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Text |
Quellenangaben
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Raum (leerer)
Lat.
Vacuum, ist überhaupt
eine Gattung des
Raums, so fern kein
Cörper
darinnen ist, wie die
Philosophen
reden, und
erinnert
Rüdiger Physica divina …, daß man sich
keinen solchen leeren Raum einbilden könne, daß
darinnen gar keine
Substantz anzutreffen, indem
solches wider die Allgegenwart GOttes wäre. |
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Ob aber ein leerer Raum in der
Natur zu
finden? Darüber ist unter den Naturkündigern viel
streitens gewesen, indem solches einige bejahet;
andere hingegen verneinet haben. Unter die
ersten gehören die Atomisten, welche die Atomos,
das ist, solche kleine Theilgen, die nicht weiter
können getheilet werden, als
Principia aller
natürlichen Dinge ansehen, wie unter den Alten
sonderlich Epicurus, und unter den neuern seine
Anhänger, als Gas- |
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{Sp. 1121|S. 570} |
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sendus, Bernier, Charleton, Lamy, nebst
mehrern gethan. |
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Sie setzen aber einen zweyfachen leeren
Raum, als ein vacuum disseminatum, oder hin
und her zerstreuten, der über und neben dem
kleinen Theilgen zu finden, und ein vacuum
coacervatum und separatum, oder den an einem
Ort gleichsam zusammen gehaltenen und
zusammen gehäufften
Raum, welcher ausser der
Welt sey, und daher
bewiesen wird, daß die Welt
nicht unendlich; sondern ihre gewisse Gräntze
habe, daß wenn iemand auf denselben stehen
könnte, so könnte er seinen
Arm entweder
ausstrecken, oder nicht; im ersten Fall zeigte
solches einen leeren Raum an, im andern aber
müsten andere
Cörper seyn, so das Ausstrecken
des Arms verhinderten, folglich flösse daraus, daß
die Welt unendlich, welches aber ungereimt. |
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Doch von diesem leeren Raum viel zu
meditiren, stehet keinem rechtschaffenen
Philosophen an, als welcher die
Natur in und nicht
ausser der
Welt betrachten soll, und wenn er sich
ja durch seine vergebene Curiosität dahin
verleiten lässet, so hat er sich nicht zu
verwundern, wenn ihn
Gott in seinem thörichten
Sinn dahin gehen lässet, daß er von einer
Absurdität auf die andere fället, wie solches dem
Gassendus widerfahren, welcher ausdencken
wolte: ob dieser leere Raum ein selbstständiges,
oder ein zufälliges
Ding sey? Und da er befand,
daß er keines von beyden seyn könne, fiel er auf
die abgeschmackte Grille, daß die gemeine
Eintheilung derer Dinge in die selbstständigen und
zufälligen keinen
Grund habe, und müsse noch
eine dritte Gattung, welche das letztere wäre,
statuirt werden. |
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Die
Existentz aber des ersten leeren Raums,
welches disseminatum genennet wird,
beweiset
man sowohl durch Vernunfft-Schlüsse, als
Experimenten. Zu ihnen gehöret, daß keine
Bewegung der natürlichen Cörper würde angehen,
wenn alles mit
Cörpern angefüllet, daß einer an
den andern stösse, und ob schon in der
Materie
die Krafft der Bewegung läge, so könnte sich doch
solche ohne einen leeren Raum, der gleichsam
hier die caussa sine qua non sey, nicht
äussern. |
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Aus der
Erfahrung führet man an allerhand
Arten der
Bewegungen in der
Natur, und bringt
unter andern Gassendus dieses Experiment für,
daß, wenn man ein Gefäß nehme, so fast gantz
mit Wasser angefüllet, und thäte soviel Saltz
hinein, bis es voll worden, hierauf noch mehr
Saltz, Alaun könnte hinein gethan werden,
welches anzeigte, daß leere Plätzgen müsten da
gewesen seyn, welche das zuletzt hinein
geworffene Saltz ausgefüllet. |
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Dergleichen leere Räume statuiren noch viele
andere Naturkündiger. |
s.
- Newton in philos. natur. princip. mathem. …
- Leibnitz in hypothes. physic. nov. …
- Otto Gvericke, der weitläufftige Commentarios de
vacuo
geschrieben,
wiewohl in dem
Wercke
mehr zu finden, als der
Titel
ausweiset,
- Joh. Keill. introd. ad veram physic. …
- Parker de deo et provident. divin. …
- Kaschub. in elementis physic. …
- anderer, die Morhof in polyhistor. … anführet,
zu geschweigen.
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Doch mit dieser gemeinen Lehre ist
D.
Rüdiger in physica divin. … nicht zufrieden, |
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{Sp. 1122} |
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weil man sich niemahls einen rechten
Begriff
von dem leeren Raum gemacht, als welcher in
einem dreyfachen
Verstande könnte genommen
werden; einmahl, ob ein solcher leerer Raum zu
finden, darinnen gar kein selbstständiges
Ding
sey? so ohne Verdacht der
Atheisterey nicht zu
behaupten, und ein
Gott, als ein selbstständiges
Wesen allgegenwärtig; hernach: ob es einen
solchen leeren Raum in der
Welt gäbe, daß keine
Luft daselbst wäre, welches er … deswegen
läugnet, weil die
Natur der Luft so beschaffen, daß
sie mit der grösten
Gewalt in alle leere Plätzgen
eindränge, und sie ausfülle: das erstere sey das
vacuum separatum ausser der Welt, davon sich
die alten
Philosophen gar gefährliche Begriffe
gemacht, und sich eingebildet, als wäre gar kein
selbstständiges Ding darinnen, mithin der
Allgegenwart GOttes grossen Tort gethan: das
andere aber, das vacuum coacervatum, so weder
in der Natur, noch durch
Kunst könne zuwege
gebracht werden. Nun wäre noch drittens das
Vacuum disseminatum, welches eben nach der
gemeinen Lehre den leeren Raum in der Welt,
darinnen gar kein
Cörper sey, bedeutet, wie denn
auch das vacuum separatum genennet wird
coacervatum, welches er zwar zugiebt, aber in
einem andern Verstande, daß solches nemlich
nicht ausser, sondern in dem Element sey, und
theilet also diesen Raum in einen äusserlichen,
welchen er läugnet, und in einen innerlichen, den
er statuirt. |
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Doch es lassen weder die Aristotelici, noch
die Cartesianer einen leeren Raum auch nach der
gewöhnlichen Lehre zu, und giebt sich Aristot. physic. … viele Mühe, den Atomisten zu
antworten. Es kam aber diese
Meynung daher,
daß man dem
Raum eine Ausdehnung beylegte,
und in der Ausdehnung das
Wesen des
Cörpers
setzte, mithin hielte man es für einen
Widerspruch, sich einen solchen leeren Raum
einzubilden, darinnen kein Cörper wäre. |
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Am allermeisten hat man sich deswegen über
den Cartesius zu verwundern, als einen
mechanischen Philosophen, daß er den leeren
Raum geläugnet, und noch überdiß in princip. …
eine so elende
Ursache anführet, wenn er saget:
vacuum [12 Zeilen lateinischer Text]. Denn es
begehet hier der Cartesius eine gewaltige
Sophisterey, indem er hätte schlüssen sollen,
wenn der leere Raum etwas ausgedehntes, so
muß er nothwendig auch ein selbstständig
Ding
seyn, keines weges aber, wie er schlüsset, daß
darinnen ein selbstständiges Ding seyn müsse;
nach welchem
Schlusse freylich kein leerer Raum
zu finden wäre, inzwischen kan ein Raum ein
selbstständiges Ding, und zugleich leer seyn. |
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Bey dieser
Meynung konnte es nicht anders
seyn, man muste |
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{Sp. 1123|S. 571} |
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die
Welt und die
Materie vor unendlich halten,
und dadurch etwas einräumen, welches nicht nur
der gesunden
Vernunfft; sondern auch ihren
eigenen Grund-Sätzen von dem
Wesen der
Materie und des
Cörpers zuwider war. Den
Einwurff, daß ohne einen leeren Raum keine
Bewegung der natürlichen Cörper geschehen
könne, suchen sie zwar damit zu heben, es
geschähen alle Bewegungen durch einen
Umkreis, so, daß eines dem andern in der Runde
weichen müste, welchem aber andere die stetige
Erfahrung entgegen stellen, daß man so vielerley
Arten der Bewegungen, die nicht durch einen
Umkreis vor sich giengen, wahrnehme, |
s.
- Rohault in tract. physic. …
- Clauberg in defensione Cartesiana …
- Andalam in exercitat. acad. …
- nebst den andern Cartesianischen Physicken,
dabey auch
- Anton. Grandis in histor. naturali corpor. …
- Frantz Linus de corporum inseparabilitate,
worinnen er die von dem Torricellus, Otto Gvericke, Robert Boyle
desfalls angestellte Experimenten widerlegen, und die bemerckten
Würckungen
aus andern
Ursachen
leiten will,
- Klerckius de plenitudine mundi, der in diesem
Stück die Cartesianische Philosophie vertheidiget,
können gelesen werden. |
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Heinrich Morus in metaphysic. … giebet auch
einen gewissen Raum in der
Welt zu, der ohne
Materie, macht aber davon eine solche
Beschreibung, daß man leicht auf die
Gedancken
kommen kan, wie sein leerer Raum nichts anders
als
Gott selbst sey. |
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Ausser den angeführten
Scribenten sind
ferner nachzulesen |
- Anton Deusingius in
disquisitione physico-mathematica de vacuo
itemque de attractione, Amsterdam 1661.
- Alkofer
in einer
Disput. deren
Titel ist:
trutina vacui, Jena
1699;
- und Feuerlein in disp. examinante de Spatio
vacuo ideam Lockii, Altorff
1717.
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