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Quellenangaben |
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Moralität, Moralitas,
Moralitas actionis,
bedeutet diejenige
Beschaffenheit der
menschlichen
Handlungen, sofern sie gegen das
Gesetz
gehalten werden, und entweder
gut oder
böse sind. |
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Dasjenige was wir hier insonderheit zu
untersuchen haben, ist der
Grund und
der
Ursprung der Moralität, woher es komme, daß eine Handlung gut oder
böse sey?
Es ist dieses eine
Frage, darüber auch zu denen neuern Zeiten gestritten worden,
wenn man aber einen richtigen
Schluß davon fällen
will, ist
nöthig, daß man
vorher ausmache, worauf eigentlich der Streit ankomme. |
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Die Frage wird auf unterschiedene Art vorgetragen, |
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- num detur moralitas
objectiva, d.i. ob es in der
Sache der Handlungen zu suchen, daß selbige
gut oder
böse sey?
- num actus quidam antecedenter, an consequenter ad legem seu
voluntatem divinam boni vel mali sint? ob etliche Handlungen, ehe das
Gesetz sey gewesen, gut oder böse wären, oder ob diese Moralität erst
entstanden, nachdem das Gesetz gegeben worden?
- num dentur actus per se
turpes et honesti, obs an sich
schändliche oder gute Handlungen gebe?
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Die Sache selbst kömmt darauf an: ob alle Moralität von dem göttlichen
Gesetz, oder
göttlichen Willen, welches eins ist, herrühre, daß wenn z.E. der
Todschlag eine Sünde ist, der
Grund davon sey, weil es
Gott durch das
Gesetz
verboten, und nicht haben wollen, daß einer den andern todt schlüge; ob man
nicht gewisse Handlungen habe, die an sich selbst ihrer
Natur nach schändlich
oder gut, wenn sie auch Gott durch das Gesetz weder verboten, noch geboten;
folglich ihre Moralität nicht von dem Willen Gottes sondern von der
Beschaffenheit der Sache herrühre, mithin statt habe, wenn gleich kein Gesetz
wäre, welche man eben moralitatem objectivam und die Handlungen
actus per se turpes oder honestos nennet. |
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Indem wir aber das erste vertheidigen und das andere als eine höchst
unvernünfftige
Meynung widerlegen wollen, so ist weiter vorher zu wissen, was
eigentlich diejenigen haben wollen, die alle Moralität vom Gesetz herleiten,
damit man bey dieser Controvers auf keine Abwege gerathe. |
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Wenn man die Güte und Lasterhafftigkeit der Handlung vom
Gesetz herführet,
so
verstehet man nicht die
menschlichen, sondern die
göttlichen, und zwar die
natürlichen, welche Gott durch die
Natur geoffenbahret. Indem aber ein Gesetz
ein natürliches Gesetz ist, das beruhet darinnen, daß es seinen
Grund in der
Natur hat, und man also eine
natürliche Ursach angeben kan, warum dieses Gott
geboten; daß aber dieses ein Gebot, jenes ein Verbot, solches kommt von seinem
göttlichen Willen her. |
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Auf solche Weise ist auf Seiten
Gottes die Beschaffenheit der
Sache
die
Ursache, warum er dieses befohlen, jenes verboten; daß aber solches ein
eigentliches
Gesetz worden, und dadurch die Moralität der freyen Handlungen
entstanden, das rühret von seinem
Willen. Aus diesem fliesset, daß, ob man wohl
die Moralität der menschlichen Verrichtungen von dem Willen Gottes herleitet,
solches doch nicht so zu
verstehen, als wenn seine Heiligkeit und Gerechtigkeit
ausgeschlossen werde, mit welchen alle natürliche Gesetze überein kommen. |
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{Sp. 1483|S. 767} |
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Nun kan etwas kein Gesetz werden, wenn nicht der
Göttliche Willen hinzu
kommet. |
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Dieses voraus gesetzet, so kommen wir zur Untersuchung der
Sache
selbst. Die
Meinung von der moralitate objectiva war vor dem unter den Moralisten
gäng und gäbe. Die Scholastici hatten selbige angenommen, mit denen es
Grotius nicht gar verderben wolte und sie in seinem
Werck de jure
belli et pacis beybehielte, dem nachgehends viele andere gefolget, auch
nachdem Pufendorf
in seinem jure naturae et gentium deren Urgrund so deutlich und
gründlich gezeiget hatte, daß ob wohl die meisten von denen philosophischen und
theologischen Moralisten zu unserer Zeit
diese
Wahrheit
erkannt, so finden sich
doch hin und wieder welche, denen diese Scholastische Moralität noch gefällt. |
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Unter andern wollen wir nur anführen |
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- Velthem in zweyen Dissertationen de quaest. num
actus dentur per se honesti aut turpes, qui adeo in sua natura sint debiti
vel illiciti?
- Joh. Jacob Müller in institut. ethic. p. 1.
cap. 2. §. 10.
- Jäger in obs. in Grotium p. 39. welcher sonst
dieser Frage wegen mit dem Herrn Ettenhusio einen Streit
gehabt; indem dieser vor den Herrn Pufendorf
eine
Schutz-Schrifft verfertiget hat.
- Ferner Förtsch in nucl. controvers. nob. ...
- Klausing in disp. de interna bonitate et malitia
actuum moralium Wittb. 1709.
- Wernsdorf in
disput. de absolutismo morali eoque
theolog. p. 17
- Hochstetter in colleg. Pufendorf. exercit. ...
- Leibnitz in essais de Theodicée in dem andern
Theil hin und wieder, und
-
Wolff in seinen Gedancken von der Menschen Thun und
Lassen, welcher gleich im Anfang cap. 1. §. 5. also
schreibet: Weil die
freyen Handlungen der
Menschen durch ihren Erfolg gut oder bös werden, was
aber aus ihnen erfolget, nothwendig daraus kommen muß, und nicht aussen
bleiben kan, so sind sie vor und an sich selbst gut oder
böse, und werden
nicht erst durch
Gottes Willen darzu gemacht. Wenn es derowegen gleich
möglich wäre, und der gegenwärtige
Zusammenhang der Dinge ohne ihn bestehen
könte, so würden die freyen Handlungen der Menschen dennoch gut oder böse
verbleiben. Dem nachgehends wieder andere gefolget, als der Herr
Cantz in seinem tr. de philosophiae Leibnitianae et Wolfianae
usu in theologia p. 443. sqq.
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Alle diese und noch weit mehrere haben sich bereden können, daß in dem
Objecto selbst eine Moralität gegründet sey, und die Schwierigkeiten, die
mit dieser
Meynung
verknüpffet sind, nicht eingestehen, welche hingegen alle
wegfallen, wenn man die Moralität der Handlungen von dem göttlichen Gesetze oder
Willen herleiten will. Denn |
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1) |
können wir eine deutliche
Ursache geben, warum etwas schändlich und
tugendhafft, weil es
Gott geboten und verboten; da wir nun schon oben
erinnert haben, daß der
Grund der natürlichen Gesetze die Beschaffenheit
der
Sache, welche der göttlichen Gerechtigkeit und Heiligkeit allezeit
gemäß sind, so hat er den
Menschen keine andere natürliche Gesetze
vorschreiben können, als er ihm wircklich vorgeschrieben, mithin folgt
aus dieser Meynung gar nicht, daß wenn die Moralität von dem
Willen GOttes dependire, er auch das |
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{Sp. 1484} |
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Gegentheil haben können gebieten oder verbieten. So
sagen wir z.E.
der Todschlag ist was
böses, weil Gott selbigen verboten, daß er ihn
aber verboten, solches hat seine Heiligkeit erfordert. Wolte man weiter
fragen, warum es der Heiligkeit Gottes gemäß gewesen sey? so zeigt
solche Frage einen unnöthigen Vorwitz an, darauf man sich nicht
einlassen darf, weil man sonst ohne Ende dergleichen Fragen thun könte. |
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2) |
Führt einen die Scholastische
Meynung in eine weitläufftige
Verwirrung, daß man sich nicht daraus helffen kan, wenn man nicht
endlich die Moralität dem
Gesetz zuschreiben will. Denn man frage einen
scholastisch gesinnten, warum der Selbstmord unrecht? und wenn er
antwortet, weil er eine actio per se turpis, und wenn er sich
auf den Erfolg beruffet, wird er
beweisen müssen, daß das
Leben etwas
gutes und man solches zu erhalten
verbunden gewesen, welches eben der
andere Stein des Anstosses, daß man sie auf die
Materie von der
Obligation bringt, und ihnen weiset, wie selbige allezeit aus dem Gesetz
entspringe. |
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Alle
Verbindlichkeit schränckt unsere
Freyheit zu einem gewissen
Endzweck ein, welches die
Ordnung der Natur nicht thun kan, sondern es muß von einem weisen und verständigen
Wesen, das uns zugleich zu
befehlen hat, herkommen. Kurtz: eine
Moralität setzet eine Verbindlichkeit voraus. Die Verbindlichkeit aber
kan aus keinem anderen
Grund, als aus einem
Gesetz hergeleitet werden.
Man confundiret hier den
Grund der Moralität auf Seiten
Gottes, warum er
das geboten, jenes verboten, welches freylich bey den natürlichen
Gesetzen die Beschaffenheit der
Sache, und auf Seiten der
Menschen warum
sie dieses zu
thun, jenes zu unterlassen, warum unter ihren
Verrichtungen eine gut, die andere bös, welches vom Gesetz herrühret.
Wäre kein Gesetz, so hätten die Handlungen gar keine moralische
Beschaffenheit. |
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3) |
Ist die scholastische Lehre sehr dunckel, welche leere Worte ohne
reelle
Begriffe vorträget. Denn was soll das
Wort per se,
ingleichen antecedenter und consequenter ad voluntatem
divinam bedeuten, da hingegen die gegenseitige
Meynung sich auf das
deutlichste erklären läst, ja sie ist |
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4) |
gefährlich, und zwar auf Seiten
Gottes, daß man gleichsam einen
solchen Unterscheid zwischen der Heiligkeit und dem
Willen Gottes machen
will, daß jene ohne diesem seyn könne; auf Seiten der
Menschen aber,
weil man ihnen eine solche Moralität fürleget, die sie entweder zu
erkennen nicht fähig, oder sich doch leicht einen irrigen
Begriff davon
machen können. |
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Denn wenn sie erkennen wollen, was eine gute, was eine
böse Handlung
sey, so sollen sie auf den Erfolg derselben acht geben, der sich
entweder innerlich in dem Gewissen, oder äusserlich in den Umständen des
Leibes und des Glückes äussern muß. Da nun dieses auf sehr ungleiche Art
zu geschehen pfleget, so können daher die
Menschen Anlaß nehmen, sich
auch ungleiche Vorstellungen von der Moralität zu machen. |
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5) |
Ist sie der
Heil. Schrifft zuwider. Denn
Johannes 1 Epist. 3, v. 4.
nennt die Sünde, folglich eine jede
böse Handl. anomian
eine Abweichung vom
Gesetz, da man nun ex opposito schliessen
kan, daß eine gute Handlung eine Übereinstimmung mit dem Gesetz sey, so
folgt ja, daß die Moralität sich bloß auf das Gesetz gründen müsse, wie
denn Paulus lehret, daß durch nichts anders, als durch das Gesetz die
Erkenntniß der Sünde komme |
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Rom. cap. 3. v. 20. cap. 7. v. 7. |
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{Sp. 1485|S. 768} |
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Woraus abermahl zu folgern, daß die Güte oder Bosheit der Handlungen
von dem Gesetz entspringe. |
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Man lese, was
-
Pufendorf
in jure naturae et gentium ... in appendice dissert. acad. ... und
in Specim. controvers. cap. 5.
-
Buddeus in
element. philos. ... und in institut. theol. ...
- Thomasius in jurispr. div. ...
- Syrbius
in der ausführlichen Abfertigung derer unbefugten
Beschuldigungen §. 15. sqq.
- Biermann in der
impietate atheistica ...
desfalls erinnert. |
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Die Verfasser der unschuldigen Nachrichten 1709 p. 53 meynen, die
gantze
Sache hebe sich selbst, und könne man dieser neuerlichen anstössigen
Meynung, da die moralitas objecitva verworffen wird, überhoben seyn,
wenn man einen Unterscheid inter voluntatem praeceptricem und
creatricem ordinatam mache, ohne diesem könne man freylich keine
moralitatem intrinsecam zugeben, aber wohl ohne jenen. Allein dieser
Unterscheid giebt in dieser Controvers kein Licht, und bleibt die Sache in ihrem
vorigen
Zustand. |
Walchs philosophisches Lexicon. |
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