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Zedler: Möglich HIS-Data
5028-21-757-3
Titel: Möglich
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 21 Sp. 757
Jahr: 1739
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 21 S. 400
Vorheriger Artikel: Mögende
Folgender Artikel: Möglich (schlechterdings)
Siehe auch:
Hinweise:

  Text Quellenangaben
  Möglich, Possibile, ist überhaupt dasjenige, was nichts widersprechendes in sich hat, z.E. ein höltzerner Teller, eine Maschine, die da Stunden anzeiget.  
  Wie aber das Mögliche nicht einerley Bedeutung hat, sondern bald von diesem in diesem, bald von dem andern in einem andern Verstande gebrauchet wird: also entstehen daher auch noch so viel besondere Erklärungen oder vielmehr Bestimmungen.  
  Im engen Verstande (stricte) wird es genommen, was nur bloß bey der Möglichkeit bleibet und niemahls zur Würcklichkeit gelanget: dergleichen die Platonische Republick ist.  
  Im weiten Verstande (late) heisset möglich, was nicht nur bey der Möglichkeit bleibet, sondern auch wahrhafftig würcklich wird: es mag nun schon da gewesen seyn, oder noch da seyn, oder noch allererst kommen; in welcher Bedeutung die Fatalisten das Wort möglich gebrauchen.  
  Im weitläufftigsten Verstande (latissime) heist es alles dasjenige, was seyn kan, es mag nun entweder nur bloß möglich bleiben, oder auch würcklich werden. Dazu, daß etwas ist, ist nicht genug, daß es nichts widersprechendes in sich enthält. So ist z.E. klar, daß deßwegen nicht gleich ein viereckigter Tisch rund wird, weil viereckigt seyn und rund werden einander nicht widerspricht, sondern beydes gar wohl neben einander bestehen kan, indem wir begreiffen, daß das viereckigte eine Rundung bekommet, wenn die Ecken abgestossen werden.  
  Da nun dasjenige, was möglich, nichts widersprechendes in sich enthält; so ist freylich mehr als zu klar, daß etwas deßwegen noch nicht ist, weil es möglich ist, und lässet sich von der Möglichkeit allein nicht schliessen, daß es sey oder seyn werde. Nemlich wenn ich erkenne, daß etwas möglich sey; so kan ich deßwegen nicht annehmen, daß es würcklich da sey, oder vor da gewesen oder auch künfftig kommen werde. Es  
  {Sp. 758}  
  muß also ausser der Möglichkeit noch was mehrers dazu kommen, wenn etwas seyn soll, wodurch das Mögliche seine Erfüllung erhält. Und diese Erfüllung des Möglichen ist eben dasjenige, was man Würcklichkeit nennet. Worinne sie aber bestehet, das ist, wie das Mögliche zur Würcklichkeit gelanget, wird in dem Artickel: Würcklichkeit, gezeiget.  
  Wie nun das Mögliche an sich seinen Grund haben muß, warum es möglich, und nicht vielmehr unmöglich ist; so muß auch die Vorstellung, wenn man sich was als möglich vorstellet, ihre Ursache haben und das ist die Erkänntniß der Beschaffenheit der Sache, die möglich seyn soll, damit man siehet, ob was widersprechendes darinnen enthalten sey, oder nicht?  
  Insonderheit hat man die Möglichkeiten von den Wahrscheinlichkeiten unterscheiden zu lernen. Denn bey einer Möglichkeit hat man nur einen Grund, warum eine Sache nicht unmöglich; bey der Wahrscheinlichkeit hingegen sind auch Gründe vor die würckliche Existentz, daß sie kommen werde, die zwar nur so beschaffen, daß eine gegenseitige Möglichkeit dabey statt findet. Z.E. daß ein frischer und gesunder Mensch noch diese Woche sterbe, ist nach gegenwärtigen Umständen was mögliches; daß ein Patient, der gefährlich kranck ist, diese Woche sterbe, ist wahrscheinlich, aber nicht gewiß, eben daher, weil die gegenseitige Möglichkeit statt findet, das ist, es kan geschehen, daß er wieder aufkommt.  
  Solchen Unterscheid muß man nicht nur zur Erkenntniß der Wahrheit wissen, damit man nicht von dem Möglichen auf das Wahrscheinliche, oder wohl gar auf das Gewisse schliesse, wie es offtmahls in der Physic von den Mechanicis geschehen; sondern auch zur Klugheit, wenn man sich wegen des Erfolgs der künfftigen Begebenheiten behutsam und vorsichtig verhalten will, welches darauf ankommt.  
 
1) Ein kluger Mann richtet seine Absichten nicht auf unmögliche Dinge, in dem es närrisch wäre, wenn er selbige hoffen, oder sich dafür fürchten wolte;
2) läst er sich nicht einmahl durch bloß mögliche künfftige Zufälle einnehmen, daß er auf Seiten des Glücks hoffen und was unglückliche Begebenheiten wären, sich fürchten wolte. Denn bey einer bloß möglichen Furcht, oder Hoffnung, kan man sich zu nichts entschliessen, was man zur Erhaltung des Guten und Abwendung des Bösen vornehmen solte, indem die möglichen Fälle nicht nur unendlich, sondern auch bey ieglicher Möglichkeit das Gegentheil statt findet. Z.E. es ist möglich, daß des Sempronius Geld in Hamburg liegen blieben, und also will er hinreisen und solches holen; es ist aber auch möglich, daß es nicht daran liegen blieben, und also muß er vermöge dieser letztern Möglichkeit zu Hause bleiben; folglich kommen zwey practische Contradictoria, reisen und nicht reisen, heraus.
3) Wenn die möglichen Fälle des Glückes so beschaffen, daß man bey seinem gegenwärtigen Glück nichts verlieret, auch eine geringere Mühe deswegen anzuwenden, so ist es eben nicht unweislich gehandelt, wenn man auch etwas blos mögliches mit abwartet, welches sich auch auf solche Art bey den Umständen eines möglichen Unglücks verhält.
4) Wie weise Leute aus Möglichkeiten keine Wahrscheinlichkeiten machen, und sich also hüten,
 
  {Sp. 759|S. 401}  
 
  daß sie sich in keine vergebliche Furcht oder Hoffnung setzen; also machen sie auch aus den wircklichen Wahrscheinlichkeiten keine Möglichkeiten. Denn erkennt man die wahrscheinlichen Umstände des Glücks nicht und bildet sich selbige nur vor möglich ein, so wird man furchtsam und läst den Muth sincken; gleichwie bey unglücklichen Fällen daraus eine schädliche Sicherheit entstehen kan, wofern man ein wahrscheinlich zu besorgendes Ubel vor einen bloß möglichen Zufall ansiehet.
Walch hat in der Einleitung in die Philosophie … die Lehre von der Möglichkeit umständlicher vorgetragen.
  Es sind aber nicht alle Dinge möglich. Denn manchmahl verhindert eine Sache möglich zu machen die Ehre GOttes, das Gewissen, die Wahrheit, das Recht und Gerechtigkeit, Ehrbarkeit etc. welche verletzet werden. So saget Paulus Röm. XII, 18. Ists möglich, so viel an euch ist, haltet mit allen Menschen Friede. Erasmus meynet zwar, diese Bedingung gehöre zu denen vorhergehenden Worten, von der Ehrbarkeit: Fleißiget euch der Ehrbarkeit gegen iedermann, so es möglich; aber gantz wider die Sache selbst und ohne Beweiß, denn geschweige daß die Christen allezeit ohne einige Bedingung gutes thun, und der Ehrbarkeit sich befleißigen sollen und auch können; So widersprechen auch solcher Meynung alle Griechische Exemplarien mit ihrer Distinction. So hat es auch der Syrische Dollmetscher nicht gelesen oder verstanden.  
  Gehören demnach ohne allen Widerspruch die Worte zur Christlichen Friedseligkeit, welche die Christen üben sollen, so es möglich. Womit dem unrechtmäßigen Frieden vorgebeuget wird, welcher daher vor unmöglich gehalten wird, weil er mit der Pflicht eines Gläubigen streitet, indem er das Gewissen beschweret, und so wohl der Wahrheit als göttlichen Ehre nachtheilig ist.  
  Denn freylich können Christen nicht allezeit Frieden haben, wenn sie gleich gerne wolten, sie dörffen auch nicht. Die Kirche hat selbst ihre Feinde, die verfolgen auch ein iedes wahres Glied derselben. Das gehet öffters nicht sowohl ihre Person, als die göttliche Wahrheit an, welche die Feinde verlästern oder gar unterdrücken wollen. Alsdenn ist es Christen nicht möglich Friede zu halten; thäten sie es, so sündigten sie an GOtt noch darzu. Solcher gestalt wären sie von der Welt; ihr Christenthum wäre eine lautere Heucheley, und kein Ernst.  
  Wer war friedliebender als David? Doch war es ihm nicht möglich mit allen, nemlich mit den Feinden GOttes, Friede zu halten. Die Jüden hätten auch gerne Friede gehalten, aber wie war es möglich, als die Heyden GOtt, seinen Tempel und Gottesdienst angriffen? da musten sie nothwendig sich wehren und Krieg haben, wie aus denen Büchern vielfältig erhellet.
  • Krausens Epist. Pred. Schatz …
  • Günthers Erklärung der Epistel an die Römer, Th. II
  Obgleich denen Menschen nicht alles möglich, so sind doch bey GOtt alle Dinge möglich,
  • Matth. XIX, 26,
  • Marc. X, 27.
  welches der Engel Gabriel gegen Marian also ausspricht: bey GOtt ist kein Ding unmöglich, Luc. I, 37;
  und ist dafür zu halten, daß dieser Spruch, der die unendliche All-  
  {Sp. 760}  
  macht GOttes preist, ein alt und bekannt Sprüchwort unter denen Jüden gewesen sey, so sie aus dem gemacht, was sie von GOtt und seinen Propheten gehöret; als wenn der Sohn GOttes zu Abraham sprach: solte dem Herrn etwas unmöglich seyn? 1 B. Mose XVIII, 14;
  ingleichen, wenn es heist: sein Vermögen und starcke Krafft ist so groß, daß nicht an einem fehlen kan, Es. XI., 26,
  du hast Himmel und Erden gemacht durch deine grosse Krafft, und durch deinen ausgestreckten Arm, und ist kein Ding vor dir unmöglich, Jerem. XXXII, 17,
  so spricht der Herr Zebaoth, düncket sie solches unmöglich seyn vor den Augen dieses übrigen Volcks zu dieser Zeit, solts darum auch unmöglich seyn vor meinen Augen? Zachar. VIII, 6.
  Aus diesen Sprüchen, da von GOtt gesagt wird, es sey nichts, so er nicht thun könne, haben sie nun dieses Sprüchwort gemacht und gesagt: bey GOtt sind alle Dinge möglich. Und es ist auch dieses GOtt alleine eigen; Menschen müssen vieles bleiben lassen, sie vermögen es nicht auszurichten, ob sie schon gerne wolten, aber GOtt ist alles möglich. Die heilige Schrifft erläuterts mit so viel Exempeln.  
  Das Eisen ist schwer, und fällt ordentlicher Weise zu Boden, noch machte GOtt möglich, daß es schwamm, 2 Kön. VI;
  Feuer brennet ordentlich, aber GOtt schaffte dereinst, daß es nicht brannte, Dan. III;
  das mag heissen: bey GOtt sind alle Dinge möglich.  
  Von denen Jüden haben es auch andere gelernet, daher kommen viele Sprüche der Heyden, die mit diesen gleiches Inhalts sind. Die Griechen sagen: [ein Satz griechisch], Deo annuente omnia possibilia.  
  [Ein Satz griechisch], illius potestati nihil potest resistere, sagt Bardisanes Syrus beym Eusebio, und die Stoici beym Cicero sagen: nihil est, quod Deus efficere non possit, auch nicht das geringste sey es, so GOtt nicht ausrichten könne. Zehners Adagia
     

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Stand: 30. März 2013 © Hans-Walter Pries