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Zedler: Raum (leerer) HIS-Data
5028-30-1120-4
Titel: Raum (leerer)
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 30 Sp. 1120-1123
Jahr: 1741
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 30 S. 569-571
Vorheriger Artikel: Raum, siehe Distantia
Folgender Artikel: Raum (Zwischen-)
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text   Quellenangaben
  Raum (leerer) Lat. Vacuum, ist überhaupt eine Gattung des Raums, so fern kein Cörper darinnen ist, wie die Philosophen reden, und erinnert Rüdiger Physica divina …, daß man sich keinen solchen leeren Raum einbilden könne, daß darinnen gar keine Substantz anzutreffen, indem solches wider die Allgegenwart GOttes wäre.  
  Ob aber ein leerer Raum in der Natur zu finden? Darüber ist unter den Naturkündigern viel streitens gewesen, indem solches einige bejahet; andere hingegen verneinet haben. Unter die ersten gehören die Atomisten, welche die Atomos, das ist, solche kleine Theilgen, die nicht weiter können getheilet werden, als Principia aller natürlichen Dinge ansehen, wie unter den Alten sonderlich Epicurus, und unter den neuern seine Anhänger, als Gas-  
  {Sp. 1121|S. 570}  
  sendus, Bernier, Charleton, Lamy, nebst mehrern gethan.  
  Sie setzen aber einen zweyfachen leeren Raum, als ein vacuum disseminatum, oder hin und her zerstreuten, der über und neben dem kleinen Theilgen zu finden, und ein vacuum coacervatum und separatum, oder den an einem Ort gleichsam zusammen gehaltenen und zusammen gehäufften Raum, welcher ausser der Welt sey, und daher bewiesen wird, daß die Welt nicht unendlich; sondern ihre gewisse Gräntze habe, daß wenn iemand auf denselben stehen könnte, so könnte er seinen Arm entweder ausstrecken, oder nicht; im ersten Fall zeigte solches einen leeren Raum an, im andern aber müsten andere Cörper seyn, so das Ausstrecken des Arms verhinderten, folglich flösse daraus, daß die Welt unendlich, welches aber ungereimt.  
  Doch von diesem leeren Raum viel zu meditiren, stehet keinem rechtschaffenen Philosophen an, als welcher die Natur in und nicht ausser der Welt betrachten soll, und wenn er sich ja durch seine vergebene Curiosität dahin verleiten lässet, so hat er sich nicht zu verwundern, wenn ihn Gott in seinem thörichten Sinn dahin gehen lässet, daß er von einer Absurdität auf die andere fället, wie solches dem Gassendus widerfahren, welcher ausdencken wolte: ob dieser leere Raum ein selbstständiges, oder ein zufälliges Ding sey? Und da er befand, daß er keines von beyden seyn könne, fiel er auf die abgeschmackte Grille, daß die gemeine Eintheilung derer Dinge in die selbstständigen und zufälligen keinen Grund habe, und müsse noch eine dritte Gattung, welche das letztere wäre, statuirt werden.  
  Die Existentz aber des ersten leeren Raums, welches disseminatum genennet wird, beweiset man sowohl durch Vernunfft-Schlüsse, als Experimenten. Zu ihnen gehöret, daß keine Bewegung der natürlichen Cörper würde angehen, wenn alles mit Cörpern angefüllet, daß einer an den andern stösse, und ob schon in der Materie die Krafft der Bewegung läge, so könnte sich doch solche ohne einen leeren Raum, der gleichsam hier die caussa sine qua non sey, nicht äussern.  
  Aus der Erfahrung führet man an allerhand Arten der Bewegungen in der Natur, und bringt unter andern Gassendus dieses Experiment für, daß, wenn man ein Gefäß nehme, so fast gantz mit Wasser angefüllet, und thäte soviel Saltz hinein, bis es voll worden, hierauf noch mehr Saltz, Alaun könnte hinein gethan werden, welches anzeigte, daß leere Plätzgen müsten da gewesen seyn, welche das zuletzt hinein geworffene Saltz ausgefüllet.  
  Dergleichen leere Räume statuiren noch viele andere Naturkündiger. s.
  • Newton in philos. natur. princip. mathem. …
  • Leibnitz in hypothes. physic. nov. …
  • Otto Gvericke, der weitläufftige Commentarios de vacuo geschrieben, wiewohl in dem Wercke mehr zu finden, als der Titel ausweiset,
  • Joh. Keill. introd. ad veram physic. …
  • Parker de deo et provident. divin. …
  • Kaschub. in elementis physic. …
  • anderer, die Morhof in polyhistor. … anführet, zu geschweigen.
  Doch mit dieser gemeinen Lehre ist D. Rüdiger in physica divin. … nicht zufrieden,  
  {Sp. 1122}  
  weil man sich niemahls einen rechten Begriff von dem leeren Raum gemacht, als welcher in einem dreyfachen Verstande könnte genommen werden; einmahl, ob ein solcher leerer Raum zu finden, darinnen gar kein selbstständiges Ding sey? so ohne Verdacht der Atheisterey nicht zu behaupten, und ein Gott, als ein selbstständiges Wesen allgegenwärtig; hernach: ob es einen solchen leeren Raum in der Welt gäbe, daß keine Luft daselbst wäre, welches er … deswegen läugnet, weil die Natur der Luft so beschaffen, daß sie mit der grösten Gewalt in alle leere Plätzgen eindränge, und sie ausfülle: das erstere sey das vacuum separatum ausser der Welt, davon sich die alten Philosophen gar gefährliche Begriffe gemacht, und sich eingebildet, als wäre gar kein selbstständiges Ding darinnen, mithin der Allgegenwart GOttes grossen Tort gethan: das andere aber, das vacuum coacervatum, so weder in der Natur, noch durch Kunst könne zuwege gebracht werden. Nun wäre noch drittens das Vacuum disseminatum, welches eben nach der gemeinen Lehre den leeren Raum in der Welt, darinnen gar kein Cörper sey, bedeutet, wie denn auch das vacuum separatum genennet wird coacervatum, welches er zwar zugiebt, aber in einem andern Verstande, daß solches nemlich nicht ausser, sondern in dem Element sey, und theilet also diesen Raum in einen äusserlichen, welchen er läugnet, und in einen innerlichen, den er statuirt.  
  Doch es lassen weder die Aristotelici, noch die Cartesianer einen leeren Raum auch nach der gewöhnlichen Lehre zu, und giebt sich Aristot. physic. … viele Mühe, den Atomisten zu antworten. Es kam aber diese Meynung daher, daß man dem Raum eine Ausdehnung beylegte, und in der Ausdehnung das Wesen des Cörpers setzte, mithin hielte man es für einen Widerspruch, sich einen solchen leeren Raum einzubilden, darinnen kein Cörper wäre.  
  Am allermeisten hat man sich deswegen über den Cartesius zu verwundern, als einen mechanischen Philosophen, daß er den leeren Raum geläugnet, und noch überdiß in princip. … eine so elende Ursache anführet, wenn er saget: vacuum [12 Zeilen lateinischer Text]. Denn es begehet hier der Cartesius eine gewaltige Sophisterey, indem er hätte schlüssen sollen, wenn der leere Raum etwas ausgedehntes, so muß er nothwendig auch ein selbstständig Ding seyn, keines weges aber, wie er schlüsset, daß darinnen ein selbstständiges Ding seyn müsse; nach welchem Schlusse freylich kein leerer Raum zu finden wäre, inzwischen kan ein Raum ein selbstständiges Ding, und zugleich leer seyn.  
  Bey dieser Meynung konnte es nicht anders seyn, man muste  
  {Sp. 1123|S. 571}  
  die Welt und die Materie vor unendlich halten, und dadurch etwas einräumen, welches nicht nur der gesunden Vernunfft; sondern auch ihren eigenen Grund-Sätzen von dem Wesen der Materie und des Cörpers zuwider war. Den Einwurff, daß ohne einen leeren Raum keine Bewegung der natürlichen Cörper geschehen könne, suchen sie zwar damit zu heben, es geschähen alle Bewegungen durch einen Umkreis, so, daß eines dem andern in der Runde weichen müste, welchem aber andere die stetige Erfahrung entgegen stellen, daß man so vielerley Arten der Bewegungen, die nicht durch einen Umkreis vor sich giengen, wahrnehme, s.
  • Rohault in tract. physic. …
  • Clauberg in defensione Cartesiana …
  • Andalam in exercitat. acad. …
  • nebst den andern Cartesianischen Physicken,
dabey auch
  • Anton. Grandis in histor. naturali corpor. …
  • Frantz Linus de corporum inseparabilitate, worinnen er die von dem Torricellus, Otto Gvericke, Robert Boyle desfalls angestellte Experimenten widerlegen, und die bemerckten Würckungen aus andern Ursachen leiten will,
  • Klerckius de plenitudine mundi, der in diesem Stück die Cartesianische Philosophie vertheidiget,
können gelesen werden.
  Heinrich Morus in metaphysic. … giebet auch einen gewissen Raum in der Welt zu, der ohne Materie, macht aber davon eine solche Beschreibung, daß man leicht auf die Gedancken kommen kan, wie sein leerer Raum nichts anders als Gott selbst sey.  
  Ausser den angeführten Scribenten sind ferner nachzulesen
  • Anton Deusingius in disquisitione physico-mathematica de vacuo itemque de attractione, Amsterdam 1661.
  • Alkofer in einer Disput. deren Titel ist: trutina vacui, Jena 1699;
  • und Feuerlein in disp. examinante de Spatio vacuo ideam Lockii, Altorff 1717.
     

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Stand: 23. April 2012 © Hans-Walter Pries