Titel: |
Regeln (allgemeine) General- oder Universal-Regeln |
Quelle: |
Zedler Universal-Lexicon |
Band: |
30 Sp. 1727 |
Jahr: |
1741 |
Originaltext: |
Digitalisat BSB
Bd. 30 S. 873 |
Vorheriger Artikel: |
Regeln, Regulae |
Folgender Artikel: |
Regeln (Destillations-) |
Siehe auch: |
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Hinweise: |
- Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe
Hauptartikel
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Text |
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Regeln (allgemeine) General- oder Universal-Regeln,
Regulae generales oder
universales, heissen in denen
Rechten solche
Grund-Sätze oder allgemeine
Wahrheiten, welche einem jeden
Menschen
von Natur
schon nicht unbekannt sind, oder die ein jeder
vernünfftiger
Mensch, vermöge der ihm beywohnenden Urtheils-Krafft, gar leicht
erkennen und
einsehen kan. |
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Es ist nehmlich einem jeden
Menschen
von Natur
schon eingepflantzet, was insgemein zugelassen oder verboten, was
Recht oder
Unrecht sey, und ein jedweder ist im
Stande, die ihm, wie allen andern Menschen,
ohne Unterschied obliegenden Schuldigkeiten und
Lebens-Pflichten ohne einigen
Lehrmeister und von sich selbst, oder bloß durch seine gesunde
Vernunfft, zu ersehen, und so denn hieraus gantz un- |
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{Sp. 1728} |
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umstößliche und unwidersprechliche
Schlüsse zu ziehen, durch deren
würckliche Ausübung er nothwendig allezeit vermögend ist, so wohl |
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3) |
auch
GOtt ein vollkommenes Gnüge zu leisten. |
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Die ersten, oder die ihn selbst angehenden Regeln, sind zum Exempel |
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- ehrbar zu leben,
- sich und sein
Leben zu erhalten, und dieses ins
besondere muthwilliger Weise nicht zu verkürtzen, noch auch
sonst sich selber Schaden zu thun;
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die andern oder die den Nächsten betreffende sind: |
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- Einem ieden das Seinige zu lassen,
- niemanden an seinem Leibe oder Vermögen Schaden zu thun,
- einem jeden den ihm zugefügten Schaden zu ersetzen,
- gethane Zusage zu halten
- u.d.g.
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Die dritten endlich oder die auf
GOtt ihre Absicht haben, |
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- GOtt zu
ehren,
- ihm unterwürfig zu seyn und zu dienen,
- und s.w.
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Dieses alles sind so unstreitige Grund-Wahrheiten, und so allgemeine
Lebens-Regeln, daß solche schlechterdings kein eintziger
vernünfftiger
Mensch
läugnen, oder nur im Zweiffel zühen, noch auch mit gutem Gewissen sich entblöden
kan, die daher auf ihn zurücke fallenden Obliegenheiten gebührend zu befolgen.
Ja sie sind nicht allein der
Grund
der natürlichen
Billigkeit,
sondern auch so gar aller
bürgerlichen
Rechte und
Gesetze. |
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Nachdem aber der
menschliche Verstand, nach dem kläglichen
Sünden-Falle, dergestalt
verfinstert, daß die, aus denen angebohrnen und im ersten Anblick ersehenen
Gründen
(Principiis) flüssende Schluß-Sätze (Conclusiones) nicht
jedermann so fort bekannt sind; ja, in Formirung dererselben gar leicht ein
Irrthum begangen werden mag; nicht zu gedencken, daß der
Wille mehr zum
Bösen, als Guten geneigt, dahero der
Mensch
durch Belohnung zur Tugend anzufrischen, oder durch
Straffe
vom Bösen abzuschrecken; auch, daß im gemeinen Leben so viele unterschiedliche
Fälle sich begeben, so nicht von einem jeden, aus denen gemeinen eingepflantzten
Rechten,
erörtert werden können; |
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so ist es allerdings im
gemeinen Wesen
und wohlbestellten Policeyen höchst-nöthig, auch besser, daß, zur Erhaltung
guter Zucht und Erbarkeit,
Verwaltung
Rechts und Gerechtigkeit, die
hohe
Landes-Obrigkeit gewisse
Gesetze und
Ordnungen, ehe und bevor die Fälle sich
begeben, mache, als wenn man mit Setzung der
Straffe
oder mit der
Verordnung,
wie es in willkührlichen Sachen gehalten werden solle, es anstehen lasse, bis
die Fälle sich ereignen; |
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Weil, bey der ersten Art, alles mit Bedacht und reifem Rath
abgefasset wird; ferner sich niemand über die
Straffe,
welche er solcher gestalt schon gewust, zu beschweren hat, auch keine
Partheylichkeit, weil ein Gesetzgeber, bey Gebung der
Gesetze,
nur aufs zukünfftige, und also auf keine gewisse
Person,
seine Absicht hat, oder einige Ubereilung zu besorgen; |
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Da hingegen, bey der letztern Art, die
Urtheile, entweder
nach denen
Affecten des
Richters,
und also unrecht ausfallen, oder aber, weil auf diesen Fall eine ungemeine
Klugheit und Vorsicht erfordert wird, welche bey vielen nicht zu finden, und
solchemnach von ungeschickten Richtern alsdenn gar höchst ungereimte Urtheile
ausgesprochen werden dürfften. |
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Wiewohl einige meynen, |
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{Sp. 1729|S. 874} |
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daß eine
Republic
auch auf solche Art gar wohl bestehen könne. |
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Weil aber in solchen
Gesetzen
nicht alle und jede Fälle beschrieben werden können, und dieselbe nicht diesen
oder jenen Fall, so insonderheit sich zuträgt, verabschieden, sondern vielmehr
nur eine allgemeine
Regul und Richtschnur in sich begreiffen, nach welcher von
denen menschlichen Handlungen zu urtheilen; Als wird eine sonderliche
Wissenschafft erfordert, daß, bey vorfallenden unzählichen Umständen, die
Gesetze, auf unterschiedene Fälle, entweder durch eine Extension und
Ausbreitung, wenn nehmlich die
Meynung des Gesetzgebers, oder die Haupt-Ursache
des Gesetzes weiter gehet, als die
Worte des Gesetzes mit sich zu bringen
scheinen; oder durch eine Restriction und Einschränckung, wenn die Worte des
Gesetzes ein mehrers ausdrücken, als die Meynung des Gesetzgebers gewesen, oder
die Ursache des Gesetzes haben will, recht und wohl gefüget, und deutlich
ausgelegt werden, damit einem jeden
Recht wiederfahre, und niemanden zu viel
oder zu wenig geschehe, soll anders Recht, wie Recht, und nicht nach Bedüncken
gesprochen, oder
Gewalt gebrauchet werden. |
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Aus welchen vorstehenden
Gründen,
die
Nothwendigkeit
der Jurisprudentz und der Rechts-Lehre in einer
Republic,
leicht zu ermessen. |
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Siehe Rechtsgelehrsamkeit. |
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