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Zedler: Moralität HIS-Data
5028-21-1482-1
Titel: Moralität
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 21 Sp. 1482
Jahr: 1739
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 21 S. 766
Vorheriger Artikel: Moralisten-Bibliotheck (neueröfnete)
Folgender Artikel: Moralität (Objectivische)
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen, Bibel
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

  Text Quellenangaben
  Moralität, Moralitas, Moralitas actionis, bedeutet diejenige Beschaffenheit der menschlichen Handlungen, sofern sie gegen das Gesetz gehalten werden, und entweder gut oder böse sind.  
  Dasjenige was wir hier insonderheit zu untersuchen haben, ist der Grund und der Ursprung der Moralität, woher es komme, daß eine Handlung gut oder böse sey? Es ist dieses eine Frage, darüber auch zu denen neuern Zeiten gestritten worden, wenn man aber einen richtigen Schluß davon fällen will, ist nöthig, daß man vorher ausmache, worauf eigentlich der Streit ankomme.  
  Die Frage wird auf unterschiedene Art vorgetragen,  
 
  • num detur moralitas objectiva, d.i. ob es in der Sache der Handlungen zu suchen, daß selbige gut oder böse sey?
  • num actus quidam antecedenter, an consequenter ad legem seu voluntatem divinam boni vel mali sint? ob etliche Handlungen, ehe das Gesetz sey gewesen, gut oder böse wären, oder ob diese Moralität erst entstanden, nachdem das Gesetz gegeben worden?
  • num dentur actus per se turpes et honesti, obs an sich schändliche oder gute Handlungen gebe?
 
  Die Sache selbst kömmt darauf an: ob alle Moralität von dem göttlichen Gesetz, oder göttlichen Willen, welches eins ist, herrühre, daß wenn z.E. der Todschlag eine Sünde ist, der Grund davon sey, weil es Gott durch das Gesetz verboten, und nicht haben wollen, daß einer den andern todt schlüge; ob man nicht gewisse Handlungen habe, die an sich selbst ihrer Natur nach schändlich oder gut, wenn sie auch Gott durch das Gesetz weder verboten, noch geboten; folglich ihre Moralität nicht von dem Willen Gottes sondern von der Beschaffenheit der Sache herrühre, mithin statt habe, wenn gleich kein Gesetz wäre, welche man eben moralitatem objectivam und die Handlungen actus per se turpes oder honestos nennet.  
  Indem wir aber das erste vertheidigen und das andere als eine höchst unvernünfftige Meynung widerlegen wollen, so ist weiter vorher zu wissen, was eigentlich diejenigen haben wollen, die alle Moralität vom Gesetz herleiten, damit man bey dieser Controvers auf keine Abwege gerathe.  
  Wenn man die Güte und Lasterhafftigkeit der Handlung vom Gesetz herführet, so verstehet man nicht die menschlichen, sondern die göttlichen, und zwar die natürlichen, welche Gott durch die Natur geoffenbahret. Indem aber ein Gesetz ein natürliches Gesetz ist, das beruhet darinnen, daß es seinen Grund in der Natur hat, und man also eine natürliche Ursach angeben kan, warum dieses Gott geboten; daß aber dieses ein Gebot, jenes ein Verbot, solches kommt von seinem göttlichen Willen her.  
   Auf solche Weise ist auf Seiten Gottes die Beschaffenheit der Sache die Ursache, warum er dieses befohlen, jenes verboten; daß aber solches ein eigentliches Gesetz worden, und dadurch die Moralität der freyen Handlungen entstanden, das rühret von seinem Willen. Aus diesem fliesset, daß, ob man wohl die Moralität der menschlichen Verrichtungen von dem Willen Gottes herleitet, solches doch nicht so zu verstehen, als wenn seine Heiligkeit und Gerechtigkeit ausgeschlossen werde, mit welchen alle natürliche Gesetze überein kommen.  
  {Sp. 1483|S. 767}  
  Nun kan etwas kein Gesetz werden, wenn nicht der Göttliche Willen hinzu kommet.  
  Dieses voraus gesetzet, so kommen wir zur Untersuchung der Sache selbst. Die Meinung von der moralitate objectiva war vor dem unter den Moralisten gäng und gäbe. Die Scholastici hatten selbige angenommen, mit denen es Grotius nicht gar verderben wolte und sie in seinem Werck de jure belli et pacis beybehielte, dem nachgehends viele andere gefolget, auch nachdem Pufendorf in seinem jure naturae et gentium deren Urgrund so deutlich und gründlich gezeiget hatte, daß ob wohl die meisten von denen philosophischen und theologischen Moralisten zu unserer Zeit diese Wahrheit erkannt, so finden sich doch hin und wieder welche, denen diese Scholastische Moralität noch gefällt.  
  Unter andern wollen wir nur anführen  
 
  • Velthem in zweyen Dissertationen de quaest. num actus dentur per se honesti aut turpes, qui adeo in sua natura sint debiti vel illiciti?
  • Joh. Jacob Müller in institut. ethic. p. 1. cap. 2. §. 10.
  • Jäger in obs. in Grotium p. 39. welcher sonst dieser Frage wegen mit dem Herrn Ettenhusio einen Streit gehabt; indem dieser vor den Herrn Pufendorf eine Schutz-Schrifft verfertiget hat.
  • Ferner Förtsch in nucl. controvers. nob. ...
  • Klausing in disp. de interna bonitate et malitia actuum moralium Wittb. 1709.
  • Wernsdorf in disput. de absolutismo morali eoque theolog. p. 17
  • Hochstetter in colleg. Pufendorf. exercit. ...
  • Leibnitz in essais de Theodicée in dem andern Theil hin und wieder, und
  • Wolff in seinen Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, welcher gleich im Anfang cap. 1. §. 5. also schreibet: Weil die freyen Handlungen der Menschen durch ihren Erfolg gut oder bös werden, was aber aus ihnen erfolget, nothwendig daraus kommen muß, und nicht aussen bleiben kan, so sind sie vor und an sich selbst gut oder böse, und werden nicht erst durch Gottes Willen darzu gemacht. Wenn es derowegen gleich möglich wäre, und der gegenwärtige Zusammenhang der Dinge ohne ihn bestehen könte, so würden die freyen Handlungen der Menschen dennoch gut oder böse verbleiben. Dem nachgehends wieder andere gefolget, als der Herr Cantz in seinem tr. de philosophiae Leibnitianae et Wolfianae usu in theologia p. 443. sqq.
 
  Alle diese und noch weit mehrere haben sich bereden können, daß in dem Objecto selbst eine Moralität gegründet sey, und die Schwierigkeiten, die mit dieser Meynung verknüpffet sind, nicht eingestehen, welche hingegen alle wegfallen, wenn man die Moralität der Handlungen von dem göttlichen Gesetze oder Willen herleiten will. Denn  
 
1) können wir eine deutliche Ursache geben, warum etwas schändlich und tugendhafft, weil es Gott geboten und verboten; da wir nun schon oben erinnert haben, daß der Grund der natürlichen Gesetze die Beschaffenheit der Sache, welche der göttlichen Gerechtigkeit und Heiligkeit allezeit gemäß sind, so hat er den Menschen keine andere natürliche Gesetze vorschreiben können, als er ihm wircklich vorgeschrieben, mithin folgt aus dieser Meynung gar nicht, daß wenn die Moralität von dem Willen GOttes dependire, er auch das
 
  {Sp. 1484}  
 
  Gegentheil haben können gebieten oder verbieten. So sagen wir z.E. der Todschlag ist was böses, weil Gott selbigen verboten, daß er ihn aber verboten, solches hat seine Heiligkeit erfordert. Wolte man weiter fragen, warum es der Heiligkeit Gottes gemäß gewesen sey? so zeigt solche Frage einen unnöthigen Vorwitz an, darauf man sich nicht einlassen darf, weil man sonst ohne Ende dergleichen Fragen thun könte.
 
 
2) Führt einen die Scholastische Meynung in eine weitläufftige Verwirrung, daß man sich nicht daraus helffen kan, wenn man nicht endlich die Moralität dem Gesetz zuschreiben will. Denn man frage einen scholastisch gesinnten, warum der Selbstmord unrecht? und wenn er antwortet, weil er eine actio per se turpis, und wenn er sich auf den Erfolg beruffet, wird er beweisen müssen, daß das Leben etwas gutes und man solches zu erhalten verbunden gewesen, welches eben der andere Stein des Anstosses, daß man sie auf die Materie von der Obligation bringt, und ihnen weiset, wie selbige allezeit aus dem Gesetz entspringe.
  Alle Verbindlichkeit schränckt unsere Freyheit zu einem gewissen Endzweck ein, welches die Ordnung der Natur nicht thun kan, sondern es muß von einem weisen und verständigen Wesen, das uns zugleich zu befehlen hat, herkommen. Kurtz: eine Moralität setzet eine Verbindlichkeit voraus. Die Verbindlichkeit aber kan aus keinem anderen Grund, als aus einem Gesetz hergeleitet werden. Man confundiret hier den Grund der Moralität auf Seiten Gottes, warum er das geboten, jenes verboten, welches freylich bey den natürlichen Gesetzen die Beschaffenheit der Sache, und auf Seiten der Menschen warum sie dieses zu thun, jenes zu unterlassen, warum unter ihren Verrichtungen eine gut, die andere bös, welches vom Gesetz herrühret. Wäre kein Gesetz, so hätten die Handlungen gar keine moralische Beschaffenheit.
 
 
3) Ist die scholastische Lehre sehr dunckel, welche leere Worte ohne reelle Begriffe vorträget. Denn was soll das Wort per se, ingleichen antecedenter und consequenter ad voluntatem divinam bedeuten, da hingegen die gegenseitige Meynung sich auf das deutlichste erklären läst, ja sie ist
 
 
4) gefährlich, und zwar auf Seiten Gottes, daß man gleichsam einen solchen Unterscheid zwischen der Heiligkeit und dem Willen Gottes machen will, daß jene ohne diesem seyn könne; auf Seiten der Menschen aber, weil man ihnen eine solche Moralität fürleget, die sie entweder zu erkennen nicht fähig, oder sich doch leicht einen irrigen Begriff davon machen können.
  Denn wenn sie erkennen wollen, was eine gute, was eine böse Handlung sey, so sollen sie auf den Erfolg derselben acht geben, der sich entweder innerlich in dem Gewissen, oder äusserlich in den Umständen des Leibes und des Glückes äussern muß. Da nun dieses auf sehr ungleiche Art zu geschehen pfleget, so können daher die Menschen Anlaß nehmen, sich auch ungleiche Vorstellungen von der Moralität zu machen.
 
 
5) Ist sie der Heil. Schrifft zuwider. Denn Johannes 1 Epist. 3, v. 4. nennt die Sünde, folglich eine jede böse Handl. anomian eine Abweichung vom Gesetz, da man nun ex opposito schliessen kan, daß eine gute Handlung eine Übereinstimmung mit dem Gesetz sey, so folgt ja, daß die Moralität sich bloß auf das Gesetz gründen müsse, wie denn Paulus lehret, daß durch nichts anders, als durch das Gesetz die Erkenntniß der Sünde komme
Rom. cap. 3. v. 20. cap. 7. v. 7.
  {Sp. 1485|S. 768}  
 
  Woraus abermahl zu folgern, daß die Güte oder Bosheit der Handlungen von dem Gesetz entspringe.
Man lese, was
  • Pufendorf in jure naturae et gentium ... in appendice dissert. acad. ... und in Specim. controvers. cap. 5.
  • Buddeus in element. philos. ... und in institut. theol. ...
  • Thomasius in jurispr. div. ...
  • Syrbius in der ausführlichen Abfertigung derer unbefugten Beschuldigungen §. 15. sqq.
  • Biermann in der impietate atheistica ...
desfalls erinnert.
  Die Verfasser der unschuldigen Nachrichten 1709 p. 53 meynen, die gantze Sache hebe sich selbst, und könne man dieser neuerlichen anstössigen Meynung, da die moralitas objecitva verworffen wird, überhoben seyn, wenn man einen Unterscheid inter voluntatem praeceptricem und creatricem ordinatam mache, ohne diesem könne man freylich keine moralitatem intrinsecam zugeben, aber wohl ohne jenen. Allein dieser Unterscheid giebt in dieser Controvers kein Licht, und bleibt die Sache in ihrem vorigen Zustand. Walchs philosophisches Lexicon.
     

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Stand: 24. Februar 2013 © Hans-Walter Pries