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Zedler: Zorn [1] HIS-Data
5028-63-501-3-01
Titel: Zorn [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 63 Sp. 501
Jahr: 1750
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 63 S. 264
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Übersicht
I. Zorn des Menschen
  (A) Philosophische Abhandlung
 
  (1) Unterscheid des Zorns von dem Schmertze, der Traurigkeit, der Kühnheit und andern Gemüths-Bewegungen
  (2) Die Ursachen des Zorns
  (3) Gegenstand oder Object des Zorns
  (4) Eintheilung des Zorns
 
  Ob der Zorn durchgehends als etwas Böses zu verwerffen und zu verdammen sey?
  5) Practisch-Philosophische Erwegung des Zorns
 
  (a) wie man den Zorn zu verhüten?
  (b) Wenn der Zorn bereits entstanden, wie er gestillet werde?
  (c) oder wie er wenigstens zu mäßigen sey?
  (6) Ob, was man in einem hefftigen Zorne thut, zuzurechnen sey?
  (7) Wie der Zorn zu den Gewissens-Bissen kommen kan?
  (B) Oratorische Abhandlung
  (C) Abhandlung aus der Bilder Kunst
  (D) Medicinische Abhandlung

  Text Quellenangaben
  Zorn, Latein. Ira, ist derjenige Affect, welcher aus der Vorstellung einer geschehenen Beleidigung, sie mag einen entweder selbst, oder einen andern, dem man wohl will, betreffen, entstehet, und da man angetrieben wird, das desfalls zu besorgende Übel abzuwenden.  
  I. Zorn des Menschen.  
  (A) Philosophische Abhandlung.  
  (1) Unterscheid des Zorns von dem Schmertze, der Traurigkeit, der Kühnheit und andern Gemüths-Bewegungen.  
  Mit dem Zorne muß man den Schmertz, die Traurigkeit, die Kühnheit und andere Gemüths-Bewegungen nicht vermischen.  
  Denn Schmertz ist wohl mit dem Zorne verknüpffet, daß ein zorniger Mensch über das ihm angethane Unrecht einen Schmertz empfindet, man kan aber nicht sagen, daß ein jeder Schmertz einen Zorn ausmache, indem man nicht nur einen Schmertz, oder eine unangenehme Empfindung über ein gegenwärtiges, künftiges und vergangenes Übel haben kan; sondern auch dergleichen Empfindung ohne einer starcken Gemüths-Bewegung statt haben kan.  
  Von der Traurigkeit ist er darinn unterschieden, daß er eine Gattung derselbigen ist, in sofern man zugleich bemühet ist, das bevorstehende Übel abzuwenden, woraus leicht abzunehmen, wie er noch von der Kühnheit unterschieden, welche Gemüths-Bewegungen sonst mit einander überein zu kommen scheinen. Die Kühnheit ist nehmlich eine Gattung der Liebe: der Zorn aber eine Art der Traurigkeit, oder des Hasses. Bey jener findet sich eine Begierde, die Mittel zu gebrauchen, doch vornehmlich das Gute zu überkommen; in diesem aber das Böse weg zuschaffen.  
  Es stehen einige in den Gedancken, der Zorn sey ein aus vielen Gemüths-Bewegungen zusammen gesetzter Affect, weil  
  {Sp. 502}  
  bey demselbigen Haß, Traurigkeit und Begierde, sich des Bösen zu entschlagen, zusammen kämen. Allein wie die Traurigkeit, davon der Zorn eine Art ist, an sich einen Haß, und deßwegen eine Begierde, das Böse wegzuschaffen, bey sich führet, also kan man nicht sagen, daß der Zorn selbst aus unterschiedenen Affecten zusammen gesetzt sey. Er kan Anlaß zu verschiedenen Affecten geben, als zu der Schaam, zu der Verzweifelung; die aber das Wesen derselbigen nicht ausmachen.  
     
  (2) Die Ursachen des Zorns.  
  Die nächste Ursache dieses Affects ist die Imagination, daß wie selbige bey dem Menschen veränderlich und unterschieden; also merckt man auch bey ihnen in dem Zorne einen grossen Unterscheid, z.E. es werden zwey Personen, eine wie die andere, mit einander verknüpffet, dabey die eine zornig wird; die andere hingegen macht sich nichts daraus, welches von der Einbildung herkommt, daß der zornige Mensch sich die Beschimpffung als was grosses vorstellet; der andere aber solche vor eine Kleinigkeit achtet. Doch thut auch viel die Beschaffenheit des Gemüths dabey, nachdem man empfindlich ist, oder nicht, indem die Empfindlichkeit nichts anders ist, als eine Neigung sich bald über etwas zu erzörnen.  
     
  (3) Gegenstand oder Object des Zorns.  
  Die Sache, darüber man sich erzörnet, ist entweder ein würckliches Übel, wenn einem in der That etwas widriges begegnet; oder nur ein eingebildetes, wie man aus der Erfahrung weiß, daß Leute durch blosse Gedancken, wenn sie sich einbilden, als dürfte ihnen dieses, oder jenes begegnen, sich zornig machen. Doch muß das Object des Zorns so beschaffen seyn, daß zugleich eine Begierde, selbiges aus dem Wege zu räumen, dabey statt haben kan. Denn über solche widrige Begebenheiten, die man nicht ändern kan, z.E. Wenn GOtt eine Theurung ins Land schickte, betrübt man sich zwar, man wird aber nicht zornig, und wenn man dieses auch thun wolte, so würde es was unvernünftiges seyn, und billig heissen: Vana est sine viribus ira.  
     
  (4) Eintheilung des Zorns.  
  Man kan den Zorn auf verschiedene Art in gewisse Gattungen eintheilen, als  
  1) in Ansehung der Quantität, wenn man die unterschiedliche Stuffen desselbigen zum Grunde setzet.  
  Der niedrigste Grad des Zorns heist der Unwille, der Widerwille, der Verdruß, im Lateinischen indignatio, wenn man sagt, er ist verdrießlich, unwillig darüber worden, und bestehet der Unwille in einer kaltsinnigen Bewegung, das Böse von sich zu treiben.  
  Der andere Grad ist der Zorn selbst, in eigentlichem Verstande, Lat. Ira, welcher eine stärckere Bewegnis ist, sich solchem Übel zu widersetzen.  
  Der dritte Grad ist der Jachzorn, der geschwinde Zorn, Lat. Excandescentia, der bald und um einer geringen Ursache halber kommet, aber auch bald wieder vergehet,  
  {Sp. 503|S. 265}  
  wie bey denen Sanguinischen Leuten der Zorn wie ein Loh-Feuer ist.  
  Der vierdte Grad ist die Bitterkeit, Lat. Amaritudo, wenn der Zorn lange im Hertzen bleibet, wie bey Leuten vom melancholischen Temperamente. Es ist wie Feuer bey nassem Holtze, das bald brennet, bald spriet, bald glüet. Hieher gehöret der Eyfer in der Religion, Lat. Zelus, da man sich was Böses vorstellet, und verbunden erachtet, sich zu widersetzen. Heut zu Tage spotten viele der Prediger Eyfer. Nun geben diese wohl Gelegenheit darzu, wenn Thorheiten mit unterlauffen, aber solchen Eyfer spotten, ist noch eine noch grössere Sünde. Der erste soll nicht von einer fleischlichen, sondern geistlichen Absicht herkommen. Mancher eyffert starck wider die Hurerey; er stecket aber wohl selbst darinnen, weil er alles recht abzumahlen weiß. Hilligens Anatomie der Seelen ...
  Der höchste Grad des Zorns pfleget der Grimm oder die Wuth genennet zu werden, der bisweilen nicht viel von einer Raserey unterschieden, daher man spricht: er hat geraßt und getobet. Solche Zornige fangen an mit einer Hefftigkeit und Geschwindigkeit harte Worte auszustossen; andere beissen die Zähne zusammen, und machen eine Mine, als wenn sie einen mit den Augen erstechen wolten; noch andere stampfeln mit den Füssen, und fechten mit den Händen.  
  Insgemein werden dem Zorne drey Stufen gegeben, der Jachzorn oder Eyfer, wenn einer plötzlich von einem hefftigen Zorne überfallen wird; Die Bitterkeit, welcher ist ein anhaltender Zorn, der das Gemüth wie ein widerlicher Geschmack dem Mund quälet, und daraus nicht weichen will; und der Grimm, oder ein rasender Zorn, der seiner Rache kein Ziel zu setzen weiß.  
  Andere machen den Zorn nur zweyerley, einen schnellen, und geschwind auffahrenden, der aber eben so geschwind übergeht, und sich wieder legt; und einen langsamen, der sich unvermerckt erhebt, aber desto fester hafftet, und tieffer eindringet.  
  Der erste kan auch fromme Leute übereilen, entweder weil ihre Leibes-Beschaffenheit solcher Bewegungen leicht fähig ist, oder weil ihre Frömmigkeit über die Bosheit der andern dermassen eyfert, daß sie den Regungen des Zorns nicht genugsam widerstehen kan.  
  Der zweyte ist sündlich, und hafftet nur bey ehrgeitzigen, hochmüthigen, eigensinnigen und boshafften Leuten, die mit einer hefftigen Begierde woran hangen, und nicht leiden können, daß ihnen darinne die geringste Hinderung oder Eintrag geschehe. Jablonski Allgemeines Lexicon der Künste und Wissenschafften.
  Schlechterdings wird das Wort Zorn von dem Affecte zwischen dem Unwillen und der Wuth gebrauchet, und man saget von einem Menschen, bey dem ein solcher Affect anzutreffen: Er sey zornig, er sey böse.  
  2) In Ansehung der Qualität ist der Zorn entweder vernünftig, oder unvernünftig.  
  Vernünfftig wird der Zorn, wenn sich der Wille von einer gesunden Urtheilungs-Krafft (Judicio) regieren, folglich durch gründliche Vorstellungen einnehmen lässet, daß man sich nehmlich nicht ehe, als bis es die Noth erfordert, erzörnet, und in  
  {Sp. 504}  
  dem Zorne selbst gehörige Maasse hält; woraus leicht zu schliessen, worinnen der unvernünftige Zorn bestehe. Unvernünftig wird er, wenn der Wille durch blosse sinnliche Vorstellungen eingenommen wird, daß man sich daher nicht nur über Kleinigkeiten erzörnet; sondern auch bey dem Zorne keine Maasse zu halten weiß.  
  Ob der Zorn durchgehends als etwas Böses zu verwerffen und zu verdammen sey?  
  Zwar sind die Philosophen hierinn noch nicht einig. Ob nicht der Zorn durchgehends als was Böses zu verwerffen und zu verdammen sey: unter den Alten meynte Aristoteles, es sey der Zorn nicht gantz, sondern nur der Überfluß desselbigen zu verwerffen, indem er L. IV. ethicorum ad Nicomach. … schreibt: Die sich nicht gehöriger massen erzürnen, kommen mir vor, wie tolle Leute, weil sie keine Empfindung sehen lassen. Wer sich nicht erzürnet, der scheint auch nicht geschickt sich zu rächen; nun ist aber Schmach vertragen, und gar nicht auf die Seinigen sehen, in Wahrheit was recht knechtisches.  
  Bey dem Seneca de ira … lesen wir, daß er gesagt; man solle sich des Zorns, als eines Soldaten, und nur nicht als eines Feldherrns bedienen. Die Stoicker, weil sie alle Affecten für böse hielten, verdammten auch schlechterdings den Zorn. Unter denselbigen hat der angeführte Seneca gewisse Bücher vom Zorne geschrieben.  
  In dem ersten wird derselbige beschrieben, und zugleich behauptet, daß derselbige nur den Menschen eigen sey: daß er, wenn er auch schon gemäßiget werde, doch nichts nütze sey, und daß man sich über die lasterhafften nicht erzürnen müsse, wenn sie auch den Vater ermordet, oder die Mutter entführet, ob man sich schon der Beleidigten annehmen, und die Missethäter strafen soll.  
  In dem andern Buche lehret er,  
 
  • daß der Zorn nicht ein lauterer, ohngefehrer, sondern mit dem Verstande vergesellschaffteter Trieb sey. Daher er auch die Vernunfft anhöre, und gebändiget werden könne.
  • Daß die Grausamkeit und Wuth nicht eine Eigenschafft des Zorns, sondern eine gantz andere Begierde sey, ob sie wohl ihren Anfang, auch ihre Nahrung vom öfftern Zorne haben könnten.
  • Daß ein tugendhaffter und weiser Mann sich über die Sünden und Sünder nicht erzürne;
  • daß der Zorn nicht so wohl die angethane Schmach auswische, als offt vermehre, und daß, ob er schon bey andern Furcht und Schrecken errege, er dennoch damit nicht gut werde, denn man fürchte sich auch für die wilden Bestien, und denen Kranckheiten:
  • daß sich ein Weiser wohl zornig anstellen möge, aber nicht würcklich erzürnen dürffe, ja daß der Zorn vielmehr eine Anzeige eines wilden und unverständigen, als aufrichtigen Gemüths sey, daß man sich also vor dem Zorne hüten, und sonderlich in Acht nehmen solle,
  • daß man im Zorne nicht sündige:
  • daß zur Verhütung des Zorns die Auferziehung viel diene, desgleichen auch, wenn man die Haupt-Ursachen desselben bestreite, und sich nicht übereile,
 
  {Sp. 505|S. 266}  
     
 
  sondern auch bey den scheinbarsten Ursachen zum Zorne sich Zeit nehme, dieselben recht zu untersuchen.
 
 
  • Daß man aber darbey allen Argwohn bey Seite setzen, und die Unmäßigkeit meiden müsse:
  • daß man sich weder über sinnliche Dinge, noch über Leute von schlechtem Verstande noch über Dinge, welche der Natur nach, oder auch wohl zu unserm Besten geschehen, zu erzürnen habe:
  • Daß der, so seine eigene Sünden und Schwachheiten recht erkennet, sich über andrer ihrer Fehler nicht leicht erzörnen werde:
  • daß man, um den Zorn zu vermeiden, andern nicht bald glauben müsse:
  • daß, wenn man selbst Zeuge von einer That ist, man dennoch die Beschaffenheit derselben, und denn auch die Bewandniß und den Willen des Thäters in reiffe Betrachtung ziehe:
  • daß man vornehmlich den Hochmuth, und die so grosse Eigenliebe weglege:
  • daß man das uns angethane Unrecht lieber vertrage und verschmertze, als dasselbe zu rächen suche,
  • und daß man sich des Zorns auch nur wegen seiner Schändlichkeit, womit er das Gesicht und Gemüthe verstellet, enthalten solle.
 
  Im dritten Buche wird vieles wiederholet, was schon da gewesen, welchen Innhalt dieser Bücher Lipsius so vorstellet, und Stolle in der Historie der Heydnischen Moral … ins Deutsche gebracht hat.  
  Von den neuern hat Thomasius in der Ausübung der Sitten-Lehre … auch gemeynet, es wäre der Zorn allezeit was Böses, weil er eine Frucht des Ehrgeitziges, und §. 38 macht er einen Unterscheid unter dem Worte Zorn und dem Worte zürnen, welches letztere nur die Empfindung eines Schmertzes oder Verdrusses über etwas anzeiget. Es kommt aber der gantze Streit darauf an, was man durch den Zorn verstehet, und da Thomasius das Wesen derselben in der Rachgierigkeit setzet, so muß nothwendig daraus fliessen, daß man ihm allezeit als was Böses anzusehen habe. Doch da man den Zorn auch ohne den Umständen der Rachgierigkeit betrachten, und ihn als diejenige Art der Traurigkeit ansehen kan, die mit einer Begierde ein bevorstehendes Übel abzuwenden, verknüpft ist, so kan man nicht sehen, warum man allen Zorn böse nennen solte.  
  Denn das ist wohl ausser Streit, daß die Abwendung des Übels bisweilen zugelassen und löblich sey, folglich auch die Begierde solche Abwendung zu befördern nicht böse seyn könne. Sind gleich die Menschen bey ihrem Zorne rachgierig, so ist das ein Fehler, der nicht so wohl von dem Zorne selbst, als von der menschlichen Verderbniß herrühret. Dieser Affect wird in Heil. Schrifft Gott dem Herrn beygeleget, woraus wir mit Recht schliessen: er müsse an und vor sich nicht böse seyn.  
  Ein unvernünftiger Zorne kan vieles Böses anrichten, dessen höchst traurige und schädliche Würckungen Seneca L. I, de ira c. 2. sehr lebhafft vorstellet, wenn er schreibt:  
  Nun aber, wenn du auf dessen schädliche Würckungen die Augen richten wilst, so wirst du finden, daß keine Pest den menschlichen Geschlechte mehr Verderben zugezogen. Du wirst Mordthaten, Gifftmischungen und tausend Schelmereyen der  
  {Sp. 506}  
  Missethäter gegen einander, manche Verwüstungen der Städte, und den Untergang der gantzen Völcker sehen, ja wie man gecrönte Häupter bey öffentlichen Verkauffe um Geld feil bietet, und die Häuser in Brand steckt, wie das Feuer innerhalb der Mauer einer Stadt nicht allein bleibt, sondern wie gantze Länder weit und breit durch feindliche Mordbrenner im Rauche aufgehen.  
  Siehe nur die geringen Überbleibsale und Grundsteine von den berühmtesten Städten, davon man kaum einige Spuren hat: Der Zorn hat sie über den Hauffen geworffen. Siehe die Einöden, wo kein Mensch auf viele Meilen wohnet, der Zorn hat sie verwüstet. Siehe so viel in Historien gerühmte Printzen, als Beyspiele eines traurigen Schicksals; einen hat der Zorn auf seinem Bett durchbohret, einen andern hat er über der Tafel durchstossen, einen hat er mitten unter den Gesetzen, vor Gerichte und bey voller Versammlung ermordet. Einer hat durch des Sohns mörderische Faust sein Blut vergossen; einer hat den Königlichen Hals Sclaven Händen zum Schlacht-Opffer darreichen müssen; ein anderer ist mehr als an ein Creutz geschlagen worden; und das alles hat der Zorn verursachet.  
  Doch was halte ich mich bey den Mordthaten eintzeler Personen auf? wie wenn dir beliebte, diejenigen bey Seite zu setzen, die nur gleichsam Mann vor Mann dem Zorne herhalten müssen und hingegen anzusehen, wie gantze Hauffen durch die Schärffe des Schwerds aufgerieben, wie der Pöbel von den Soldaten überfallen und zusammen nieder gemetzelt worden, ja wie man gantze Völcker ohne Unterscheid in Tod und Verderben gestürtzet hat, gleich als wenn die Götter alle Sorge für uns aufgegeben hätten, oder ihr eigen Ansehen selbst nicht mehr achteten.  
  Was soll ich sagen? Warum ist doch der Pöbel auf die Fechter erbost, und in so unbilligen Grimme entbrannt, daß er als einen Schimpf ansiehet, wenn sie nicht gerne sterben wollen? er meynt, man verachte ihn, und wird aus einen Zuschauer mit Minen, Geberten und erhitzten Gemüthe zum Widersacher des Fechters u.s.w. Wider des obgedachten Thomasii Meynung sehe man die Unschuld. Nachr. des Jahrs 1706 …
  3) Kan man den Zorn auch erwegen in Ansehung der unterschiedenen Gemüths-Arten, so fern im Willen entweder der Ehrgeitz oder die Wollust, oder der Geldgeitz herrschet. Denn etliche lassen sich geschwind zum Zorn aufbringen, geben auch demselbigen wichtigem Nachdruck; allein wenn sich der Feind demüthiget, geben sie sich zufrieden und sind bereit zu vergeben; in dem sie meynen, es stehe einem edlen Gemüthe übel an, gegen diejenigen noch zornig zu seyn, die entweder nicht können, oder doch nicht wollen schaden.  
  Einen solchen Zorn findet man bey denjenigen, die ehrgeitzig sind, und ein Cholerisches Temperament haben. Andere sind hitzig vor der Stirn, aber mit schlech-  
  {Sp. 507|S. 267}  
  ten Nachdruck. Sie werden bald böse, aber auch bald wieder gut, indem sich die Furcht mit einmischet, welche Gattung des Zorns ein Auffahren, eine Hitze pflegt genennet zu werden, wie man bey Wollüstigen antrifft.  
  Wiederum sind andere, bey denen es gar langsam hergehet, ehe sie aufgebracht werden, wenn sie aber einmahl in Harnisch gejagt sind, so hälts schwer, sie wieder zu besänfftigen. Sie gehen auf die äusserste Rache loß, wüten gegen ihre Feinde, und lassen sie ihren Grimm fühlen, welche Art des Zorns die Bitterkeit genennet wird, die man sonderlich bey denen findet, die von einem Melancholischen Temperamente, und von einer geitzigen Gemüths-Art sind.  
     
  5) Practisch-Philosophische Erwegung des Zorns.  
  Dasjenige, was man bey dem Zorne in Acht zu nehmen, kommt auf drey Stücke an: als  
  (a) wie man den Zorn zu verhüten?  
  Es ist vorher erinnert worden, daß der Zorn aus der Einbildung eines angethanen Unrechts entstehe; wenn man ihn nun vermeiden will, so muß man sich nicht einbilden, daß man von andern sey beleidiget worden. Um deswegen ist nöthig, daß man vorher, ehe dergleichen Fälle kommen, fleißig überlegt, was man als eine Beleidigung anzusehen: was man vor nützlich und schädlich zu halten, damit bey ereigneten Fällen, da uns jemand was zuwider thut, solche judiciöse Gedancken wieder vorkommen, und wenigstens verhindern können, daß der Zorn nicht so hefftig ausbreche. Man muß vorher, ehe der Zorn das Gemüth einnimmt, fleißig bedencken, was derselbige durch seine Hefftigkeit vor Schaden erwecke, damit man durch dergleichen Vorstellungen dem Gemüthe eine Abneigung vor demselben beybringe.  
     
  (b) Wenn der Zorn bereits entstanden, wie er gestillet werde?  
  Wenn der Zorn bereits entstanden, so hat man dahin zu sehen, wie er möge gestillet werden, welches ebenfalls durch Vorstellungen und durch die Gedancken geschehen muß; entweder muß man dencken, es sey uns nichts zu Leide geschehen; oder man habe von der Beleidigung so grossen Schaden nicht, als man sich einbilde, oder man mache durch die Hefftigkeit des Affects das Übel nur grösser.  
     
  (c) oder wie er wenigstens zu mäßigen sey?  
  Hat man nicht so viel Gewalt hierinnen über sich, daß man den Zorn selbst stille, so muß man wenigstens in so weit Herr über seinen Zorn werden, daß er äusserlich in solche Reden und Thaten nicht ausbreche, die einem nur mehr Verdruß erwecken.  
  Von dem Plato wird berichtet, daß als er einst auf seinem Knechte erzürnt gewesen, weil er gesündigt hatte, so habe er zu dem Speusippus gesagt: Prügle doch diesen Knecht da ein wenig ab, denn ich bin zornig, wie wir bey dem Valerius Maximus … lesen,
  Eine grosse Mäßigung im Zorn wird von dem Archita, gebürtig von Tarent, gerühmt. Denn nachdem er zu Metapont der Philosophie obgele-  
  {Sp. 508}  
  gen, und nach seiner Zurückkunfft befunden, daß der Bauer, dem er seine Ländereyen anvertraut, alles eingehen und verderben lassen, soll er sich bloß dieser Worte gegen ihm bedienet haben: Ich wolte dich gewiß gut abstraffen, wenn ich nicht zornig wäre, wie wir ebenfalls bey dem Valerius Maximus in dem angezogenen Ort lesen.
  Solche Mäßigung will Lactantius nicht loben, in dem er unter andern dde ira Dei … sagt; Non propter irae magnitudinem donanda erat poena, sed differenda, ne aut peccanti majorem justo dolorem inureret, aut castiganti furorem.  
  Man wird aber den Zorn mäßigen können, daß er nicht äusserlich in solche Reden und Worte ausbreche, die einem nur mehr Verdruß erwecken, wenn man in Betrachtung ziehet, eines Theiles, was uns in allerhand Fällen von diesem und jenem, gegen den wir Zorn hegen, kan zuwider gehandelt werden, und was solches uns schaden könne; andern Theils wie wir dadurch selbst Gelegenheit andern Leuten geben, daß, wenn sie unsere Aufführung gegen dem Beleidiger erkennen, sie sodann vieles von der vorigen Hochachtung gegen uns, verlieren.
  • Gottscheds Gründe der Welt-Weisheit, Practisch. Theil ...
  • Böldickens abermahliger Versuch einer Theodicee …
  • Bernds Abhandlung von Gott und der menschlichen Seele ...
  • Walchs Philosophisches Lexicon.
  (6) Ob, was man in einem hefftigen Zorne thut, zuzurechnen sey?  
  Ob zwar das, was man im hefftigen Zorne thut, in einem Stande geschiehet, da man des Gebrauches der Vernunfft, nicht, oder doch nicht sattsam, mächtig ist, und es dahero scheinen mögte, als ob man keines Verbrechens und solchergestalt auch keiner Straffe fähig sey, als welche allezeit voraussetzet, daß die zu bestraffende That dem, der die Straffe leiden soll, zugerechnet werden, er selbst auch solche Zurechnung, und daß die Straffe ein Effect derselben sey, erkennen könne: Dieweil man aber dennoch den Zorn zu mäßigen verbunden ist, allermeist, wenn man weiß, daß man im Stande des Zorns seiner selbst nicht mächtig sey; so mag der Zorn die Zurechnung eines Verbrechens nicht verhindern. Müllers Philosophie Theil III ...
  Siehe auch weiter unten die juristische Abhandlung des Zorns.  
     
  (7) Wie der Zorn zu den Gewissens-Bissen kommen kan?  
  Es kan der Zorn unter die Gewissens-Bisse aus zweyerley Ursachen kommen? Einmahl geschiehet es, wenn wir erwegen, daß wir durch des andern Einreden zum Bösen verleitet worden: Darnach wenn wir uns selbst als die Urheber unsers Unglücks ansehen, und uns gleichsam als eine von uns unterschiedene Person, betrachten, in welchem letztern Falle wir auch in Haß und Neid gegen uns selbst entbrennen können, in so weit wir uns nehmlich des gegenwärtigen elenden Zustandes werth achten, und unwürdig des vorhin ge-  
  {Sp. 509|S. 268}  
  nossenen, oder noch bey gegenwärtigen Zustande überbliebenen Guten. Man siehet aber gar leicht, daß, wenn die Gewissens-Bisse biß dahin kommen, sie den höchsten Grad erreichet, und der Mensch in dem Stande ist, ihm und andern auf die grausamste Art das Leben zu nehmen. Wolffs Gedancken von der Menschen Thun und Lassen ...
     
  (B) Oratorische Abhandlung.  
     
  In dieser Abhandlung werden wir zeigen, wie ein Redner seinen Zuhörern einen Zorn gegen jemanden erwecken könne? Es entstehet der Zorn, wie allbereit oben gesaget worden, aus der grossen Unlust, die man über das Unrecht empfindet, daß uns ein anderer angethan hat. Will man also den Zorn seiner Zuhörer gegen jemanden erwecken; so muß man ihnen zeigen, wie sehr sie von demselben beleidiget worden. Dazu ist nun dienlich, daß man theils darthut, wie wenig sie solches an ihm verdienet hätten; indem sie ihm niemahls etwas zuwider gethan, wohl aber viel Gutes gegönnet und erwiesen; theils aber, wie boshaft und muthwillig er solche Beleidigung unternommen.  
  Man muß ferner zeigen, daß solches sein erstes nicht sey; oder wenn es ja sein erstes wäre, so hätte es ihm bisher nur an Gelegenheit darzu gefehlet: Ja es läge an ihm nicht, daß er es nicht noch viel ärger gemacht hätte; sondern nur an den Umständen, und an seinem Unvermögen. Man kan hinzusetzen, seine Beleidigung sey mit einer Verachtung der Beleidigten verbunden; indem er sie nicht für fähig hielte, sich an ihm zu rächen. Er hätte so und so davon gesprochen, und wohl gar Spöttereyen und Drohungen hinzugesetzt.  
  Ferner kan man sagen, daß die Unempfindlichkeit gegen einen so frechen Feind ihn nur noch trotziger machen, und dem Beleidigten noch viel mehrern Schaden zuziehen würde. Zuweilen ist der Beleidiger wohl gar geringer vom Stande, Vermögen, Wissenschafft, Geschicklichkeit, Jahren und Kräfften; und alsdann kan man es also desto schimpflicher vorstellen, daß ein so nichtswürdiger Mensch das Hertz gehabt, Leute, die besser sind, als er, zu beleidigen. Zum Exempel kan hier des Demosthenes I philippische Rede dienen, darinn er den König in Macedonien verhaßt zu machen suchet. Es heißt im Eingange?  
  „Ihr sehets ja wohl, wie es steht, ihr Athenienser, und wie verwegen der Mensch schon geworden ist. Er läßt euch ja nicht mehr die Freyheit, ob ihr Krieg oder Frieden haben wollet? sondern er drohet euch, und bedienet sich darbey der hochmüthigsten Ausdrücke. Er ist damit nicht zu frieden, was er schon hat, sondern unternimmt immer grössere Dinge, und verstricket euch rings umher in eurer Trägheit und Langsamkeit. Wenn werdet ihr Athenienser einmahl anfangen, eurer selbst wahrzunehmen? Vielleicht wenn die höchste Noth euch darzu zwingen wird! Was düncket euch aber von dem allen, was jetzo geschiehet? Meines Erachtens kan ja freye Leute keine grössere Noth betreffen, als die Gefahr, in Schimpff und Schande zu gerathen.„ Gottscheds Rede-Kunst ...
  {Sp. 510}  
  (C) Abhandlung aus der Bilder Kunst.  
  In der Bilderkunst wird der Zorn fürgestellet, als ein Geharnischtes junges Weib, auf dem Helm einen Feuer-speyenden Drachenkopff, in der rechten ein Schwerdt, und in der lincken Hand eine brennende Fackel führend, wodurch seine schädliche Art und Würckungen klar abgebildet werden. Jablonski Allgemeines Lexicon der Künste und Wissenschafften.
     
  (D) Medicinische Abhandlung.  
  Es lehret Friedrich Hofmann im siebenden Theile seiner gründlichen Anweisung, wie ein Mensch bey verschiedenen Umständen und Zufällen seine Gesundheit erhalten und grösseren Übel vorbauen könne, … daß sich alte Leute gar sehr vor unmäßigen Zorne in Acht zu nehmen hätten. Denn wenn dieser sich einfinde, da der Cörper mit unreinem Geblüte angefüllet sey, oder die untern Theile eben mit Krampfe und Schmertzen behafftet wären; so verursache er leicht einen Anstoß vom Schlage, oder halben Schlage, oder auch eine Entzündung des Magens.  
  Und p. 176. schreibet er, daß hefftiger Zorn gar leicht Gelegenheit zu einem Anfalle von Nieren- und Stein-Beschwerungen gebe, und solche Würckung dadurch thue, indem er ein krampfhafftes Ziehen in den Nieren mache. Denn dadurch werde der Stein aus dem Nierenbecken, wo er in Ruhe liege, in die Harngänge geworffen, und errege hierinne grausame Schmertzen. Denn es sey, der Wahrheit gar nicht entgegen, daß von grossem Zorne und Schrecken in den gantzen Nervenwesen ein hefftiger Kampf entstehe, und hierdurch der Fortgang der Säffte und anderer Dinge, die sich bewegen liessen, in Unordnung geriethe und stärcker würde.  
  Daß der Zorn die Milch in dem Brüsten der säugenden Frauen verderbet, beweiset Christ. Joh. Lange, Oper. ...
  Und im Medicinischen Hauptschlüssel wird dargethan, daß der Zorn bey Kopff-Schmertzen zu vermeiden, p. 10. und 19.
  ingleichen, daß er nicht selten das schwere Gebrechen verursache, … und deswegen ebenfalls zu meiden ... Auch könne er Convulsionen und den Krampf erwecken. p. 118.
  Bräuner schreibt in seinem Pest-Büchlein ... Es sollen sich die Patienten zu Pest-Zeiten sonderlich vor dem Zorne hüten: Denn von dem Zorne werden sie erhitzet, und ist nicht anders, als wenn man Schwefel ins Pulver schüttet, und ins Feuer stiesse: angesehen sich dadurch das Pest-Gifft in alle Glieder ausbreiten, und den Menschen desto eher ums Leben bringen kan.  
  Weißbach saget in dem Vorberichte über seine Curen …: Der Zorn sey ein plötzlicher Affect, welcher die Menschen recht übereile, ehe sie Zeit bekämen, sich zu besinnen, und sich eines bessern zu belehren. Daher Leute, welche dazu geneigt wären, zu klagen pflegten, sie würden davon recht übernommen, und wenn sie sich bißweilen nur soviel begreiffen könnten, daß sie nur ein Vater Unser lang an sich hielten, so sey es gleich vorüber, und sähen sie die Sache alsdenn gantz anders an, als sie dieselbe vorher im Affecte angesehen hätten. Der Schrifftsteller sage dannenhero, wenn  
  {Sp. 511|S. 269}  
  der Leib mit der Seele nicht in einer zu engen Vereinigung stünde, so möchte sich diese so lange erzörnen, als sie wolte, es würde jenen nichts angehen, noch ein Unheil daraus erwachsen; Allein, so errege die Seele den Affect des Zorns nirgends anders, als in ihrem Leibe, und rase damit in demselben herum, daß er unstreitig das meiste davon fühlen müsse.  
  Der Zorn sey eigentlich eine Raserey oder Wuth wieder dasjenige, so sich mit Hartnäckigkeit, uns zu schaden oder zu beleidigen, rüste, als welches die Natur mit Gewalt zernichten, und ihr Müthlein daran kühlen wolle. Zu dem Ende werde das Geblüte in die äussern Glieder getrieben, um dieselben starck zu machen, damit der Feind recht könne angegriffen werden, als welches die plötzliche Erröthung eines Zornigen anzeige.  
  Geschehe es nun, daß es der Zornige seinem Widersacher recht einträncken könne, so werde er zufrieden, wo nicht so kehre er diese Wuth gegen sich selbst und gegen das, was er in seinem eigenen Leibe, ihm schädlich und hinderlich zu seyn, finde. Wäre er z.E. mit dem Steine beladen, so wolle die Natur demselben mit Gewalt zum Leibe hinaus schaffen, welches aber ohne grausame Schmertzen nicht geschehen könne; und dieses sey die wahre Ursache, weswegen Leute die mit dem Steine, Podagra oder der reissenden Gicht beschweret wären, recht entsetzliche Schmertzen zu empfinden pflegten, wenn sie sich erzörneten.  
  Weiter meldet Weißbach, in seinen Curen, von dem Zorne, daß er den Rothlauff errege, … wenn man auf den Zorn esse oder trincke, bekomme man die Gallen-Colick, … er gebe Gelegenheit zum Podagra, … und zur Brechsucht, ...  
  Die Kranckheiten, schreibet Grüling, in seinem deutschen Artzney Buche, … welche auf den Zorn offtmahls erfolgen, sind: Hitzige Fieber, Zipperlein, Rose, fallende Sucht, und andere mehr; Dahero sich jedermann davor hüten solle. Wenn aber ja dergleichen vorfiele, so sey es rathsam, daß man darauf alsobald einen Löffel voll Schlag-Wasser trincke, den Urin lasse, und zu Stuhle gehe. Allein diesem Rathe wird in der beygefügten Anmerckung widersprochen, allwo es heißt: Wenn man sich hefftig erzörnet habe, so könne man, um die Galle zu temperiren, oder zu dämpffen, etwas von einer Zitrone essen, oder, in deren Ermangelung, eine in Wein- oder andern guten Eßig, geweichte Schnitte Brod genüssen, welches Mittel denn in diesem Falle besser, als das Schlag-Wasser sey: indem solches die vom Zorne herrührende Aufwallung des Geblütes nur vermehre, und also eher schade, als nutze.  
  Von dem Zorne der Schwangern sehe man den Artickel: Schwangern, (Schrecken und Zorn der), im XXXV Bande, p. 1858.  
     

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Stand: 5. April 2013 © Hans-Walter Pries