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Zedler: Widersprechende Umstände HIS-Data
5028-55-1804-2
Titel: Widersprechende Umstände
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 55 Sp. 1804
Jahr: 1748
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 55 S. 917
Vorheriger Artikel: Widersprechende Verordnung
Folgender Artikel: Widersprechende Urkunden
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

  Text Quellenangaben
  Widersprechende Umstände, werden diejenigen genennet, welche also mit einem angenommenen Satze nicht übereinstimmen, daß sie etwas in sich halten, so der Möglichkeit desselben gäntzlich zuwider ist und widerspricht.  
  Hierdurch sind sie von den schweren Umständen unterschieden, welche, wegen einiger andern unbekannten Umstände nur nicht deutlich daraus begriffen werden, ob sie gleich nicht völlig widersprechen.  
  Ein widersprechender Umstand machet einen Satz nothwendig unwahrscheinlich, und offenbar falsch. Hingegen weil die schweren Umstände aus dem Mangel einiger anderer Neben-Umstände herrühren können, und, wenn diese nur bekannt wären, auch gar leicht als übereinstimmend geschlossen werden können; So folget, daß ein und anderer schwerer Umstand keinesweges die Wahrscheinlichkeit gäntzlich aufheben müsse.  
  Hieraus lässet sich die Controvers auflösen, welche in dem jetzigen Jahrhunderte zwischen dem Cantzler in Tübingen, Christoph Matthäus Pfaffen, und dem Reformirten Gottesgelehrten, Johann Alphonsus Turretinus entstanden ist. Dieser letztere hatte in Cogitationibus de controversis, sensu communi, traditionibus etc num. 31, folgende Thesin gesetzet: Verum falluntur, qui se credunt, ejusmodi asystata credere. Jungunt voces, non ideas. Atqui, credere, proprie loquendo, non est voces, sed ideas jungere. Vorher aber war die Rede von dem Heiligen Abendmahl, und der Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in demselbigen gewesen, und man gab damit zu verstehen, es könne solche Gegenwart nicht geglaubet werden, weil sie etwas widersprechendes in sich fasse.  
  Hierwider erinnerte Pfaff in Dissertatione, de consecratione veterum eucharistica, welche er den 1715 edirten Irenaei fragmentis anecdotis beyfügte, … verschiedenes, welches Turretinus so ansahe, als hielte man dafür, daß widersprechende Dinge geglaubet werden könnten, und schrieb daher: Solutionem quaestionis: utrum asystata, seu contradictoria, proprie loquendo credi possint? Genev, 1716.  
  In dieser Schrifft bemühete er sich erstlich, die Beschaffenheit der Streit-Frage deutlich zu machen, und zu zeigen, was widersprechende Dinge wären, wie und auf was Art das Wort: Glauben, genommen werde; Hierauf aber antwortete er auf die Einwendungen Pfaffens. Man hatte selbige nicht nur den Gundlingianis … wieder einverleibet, sondern es schien auch, als wenn Clericus, in Bibliotheque ancienne et moderne …, eben wie Turretinus, in den Gedancken stünde, als wenn Pfaff bey widersprechenden Dingen einen Glauben zuliesse. Darum hielte dieser vor nöthig, solche Meynung von sich abzulehnen, und sich deutlicher zu erklären; Zu  
  {Sp. 1805|S. 918}  
  welchem Ende er Dissertationem apologeticam, de contradictoriis, num, proprie loquendo, credi possint? 1718 edirte, und solche nachgehends seinen Primitiis Tubing. … einverleibte.  
  Nebst ihm, gab M. Daniel Maichel Examen dissertationis a Jo. Alphonso Turretino contra Pfaffium scriptae zu Tübingen 1718 in 4 heraus, und zeigte sonderlich, daß die würckliche Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in dem Abendmahl keinen Widerspruch in sich fasse. Siehe Unschuld. Nachr. von 1718 …
  Es ist hierauf von keinem Theile weiter etwas erfolget. Turretinus führet in der Vorrede seines Tractats, Nubes testium genannt, verschiedene Ursachen an, die ihn bewogen, den Streit nicht weiter fortzusetzen. Eine Nachricht von demselbigen findet man in der Historia philosophica doctrinae de ideis, Die zu Augspurg 1723 herausgekommen, …, und in Turretini Opusculis varii generis …, welche 1725 u. 1726 in 2 Theilen zu Braunschweig an das Licht getreten sind, und darinnen man auch … beyde Disputationes des Turretinus und Pfaffens, antrifft; Von welchem letztern man noch Praefation. Primitiar. Tubingens. ingleichen Bernards Nouvelles de la republique des lettres … nachlesen kan.  
  Was die Sache selbst anbetrifft, so laufft der Streit auf die Frage, davon so viel disputiret und geschrieben worden, hinaus: Ob in der Christlichen Religion und Theologie Dinge enthalten, welche unvernünfftig? Ob die Geheimnisse über, oder wider die Vernunfft sind? Ingleichen: Wie Glaube und Vernunfft mit einander übereinstimmen?  
  Wie aber hier die Streit-Frage eingerichtet worden ist: Ob man Contradictoria glauben könne? So scheinet sie selbst gewisser massen contradictorisch zu seyn. Man kan dieses leicht sehen, wenn man nur die Beschaffenheit der beyden Ideen, daraus sie bestehet, erweget, und eine gegen die andere hält. Widersprechende Dinge heissen Sachen, die einen solchen Widerstand gegen einander haben, daß eine die andere aufhebet, und sie also ohnmöglich beyeinander bestehen können. Glauben, ist nichts anders, wenn man das Wort in eigentlichem und Philosophischem Verstande nimmt, als die Annehmung eines Dinges als wahr, wegen des Ansehens eines andern, der solches sagt.  
  Stellet man diese beyden Ideen neben einander, so können sie nicht beysammen bestehen, sondern eine hebet die andere auf. Denn hält man dafür, daß etwas widersprechend sey, so fällt um deswillen der Glaube weg, weil man die Beschaffenheit der Sache aus ihrer eigenen Natur erkennet, und daher das Ansehen und Zeugniß eines andern darzu nicht nöthig ist. Soll man hingegen etwas glauben, oder für wahr halten, weil es ein anderer gesaget, so muß ja die Sache nothwendig so beschaffen seyn, daß sie nicht widersprechend, wenn sie gleich unbegreifflich ist.  
  Die Application lässet sich gar leicht auf die Lehre von dem heiligen Abendmahl machen. Wir glauben, daß in demselben Christi Leib und Blut würcklich gegenwärtig sey; Welches soviel heisset: Wir halten diese würckliche Gegenwart für wahr, weil es GOtt  
  {Sp. 1806}  
  in seinem Worte sagt. Wenden die Reformirten ein, eben damit glaubten wir widersprechende Dinge, so läugnen wir, daß solche Gegenwart etwas Widersprechendes in sich fasse. Sie ist wohl unbegreifflich, eben deswegen, weil sie über die Vernunfft gesetzet ist; Aber nicht widersprechend, oder wider die Vernunfft. Denn wolten die Reformirten solche Widersprechung darthun, so müßten sie zeigen, daß eines das andere aufhebe, zugleich in dem Himmel und zugleich in dem Abendmahle seyn; Welches zwar angieng, wenn wir den Leib Christi als einen blossen natürlichen Cörper anzusehen hätten, dergleichen er aber nicht ist. Er ist zwar ein wahrhafftiger Cörper, durch die Vereinigung mit der göttlichen Natur aber gleichsam eleviret und erhöhet worden. So lange wir nun davon keinen deutlichen Begriff haben, solange kan man auch von keiner Contradiction reden.  
  Überhaupt kan die gantze Christliche Religion, weil sie dem Lichte der Natur nicht widerspricht, ja vielmehr mit demselben übereinstimmig ist, auch denen zwey Haupt-Wahrheiten des Lichtes der Natur, nemlich dem Satze des Widerspruchs und dem Satze des zureichenden Grundes, nicht zuwider, sondern muß vielmehr denselbigen gemäß seyn. Denn was einer gantzen Disciplin nicht zuwider ist, dasselbe muß auch ihren Principien nicht zuwider seyn. Nun ist die Christliche Religion den ächten Principien des Lichtes der Natur nicht zuwider, folglich kan sie auch den Principien sothaner Disciplinen nicht zuwider lauffen.
  • Ahlwards Deutsche Logick …
  • Walchs Rel. Streitigk. ausser der Evang. Kirche, Th. III
  • Leibnitzens Monadolog. Disc. des Übers. …
  Siehe auch Widerspruch.  
     

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Stand: 25. Dezember 2012 © Hans-Walter Pries