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Quellenangaben
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Hauptsache |
Doch wir gehen nun zu der Haupt-Sache
selbst, und
erwegen, worinne der Fall unserer
ersten
Eltern eigentlich bestanden habe. |
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Erstlich ist offenbar, daß unsere ersten Eltern
nicht mehr von
GOtt dependiren, noch demselben
haben wollen unterworffen seyn. Denn sie wolten
werden wie GOtt; nicht zwar nach der blossen
Ähnlichkeit und Gleichförmigkeit; denn die hatten
sie schon, nachdem sie nach GOttes Ebenbilde
waren erschaffen worden; sondern nach einer
vollkommenen Gleichheit. Sie waren zwar von
GOtt für
Herren des gantzen
Erdbodens erkläret
worden, |
Cap. I, 26; |
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doch hatte GOTT einen eintzigen Baum, davon sie nicht essen
solten, ausgenommen und mitten in den Garten gesetzt, damit sie ein beständiges
Andencken haben solten, sie hätten keine unumschränckte
Gewalt
über dem Erdboden, und über die auf demselben befindliche Creaturen; sondern sie
trügen dieselbe von GOtt gleichsam nur zu
Lehn. |
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Dagegen wollten sie nunmehr nicht blosse Lehns-Träger seyn, und deßwegen von
ihrem freyen Gebrauch der Creatur sich nichts mehr ausnehmen lassen, sondern sie
wolten nunmehro selbst die höchste
Herrschafft
auf dem
Erdboden
führen, ohne dabey weiter auf den
Göttlichen Willen sehen zu dürffen. |
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Ferner und zum andern ist klar, daß die
ersten |
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{Sp. 80} |
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Menschen durch sinnliche
Empfindungen zu
mehrerer Glückseeligkeit und
Klugheit haben
gelangen wollen. Denn die Schlange verspricht
ihnen, daß durch das Essen dieser Frucht ihre
Augen würden aufgethan werden, und sie
solchergestalt zu grösserer
Erkänntniß und zur
höchsten Stuffe der Glückseeligkeit würden
gelangen können. |
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Und Moses meldet auch von dem
Weibe, daß
sie gantz in die Sinnlichkeiten hinein gegangen
sey; indem er von ihr
schreibet: Das Weib
schauete
an, daß von dem Baum gut zu essen wäre, und
lieblich anzusehen, und daß es ein lustiger Baum
wäre, weil er klug machte. Eva hatte diesen Baum
vorher auch gesehen; aber noch niemahls, solange
sie lauterlich, und einfältiglich in dem
Willen GOttes
beruhete, solche
Gemüths-Bewegung, wie jetzt
darüber empfunden. Nachdem sie sich aber
einbilden ließ, daß aus dem sinnlichen Genuß der
Früchte dieses Baums, eine besondere
Klugheit
die sie noch nicht hätte, und die ihr die höchste
Glückseeligkeit zuwege bringen würde,
herzuhohlen wäre; so fand sie je länger sie dem
Baum ansahe, an demselben immer mehr und
mehr Annehmlichkeit, und ihre
Begierden wurden
dadurch immer mehr und mehr angeflammet, bis
sie endlich gantz und gar durch dieselbe gefesselt
wurde. Daher es dann heißt: Und sie nahm von der
Frucht, und aß; und gab ihrem
Manne auch davon,
und er aß. |
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Es erhellet aus allen Umständen, daß Adam
bey der Unterredung der Schlangen mit dem
Weibe nicht gegenwärtig gewesen sey. So ist auch
leichte zu erachten, daß Eva nach dem Genuß der
verbotenen Frucht zwar wohl eine
Veränderung,
aber keine Verbesserung bey sich werde
wahrgenommen haben. Es zeigte sich aber bey ihr
bald der Anfang des Verderbens, indem sie nicht
allein wolte betrogen seyn, sondern sich alle Mühe
gab, um ihren Mann mit sich in gleiche Umstände
zu setzen. Daher sie es machte, wie die Schlange,
und fälschlich von sich rühmete, was für einen
grössern Grad der Glückseeligkeit sie nun bey sich
verspürete, nachdem sie von dieser Frucht
gegessen hätte. Dabey sie denn auch nicht wird
unterlassen haben, ihrem Manne nicht nur die
Schönheit des Baums, sondern auch die
besondere Annehmlichkeit des Geschmacks
seiner Früchte, aufs höchste anzupreisen, und daß
von einer so süssen und liebblichen Frucht, nichts
als gutes und angenehmes erwachsen könnte,
auch bey ihr nichts anders erwachsen wäre. Durch
welche falsche angegebene
Erfahrung denn auch
Adam sich bereden ließ von dem verbotenen Baum
zu essen. |
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Und so hielten denn drittens unsere ersten
Eltern
GOtt für einen Lügner, da sie selbst der
Lügen Gehör gaben. Die Schlange hatte den
Befehlen GOttes schlechterdings wiedersprochen
und zum
Weibe V. 4. gesagt: Ihr werdet mit nichten
des Todes sterben; und das betrogene Weib hatte
diese Lügen gegen ihren
Manne wiederhohlet, und
sie als eine
Wahrheit durch ihr eigen Exempel,
indem sie nicht
gestorben wäre, ohngeachtet sie
von der Frucht gegessen hätte, angegeben. Der
Teufel ist ein Lügner von Anfang und ein Vater
oder Urheber der Lügen. |
Joh. VIII, 44. |
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Da nun unsere ersten
Eltern anfiengen, |
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{Sp. 81|S. 54} |
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Gott als einen Lügner anzusehen, so machten
sie, soviel an ihnen war, Gott, der die
Wahrheit
selbst ist, zum Teuffel. |
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Zum vierten sahen sie durch Betrug der
Schlangen Gott an, als einen Mißgünstigen, und
Neidischen, der ihnen die Lieblichkeit und
Annehmlichkeit des Essens dieser Frucht, und die
daraus erwachsende höchste Glückseeligkeit,
nicht gegönnet hätte. |
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Und daraus entstunde denn fünftens
nothwendig bey ihnen ein Haß und
Grimm wieder
Gott, und eine gäntzliche Abkehrung von
demselben. Denn es ist unmöglich, daß ein
Mensch zu demjenigen, von welchem er glaubet,
daß er ihm zuwieder sey, und etwas mit Fleiß in
den Weg leget, daß er nicht recht glücklich werden
möge, solte eines
Sinnes seyn, und zu ihm ein
gutes Vertrauen haben können. |
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Solchergestalt, siehet man leicht, was für Wust
und Greuel in dem ersten Sünden-Fall stecke, und,
daß es hier nicht so wohl auf das blose äusserliche
Essen an sich selbst, als vielmehr auf die innerliche
Gemüths-Beschaffenheit, aus welchem solches
Essen her geflossen ist, ankomme. Denn wenn das
Gemüth der ersten
Eltern in seiner anerschaffenen
Lauterkeit blieben wäre, so würde das äusserliche
Essen unterblieben seyn. |
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Zeitpunkt |
Noch eine Frage möchte hierbey zu erörtern
seyn, an welchem Tage nehmlich der Fall unserer
ersten
Eltern geschehen sey. Es wird nehmlich
dafür gehalten, daß unsere ersten Eltern gleich am
Tage ihrer
Schöpffung gefallen wären. Nun
saget
Moses hiervon nichts gewisses, und deßwegen
kan hiervon auch nichts anders, als muthmaßliches
beygebracht werden. Daher kommt es lediglich
darauf an, was den grössesten Grad der
Wahrscheinlichkeit habe; und da erwege man nun
folgende Umstände. |
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Es sind am 6sten Tage alle vierfüßige Thiere
und anderes Gewürm der
Erden erschaffen
worden. |
Cap. I, 24, 25. |
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Adam war ausser dem Paradiesse erschaffen,
und
GOtt hatte ihn in dasselbe hineingeführet. |
Cap. II, 7, 8. |
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Gott hatte dem ersten
Menschen seine
Geschäffte im Garten Eden angewiesen |
vers. 15. |
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ihm auch das Gebot gegeben, von dem
Baume mitten im Garten nicht zu essen, ob ihm
gleich von allen andern zu geniessen vergönnet
wurde |
vers. 16, 17. |
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Dabey nicht anders zu gedencken stehet, als,
daß Adam in den weitläufftigen Garten sich werde
umgesehen, und die Bäume von welchen er essen
und nicht essen dürffte, betrachtet haben. |
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Nach diesem hatte
GOtt alle Thiere in den
Garten Eden zu dem
Menschen gebracht, daß er
denselben ihre
Nahmen beylegen solte. Nachdem
solches geschehen, und keine Gehülffin für Adam
erfunden worden, ließ ihn GOtt entschlaffen,
bauete ein
Weib aus seinem Fleisch und Beinen,
und brachte dieselbe zu Adam als er erwachet
war. |
vers. 18-21. |
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Adam nahm sein Weib an, und gab ihr einen
Nahmen |
vers. 23. |
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Das sind lauter solche Umstände, welche
gewisse Zeit erfordern, sonderlich die Benennung
so vieler Thiere; und man solte ja wohl urtheilen
müssen, daß dieses für einen Tag genung seyn
müste. |
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Dazu kommt, daß wir schon bemercket haben,
Adam sey bey der Unterredung der Schlangen mit
dem
Weibe nicht zugegen gewesen. Nun stehet
hier wohl nicht zu gedencken, daß Adam sein
Weib, über dessen |
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{Sp. 82} |
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Schöpffung er sich sehr gefreuet hatte, gleich
anfänglich so gantz alleine gelassen haben solte.
So gedencket auch Moses der Feyer des
siebenden Sabbaths Cap. II, 1, 2, 3. ehe er des
Falles gedencket. Und so müste denn wenigstens
der erste Sabbath von unsern ersten
Eltern im
Paradiese und dem
Stand der Unschuld noch
gefeyert worden seyn. Nicht zu gedencken, daß,
da die Engel sonder Zweiffel erst erschaffen,
nachdem Himmel und Erden worden sind, man
sagen müste, der Fall so vieler Engel und der
ersten Menschen, sey innerhalb 4 bis 5 Tagen
geschehen, welches nicht wohl zu vermuthen
stehet. |
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Wenn man nun noch darzu erweget, wie
wahrscheinlich es sey, daß nur ein Paar von jeder
Art der Thiere anfänglich sey erschaffen worden,
und daß gleich wohl
GOtt nach dem Sünden-Fall
ein Paar Felle von Thieren den ersten
Menschen
zur Decke gegeben; so kan man daraus nichts
anders schliessen, als daß unsere ersten
Eltern
nicht so gar kurtze Zeit, und vielleicht wohl auf ein
Jahr im
Stande der Unschuld müssen geblieben
seyn. |
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Der wichtigste Einwurff, welcher hierwieder
gemacht werden könnte, möchte darinne
bestehen, daß man auf solche Weise voraus
setzen müste, es hätten unsere ersten
Eltern in der
gantzen
Zeit nicht als
Eheleute mit einander
gelebet; welches aber nicht wohl zu gedencken
stünde, da ihnen GOTT den Seegen: Seyd fruchtbar
und mehret euch, und erfüllet die Erden
zugesprochen, sie auch die Vereinigung der Thiere
beyderley
Geschlechts vor sich gesehen hätten.
Allein es folget nicht schlechterdings, daß Adam
und Eva, wenn sie einige Wochen nach einander
im
Stande der Unschuld geblieben wären, sie auch
in der Zeit sich als Eheleute zusammen gehalten
haben müsten. Hat man doch Exempel an den
ersten Patriarchen vor der Sünd-Fluth, daß sie, ob
schon nach dem Sünden-Fall die
Natur bey ihnen
in Unordnung gebracht war, doch offt hundert und
mehr Jahre gewartet, ehe sie zum
Ehestande
geschritten. Warum solte man denn eben auf die
Gedancken gerathen müssen, daß Adam und Eva
vor dem Sünden-Fall von so weniger Enthaltung
gewesen wären, daß sie nicht einmahl einige
Wochen ohne würcklichen Gebrauch des
Ehestandes hätten bleiben können. |
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Unvernünfftige Thiere handeln bey der
Fortpflantzung ihres
Geschlechts nur nach ihren
blosen sinnlichen
Empfindungen und dem Triebe
der Natur, die da weder keinen
Verstand, noch
durch einen
freyen Willen,
regieret wird. Allein,
vernünfftige
Menschen müssen auch in diesem
Stücke beweisen, daß die obern Kräffte der
Seelen, die sinnlichen Vorstellungen und
Begierden beherrschen. Und das kan auch nach
dem Sünden-Fall geschehen, es geschicht auch
würcklich bey vielen, selbst bey manchen, die eben
noch mit keiner besondern
Göttlichen
Gnaden-Krafft versehen sind. So hat man dann
wohl nicht
Ursache, sich von unsern ersten
Eltern
schlechtere Gedancken zu machen, als von ihren
Nachkommen nach dem Sünden-Fall. Sie haben
vielmehr in diesem Stücke eine Probe abgeleget,
daß sie mehr nach ihrem Verstande und freyen
Willen, als nach ihren sinnlichen Vorstellungen
gehandelt. |
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Herr D. Lange hat in |
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{Sp. 83|S. 55} |
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seinem Mosaischen Licht und Recht …
gleichfalls behauptet, daß der Fall der ersten
Eltern
nicht am 6ten Tage geschehen sey. Dabey er denn
zwar die Einwendung selber machet, daß, wofern
unsere ersten Eltern im
Stande der Unschuld
einige Tage verblieben wären, sie darinne würden
Kinder gezeuget haben; darauf aber antwortet, daß
unter der weisen
Regierung
GOTTES, im Stande
der Unschuld, sich wohl gewisse uns unbekannte
Ursachen könnten gefunden haben, warum sich
die beyden ersten
Menschen nicht sobald
ehelich
zusammen gehalten. |
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Nun können freylich einige uns unbekannte
Ursachen davon vorhanden seyn; alleine eine und
die andere können doch auch wohl angegeben
werden. Wäre unsern ersten Eltern im Stande der
Unschuld nur ein Kind gebohren worden; so
würden sie solches doch allem Ansehen nach auch
verführet haben. Wäre selbiges in der Unschuld
geblieben; mit wem hätte es sich nach dem
Sünden-Fall vereheligen sollen? Eine von
Natur
sündige Person würde sich zu einer andern, die mit
dem
Göttlichen Ebenbilde noch vollkommen
gepranget hätte, nicht geschicket haben; und diese
würde jene zu ehligen sich viel weniger haben
entschliessen können, als ein
Mensch, der nur eine
kleine Überlegung braucht, sich entschliessen
wird, eine Person die gantz und gar aussätzig ist,
zu
heyrathen. |
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Hätten denn aber unsere ersten
Eltern
im
Stande der Unschuld mehr als ein
Kind gezeuget,
und diese ihre Kinder wären im Stande der
Unschuld geblieben, jene aber wären gefallen,
und hätten hernach ihr
Geschlecht durch Kinder
von einer sündigen
Art fortgepflantzet; so würde
zwischen den Kindern Adams eine gäntzliche
Trennung geschehen seyn, welches an Seiten der
Gefallenen einen beständigen Neid, Mißgunst, und
Grimm wieder die andern, und folglich die
grösseste Verwirrung, würde nach sich gezogen
haben. Ja es hätte dieses gar zu einer
unüberwindlichen Behinderung der Bekehrung an
Seiten der Gefallenen ausschlagen können. |
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