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Zedler: Disputir-Kunst [2] HIS-Data
5028-7-1058-8-02
Titel: Disputir-Kunst [2]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 7 Sp. 1065
Jahr: 1734
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 7 S. 558
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Stichworte Text   Quellenangaben
Gegenstände Bey dem disputiren, entstehet die Frage, von was vor Materien disputiret werden soll? Ein vernünfftiger Mensch beobachtet in Erwählung der Materie die Regeln der Gerechtigkeit und der Klugheit, und untersuchet solche Sätze, deren Beurtheilung nöthig und nützlich ist. Der Nutzen muß aber nicht nur nach der Materie selbst abgemessen werden, sondern man muß die Umstände derer Person, zu deren Vortheile dieselbe untersuchet wird, ingleichen die Umstände der Zeit und des Ortes in genaue Betrachtung ziehen.  
  Eine Wahrheit ist an und vor sich selbst, und nach der Göttlichen Absicht ein Gut: Wenn dieselbe nichts nützet, oder wohl gar schadet, so geschicht solches zufälliger Weise: nichts desto weniger kan doch eine Wahrheit nützlicher und nöthiger seyn als die andere; deswegen lehret uns die Klugheit die beste nach denen Umständen derer Sachen zu erwählen. Auf der Cantzel sich mit denen Marcioniten, Serdonianern, Donatisten, Valentinianern und dergleichen, zu zancken, oder die Streitigkeiten der Constitutionisten in Franckreich vorzunehmen, ist wieder die Absicht, warum ein Prediger dieselbe betritt. Dergleichen Dinge gehören auf die Catheder, dieses ist der Ort, wo dieselben können untersuchet werden, und man seine weitläufftige Gelehrsamkeit zu zeigen, Ursache und Gelegenheit hat.  
  Will man gefährlich scheinende Meynungen, oder doch etwas neues hervorbringen, so muß man sehr behutsam gehen, und iederzeit wohl erwägen, ob die Erkenntniß des Satzes nicht schädlicher sey, als die ausgemachte Wahrheit des Gegensatzes. Die Klugheit befiehlet uns offtermahls denen Vorurtheilen anderer nachzugeben:  
  {Sp. 1066}  
  Wenn aber die Gerechtigkeit die Ausführung einer Sache anbefiehlet, so müssen wir uns in Vertheidigung der Wahrheit nichts hindern lassen.  
  Mit nichts-würdigen Dingen, welche zwar an und vor sich selbst nicht schädlich sind, müssen wir die Zeit nicht verderben: dahin gehören diejenigen Fragen, welche, nächst diesen, daß sie keinen Nutzen haben, auch nicht einmahl können recht ausgeführet werden. Dergleichen sind es, wenn man fragt, was Adam vor eine Gestalt gehabt, als er erschaffen worden? Womit Cain den Abel umgebracht? An welchem Tage die Maria gebohren? Was vor ein Stern denen Weisen im Morgenlande erschienen? Wer diese Weisen selbst gewesen? Wie viel Kinder Herodes umgebracht? An was vor einer Säule Christus gegeisselt worden? Ob die Jungfrau Maria sich einer Kinder-Mutter bedienet? An welchem Tag die Engel erschaffen worden? Aus was vor einer Materie die Krippe Christi gewesen? u.d.m. Fabr. Disp. de moderat. Theol.
  Die Scholastici haben sonderlich in dergleichen Dingen ihre Stärcke gesuchet. Tribechouius de Doct. Scholast. 7.
  Manche Materien können zwar wohl ausgemacht werden, sie sind aber nicht der Mühe werth, ein weitläufftiges Gezäncke darüber anzufangen. Von diesen finden wir die Exempel in  
 
  • Werenfels Dissert. de Logomach. Erudit.
  • Menckens Declam. de Charlatanneria Eruditorum.
  • Miscellan. Lips.
 
  Doch muß man eine Sache nicht vor geringer ansehen, als wie sie selbst ist, wie solches von denen Syncretisten bey verschiedenen Glaubens-Lehren geschiehet, und die Emendatio Textus, da doch öffters sehr viel dran gelegen ist, so wohl von denen Theologis als Juristen allzugeringe geachtet wird.  
  Daß man auch über Theologische Materien disputiren müsse, ist daher zu erweisen: Der Grund der Theologie, welches das geoffenbahrte Wort GOttes ist, ist zwar ausser allen Streit gesetzet, nicht aber alle Lehren derer Theologorum stimmen mit diesem Grunde überein; und deßwegen muß der Zusammenhang der Sätze mit ihrem Grunde untersucht und disputiret werden. Das Exempel Paulli kan uns in diesem Falle zur Richtschnur dienen,  
  2. Tim. 2, 25.
 
  • und an den Titum schreibt er: man müsse ihnen das Maul stopffen
c. 1. 8. 10.
  Christus selbst hat sich auch offtermahls mit denen Pharisäern in einen Streit eingelassen. Paullus hat sonst mit vielerley Leuten gestritten:  
 
  • Mit denen unbekehrten Heyden,
  • Act. 14, 17.
  • Eph. 2, 1.
  • 1. Thess. 1,9. 10.
 
  • mit denen unbekehrten Jüden,
Act. 2. et 3.
 
  • mit denen bekehreten Jüden, wie das Mosaische Gesetze mit dem Christlichen Glauben zu verbinden sey,
  • und endlich mit denen Ketzern als dem Hymenaeo und Phileto über die Auferstehung derer Todten
2 Tim. 2,17. 18.
  Es sind unterschiedene gewesen, welche alle Streitigkeiten in Religions-Sachen haben wollen abgeschafft wissen, einige haben solches aus guter Absicht gethan, indem sie die Einigkeit des Glaubens dadurch haben befördern wollen: Es ist aber diese Einigkeit des Glaubens jederzeit nur ein pium desiderium gewesen, und wird auch, so lange als die Menschen unvollkommen bleiben, nichts anders werden. Sie vermeynen, daß ein frommes Leben bey denen Streitigkeiten nicht bestehen könne, da doch dasselbe, ohne eine reine Lehre vorauszusehen, nicht seyn kan; und eine gründliche Untersuchung der Wahrheit mit einem verbitterten Gezäncke nicht muß vermi-  
  {Sp. 1067|S. 559}  
  schet werden. Andere, welche die Religionen zu vereinen gesucht, haben durch die Abschaffung des Disputirens die Uneinigkeit heben wollen. Wo aber ein wahrer Wiederspruch, wie denn solcher bey denen Religionen ist, gefunden wird, kan unmöglich eine Vereinigung getroffen werden, wo nicht derselbe erstlich gehoben ist.  
  Mahomed hat in seinem Alcoran denen Türcken das disputiren mit Jüden und Christen verboten. Die Türcken führen hievon diese Ursache an: Sie hätten mit denen Jüden und Christen einerley GOTT, die Bücher der Heiligen Schrifft wären unter ihnen gemein, alle suchten fromm zu leben, also hätte ein jedes Volck eine gute Religion, weswegen man es bey derselben lassen müsse. Maraccius aber führet andere Ursachen des Mahomed an. Er habe nemlich gesucht, seine bösen Meynungen desto eher zu verstecken, welche bey der Untersuchung derer Streitigkeiten leichter hätten können entdecket werden. Noch andere halten es vor einen Politischen Kunst-Griff, das Volck in einem blinden Gehorsam zu erhalten Buddeus de Conc. Relig. Christ.
  Ein Regente kan zwar wohl dem disputiren Grentzen setzen, und denen unvernünfftigen Einhalt thun: alle Untersuchung der Wahrheit aber schlechterdings zu verbieten, heist grausam verfahren, und dem Verstande Gesetze vorschreiben, welches unmöglich ist. Müller Metaph. … und im Recht der Natur …
Geschichte Von der Historie der Disputir-Kunst haben wir noch dieses anzumercken: der Ursprung derselben muß bey denen alten Griechischen Philosophis gesucht werden. Diese brachten zuerst die künstliche Logica an das Licht, zu welcher diese Lehre eigentlich gehöret. Die Subtilitaeten-Krämer machten hierbey viel Sophistereyen, man verliesse das innerliche Wesen derer Schlüsse, und bande sich an die äusserliche Form dererselben, daher es denn freylich elend mit der Disputir-Kunst aussahe, und lauter Ketzer-Kriege entstunden.  
  Zeno ein Welt-Weiser der Eliatischen Schule, soll der Urheber der Zanck-Logic gewesen seyn. Protagoras hat Artem Contentionis geschrieben. Die Megarischen Philosophi wurden eristici oder die Zäncker genennet. Von dem Menedemo, dem Stiffter der Eretrischen Schule giebt man für, daß er sich für allzugrossen Eiffer im disputiren offt verfärbt habe. Die unterschiedenen Arten ihrer Sophistereyen hat Walch in der Historia Logices erläutert.
  Die Stoici hatten eine doppelte Weise zu disputiren: Eine eigne, welche in lauter Spitzfindigkeiten bestunde, und eine gemeine, welche auf eine freye Unterredung und auf Frage und Antwort ankame.  
  Wir finden aber sonderlich fünfferley von disputiren:  
  die erstere geschiehet durch Frage und Antwort, welches die älteste gewesen ist, wie wir solches bey dem Titel Dialogus angemercket haben. Die Scribenten der Philosophischen Historie sind zwar nicht einig, wen sie zu dem Urheber dieser Methode machen sollen: bald wird dieselbe dem Aleximeni Tejo, bald dem Zenoni, bald dem Socrati, bald dem Platoni, und endlich dem Pythagorae zugeschrieben. Nichts destoweniger erhellet aus denen Schrifften des Platonis und des Xenophonis, welche er von denen Lehren des Socratis zurücke gelassen, daß es eine der ältesten Arten des Vortrags gewesen sey.  
  {Sp. 1068}  
  Gleichfalls können diese unterschiedene Meynungen auf gewisse Weise vereiniget werden, und also beysammen stehen bleiben. Denn obgleich Phauorinus, daß Plato die Dialogos und die analytische Methode zuerst erfunden habe, behaupten will, so wird doch dieses von dem Athenaeogeläugnet, doch so, daß man hiebey dem Platoni die Ehre der Ausbesserung, welche gar leichte mit der Erfindung kan verwechselt werden, zuzuschreiben Ursache findet. Diogenes Laërtius
  Diese Art zu Disputiren wurde auch Methodus Socratica genennett, womit es aber diese Bewandniß hat: Die Sophisten bedienten sich dieser Methode, um andere zu fangen, Socrates aber gebrauchte sich desselben wieder sie, da denn durch den vielfältigen Gebrauch dieselbe die Socratische Methode genennet wurde, sie wurde aber von dem Socrate auf einen gantz andern Fuß gesetzet.  
  Gellius Noct. … schreibet dieses von denen Dialecticis: Legem este [20 Zeilen lateinischer Text].  
  Menedemus sagte gleichfalls denen Dialecticis zum Tort von diesen Dingen [ein Satz griechisch]. Ridiculum est, vestras leges sequi, cum liceat in portis reluctari.  
  Die Dialectici konnten nun freylich auf diese Weise die andern dahin bringen, daß sie die allerungereimtesten Dinge einräumen musten. Dahero denn Socrates diese Art veränderte, und das Gesetze von der genauen Antwort aufhub, wodurch aber diese Methode weitläufftig und unbequem wird. Dieser Unbequemlichkeit ungeachtet, sind noch einige, welche dieselbige der syllogischen Art zu disputiren vorziehen wollen, worunter sich auch Thomasius in der Ausübung der Vernunfft-Lehre … befindet, hieher gehöret auch Clericus in Log. … siehe den Artickel Dialogus.  
  Der andre Modus Disputandi ist der Modus Megaricus gewesen. Euclides, der Stiffter der Megarischen Secte, soll hiervon der Auctor seyn. Diogenes Laërtius schreibet also von ihnen: [ein Satz griechisch]. Vtebatur probationibus non his, quae per adsumptiones, sed quae per conclusiones fiunt. Welche Worte vom Walchen Hist. Log. … also erkläret werden: Euclides habe bey Widerlegung anderer  
  {Sp. 1069|S. 560}  
  ihnen keine Gründe entgegen gesetzet, sondern nur aus ihren Grund-Sätzen ungereimte Schlüsse gefolgert. M. Jo. Casp. Günther hat eine besondere Disputation de Methodo Disputandi Megarico, 1707 geschrieben, worinnen er diesen Punct weitläufftig untersucht. Gassendus de Orig. et Variet. Log.
  Diogenes Cynicus hatte diese dritte Art zu disputiren. Er führte seinen Gegner auf die unmittelbare Erfindung, und überzeugte sie dahero ihres Irrthums. Er disputirte also nicht durch Vernunfft-Schlüsse, sondern durch die That selbst. Als ihn einer fragte, ob ein Motus wäre? so stund er auf, und gieng hin und her. Diogenes Laërtius
  Wir wissen nicht, ob wir dieses zu einer sonderbaren Art der Disputir-Kunst derer Alten machen sollen. Walch Lex. Philos. … aber hat solches gethan, weßwegen wir sie hier auch mit einführen wollen. Er setzt noch diese Anmerckung hinzu, daß solches nur bey Sätzen, die unmittelbar in die Sinne fallen, und gegen solche Leute, die die Unbetrüglichkeit derer Sinne nicht läugnen, könnte gebrauchet werden, welches auch leichte zu begreiffen ist.  
  Die vierte Art zu disputiren ist der Syllogismus. Es ist dieselbige in denen neuern Zeiten am gebräuchlichsten gewesen, und bedienet man sich desselben sonderlich in dem mündlichen disputiren. Einige wollen dem Aristoteli die Ehre der Erfindung des Syllogismi streitig machen, indem man bey dem Platone so wohl das Wort, als die Sache selbst finden will. Gleichwohl muß dem Aristoteli doch so viel zugeschrieben werden, daß er den meisten Fleiß auf diese Lehre gewendet.  
  Da der Syllogismus vermöge der in demselbigen gesetzten Propositionis minoris den Nexum zwischen den medium und minorem Terminum anzeiget, so hat derselbe seinen gar guten Nutzen. Thomasius hat aus Eiffer wieder die Aristotelischen Regeln der Vernunfft-Lehre denselben gäntzlich verworffen, man findet in der Ausübung der Vernunfft-Lehre … eine grosse Declamation wieder denselben. Ridiger in Sensu Veri et Falsi … folget ihm getreulich nach. Bey genauerer Überlegung aber wird man befinden, daß nur der Mißbrauch, nicht aber die Regeln selbst, nachdem sie so wohl durch Ridigern in Sens. Ver. et Fals. … als Müllern in der Vernunfft- Lehre 15. aus ihrem wahren Grunde hergeführet worden, zu verwerffen sind.  
  Die fünffte Art ist das Enthymema. Solches hat Ridiger an Statt des Syllogismi angepriesen, der Gebrauch ist ihm aber jederzeit noch zuwieder gewesen, und Müller l.c. … zeiget, wie viel Unrichtigkeiten aus der Verschreibung der minoris Propositionis flüssen können. Ist die minor propositio bekannt, so läst es freylich pedantisch, sonderlich in Schrifften, wenn man einen ordentlichen Syllogismum formiren wolte; das Enthymema kan hiebey gebrauchet werden, aber hieraus folget noch nicht, daß man sich der Beqvemlichkeit wegen nicht viel lieber des Syllogismi bedienen sollte.  
Literatur Sonst haben überhaupt von der Disputir- Kunst  
 
  • Schmid in Disput. de Processibus Vet. Disputandi.
  • Schneider in Dissert. de var. argumentandi method. vet. ac recent. Philos.
  • Neubauer in Dissert. de Jure Disputationum Halle 1731
 
  gehandelt.  
  Böhmer hat die Disputir-Kunst in besonderm Ab-  
  {Sp. 1070}  
  sehen auf die Rechts-Gelehrheit in succincta Manuductione ad methodum disputandi … abgehandelt.  
     

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Stand: 7. April 2013 © Hans-Walter Pries