Titel: |
Urtheilungs-Krafft |
Quelle: |
Zedler Universal-Lexicon |
Band: |
51 Sp. 819 |
Jahr: |
1747 |
Originaltext: |
Digitalisat BSB
Bd. 51 S. 423 |
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Personen
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Text |
Quellenangaben |
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Urtheilungs-Krafft,
Urtheils-Krafft, das
Vermögen zu urtheilen,
Lat.
Judicium, ist diejenige
Fähigkeit des
menschlichen Verstandes welche
die gefaßten
Ideen zusammen setzet, oder |
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{Sp. 820} |
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von einander absondert, wie es in der
That
und wahrhafftig nach der
Empfindung geschehen
soll. |
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Es hat der menschliche Verstand drey
unterschiedene
Kräffte, als das
Gedächtniß, das
Ingenium, und die Urtheilungs-Krafft, da denn das
Gedächtniß die Ideen der
Dinge fasset, damit die
beyden andern Fähigkeiten ihre
Würckungen
daran weisen, und die Ideen unter einander
entweder zusammensetzen, oder von einander
trennen
mögen, jedoch mit dem
Unterscheid, daß
das Ingenium, nur nach den
Regeln der
Möglichkeit; die Urtheilungs-Krafft, aber nach der
Wahrheit und der
Natur der
Sache seine
Würckung anstellet. |
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Selbige sind
Gedancken, und daher gehöret
die Urtheilungs-Krafft ausser Streit zum Verstand,
bey welchem Puncte Cartesius mit seinen
Anhängern eine grosse Confusion begangen.
Denn, wie bekannt, so satzte er das
Wesen der
Seele im Dencken und machte zwey
Arten der
Gedancken, davon einige Würckungen; andere
Leidenschafften der Seelen wären; jene rechnete
er zu dem
Willen, diese aber zum Verstand, |
de passionibus … |
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mithin sahe er das
Wollen, das Aversiren,
Bejahen, Verneinen, als unterschiedene Arten der
Thätlichkeit des Willens an, und muste nach
diesem
Principio die Urtheilungs-Krafft zum Willen rechnen. |
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Eben dieses lehrten auch seine Anhänger als | |
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- Joh. Clauberg not. ad Cartes. princ. …
- Ludovicus de la Forge de mente humana …
- Anton
le Grand Instit. phil. …
- Philaretus in Ethic. …
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nebst mehrern. |
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Es ist nicht
nöthig, diese
Meynung weitläufftig
zu wiederlegen; denn wir sind sattsam aus unsern
eigenen
Empfindungen versichert, daß sich weder
der
Verstand allezeit leidend, noch der
Wille thätig
verhalte, und daß wir nicht in Willen, sondern im
Verstande urtheilen, der ungereimten
Folgerungen, die daher fliessen, zugeschweigen.
Verwundern muß man sich nur, daß sie die Logic
für eine Lehre, die mit dem Verstand zu
thun
habe, ansehen, und darinnen auch gleichwohl von
der Urtheilungs-Krafft handeln, wie unter andern
aus den
Schrifften des
Antons le Grand und Joh.
Claubergs zu ersehen, |
wie davon mit mehrern
- Mastricht in gangraeva nocitat. Cartesiana …
- Joh. Schmid in einer Dissertation de Judicio ad
intellectum …
- und Walchs histor. logic. …
zu
lesen sind. |
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Diese Urtheilungs-Krafft kan angesehen
werden, entweder als eine durch
Fleiß und
Mühe
erlangte Krafft. Jene haben wir von
Natur, damit
alle Menschen, wenn sie auch noch so einfältig
sind, versehen, daß also kein Mensch in der
Welt,
der nicht urtheilte; diese aber, oder vielmehr den Habitum wohl zu urtheilen,
erlangen wir nach vorhergesetzten
natürlichen
Vermögen durch die
Erkenntniß guter Theoretischer
Reguln und
fleißige Ausübung derselben. |
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Wie aber die natürlichen Kräffte nicht in
gleichem Maaß von der Natur ausgetheilet
werden, auch die durch die
Kunst anzustellende
Verbesserung nicht auf gleiche Art geschiehet;
also entstehen verschiedene Gattungen
judicieuser Leute. Sie haben zwar alle durch
Hülffe eines vorausgesetzten guten
Naturells ihre
Urtheilungs Krafft zur Reiffe |
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{Sp. 821|S. 424} |
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gebracht, daß sie nicht nur das
wahre von
dem
falschen zu
unterscheiden, sondern auch die
nöthigen Folgerungen einer Wahrheit oder
Falschheit, eines guten oder
bösen vorher zu
sehen,
geschickt sind; In den Graden aber der
Activität und Penetration sowohl an sich, als auch
in Ansehung der Verbindung mit den beyden
andern Fähigkeiten des Verstandes, dem
Gedächtniß und
Ingenium sind sie
unterschieden.
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Denn in der ersten Absicht hat man zweyerley
judicieuse Leute. Einige können mit der
Wahrheit
zurechte kommen, wenn andere ihnen den Weg
gebahnet, das ist, sie sind im
Stande, die
Wahrheit, die ein anderer gezeiget, und deren
Grund zu begreiffen, können die bereits erfundene
Principia in ein und dem andern Stück verbessern,
accurater fassen, auch neue Conclusiones daraus
ziehen, und durch dieselbigen noch einen und den
andern Irrthum
erkennen. |
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Andere haben die Urtheilungs-Krafft im
höchsten Grad, daß wenn sie solches auf die
gelehrte und insonderheit auf die
philosophische
Wissenschafft appliciren, so lassen sie es nicht
bloß bey einer Verbesserung bewenden, sondern
führen wohl ein gantz neues
Gebäude mit guten
Grunde auf, welches auf zweyerley Art geschehen
kan, indem sie gantz neue Principia einer
entweder zuvor bekannt oder noch nicht bekannt
gewesenen Disciplin
erfinden, die behörigen
Conclusiones daraus ziehen, und alles in
richtigster
Ordnung abzufassen wissen. |
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Man pflegt sonst die Urtheilungs-Krafft in eine
theoretische (judicium theoreticum,) und
practische (judicium practicum)
einzutheilen,
davon jene mit theoretischen, diese aber mit
practischen
Dingen beschäfftiget, welche
Eintheilung zwar das
Wesen der Urtheilungs-Krafft
nicht angeht, und daher so gründlich nicht ist, weil
der
Unterscheid derer
Objecte keine
Veränderung
in der
Sache selbst, die eingetheilet wird, machet;
Gleichwohl aber findet sich der Unterscheid unter
den Leuten, daß einige glücklicher in
theoretischen, andere in practischen Dingen bey
dem Judiciren sind; welches vornehmlich von der
unterschiedenen Art der Bemühung und des
Fleisses herrühret, daß man bald mehr mit
theoretischen, bald practischen Dingen sich
beschäfftiget. Daher man von dem, der bey
Ausübung und Anwendung einer allgemeinen
Wahrheit die
Umstände bey den besonderen
Fällen genau beobachten kan, damit die
Anwendung nicht unrecht geschehe, zu
sagen
pfleget: Er habe eine gute ausübende Urtheilungs-Krafft, oder judicium practicum. |
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Es ist die Urtheilungs-Krafft ausser Streit die
vornehmste
Krafft des
Verstandes, welche
Gott
zum Haupt über die andern Kräffte gesetzet, und
daher den meisten Fleiß in der Ausbesserung des
Verstandes erfodert und
verdienet, daher man
auch von einem
Menschen, der keine Urtheilungs-Krafft hat, zu sagen pfleget: Es fehlet ihm am
besten. |
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Man handelt davon insgemein in der
Logic,
welche von der
Wahrheit überhaupt tractiret; die
Erkenntniß derselben aber ein
Werck der
Urtheilungs-Krafft ist, daher |
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-
Clericus in logic …
- Crousatz in systemat. de
reflect. …
- Gundling in via ad veritatem …
- Rüdiger
de sensu veri et falsi …
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{Sp. 822} |
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|
… und in philosoph. pragmatic. … |
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-
Wolff von den Kräfften des menschlichen
Verstandes …
-
Müller in seiner Philosophie I. Th.
…
- Zimmermann in der natürlichen Erkänntniß
Gottes …
- Desselben Vernunfft-Lehre …
- nebst
andern mehr
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nachzulesen sind. |
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Die
Mängel der Urtheilungs-Krafft sind
Irrthümer und Vorurtheile, jene bestehen darinne,
daß die Urtheilungs-Krafft von den
Regeln der
Vernunfft-Lehre abweicht; Diese sind falsche
Sätze, welche man ohne gehörige Untersuchung
vor
wahr annimmt. Diesen Mängeln hilfft man ab
durch die Vernunfft-Lehre, durch welche, wenn die
Urtheilungs-Krafft zunimmt, und man zu solcher
Fertigkeit gelanget ist, das wahre von dem
falschen zu
unterscheiden, und zwar hurtig und
gewiß, so heist dieses der
philosophische
Geschmack oder Sensus veri et falsi. Durch
diesen wird man in den
Stand gesetzet, gründliche
Überzeugungen zu machen, wider welche
Irrthümer, Vorurtheile und auch sogar die
Neigungen
in die Länge nicht bestehen
können. |
Ein mehrers davon siehe in
Fabricii Logic … |
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