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Zedler: Streit [3] HIS-Data
5028-40-834-1-03
Titel: Streit [3]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 40 Sp. 834
Jahr: 1744
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 40 S. 446
Vorheriger Artikel: Streit [2]
Folgender Artikel: Streit [4]
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Bibel

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  Text Quellenangaben
  Wir wollen hier blos mit wenigen zeigen, wie sich die zu verhalten pflegen, denen das Licht, das sich in den angeführten und erklärten Stellen der H. Schrifft zeiget, verdrüßlich fällt. Sie theilen sich selbst in zwo Gattungen.  
  Die eine will durchaus nicht einräumen, daß diese Lehre in der Schrifft stehe, und giebt denen Stellen, die man fast sonst von dem Satan verstehet, eine gantz andere Deutung. Die andere giebt dieses zu, und wilder Schwürigkeit auf eine andre Weise abhelfen. Wir wollen beyde hören, und ihre Meynung aufrichtiger vorstellen, als viele unter ihnen die vorgetragene Lehre, oder vielmehr die Lehre der Heil. Schrifft vorzustellen pflegen.  
  Die von der ersten Gattung würden allem Ansehen nach ihre Gedancken so erklären, wenn es ihnen gefällig wäre, sich nach einer deutlichen Art zu dencken zurichten. Jesus und die Apostel haben in der Sprache geredet und geschrieben, die zu ihren Zeiten unter den Juden üblich gewesen. Ein Verständiger der ein Volck gewinnen will, kan es nie anders machen.  
  Diese Sprache war mit allerhand Redensarten angefüllet, welche sich auf die Meynungen der morgenländischen Völcker beziehen, unter denen die Vorfahren der damahligen Juden eine so lange Zeit gelebet hatten. Und diese Redensarten konnten um so viel weniger abgeschaffet werden, weil die Lehren, worauf sie sich gründeten, selbst von vielen Juden, zum wenigsten unter dem gemeinen Manne, für wahr und richtig gehalten wurden.  
  Kein Volck in der gantzen Welt hat mehr von den Geistern und ihren Würckungen geschwatzet, als das Volck der Chaldäer. Sie sind es, die den Satan zuerst zu dem Herrn der Welt und Gott gleich gemacht haben. Was ihren Weisen schwer und Geheimnißvoll in der Natur oder in dem Menschen schiene, das leiteten sie insgemein von einen guten oder bösen Geiste her.  
  Diese eitle Geisterwissenschafft war denen Juden in Chaldäa bekannt worden. Und das meiste Theil von ihnen hatte sie so weit unbedachtsam angenommen, als sie sich zu ihrer Religion schicken wollte. Daher wurde ihre gantze Sprache von der Zeit an nach der Vorschrifft dieser Lehre verändert und eingerichtet. Was man ehedem Gott oder der Natur beygemessen, alle ungewöhnliche Kranckheiten, alle schwermüthige Gedancken, alle aufsteigende böse Lüste und Begierden, alle unordentlichen Gesichte einer aufgebrachten Einbildung, alle heftige Affecten, das wurde jetzt für ein  
  {Sp. 866}  
  Werck eines unartigen Geistes ausgegeben, dem es zur Lust gereichte, in den Leibern und Gemüthern der Menschen einen Sturm nach dem andern zu erregen.  
  Wir wollen nicht sagen, daß das gantze Volck Gottes mit dieser Seuche angesteckt worden. Sonder Zweifel haben die Klügern wohl gemercket, daß sich mehr Finsterniß und Aberglauben als Licht und Wahrheit in dieser Lehre fände. Die Sadducäer gestanden dieses öffentlich. Allein der gemeine Mann ist allenthalben Meister der Sprache, und schreibt den Gelehrten die Gesetze zu reden für. Die Klugen selber musten demnach unter den Juden so reden, als wenn sie alles das glaubten, was zu so vielen neuen und unter den alten Juden unbekannten Redensarten Gelegenheit gegeben hatte.  
  In dem Zustande fand unser Erlöser das Volck der Hebräer. Es war nicht rathsam, sich an der eingeführten Sprache zuvergreifen, und dieselbe von dem morgenländischen Unrathe zu reinigen. Eine neue Sprache möchte dem Volcke noch unerträglicher gewesen seyn, als eine neue Lehre.  
  Er wich also aus Klugheit der Gewohnheit und dem Gebrauche, und sprach so, wie man unter den Juden zu sprechen pflegte, ohne sich der Meynungen theilhaftig zu machen, von denen die Redensarten hergenommen waren. Er hieß mit seinen Aposteln eine ausserordentliche Kranckheit, eine Besitzung des Satans, und die sündlichen und traurigen Gedancken, die das dicke Geblüthe, ein Überfluß der Lebensgeister, eine verletzte Einbildung erwecket hatte, Eingebungen und Versuchungen des Satans.  
  Wir, die wir seine heiligen Reden erklären, müssen nicht auf die Schaalen der Worte sondern auf den Kern sehen, der in ihnen lieget. Jesus hat so gesprochen als die Juden, und so gedacht, als diejenigen, die nichts von allen vorgegebenen Kräfften und Würckungen der Geister glauben. Er redete von den Geistern wie ein Essäer oder Pharisäer, und glaubte wie die Klugen unter den Juden, die den wahnwitzigen Aberglauben dieser beyden Secten verlachten.  
  Ist es nicht ein altes und allgemeines Gebot der Weisen. Man muß in der Sprache dem gemeinen Manne, in seinen Meynungen denen Klugen folgen? Haben diese Leute recht, so versehen wir übrigen uns darinnen, daß wir die Worte Jesu und seiner Apostel in einem gar zu strengen Verstande nehmen, und nicht daran gedencken, daß sie in einer befleckten und unreinen Sprache ihre Lehren vorzutragen genöthiget gewesen.  
  Wir wollen antworten. Viele Beweißthümer sind nicht besser beschaffen, als wie baufällige Häusser, denen man einen Schein und Ansehen durch die Kunst gegeben hat. Wer solche Gebäude überhaupt ansiehet, glaubt leichte, daß sie fest, bequem und dauerhafft sind. Wer ein Stück nach den andern betrachtet, der verliehret alle Begierde, darinnen zu wohnen.  
  So ist es mit diesem vermeynten Beweise bewendet. Man darf nur die unterschiedenen Theile, woraus derselbe zusammen gesetzet ist, auflösen und aus einander nehmen; so liegt die Schwäche desselben am Tage. Man leget in demselben einige Dinge zum Grunde, die ziemlich mit der Wahrheit übereinstimmen: Und auf diese bauet man hernach allerhand gantz ungegründete Muth-  
  {Sp. 867|S. 447}  
  massungen, um Leute zu blenden, die nicht in die Ferne sehen.  
  Es ist wahr, daß die Völcker in deren Hände GOtt die Juden auf eine Zeitlang gegeben, mit allerhand ungereimten Meynungen von den Geistern und ihren Würckungen in der Unterwelt und in den Menschen behafftet gewesen. Es ist wahr, daß sie alles, was ihnen schwer und dunckel schiene, auf einen Geist geschoben, und insonderheit alle nicht gemeine Kranckheiten des Leibes und des Geistes dem Teufel beygemessen.  
  Es ist wahr, daß die Juden vieles von diesen falschen Meynungen unter ihnen erlernet, und in ihr Vaterland zurücke gebracht haben. Es ist wahr, daß man aus der Sprache der Juden, die sie zu den Zeiten unsers Erlösers geredet, eine ziemliche Anzahl solcher Reden sammeln kan, die sich auf die Lehren und Meynungen der Chaldäer und Babylonier beziehen. Es ist endlich wahr, daß so wohl JEsus als viele andere Juden sich dieser Redensarten bedienet, ohne deswegen die Meynung zu billigen und anzunehmen, von denen sie zuerst entstanden sind.  
  Unter den bekannten Sprachen der Welt ist fast keine, in der sich nicht einige Redensarten finden, die von alten und durch die Zeit entkräffteten ja gar irrigen Lehren herstammen. Und die Verständigen unter den Völckern, die diese Sprachen reden, drücken ihre Gedancken durch dieselben aus, ob sie schon weit von diesen Lehren entfernet sind.  
  Das übrige, was aus diesen zugestandenen Dingen hergeleitet wird, ist wo nicht falsch, doch unbewiesen, und wird ohne Grund und Ursache für eben so gewiß als das vorhergehende ausgegeben. Es ist falsch, zum allerwenigsten ist es unbewiesen, daß niemand unter den Juden zu den Zeiten Jesu regelmäßig sprechen können, der nicht alle ausserordentliche Zufälle in der Natur, in dem Leibe und Geiste des Menschen dem Satan oder den Geistern zugeschrieben. Wie können sich Leute, die zu den Einfältigsten nicht gehören, dergleichen Sachen einbilden, die man durch die tägliche Erfahrung widerlegen kan?  
  So viel ist gewiß: Wenn ein gantzes Volck sich öffentlich zu einer gewissen Lehre bekannt hat, so ist ein jeder, der kein Irrgläubiger oder Ketzer heissen will, verbunden, so zu sprechen, wie es die Lehre erfordert. Gesetzt ein Volck hätte sich entschlossen, zu glauben, daß GOtt eben so wohl mit einem gewissen Leibe versehen sey wie die Menschen; und diejenigen von sich auszustossen, die GOtt für ein reines und geistliches Wesen ausgeben würden. Die unter diesem Volcke leben wolten, würden genöthiget seyn, so von GOtt zu reden, daß sie niemand auf die Meynung brächten, als wären sie mit der eingeführten Lehren nicht zufrieden.  
  Die von uns also verlangen, daß wir gläuben sollen, man habe unter denen Juden zu den Zeiten JEsu und der Apostel so reden müssen, als wenn die Geister die gantze Welt regierten, die müssen uns vorhero darthun, daß diese Lehre ein Glaubens-Artickel unter denen Hebräern gewesen sey, den das gantze Volck einmüthig angenommen habe.  
  Dieses unterstehen sie sich nicht zu beweisen. Sie bekennen vielmehr, daß nicht alle Juden dieselbe für wahr gehalten, und ein jeder die Freyheit gehabt, denen Geistern viel oder wenig beyzulegen. Mit welchem Scheine können sie  
  {Sp. 868}  
  denn vorgeben, die Gesetze der Jüdischen Sprache hätten es nicht erlaubet, anders von Kranckheiten und bösen Kranckheiten zu sprechen, als unsre heiligen Bücher von dem Satan reden? Richtet sich die Sprache eines gantzen Volckes nach den Meynungen einiger Leute? Oder würde ein Verständiger, der unter einem gewissen Volcke sich aufhält, welches nichts gewisses von der Natur und denen Kräfften der Geister setzet, gezwungen seyn, die Geister für Götter der Welt auszugeben, die man anbieten dürffte, weil sich eine Parthey findet, die daran nicht zweiffelt?  
  Die mit diesen leichten und deutlichen Beweise sich nicht begnügen lassen wollen, können aus dem Geschichtschreiber der Juden, Josephus, und aus dem Juden Philo, die um diese Zeiten, von denen wir reden geschrieben, überführet werden, daß man anders unter denen Juden gesprochen habe, und sprechen dürffen, als es ihnen zu glauben beliebt.  
  Es ist weiter falsch, daß die, so mit dem gemeinen Aberglauben von den Geistern nicht eingenommen waren, das heißt, alle die, so groß und angesehen unter den Juden hiessen, eben so von besondern und ungewöhnlichen Vorfällen gesprochen, als die Schrifft davon redet.  
  Alle Welt wuste es, daß die Sadducäer aus natürlichen Ursachen herleiteten, was die Pharisäer und der gemeine Mann für Wercke des Satans hielten. Und niemand verfolgte sie deswegen. Man ließ sie zu dem Gottesdienste. Man vertraute ihnen Ämter und Stellen in dem grossen Rath an. Der Hohepriester selber war offt ein Sadducäer. Und was solte denn diese Leute bewogen haben, anders zu sprechen, als sie gedachten, und mit ihren Worten und Redensarten eine geistliche Gauckeley zu treiben? Hätte unser Erlöser und seine Zeugen dem Beyspiele dieser Leute nicht folgen, und eben so wenig als sie der bösen Geister gedencken können, wenn er mit ihnen diese Lehre für irrig gehalten?  
  Es ist endlich falsch, daß alles, was wir von den Kräfften der Geister über die Menschen aus der Schrifft lehren, nur in einigen Redensarten bestehe, die füglich auf einen andern Verstand geleitet werden könnten. Man stellet sich, als wenn wir allein einige Arten zu sprechen, aus der Schrifft aufweisen könnten, unsre Lehre von dem Satan zu bestärcken. Das heisset gewiß, sich selbst und andre verführen wollen. Man berufft sich nicht auf einige Worte und Ausdrücke, die vielleicht anders gedeutet werden könnten, sondern auf vollständige und klare Sätze, die mit hellen Worten an vielen Orten abgefasset sind.  
  Ist das eine blosse Redensart, wenn Paulus sagt: Der GOtt dieser Welt verblende die Seelen der Ungläubigen, daß sie das Licht der Wahrheit nicht sehen könnten? Ist dieses nicht viel mehr eine deutlich vorgetragene Lehre? Ist das eine blosse Redensart, oder vieldeutiges Wort, wenn eben der Apostel saget: Die Epheser hätten nicht mit Fleisch und Blut, sondern mit dem Satan zukämpffen? Unterrichtet der nicht vielmehr ordentlich und recht gründlich, der eine gewisse falsche Meynung aus dem Wege räumet, und an statt derselben eine andere behauptet, die der ersten entgegen gesetzet ist?  
  Man kan dieses mit weniger Mühe auf die übrigen stellen der Schrifft ziehen, die angeführet worden sind. Alle Arbeit, die man bisher  
  {Sp. 869|S. 448}  
  angewendet hat, aus der Schrifft eine gewisse und verständliche Lehre zusammen zu ziehen, die zur Regel unsers Glaubens dienen kan, dienet zu nichts, wo dergleichen Örter nicht zulänglich sind, einen gewissen Satz in der Lehre zu beweisen und auszumachen.  
  Was plagen wir uns viel den Verstand der heiligen Bücher nach gewissen Regeln der gesunden Vernunfft zu erforschen, und das, was wir gefunden, gegen allerhand Einwürffe zu vertheidigen? Es ist nichts mit dieser Bemühung, wo diejenigen Recht haben, die von uns haben wollen, daß wir allezeit unter dem Worte Satan und Teufel eine Kranckheit, eine böse Begierde, einen sündlichen Einfall verstehen sollen.  
  Die andre Art, die aufrichtiger ist, als daß sie läugnen solte, unsre Lehre von den Würckungen der bösen Geister stehe in den Büchern der Schrifft, sucht auf einen zweyfachen Wege denen zu entgehen, die sie für eine Wahrheit wollen angenommen wissen.  
  Einige aus derselben sagen, Jesus habe diese so gewöhnliche Meynung nicht umstossen wollen, weil sie bey dem Volcke sehr viel gegolten habe; er habe es für rathsam gehalten, seine Reden und Unterweisungen nach den irrigen Begriffen des gemeinen Mannes einzurichten, damit seine Lehre desto mehr Eingang finden möchte: Ein Weiser könne es unter einen ungeschliffenen und unverständigen Volcke so machen, ohne der Wahrheit zu schaden: Er könne noch mehr thun; er könne sich mit gutem Fuge der Irrthümer des gemeinen Mannes bedienen, seinen Hauptzweck zu erreichen.  
  So habe es Jesus gemacht: Der Jude sey zu seinen Zeiten voller Angst für den Teufel und seiner Macht gewesen: Man habe kein Mittel gesehen, diese abergläubische Furcht aus den Hertzen dieses Volckes zu vertreiben: Jesus habe ihm also nicht nur seine falsche Einbildung gelassen, sondern auch dieselbe zum Vortheile seiner Lehre gebraucht: Er habe den Juden Recht gegeben, und ihre Gemüther desto leichter an sich zu ziehen, gesagt, daß er eben deswegen in der Welt erschienen, damit die grosse Gewalt des Teufels gehemmet, und seyn Reich verstöhret werden möchte.  
  Wir wollen dieser Ausflucht den Nahmen nicht geben, den sie zu verdienen scheinet. Wir bitten diejenigen nur, die sich daran halten, die folgenden Erinnerungen in eine genauere Erwegung zu ziehen.  
  1) Kan die Schrifft eine Richtschnur des Glaubens und Lebens heissen, wenn es wahr ist, daß in derselben die wahren Meynungen und Lehren der heiligen Leute, die sie aufgesetzet, unter die irrigen Einbildungen des Pöbels ihrer Zeiten ohne Unterschied gemenget sind? Ist es nicht wahr, daß nie Kluge, die auf eine Zeitlang thöricht seyn wollen, damit sie die Schwachen gewinnen, in den Büchern, die sie zum Unterrichte der gantzen Welt schreiben, zum wenigsten anzeigen müssen, wo sie nach ihrer Meynung und wo sie nach einer fremden und falschen Meynung sprechen?  
  Dieses ist in den Büchern, welche die Schrifft heissen, nirgends geschehen. Jesus und seine Zeugen reden allezeit von dem Satan und seinen Würckungen so, als wenn sie das vortrügen, was sie selbst für unstreitig wahr und ausgemacht hielten. Sie bemercken mit keinem Worte, daß sie sich nur nach dem Begriff der Einfältigen be-  
  {Sp. 870}  
  quemten.  
  Hätten sie wie weise und verständige Leute hierinnen gehandelt, wenn das wahr wäre, was von denen für wahr ausgegeben wird, die hier wiederleget werden? Würden uns ihre Schrifften und Bücher viel nützen, wenn sie ohne Bedacht und Nachsinnen Unkraut und Weitzen unter einander gesäet hätten? Und ist eine einige Lehre der Schrifft, die nicht unter diesem Vorwande wird verworffen werden können, daß Jesus und seine Zeugen bald die Wahrheit bald den Irrthum vorgetragen, und doch keine Kennzeichen hinterlassen, wodurch diese bey den so widerwärtigen Dingen unterschieden werden könnten?  
  2) Die Lehre von dem Satan ist nach der Meynung dieser Leute ein schädlicher Aberglauben, den man aus den Gemüthern der Menschen wegschaffen muß, wo die gemeine und besondere Ruhe der Welt erhalten werden soll. Kan man ohne Verletzung der Majestät unsers Heylandes unter Ehre seiner Zeugen sagen, daß sie kein Bedencken getragen, eine so schädliche und zugleich ungereimte Lehre nicht nur als die ihrige vorzutragen, sondern auch durch ihre Wunder und Zeichen zu bekräfftigen? Wird nur ein natürlich kluger und redlicher Mann, der ein Volck bessern will, die ungöttlichen und giftigen Fabeln desselben bey aller Gelegenheit auszubreiten suchen, und sich darbey mit der Hoffnung befriedigen, daß nach siebenzehnhundert Jahren einige Meister der Vernunfft dieselben bestreiten würden?  
  3) Ist ist glaublich, daß ein Mann, der das Hertz hat, die Religion eines Volckes in ihrem Sitze anzugreiffen, der die Lehren antastet, die von niemand in Zweiffel gezogen, und von allen für göttlich angenommen werden, ist es zu glauben, daß ein solcher Mann einen läppischen und doch nachtheiligen Aberglauben in Ruhe lassen werde, der nur einer gewissen Anzahl Leute gefällig ist?  
  Jesus setzte sich gegen die Meynung, die fast gantz Israel zu seinen Zeiten bekannte, daß der GOttesdienst in den Opffern und den übrigen Gebräuchen bestünde, die Moses vorgeschrieben hatte. Er nahm der gemeine Lehre vom Sabbathe das grosse Ansehen, das sie unter den Juden hatte. Er schalt die Häupter und Lehrer des Volcks, die man für Bothen des Herrn ansahe, für Narren und Blinde, und sorgte wenig, was für ein Wetter dieses Unternehmen zusammen ziehen würde. Und dieser göttliche Lehrer solte sich nicht unterstanden haben, eine Lehre nicht nur nicht anzugreiffen, sondern nur mit Stillschweigen zu übergehen, die kein Stück des öffentlichen Glaubens war, und von jedermann nach Belieben angenommen und verworffen werden konnte?  
  Was giebt doch die Zunfft der heutigen Weisen für unverständliche Dinge zu glauben vor? Wir sollen uns einbilden, der Jesus, der nichts scheute, noch scheuen durffte, den kein König, noch Hoherpriester, noch Landpfleger schreckte, der im Tempel so verfuhr, als ein Herr in seinem eignem Hausse, daß dieser Jesus allen Muth und Hertzhafftigkeit fallen lassen, wenn er dem gemeinen Manne sagen sollen, der Teuffel sey nichts als ein Schreckbild, das der Unverstand der Morgenländer geschützt hätte?  
  4) Ist es klug gehandelt, wenn ein Mann, der seine Lehre in  
  {Sp. 871|S. 449}  
  einem gantzen Lande angenommen wissen will, das allein nachbetet, was dem gemeinen Haufen gefällt, und sich wenig daran kehret, was die Grossen und Angesehenen im Lande glauben? Heißt sich dieses nicht bey dem besten Theile des Volckes verachtet und lächerlich machen? Das Volck pflegt sich in seinen Meynungen nach den Grossen zu richten. Und wer diese auf seine Seite gebracht hat, der kan sich versichern, daß die übrigen folgen werden.  
  Die so unter den Juden zu den Zeiten Jesu reich, begütert, bey den Römern beliebt, bey den Höfen der Nachkommen Herodes groß waren, hiengen auf die Seite der Sadducäer, die der Geisterlehre spotteten. Was hätte unsern Heyland bewegen können, sich diesen, die ihn gegen alle Gewalt leicht hätten schützen können, entgegen zu setzen, und dem unverständigen Volcke beyzufallen, wenn er das, was man von den Geistern sagte, selbst für falsch gehalten hätte? Hätte er es nicht weit klüger gemacht, wenn er wenigstens eine Mittellehre eingeführet, die den Grossen angenehm, und dem Pöbel nicht eben sonderlich misfällig gewesen wäre? Und würde er sich nicht dadurch viel beliebter gemacht haben?  
  Kein Mann, der die Welt bekehren will, pflegt die albernen Grillen der niedrigen Leute ohne Noth unter seine guten und nützlichen Lehren zu mengen, und damit die Gemüther der Klugen und Verständigen von sich abzuwenden.  
  5) Alles dieses bey Seite gesetzt, und das zugegeben, was gegen allen Schein der Wahrheit läuft, daß Jesus Ursache gehabt, unter den Juden auf Jüdisch von den Geistern zu lehren: Warum haben denn seine Zeugen unter den Heyden, unter den Römern und Griechen, eben das wiederhohlet und vorgetragen? Zu Rom, zu Corinthus, zu Ephesus regierte die Meynung von der Gewalt des Satans nicht, die so tief bey den Juden und Morgenländern eingerissen war.  
  Warum haben sie denn nicht reiner unter diesen Völckern gesprochen, und den Jüdischen Irrthum weggeworfen? Warum haben sie nicht den Ephesern, die sich beredeten, daß sie nicht mit dem Satan sondern nur mit Fleisch und Blut zu thun hätten gesaget, daß sie darinnen irreten, und daß sie mit den bösen Geistern einen Krieg führten, die unter dem Himmel in der Lufft herrscheten? Hätte sie der Apostel nicht bey den Glauben lassen können, wenn er richtig gewesen wäre, daß sie nur gegen die Bosheit und Arglist der Menschen zu kämpffen hätten?  
  Zu Corinthus war man so klug, daß man wußte, ein Götze sey nichts in der Welt. 1 Cor. VIII, 4,
  und das, was man den Götzen opferte, würde einem Hirngespinste und Schatten geopfert.  
  Leute, die so weit kommen sind, haben gewiß keinen Ansatz von einer unnöthigen Bangigkeit für dem Satan und seiner Macht. Warum sagt man diesen so verständigen Leuten, daß der Gott dieser Welt oder der Satan in den Ungläubigen herrsche, und das helle Licht des Evangelii verdunckele?  
  Andere von dieser Gattung hegen so viel Ehrerbietung gegen die Schrifft, daß sie selber die bisher untersuchte Erfindung für gefährlich halten müssen, und sich anders zu helffen suchen, um bey ihren Glauben zu beharren. Sie wollen nicht läugnen, daß alles, was die Schrifft von dem Satan saget, indem Verstan-  
  {Sp. 872}  
  de angenommen werden müsse, den der Buchstabe an die Hand giebt: Und können auch diejenigen nicht wohl vertragen, die unsern Heyland zum Knechte der Jüdischen Geister-Träume machen, oder wollen, daß er nachdem verdorbenen Geschmacke der Juden geredet habe.  
  Der Satan hat nach ihrer Meynung alles das zu den Zeiten Jesu gethan, was von ihm gemeldet wird. Er hatte die Leiber gequälet, die Gemüther der Menschen vergiftet, den Heiligen Stricke und Netze geleget. Allein jetzt kan er nichts mehr von allen diesen Dingen. Es ist aus mit seiner Gewalt, seit dem die Lehre Jesu allenthalben obgesieget und kund worden. Vielleicht treibt er noch da sein Spiel, wo der Nahme Jesu unbekannt ist. Unter den Christen kan er sich nicht mehr regen, weil die Allmacht GOttes ihn in den Abgrund verbannet.  
  Die dieses glauben, räumen ein, daß der Satan die Seelen der Menschen verderben, und unter seine Herrschafft ziehen könne, und wo ihm keine grössere Macht entgegen stehet, allezeit fertig sey, Proben von dieser Macht zu geben. Wir geben ihnen hergegen zu, daß er in den Zeiten Jesu mehr Freyheit genossen, die Leiber der Menschen zu quälen, als in den folgenden, weil der Herr die Herrlichkeit seines Sohnes der Welt kund machen wollen.  
  Die Frage, die unter uns zu entscheiden übrig bleibet, ist diese: Erlaubt der Herr dem Satan noch die unartigen Christen zu verblenden, und zur Sünde zuverleiten? Wir beantworten dieselbe mit ja, und hoffen, daß die Gründe, die jetzt angeführt werden sollen, diese Antwort rechtfertigen werden.  
  Was ist es erstlich, daß diejenigen, die einer andern Meynung sind, beweget zu glauben, dem Satan sey alle Macht genommen, in die Seelen der Menschen zu würcken? Stehet dieses in der Schrifft deutlich geoffenbahret, daß nach den Tagen Jesu der Satan alle Gewalt einbüssen solte? Oder ist es eine blose Muthmassung, die durch einige Ursachen unterstützt wird?  
  Ein Spruch der Schrifft, worinnen dieses enthalten, wird schwerlich genennet werden können. Was sind es denn für Ursachen, wodurch man dieses zu muthmassen angetrieben wird? Hält man es etwan unsern Heyland verkleinerlich, daß der Satan mitten unter den Seinen herrschen solte? Dieser Grund muß wegfallen, weil er mehr beweiset, als er beweisen soll.  
  Gereichet es unserm Erlöser zur Unehre, daß jetzt sein Feind die Menschen besieget, so wird daraus folgen, daß dieses niemahls habe geschehen können. Und die Schrifft saget uns doch, daß dieses in den ersten Zeiten des Christenthums geschehen, daß der Satan dazumahl unter den Christen Unruhe und Unordnung gestifftet, was noch mehr, daß er einen unter den Aposteln Jesu überwältiget, und zu seinem Knechte gemacht. Entweder dieses ist falsch; oder es ist wahr, so tritt man der Ehre JEsu nicht zu nahe, wenn man glaubet, er könne mitten in dem sichtbaren Reiche Christi sich Anhänger machen.  
  Ist es sonst etwas, womit man sich schützen will? Sie wissen sonst nichts. Und wer keine Ursache von seinen Meynungen angiebt, der kan die, so ihm nicht trauen wollen, keiner Ungerechtigkeiten beschuldigen.  
  Vors andere. Müste  
  {Sp. 873|S. 450}  
  der Herr nicht, wenn er gewolt hätte, daß die Macht des Satans über die böse Welt nach einer kurtzen Zeit aufhören solte, uns davon einige Nachricht hinterlassen haben?  
  Ist es einem weisen Regenten anständig, in den Büchern, die er zum Trost seiner Unterthanen geschrieben, von einer Gefahr, die bald vorüber gehen wird, so zu reden, als wenn sie nie ein Ende nehmen würde? Der Herr hat uns nirgends eine solche Nachricht gegeben. Mit was für Fug können wir seine allgemeinen Erinnerungen und Warnungen nach unserm Gefallen einschräncken?  
  Vielleicht wird man einwenden: Der Herr habe auch nichts davon in der Schrifft erwehnet, daß die Macht des Satans über die Leiber der Menschen nach den Tagen Jesu abnehmen würde: Und dieses sey doch erfolget: Man könne also von seiner Gewalt über die Seelen mit guten Grunde eben das glauben.  
  Man kan zweyerley hierauf antworten. Es ist einmahl falsch, daß nichts in der Schrifft vorhanden sey, woraus man schliessen könnte, daß nach den Zeiten Jesu die Macht des Satans über die Leiber der Menschen fallen würde. Der Geist des Herrn warnet für leiblichen Besitzungen. Er redet allein von den geistlichen Besitzungen. Unter Satan darf nicht eher den Leib eines offenbahren Sünders, wie des Blutschänders von Corinthus, einnehmen, als bis ein Apostel ihm demselben übergeben hatte. Diese beyden Dinge waren Zeugnisses genug, daß der Herr beschlossen, dem Satan nicht mehr zu erlauben, die Leiber vieler Menschen zu quälen. Es bedurffte hernach nicht, daß uns der Herr davon unterrichten liesse.  
  Sachen von dieser Art werden uns durch unsre Sinne und Vernunfft leicht bekannt, und dürffen daher durch keine Offenbahrung kund gemacht werden. Ein anders ist es mit den Bemühungen des bösen Geistes die Seelen zu verführen, und sich zu unterwerffen. Diese entdeckt weder Ohr noch Auge. Und dem Verstande fehlt es gleichfalls an gewissen Kennzeichen, die Triebe der Natur von den Reitzungen einer andern geistlichen Macht zu unterscheiden. Der Herr hätte es uns also offenbahren müssen, daß die Menschen nichts mehr wegen der Nachstellungen des Satans so fürchten hätten.  
  Hat, drittens, der Satan noch durch die Zulassung des Höchsten die Macht, die Frommen zu versuchen, wie wird man sich bereden können, daß ihm aller Zugang zu den Hertzen der Bösen verschlossen sey?  

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Stand: 18. September 2016 © Hans-Walter Pries