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Quellenangaben |
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Wesen, Essentz,
Lat.
Essentia. Hier siehet man entweder auf die
gemeine Lehre, sonderlich der Scholasticker, oder auf die
Sache
selbst.¶ |
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In den
Schulen braucht man dieses
Wort
entweder in einer weitern oder engern
Bedeutung, daß es nach der erstern nicht nur das Wesen, sondern auch die
Existentz
der
Dinge
anzeiget. |
- Hebenstreits philos. prima, p. 133.
- Donat in metaphysic. usual. cap. 3. §. 8 p. 17.
-
Buddeus in philos. instrum. Part. IV, cap. 1. §. 6.
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Doch ist die letztere Bedeutung die gewöhnlichste, und braucht man offt als
gleichgültige
Wörter
hier entitas, realitas, quidditas, esse, natura, ratio formalis,
wiewohl sie zuweilen auch noch andere Bedeutungen haben, |
Scheiblers opus metaphysic. II, 25. |
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Es nennen aber die Scholasticker die Essentz oder das Wesen primum
veritatis conceptum, welche
Worte
auf eine gedoppelte Art können erkläret werden. Denn |
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- einmahl kans soviel heissen, daß das Wesen das erste sey, was sich von
einem Dinge
gedencken lässet, dahin auch die Beschreibung des Wesens, die
Herr
Wolff in seinen vernünfftigen Gedancken von GOtt, der Welt und der
Seelen des Menschen c. 2. §. 34 p. 15 giebet, und wie wir
weiter unten ausführlicher vortragen werden, gehet;
- hernach aber können diese
Worte
auch die vornehmste
Eigenschafft
einer wahrhafften und würcklichen
Sache,
wodurch sie von allen andern unterschieden wird, anzeigen.
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Denn es ist bekannt, wie die Scholasticker den conceptum eintheilen |
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- in formalem, welches die Vorstellung selbst von einer
Sache
im
Verstande
sey;
- und in objectivum, so die
Sache davon sich der
Verstand einen
Begriff mache;
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und anbey das
Wort primum, auch sonst so
genommen werde, daß es so viel, als das vornehmste, wie bey den
Alten die Metaphysick, prima philosophia, das ist, die edelste
Disciplin der
Philosophie, weil sie von
GOtt handelte, hiesse.
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In den Metaphysischen
Büchern werden von der Essentz allerhand Canones
angeführet, als
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1) |
essentiae rerum sunt aeternae, daß die
Wesen der
Dinge
ewig seyn, welches soviel heissen soll, daß das Wesen einer
Sache
unveränderlich, so auch nicht anders seyn kan, und halten wir dafür, daß
die Frage: Ob
GOtt der HErr die Essentzen der Dinge verändern könnte?
nichts nutze sey. Denn soviel ist ja gewiß, daß das Wesen einer jeden
Sache, wie es GOtt bey der
Schöpffung geordnet hat, nach seiner
unermeßlichen Weisheit ist vorher von ihm
erkannt worden, wie es hat
werden sollen, welche Vorstellung
wahrhafftig und
vollkommen gewesen;
wolte er nun die Essentzen der Dinge ändern, so bliebe es ja die Sache
nicht mehr, die sie erst gewesen, auf welche Weise diese
Regel ihren
Grund
hat. |
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Aristoteles hat sonst die
Essentzen der
Dinge
auch für ewig gehalten; allein in |
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{Sp. 743|S. 387} |
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einem solchen
Sinn, der weder mit der
Gottesfurcht, noch
Wahrheit bestehen kan. Denn bey ihm war das Wesen die
Materie und die
Form;
Die Form hielt er für
GOtt, folglich war die Materie gleich ewig mit ihm |
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2) |
essentia non recipit magis et minus, das
ist, wenn das Wesen einer
Sache
bestehen soll, so muß weder was hinzu, noch davon kommen, weil sonst die
Würckungen,
die aus dem Wesen fliessen, würden verhindert werden, daß man folglich
nicht wissen könnte; ob es diese, oder jene Sache sey. In zufälligen
Eigenschafften aber hat das Gegentheil statt, da z.E. Sempronius
gelehrter aber nicht so schön, als Titius ist, und demnach bleibet einer
so gut ein
Mensch,
als der andere. |
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3) |
Sexus essentiam non mutat, d.i. der
Unterscheid im
Geschlecht macht keinen Unterscheid im Wesen, und ist
also eine
Frau eben so gut ein
Mensch,
wie der
Mann, |
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anderer
Regeln zu geschweigen.
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Clauberg in ontosophia p. 292
opp. phil. und Clericus in ontolog. cap. 4 §. 3.
u.ff. ¶ |
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Diese
Materie aber an sich selbst betrachtet, so erweget ein
Philosoph
die Essentz auf eine gedoppelte Art:
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- einmahl in Abstracto an und vor sich, welche die metaphysische
Betrachtung ist;
- hernach im Concreto in Ansehung gewisser
Sachen,
deren Wesen man insonderheit untersuchet.
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Die metaphysische Essentz ist eine solche
Eigenschafft,
die von einer
Sache
mit einer Gewißheit kan
gesaget werden, ohne welche sie diejenige nicht bliebe,
die sie seyn solte, und also hat man einen Unterscheid unter der Substantz und
der Essentz zu machen, welche die Alten, auch viele neuern vermischet, (siehe
Substantz, im XL Bande, p. 1583 u.ff.) Denn
die Substantz ist die im verborgen liegende
Ursache,
welche die Eigenschafften einer Sache würcket, die entweder zu ihrem Wesen
gehören; oder nur zufällig sind, und solche
empfinden wir
unmittelbar, die
Idee
aber derer Substantz begreiffen wir nur vermittelst dieser Eigenschafften.
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Daß also ein
Mensch
lebet und
vernünfftig
ist,
empfinden wir
unmittelbar aus seinen Verrichtungen; was aber die
Ursache,
woher solches komme? solches können wir sogleich nicht begreiffen, und wie das
erstere zur Essentz gehöret, also geht das letzte die
Substantz an.
GOtt ist Urheber der Wesen aller
Dinge,
so daß das Wesen der natürlichen Dinge eigentlich von seinem
Verstand, der
moralischen aber von seinem
Willen
dependiret. Denn wie sich GOtt fürsetzte, die
Welt
zu erschaffen; so hatte er in seinem Verstand die
Ideen aller Dinge, wie sie
musten beschaffen seyn, welche
Ideen wahr und zudem vorgesetzten
Zweck
hinreichend waren, daß nachdem er in der Zeit seinen Schluß zu
Stande bringen,
und die Welt erschaffen wolte, er nothwendig nach diesen Ideen, nach
vorhergegangenem Schluß des Willens, alles erschaffen muste, auf welche Weise
man auf gewisse masse
sagen kan, daß GOtt sowohl causa libera, als
necessaria der Wesen der Dinge sey, und zwar das erste, daß er die Sachen
erschaffen; das andere aber, daß er die Geschöpffe nach den Ideen, die er
gehabt, formiren müssen.
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Man kan auch den bekannten
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{Sp. 744} |
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Canonem; Essentiae rerum sunt aeternae in dem
Verstand behaupten, daß sie in Ansehung des
göttlichen
Verstands und deren Vorstellungen in demselben ewig gewesen, woraus auch
fliesset, daß sie unveränderlich, keinen Zusatz, noch Abgang haben, wovon
ausführlich Buddeus in observat. in elementa philosoph. instrument. p. 496 u.ff.
handelt. |
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Betrachtet man aber die Wesen der
Dinge
im Concreto, so theilet man selbige insgemein in natürliche,
moralische und
künstliche, von deren Wesen insgesammt
GOtt eigentlich Urheber. Denn wie solches von den beyden
erstern klar, indem das moralische Wesen auf das
Gesetz
beruhet, so seinen
Ursprung von GOtt hat; also sind die
Menschen
bey allen ihren Erfindungen nur Affen der
Natur,
und suchen ihre
Gedancken
nach den Erfindungen GOttes einzurichten. |
Walchs Philosoph. Lex. p. 841 u.ff.
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Nothwendigkeit des Wesens der Dinge. ¶ |
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Das
Wort:
Nothwendigkeit,
wird zwar in vielerley
Verstande genommen; doch sind fürnemlich zwo Bedeutungen
wohl zu unterscheiden. |
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Es ist erstlich eine
Nothwendigkeit und Zufälligkeit in unserer
Erkänntnis,
welche man necessitatem praedicationis und consecutionis nennet, da wir nemlich
einige Propositionen und
Schlüsse unsers
Verstandes vor nothwendige Wahrheiten
erkennen müssen, einige vor nicht nothwendige, dahero die Lehre von den
Modal-Propositionen und
Schlüssen entspringet. |
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Es ist zum andern eine
Nothwendigkeit
der
Dinge
selbst, in Ansehung ihrer
Existentz
ausser dem
Verstande. |
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Zu jener
Art der Logicalischen Nothwendigkeit gehöret sonder Zweiffel auch die
so genannte Nothwendigkeit des Wesens der Dinge, d.i. der
allgemeinen
Ideen, die unser
Verstand
von den
Dingen abstrahiret: da nemlich die allgemeinen Logicalischen Abstracte,
wie man das Wesen eines Dinges in Logicalischem Verstande nennet, allen
individuis desselben, die da gewesen sind, jetzo sind, und noch seyn werden,
nothwendig oder gewiß zukommen müssen, wenn auch die
Welt so, wie sie ist, ewig
gewähret hätte, und noch wären solte; In dessen Betrachtung die Scholasticker
das Wesen der Dinge ewig und unveränderlich, und die dahin gehörige Wahrheiten
ewige Wahrheiten genennet. |
Müllers Einleitung in die Philosophische
Wissenschafften, II Th. p. 172. ¶ |
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Endlichkeit des Wesens der Dinge. ¶ |
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Alle zufällige Dinge sind in Ansehung ihres Wesens endliche Dinge. Denn
verstehen wir unter dem Wesen der
Dinge
das reale Wesen der Dinge, d.i. dasjenige, was würcklich in den Dingen
existiret, wodurch wir eines von dem andern unterscheiden; so ist alles, was in
einem Dinge würcklich existiret, zugleich mit demselben ein
Effect,
und also nicht von sich selber, folglich ein zufälliges Ding. Es hat also einen
Anfang seiner
Würcklichkeit,
und ist, weil es von den würckenden Kräfften seiner
Grund-Ursachen dependiret; seiner
Natur
nach eines Endes derselben fähig. |
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Aus eben diesem
Grunde,
weil nemlich das reale Wesen aller zufälligen Dinge nicht von ihnen selbst, son- |
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{Sp. 745|S. 388} |
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dern von ihren
Grund-Ursachen dependiret, sind alle zufällige Dinge auch in so weit von
umgrentztem Wesen, und also endliche Dinge, daß sie so viele, und nicht mehrere
Realität oder Wesen haben können, als sie von ihren Grund-Ursachen überkommen:
in dessen Betrachtung ihr Wesen in andern, in mehrern, in wenigern, in
stärckern, in schwächern
Kräfften
oder
Eigenschafften
bestehen könnte, wenn solches ihre Grund-Ursachen also mit sich brächten;
inmassen ein
Effect,
indem er hervorgebracht wird, durch die Kräffte seiner Grund-Ursachen sich muß
determiniren lassen, und dasjenige in seinem Wesen nicht haben kan, was seine
Grund-Ursachen in ihm nicht hervorbringen: Also ist auch das reale Wesen der
zufälligen Dinge mit Nichtigkeit umgrentzet und folglich endlich. |
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Verstehen wir aber unter dem Wesen der
Dinge
die allgemeinen
Ideen, die der menschliche
Verstand
von den Ideen der individuorum, oder eintzelnen Dinge abstrahiret, und
sich dieselben, ohne ihre Reale
Existentz
in den individuis, überhaupt als nur möglich vorstellet, so ist zu
erwegen, daß solche Abstraction eine
Würckung
des menschlichen Verstandes sey, welche in der That allezeit endlich ist, und
ihre Grentzen hat. |
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Denn obgleich zuweilen unser
Verstand
in der Möglichkeit zu abstrahiren, und eines zu dem andern hinzu zuthun, keine
Grentzen finden kan; dahin z.E. die von den Mathematicis behauptete Möglichkeit
der Theilung einer Grösse in infinitum, ingleichen die Möglichkeit der
Vermehrung derselben in infinitum gehöret, welches man das
infinitum potentiale, daß dem reali entgegen gesetzet ist, nennet;
so erhellet doch eben hieraus, daß ein solches
Ding,
oder vielmehr ein solches Abstractum des Verstandes, von dem allezeit
und ohne Ende noch etwas abgetrennet, oder dem allezeit und ohne Ende noch etwas
zugesetzet werden kan, in der That allezeit ein endliches Ding bleibe, der
menschliche Verstand mag auch hinzu oder davon thun, was und wieviel er nur
immer wolle; eben weil, wie wir setzeten, diese Hinzusetzung und Trennung
niemahls in der That so weit getrieben werden kan, daß es dem menschlichen
Gemüthe, nach seiner
Freyheit,
nicht noch weiter möglich seyn solte. |
Müllers Einleitung in die philosophischen
Wissenschafften Th. II, p. 210 u.f. ¶ |
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Vorhergehung des Wesens der Dinge von dem Willen GOttes.
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Daß die Scholasticker davor gehalten, daß das Wesen der
Dinge,
und das in demselben gegründete
natürliche Recht und Unrecht, auch selbst vor dem
Willen
GOttes als ein ewiges
Gesetze
vorhergehe; indem
GOtt ein freyer Schöpffer aller Dinge nur in Ansehung ihrer
Existentz,
nicht aber auch ihres Wesens, und also auch nicht ein freyer Urheber des in dem
Wesen der Dinge gegründeten
Rechts
oder Unrechts sey; ist ein altes Vorurtheil, das aus den grundlosen Lehren der
Heyden von dem fato, und von einem, Gotte gleichewigen, unerschaffenen
principio, durch welches die
Formen der Dinge determiniret würden, und über
dessen determinirte Möglichkeiten auch GOtt |
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{Sp. 746} |
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selbst nichts vermöge, seinen
Ursprung zu haben scheinet; welches zu bemänteln,
und den Schandfleck seines
Ursprungs zu dißimuliren, die Scholasticker sich zwar
sehr, aber vergeblich, bemühet haben. |
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Es ist wohl an dem, daß, was natürlicherweise recht oder unrecht ist, in dem
Wesen der
Dinge
selbst, nemlich in dem Wesen der
Vernunfft und ihrer Objecte, gegründet ist, allein es ist
auch gewiß, daß, da
GOtt ein freyer Urheber und Schöpffer der Vernunfft und
aller Dinge; Die
Schöpffung aber ein freyer
Wille
GOttes ist; das Wesen der Dinge, und das aus demselben natürlicher Weise
fliessende
Recht
und Unrecht dem freyen Willen GOttes nicht entgegen gesetzet, sondern als ein
freywillig hervorgebrachter
Effect
subordiniret werden müsse; und man also nicht
sagen könne, daß das Wesen der
Dinge, nebst dem darinnen gegründeten Recht oder Unrecht, vor dem Schöpffer der
Dinge, d.i. der Effect vor seiner
causa, sich antecedenter oder als vorhergehend verhalte. |
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Es würden auch solches die Scholasticker nicht gesaget haben, wenn sie nicht den
heydnischen
principiis ihres Aristotelis allzustrenge angehangen,
welcher die
Materie vor ein
Gotte gleichewiges und von ihm gäntzlich independentes
Ding
hielt, ex cujus potentia formae tanquam essentiae rerum educantur: Deme zu Folge
sie freylich
sagen musten, daß das Wesen der Dinge schon von Ewigkeit, und
antecedenter ad voluntatem Dei in der potentia der Materie der Möglichkeit nach,
determiniret sey, und es also nicht schlechterdings bey der göttl. Freyheit
gestanden, was vor Wesen die aus der Materie hervorzubringenden Dinge haben
solten. |
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Die neuern Vertheydiger der Vorhergehung des Wesens der
Dinge
vor dem
Willen GOttes, leiten zwar dieselbe nicht mehr aus diesen heydnischen
Vorurtheilen her, durch welche die Alten verleitet worden, sie zu behaupten;
sondern sie
sagen, daß das Wesen oder die Möglichkeit der Dinge von den
göttlichen Verstande, und nur die
Existentz oder die
Würcklichkeit
derselben von den göttlichen Willen dependire; und daß also, weil der göttliche
Verstand vor dem göttlichen Willen sich als vorhergehend verhalte, folglich auch
das Wesen oder die Möglichkeit der Dinge sich als vor dem göttlichen Willen
vorhergehend verhalte; Dahero sey das Wesen der Dinge ewig, weil es in dem
göttlichen Verstande von Ewigkeit vorhanden, und würcklich zugegen gewesen, und
nur die Existentz derselben, als die von dem göttlichen Willen dependire,
zeitlich. |
Wolff, vernünfft. Gedanck. von GOtt, §. 975.
988. u.f. 994. |
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Allein, an dieser
Gedancke
finden sich zweyerley auszusetzen; |
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- erstlich die Trennung des Wesens der
Dinge
von ihrer
Existentz, als ob nemlich beyde zwey unterschiedene Dinge auch ausser
dem menschlichen
Verstande, der sie von einander abstrahiret, wären; immassen
daß eine einen andern
Ursprung haben soll, als das andere:
- Zum andern der
unrichtige
Begriff des
Verstandes und
Willens
GOttes, als ob nemlich auch diese
zwey unterschiedene Dinge in dem göttlichen Wesen selbst wären, und der
göttliche Verstand etwas, (nemlich das Wesen der Din-
{Sp. 747|S. 389}
ge) würcke, wozu der göttliche Wille nichts vermöge, als welcher auf den
göttlichen Verstand dergestalt erst folge und von demselben dependire, daß,
ehe der Wille GOttes einen Rathschluß, etwas zur Existentz zu bringen,
fassen könne, der Verstand GOttes erst
erkennen müsse, ob und wie es möglich
sey; welches doch gar sehr nach dem anthropomorphismo schmecket.
Denn der menschliche
Wille, wenn er sich, etwas zu
Wercke zu richten,
determiniren soll, erfordert zwar ein Object, dessen Möglichkeit schon
ausser ihm in der
Natur
der
Dinge
präexistire, welche Möglichkeit von den schon existirenden Dingen zu
abstrahiren und vorher zu erkennen, ihm eben ein Verstand zugesellet und
vorgesetzet ist.
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Und in den menschlichen
Wercken, also ist
es wahr, daß eine ausser dem
Willen in der
Natur vorher gegründete Möglichkeit schon da
seyn müsse, ehe sie der menschliche Wille zur
Würcklichkeit bringen könne:
dieweil freylich der
Mensch ein Object seiner Wercke haben muß, und sie nicht
aus nichts erschaffen kan. Allein
GOtt, als der Schöpffer der
Dinge, findet
nicht etwa schon das mögliche, sondern er machet möglich und zu einem Dinge, was
vorher noch gar nichts oder ein Unding, und also auch noch keine Möglichkeit
war: Denn er erschaffet die
Welt aus nichts. Also da vor der
Schöpffung ausser
GOtt gar nichts war: und also auch nicht die Möglichkeiten oder species in
abstracto der Dinge, die nun sind; Denn diese hat nachhero erst der menschliche
Verstand von den würcklich existirenden Dingen oder
individuis in
Gedancken
abstrahiret; (und wer wolte
sagen, daß auch GOtt selbst, indem er habe
erschaffen wollen, sich erst ich weiß nicht von was vor concretis die
species
oder generalen Möglichkeiten der Dinge abstrahiret habe:) so muß GOtt alles, was
möglich ist, allererst möglich gemachet haben. |
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Und weil, etwas machen, eine
That oder
Würckung;
GOtt aber in allen seinen Thaten oder Würckungen
frey,
(gleichwie hingegen der
Mensch
in den seinigen zum Theil umschräncket, und an die Möglichkeiten der
Natur
gebunden ist;) und das freye
Thun oder Würcken GOttes wir uns als einen
Willen
GOttes vorstellen; so muß der Wille GOttes der Brunnquell nicht allein der
Würcklichkeit, sondern auch der Möglichkeiten, oder
specierum in abstracto, die
wir Menschen uns nachhero von den würcklichen Dingen abstrahiren, seyn. Und
also, da nach der Red-Art der Scholasticker die von der Würcklichkeit der Dinge
abstrahirte Möglichkeit derselben das Wesen der Dinge heisset: so ist der Wille
GOttes auch der
Grund des Wesens der Dinge. |
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Gesetzt demnach, daß ein Heyde, den die
Schöpffung aller
Dinge
aus nichts unbekannt war, und der also die Ewigkeit der
Welt
behaupten muste, nach diesem seinen Vorurtheile nur die
Existentz
derer individuorum vor zeitlich, das Wesen aber in abstracto
der Dinge vor ewig halten muste: so siehet man doch nicht, wie einer, der
obgedachte heydnische
principia verwirfft, die conclusiones
derselben beybehalten, und also die Schöpffung aller Dinge aus nichts, und doch
zugleich die ewige Präexistentz |
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{Sp. 748} |
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des Wesens der Dinge vor der Schöpffung, und folglich vor dem
Willen
GOttes, ohne Wiederspruch behaupten könne. |
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Wenn die innerliche Nothwendigkeit des
natürlichen Rechts oder Unrechts nur hypothetice oder
Bedingungsweise behauptet würde, also nemlich, daß gesetzt, daß
GOtt das menschliche vernünfftige Wesen, und das Wesen der
andern
Dinge,
so, wie es ist, würcklich hergestellet, gewisse menschliche
Thaten durch eine
innerliche, in dem Wesen menschlicher Thaten selbst gegründete
Nothwendigkeit
recht oder unrecht seyn müssen; so hätte wohl niemand
Ursache
das geringste darwider einzuwenden: immassen man eine innerliche natürliche
Nothwendigkeit, die nicht ein vor
GOttes
Willen vorhergehendes, sondern ein von GOtt erschaffenes, und also von
GOttes Willen dependirendes Wesen der Dinge zum Grunde hat, selbst behauptet. |
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Denn da
GOtt diese
Natur
der
Dinge,
und in derselben die menschliche, nach seinem
Willen nun einmahl hergestellet: so ist freylich nicht möglich, daß er
zugleich etwas derselben widersprechendes wollen könne. Und so weit kan man
allerdings mit Grotio L. I, c. 1. §. 10.
sagen: Quod actus jure naturali
praecepti aut prohibiti sint debiti aut illiciti per se, atque ideo a Deo
necessario praecepti aut vetiti intelligantur: quodque jus naturale adeo
immutabile sit, ut ne a Deo quidem mutari queat. |
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Denn daß Grotius allhier nicht eine absolute
Nothwendigkeit
verstanden, sondern eine hypothetische; die die Bedingung, daß
GOtt
Vernunfft und
Natur
so, wie sie ist, erschaffen, voraussetzet, ist aus seiner
unmittelbar vor dem
angeführten Satze vorhergehenden Definition des
natürlichen Rechts, aus welcher er solchen Satz schliesset, gar deutlich zu
erkennen; Jus naturale est dictamen rectae rationis, indicans, actui alicui,
ex ejus convenientia aut disconvenientia cum ipsa natura rationali, inesse
moralem turpitudinem aut necessitatem moralem, ac consequenter ab autore naturae
Deo talem actum aut vetati praecipi. |
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Wenn demnach gefraget wird, warum eine menschliche
That vor an sich selbst recht
oder unrecht zu halten sey? so ist nach dieser Definition des Grotii
zu antworten; weil sie mit dem Wesen des
Menschen,
als einer vernünfftigen Creatur, übereinkommet, oder ihm zuwider ist. Wenn man
ferner nach dem
Ursprunge dieser vernünfftigen Natur des Menschen zu fragen
fortfähret: so antwortet Grotius, sie sey, und mit ihr alles aus ihr folgende
Recht
und Unrecht, ab autore naturae Deo. |
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Will man noch weiter ausgrübeln, warum doch
Gott diese Creatur, die wir nun, da sie da ist, einen
Menschen
nennen,
vernünfftig
oder zu einem Menschen erschaffen; so antwortet der Scholasticker wie er es aus
den Heydnischen
principiis seines Aristotelis gelernet; weil das Wesen
der
Dinge,
und also auch, das vernünfftige Wesen des Menschen, ewig ist, und also Gott das
Wesen des Menschen nicht anders, als wie es schon vorher von Ewigkeit
antecedenter ad voluntatem Dei gewesen, zur
Existentz
in den individuis der
Welt
hat bringen |
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{Sp. 749|S. 390} |
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können: und daraus schließt er, daß also, was in den menschlichen
Thaten recht
oder unrecht ist, nicht durch
GOttes
Willen, sondern antecedenter ad voluntatem Dei recht oder unrecht
sey. |
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Wir aber
sagen, daß, weil der Wille, d.i. die freye
That GOttes, durch welche er
alle
Dinge,
und unter denselben die menschliche
Vernunfft selbst, erschaffen, das schlechterdings erste
Principium aller Dinge ist, also unsere Vernunfft über
GOtt, als den Schöpffer aller Dinge, nicht weiter hinaus
könne; und daß also Leute, denen GOttes Wille oder die
Schöpffung, noch nicht ein gnugsam erster
Grund
aller Dinge zu seyn bedüncket, in einer Stunde mehr fragen können, als von ihnen
selbst und von andern jemahls mit Grunde kan beantwortet werden. |
Müllers Einleitung in die Philosophischen
Wissenschafften, Th. II, p. 346. u.ff. ¶ |
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