verdruß und Trostbegierde, wodurch der
gemeine Hauffe getrieben wird, einige Stunden in
der Gemeine des HErrn hinzubringen. |
|
|
Was die Neugierigkeit, die Gewohnheit, die
Exempel andrer , die Ordnungen der Welt und
andre Dinge darzu beytragen, ist bekannter, als daß
man es erzehlen darff. So wie die Ursachen sind,
wodurch die Welt bewogen wird, dem Gottesdienste
beyzuwohnen, so ist auch die Frucht und Würckung
dieser Andachten. Jene sind fleischlich und
natürlich: Diese ist zu den |
|
{Sp. 888} |
|
meisten Zeiten schlecht und unbeständig. |
|
|
Wer sieht nun aber nicht aus dem, was bisher
gesagt worden ist, daß die Sitten der heutigen Welt
den Menschen von der Busse und Heiligkeit des
Lebens abhalten? Daß ihre Gewohnheiten die
Unvorsichtigen in das Verderben stürtze? Und
hieraus kan man die Stärcke dieses geistlichen
Feindes, der Welt, abnehmen, welche sie in
Versuchungen und Verführungen der Menschen
hat. |
|
|
Wider diesen muß man sich rüsten, wenn man
das höchste Gut nicht verliehren will. Ihren
Versuchungen muß man stärckere Bewegungs-
Gründe für das Gegenrheil entgegen setzen, und
ihnen allen Beyfall versagen. Sucht sie den
Menschen durch Reitzungen, indem sie ihm wahre
Uebel unter dem Scheine eines Gutes darstellet, zu
verführen, so gedencke man an das unendliche
Unglück, welches damit verbunden ist. Man
bedencke die natürlichen Straffen, welche mit jedem
Laster nothwendig verknüpfft sind, wie bitter und
schmertzhafft sie dem Menschen fallen. |
|
|
Ins besondere aber muß man an den Verlust
der geistlichen Güter gedencken, den sie nach sich
ziehen; den Verlust des Glaubens, der
Rechtfertigung, des Friedens, der Freundschafft und
der Vereinigung mit GOTT und CHristo, des
Standes der Gnaden, der Hoffnung des ewigen
Lebens und was dergleichen Dinge, mehr sind, die
mit der Sünde nicht bestehen können. |
|
|
Man bedencke, wie unanständig es einen
Menschen sey, GOtt durch böse Thaten zu
beleidigen, der uns erlöset, und aus blosser Gnade
mit so vielen Guten überhäufft hat. Wenn uns die
Welt durch Drohungen von dem Wege des Heils
abführen will: So müssen wir bedencken, |
|
|
daß man GOTT mehr als denen Menschen
gehorchen müsse. |
Apost. Gesch. IV, 19.
|
|
Daß es besser sey, denjenigen zu fürchten, der
Leib und Seele in der Hölle verderben kan, als
diejenigen, welche nur den Leib und nicht die Seele
tödten können? |
Matth. X, 28. |
|
Man überlege, daß uns die Trübsal, die wir des
Nahmens Christi wegen ausstehen, mehr glücklich
als elend mache, |
1 Petr. II, 19. 20. IV, 13.
14. |
|
zumahl, da sie der Grund von den grösten
Belohnungen in den Himmel ist. |
Matth. V, 12. |
|
Damit wir uns aber endlich nicht durch böse
Exempel verführen lassen, so müssen wir stets an
die Regel gedencken; daß man nicht nach den
Exempeln, sondern nach den Gesetzen leben
müsse. Man darff nur auf das erschreckliche Ende
der Gottlosen mit dem frommen Assaph sehen; so
werden die bösen Exempel wenig Gewalt über uns
haben. |
Psalm LXXIII, 2-28. XXXVII, 1.
u.f. |
|
Alle Welt ist einig, daß eine weise und
vorsichtige Erziehung einen sichern Grund zu einen
verständigen und tugendhafften Wandel bey den
meisten Menschen lege. Wir könnten also der
Gottseligkeit einen Sieg nach den andern
versprechen, wenn man es sich angelegen seyn
liesse, in Zeiten die zarten Hertzen der Jugend zu
der Aufnahme und Hochachtung derselben
zuzubereiten. Und was wird unter uns weniger
|
|
{Sp. 889|S. 458} |
|
geachtet? Die meisten dencken nicht einmahl
daran, das Hertze ihrer Kinder recht zu bilden, oder
von andern bilden zu lassen. Es mag die häßliche
Gestalt behalten, die es von Natur hat. Die daran
noch gedencken, suchen denenselben nichts als die
Kunst beyzubringen, wie sie der Welt gefallen, sich
Ehre und Ansehen zuwege bringen, und Güter
sammlen mögen. Ist es Wunder, daß die
Gottseligkeit in Gemüthern, die so angeführet sind,
keinen Sitz und Auffenthalt finden kan. |
|
|
Die Erziehung der Jugend, wenn sie den
Nutzen haben solte, daß die Versuchungen der
Welt nichts bey ihnen ausrichteten, solte auf
folgende Regeln gegründet seyn. |
|
|
1) Wer die Jugend zum
Dienste des HErrn und zu einer gründlichen
Wissenschafft in der Religion bereiten will, der muß
sie in Zeiten gewöhnen, dencken zu lernen, und den
Verstand von den sichtbaren Dingen abzuziehen, | |
|
2 ) Man muß denen, die man starck machen
will, denen Lüsten der Welt zu wiederstehen, GOtt
von Jugend auf in seiner rechten Gestalt zeigen,
|
|
|
3 ) Man muß ihnen die Welt recht bekannt
machen, in der sie ihre Tage zubringen sollen. |
|
|
4) Man muß ihnen die Menschen frühe in ihrer
rechten Gestalt zeigen, |
|
|
5 ) Man muß die Jugend gewöhnen, sich selbst
recht kennen zu lernen. |
|
|
6 ) Man muß endlich denen jungen Leuten die
Gottseligkeit in ihrer rechten Gestalt zeigen. |
|