Stichworte |
Text |
Quellenangaben
|
Gott Urheber der Sünde? |
Diese erzehlten
Umstände der
Historie des
Sünden-Falls sind so beschaffen, daß die
Menschen, welche nicht gerne die Schuld ihres
Verderbens aus sich selbst herleiten
wolten, aus
selbigen
Gelegenheit nehmen,
GOTT zu dem
Urheber der Sünde zu machen. Es ist daher
nöthig
daß wir ihre Vorwendungen erzehlen, um
dieselben zu wiederlegen. |
|
|
Man spricht: GOTT hat doch gleichwohl den
Sündenfall der ersten Eltern vorher gesehen.
Hierauf dienet zur Antwort: Der
Verstand und die
Erkänntniß ist keine solche würckende
Eigenschafft, welche dasjenige, was man
erkennet, hervorbringet. Um deßwillen geschiehet
etwas nicht, weil man vorher erkennet, daß es
geschehen werde. Der
Mensch kan aus vielen
Umständen auch gewiß vorher sehen, daß
manches so oder so erfolgen werde; aber er ist
deßwegen von dem vorhergesehenen keine
würckende Ursache. |
|
|
Zum Exempel ein Sternkündiger siehet vorher,
und saget auch vorher, daß um diese oder jene
Zeit eine Sonnen oder Mond-Finsterniß erfolgen
werde; aber wer wolte deswegen auf die
Gedancken gerathen, daß das Vorhersehen des
Sternkündigers solche Finsterniß verursachet
habe. Sie |
|
|
{Sp. 84} |
|
|
würde erfolget seyn, wenn auch kein
Mensch
sie vorher gewust hätte. Eben so würde der erste
Sündenfall geschehen seyn, wenn man schon den
unmöglichen Fall setzen wolte, daß ihn
GOTT nicht
vorher gesehen hätte. Über dem so siehet GOTT
etwas nicht der Zeit nach vorher, weil bey ihm
keine Folge der Zeit statt findet; sondern
erkennet
alles auf einmahl als gegenwärtig. Wie nun der
Mensch von dem, was er gegenwärtig vor sich
siehet, nicht um deßwillen, weil er es siehet, eine
würckende Ursache ist; also folget auch nicht, daß
Gott eine
Ursache des Sündenfalls sey, weil er
denselben vorher gesehen hat. |
|
|
Allein spricht man weiter: Gott hat gleichwohl
den Menschen so erschaffen, das er hat fallen
können. Die Antwort ist: Wenn man behaupten
könnte, daß Gott den Menschen also erschaffen
hätte, daß er nothwendig hätte fallen müssen; so
liesse sich dieser Einwurff hören. So aber kan nicht
daraus erzwungen werden, daß Gott der Urheber
der Sünde und des
Bösen seyn solte. Folgt denn
wohl: Ein Künstler hat eine
Machine verfertiget, die
da kan zerbrochen werden: deßwegen, wenn sie
zerbrochen wird, ist der Künstler Schuld daran?
Oder noch näher zur
Sache zu kommen, folget
dieses wohl:
Eltern haben ein
Kind gezeuget,
welches sich bey heranwachsenden Jahren selbst
entleiben kan, haben deßwegen die Eltern Schuld,
wenn eine solche Entleibung erfolget? |
|
|
Gott hat den
Menschen nicht anders
erschaffen können, als es möglich gewesen ist.
Eine Creatur kan nicht unendlich seyn, sondern
muß ihre gewisse
Schrancken haben. Die
Einschränckung ist einer Creatur wesentlich eigen.
Gantz uneingeschränckt seyn, kommt Niemanden
als Gott alleine zu. Eine Creatur kan nicht Gott
seyn; und so kan sie auch nicht ohne gewisse
Schrancken seyn. Was seine Schrancken hat, kan
dieselbe verändern, entweder zur Verbesserung
oder zur Verschlimmerung. Dieses kan der Creatur
unmöglich benommen werden. Gott hätte
entweder gar keine Menschen erschaffen müssen,
oder er hat sie veränderlich erschaffen müssen.
Genung, daß Gott den Menschen so erschaffen,
daß er hätte immer vollkommener werden können,
und sollen; und also ist nicht schlechterdings
nothwendig gewesen, daß der Mensch bey seiner
Veränderlichkeit sich verschlimmern müste. Es war
bey ihm die Anlage so gemacht worden, daß er
immer zu einer grössern und gewisse
Erkänntniß
und Heiligkeit, und folglich auch zu einer grössern
Seeligkeit hätte gelangen können. |
|
Warum nicht gleich seliger Mensch geschaffen? |
Ja, wendet man ferner ein: Warum hat aber GOtt den Menschen nicht
gleich anfänglich so erschaffen, wie er in der ewigen Seeligkeit seyn wird, da nehmlich Gott den Menschen, im Guten
dermassen bestätigen wird, daß er nicht mehr wird
fallen können? Auf diese Weise würde der
Sünden-Fall der ersten Eltern verhütet worden
seyn; und würde der Mensch Gottes Ebenbild noch
in einem viel höhern Grade gehabt haben, weil Gott
nicht fallen kan. |
|
|
Dieser Einwurff rühret daher, weil man voraus
setzet, daß die Beständigkeit, und die Bestätigung
im Guten nicht so wohl aus dem innern
Zustande
der Seeligen er- |
|
|
{Sp. 85|S. 56} |
|
|
folge, als vielmehr, daß sie eine willkührliche
Gabe
GOttes sey, welche demselben nur so von
aussen angehänget und mitgetheilet werde,
ebenfalls wie man etwa einen stehenden
Menschen von aussen so binden und feste
machen möchte, daß er nicht übern Hauffen fallen
könnte. Allein dieses ist ein gantz falscher
Begriff,
welcher nicht als eine
Wahrheit voraus gesetzet
werden kan noch muß. Daß GOtt in seinem Theil
unmöglich in die Sünde fallen noch willigen kan,
rühret von seiner vollkommenen
Erkänntniß her, da
er das widersprechende lächerliche und thörichte
Wesen, so sich in der Sünde befindet, und die
verwerffliche Folgen, welche in alle Ewigkeit
daraus herfliessen, ohne allem Fehl durchschauet,
und es ihm daher nicht möglich ist, daß er sich die
Sünde solte können gefallen lassen; eben so
wenig, und noch viel weniger, als ein
vernünfftiger
und ehrbarer Mensch, solange er die offenbare
Thorheit einer närrischen Handlung einsiehet, sich
entschliessen kan, einem Narren sich gleich zu
stellen; der übrigen Göttlichen unveränderlichen
Eigenschafften nicht einmahl zu gedencken. |
|
|
Ein eingeschränckter
Verstand aber,
dergleichen der
Mensch hat, kan unmöglich alles
auf einmahl einsehen; sondern muß nach und nach
durch Übung und
Erfahrung erst zu einer
mehrererm
Erkänntniß gelangen. Daß die Seeligen
in jener
Welt nicht mehr in der Gefahr aus neue
zufallen sich befinden werden, kommt nicht so
wohl daher, weil sie nunmehr gar keine Sünde
mehr an sich haben, denn so war auch der erste
Mensch beschaffen, sondern hauptsächlich aus
der Erfahrung, die sie theils von der Beschaffenheit
der Creaturen, welche für sich selbst keine wahre
Glückseeligkeit mittheilen können, theils auch von
der Betrüglichkeit der Sünde, und dem Elende, so
aus der Sünde erfolget, und welches sie nicht allein
in der
Zeit an sich selbst empfunden haben,
sondern auch an den Verdammten noch
gegenwärtig gewahr werden, erlanget haben und
besitzen. |
|
|
Eine
menschliche
Erkänntniß, welche mit der
Erfahrung
verknüpffet ist, ist viel gewisser, fester
und lebhaffter, als wenn es ohne alle Erfahrung
geschiehet. Unsere erste
Eltern, ob sie gleich mit
vollem
Verstande auf diese
Welt erschaffen
worden, wie man aus ihren
Reden wahrnehmen
kan, hatten doch noch nicht, und konnten auch
noch nicht haben solche feste und unbewegliche
Einsichten, als sie erhalten haben würden, wenn
sie erst länger auf der Welt gewesen wären, und
mehr Erfahrung erlanget hätten. Folglich fand ein
bestätigter
Zustand im Guten, bey ihnen gleich
anfänglich noch nicht Platz. |
|
|
Inzwischen hatten sie doch schon so viel
Erkänntniß, daß sie vor dem Abfall hätten bewahret
bleiben können, wenn sie dasjenige, dessen sie
sich vollkommen bewust waren, hätten bewahren
und gebrauchen wollen. Denn es war bey ihnen
wenigstens eine deutliche Einsicht, daß ein
GOtt
sey, daß sie seine Geschöpffe wären, daß er ihnen
ein gewisses Verbot gegeben hätte, und daß sie
solchem nachzukommen
verbunden wären. Sie
brauchten weiter nichts denn dieses, um in der
Aufrichtigkeit und Lauterkeit, darinne sie
geschaffen waren, zu verharren. |
|
|
Doch man verfällt wieder auf die
Vorhersehung GOttes, und |
|
|
{Sp. 86} |
|
Vorsehung Gottes |
spricht: GOtt hat ja wohl gewust, daß, wenn er
den Menschen in diese und jene Umstände
setzete, er so dann fallen würde. So hätte er ihn ja
wohl in andere Umstände setzen können, von
welchen er vorher gesehen, daß bey demselben
der Mensch vor dem Falle würde bewahret blieben
seyn. |
|
|
Fast auf gleichen Schlag führet der alte
Kirch-Vater Tertullianus, der mit dem Ausgange
des zweyten Jahrhunderts nach Christi Geburt
gelebet, den Ketzer Marcion Libr. II contra Marcion.
redend ein: Wenn GOtt gut ist, saget dieser Ketzer,
und das Künfftige vorher weiß, auch das Böse
abzuwenden hinlängliche Macht besitzet, warum
hat er denn zugegeben, daß der Mensch, der sein
Ebenbild war, von dem Gehorsam des Gesetzes
ab- und durch Betrug des Teufels in den Tod
gefallen ist. Denn, wenn er gut wäre, und
dergleichen nicht haben wolte, wenn er
dergleichen vorher wüste, und er wäre so mächtig,
daß er es verhindern könnte; so würde es nicht
geschehen seyn. Da es aber dennoch geschehen
ist, so müsse man nothwendig zugeben, daß GOtt
weder gut noch mächtig sey, noch auch, daß er
etwas vorher wisse. |
|
|
Jedoch hierauf dienet zur Antwort: Es ist
freylich an dem, daß
GOtt wisse, was nach dem
freyen Willkühr der Menschen geschehen werde,
wenn dieses oder jenes vorher gehen solte. Aber
wir müssen uns zugleich auch hier erinnern, daß,
wenn es darauf ankommt, was GOtt bey diesem
oder jenem Fall, entweder selbst thun oder
geschehen lassen wolle, so dann die Göttliche
Weisheit, Güte und Heiligkeit mit in den Anschlag
kommen müsse. GOtt will immer das Beste. |
|
|
Auch wenn die Frage ist, was
GOTT unter zweyen Übeln zulassen wolle; so muß auch immer
die Antwort fallen, er lasse das zu, was noch nach allen Umständen das Beste
sey, das ist, was noch das leidlichliste, und was noch zum Besten mit den
Zwecke
seiner Zulassung überein komme. Hätte GOtt vorher gesehen, daß bey gewissen
äusserlichen Umständen der
Mensch
für allem Fall würde bewahret blieben seyn; so würde er solche Umstände nach
seiner wesentlichen Güte und Heiligkeit allen andern vorgezogen haben. Da nun
aber der wesentlich gute GOtt diejenigen Umstände, in welche er unsere ersten
Eltern
gesetzet hat, vor allen andern erwehlet hat; so schliesset man
billig
daraus, nicht allein, daß GOtt müsse gesehen haben, der Mensch möchte in
Umstände gesetzet werden, in welche er wolte, so würde er fallen; sondern auch,
daß der Fall, der bey diesen Umständen geschehen werde, noch der leidlichste,
der zum ersten wieder gut zu machen stehe, und zur weitern Offenbahrung der
Göttlichen Herrlichkeit und seiner Eigenschafften diene. |
|
|
Hierwieder kan man mit
Grunde nichts
aufbringen; oder man muß das
beweisen können,
daß bey diesen oder jenen Umständen der
Mensch
gantz gewiß nicht gefallen seyn würde. Nun könnte
man z.E. sagen:
GOtt solte ihm das Verbot, von
dem Baum mitten im Garten zu essen nicht
gegeben haben; so würde er nicht gefallen seyn.
Alleine es wird dieses ohne genugsamen Grund
voraus gesetzet. Er hätte ja wohl auf andere Weise
von GOtt abfallen können, wenn er schon ein
solches Verbot nicht gehabt hätte; wie |
|
|
{Sp. 87|S. 57} |
|
|
aus dem Falle der bösen Engel
erhellet. |
|
Übrigens verräth sich der
Mensch
bey diesem
Einwurff, was nunmehr nach dem Sünden-Fall in
seinem Hertzen stecke. Er will
GOtt die
Macht, den
Menschen willkührliche
Gesetze zu geben,
absprechen. Das ist ebenso viel, als wenn man
verlangete, GOtt solte sich nicht als einen
Herrn
den Menschen darstellen. Keine
Herrschafft
kan
ohne willkührliche Gesetze
bewiesen und
behauptet werden. Willkührliche Gesetze nennen
wir diejenigen, die nur bey gewissen Umständen
gegeben werden, und die daher, wenn die
Umstände sich ändern, nach den
Regeln der
Weisheit wieder geändert werden können, ohne
daß bey dem, welcher einem solchen Gesetze
nachkommt, oder darwider handelt, an und für sich
selbst aus der
Natur seiner Handlung etwas Gutes
oder
Böses erfolgte. |
|
|
Z.E. Das Gebot von der Beschneidung war ein
willkührliches
Gesetze, welches
GOtt zwar nach
seiner Weisheit um gewisser Umstände willen,
gegeben hat; aber es war doch nicht einer solchen
Art, daß aus der Beschneidung bey den Juden an
und für sich selbst, und ihrer Natur nach, etwas
Gutes, und daß aus der Unterlassung desselben,
an und für sich selbst etwas
Böses hätte erfolgen
können und müssen. Da hingegen, wenn man
jemanden
saget, iß keinen Gifft, oder du must
sterben; so ist solches kein willkührliches Gebot,
indem auf die Geniessung des Giffts, nicht so wohl
um der Übertretungen des Gebotes willen, als
vielmehr aus der
Natur des Giffts selbst, der
Tod
erfolget. |
|
|
Es kan keine
Herrschafft, wie schon
gesaget
worden, ohne willkührliche Gebote behauptet
werden. Man stelle sich eine Herrschafft vor, die
Gesinde erhält. Was giebt eine solche ihren
Bedienten für
Befehle, und worinnen
beweiset sie
ihre Herrschafft? Bestehen ihre Befehle darinne,
daß sie z.E. sagte: Iß keinen Gifft, oder du must
sterben; springe nicht aus dem Fenster, oder du
brichst den Hals; stürtze dich nicht ins Wasser,
oder du wirst ersauffen? Dergleichen kan man
einem jeglichen sagen, über den man doch nichts
zu
befehlen hat. Ja dergleichen könnte auch
allenfalls ein
Unterthan seinem
Landes-Herren
sagen. In diesem allen liegt kein eigentlicher
Beweiß der Herrschafft. Diese wird durch lauter
willkührliche Gebote bewiesen, wenn es nehmlich
heisset, wie dort bey dem
Knechte des
Hauptmanns zu Capernaum: Gehe hin, so gehet
er: komm her, so kommt er; thue das, so thut er
es. |
|
Da nun keinem
Menschen, der nur einige
Herrschafft besitzet, die
Macht willkührlich etwas
zu gebieten oder zu verbieten, in Zweiffel gezogen
wird; soll denn
GOtt, der oberste HErr, in diesem
Stücke nichts zu sagen haben? Wenn ein Mensch
dem andern, dem er zu
befehlen hat, etwas
untersaget; so ist Niemand so thörigt, daß er die
Übertretungen des Gebotes, und die daher
entspringende Ungelegenheit dem Befehlshaber
beymessen wolte. Aber GOtt solte die Schuld der
Übertretung deswegen auf sich nehmen, weil er
dem Menschen im äusserlichen nur ein einiges
herrschafftliches Verbot gegeben hat. Und so sind
denn die Menschen gar nicht berechtiget, GOtt
dasjenige zur Last zu legen, was sie sich selbst
nicht in dergleichen Fällen zur Last legen
lassen. |
|
|
Doch finden wir bey dem |
|
|
{Sp. 88} |
|
|
Göttlichen Verbote was gantz besonders,
welches GOtt noch vielmehr, als die
Menschen bey
ihren willkührlichen
Befehlen, rechtfertigt. Wenn
die Menschen willkührliche Gebote geben, so thun
sie solches entweder, um ihre
Gewalt, und daß sie
etwas zu befehlen haben, sehen zu lassen, oder
sie thun es um ihres eigenen
Vortheils willen. Auf
beyde Weise haben sie vielmehr sich selbst, als
das Beste ihrer
Bedienten zum
Zweck. Allein GOtt
handelt gantz anders. Dieser darff mit seinem
Befehlen seinen eigenen
Nutzen nicht suchen;
denn er bedarff keiner Creatur. So hat er auch gar
nicht nöthig, sich nur um seinet willen groß zu
machen, ohne dabey auf das Beste der Creaturen
seine Augen zu richten. Auch bey den
willkührlichen Geboten suchet seine Güte und
Weisheit der Creaturen Bestes. |
|
|
Und eine solche Bewandniß hatte es auch mit
dem unseren ersten
Eltern gegebenen Verbot.
GOtt hatte den
Menschen überhaupt zum
Herren
über dem gantzen
Erdboden gesetzet. |
1 B. Mos. I, 26. 28. |
|
Er hatte ihm insonderheit die fruchtbringenden
Kräuter und Bäume, als die allerbesten zur Speise
angewiesen |
v. 29. |
|
Nur einen eintzigen Baum hatte er davon
ausgenommen, |
Cap. II, 16. 17.. |
|
Und warum dieses? Es wäre dem
Menschen
nichts schädlicher gewesen, und hätte ihm nichts
eher zum Abfall von
GOtt verleiten können, als
wenn er auf die
Gedancken gerathen wäre; er sey
der eigentliche
Ober-Herr auf dem
Erdboden, und
stehe nun weiter unter keinem andern; GOtt habe
ihm eine unumschränckte
Macht eingeräumet, und
seine eigene oberherrschaftliche
Gewalt auf dem
Erdboden abgetreten. Damit nun aber dieses
verhütet werden könnte und der Mensch eine
beständige Gelegenheit haben möchte, sich zu
ändern, daß er seine
Herrschafft
von GOtt
gleichsam nur zur
Lehn trüge; so wurde ihm dieses
Verbot gegeben. |
|
|
Dazu auch um gleichen
Zwecks willen, noch
das willkührliche Gebote von der Feyerung des
siebenden Tages kam, da bey einem öffentlichen
und gemeinschaftlichen Gottesdienst die
Menschen beständig sich erinnern solten, daß sie
alle mit einander unter
GOtt stünden, und daß sie
sich deshalben in ihrem Umgange unter einander,
und in ihrem Thun und Lassen, beständig nach
GOtt richten solten. Wenn wir demnach das
Verbot, von einem gewissen Baum zu essen, als
ein bloß willkührliches Verbot ansehen, eben wie
das Gebot von der Feyerung des siebenden Tages
auf Seiten GOttes bloß willkührlich ist; so werden
wir auch schon so, nicht nur die Göttliche Befugniß
ein solches Verbot zu geben, sondern auch den
abgezielten
Nutzen auf Seiten der Menschen,
erkennen müssen; so viel fehlet, daß man dabey
GOtt, als den Urheber des Sünden-Falles, mit
einigen
Rechte ansehen könnte. |
|
|
Wolte aber jemand behaupten, daß der Baum
der Erkänntniß Gutes und Böses zwar zu einem
andern nützlichen Gebrauch, aber nicht zum Essen
für den
Menschen, seyn nützlich gewesen,
sondern daß dessen Frucht ihrer
Natur nach eine
Unordnung und Verdorbenheit in den
menschlichen
Cörper gebracht habe, gleichwie im
Gegentheil der Baum des Lebens eine besondere
Stärckungs-Krafft hatte; so wird ein solcher um
desto mehr gestehen müssen, daß
GOtt durch sein
Verbot nicht allein das
Gemüth des Menschen
in |
|
|
{Sp. 89|S. 58} |
|
|
einer beständigen Unterthänigkeit unter sich
zu erhalten, sondern die ihn auch für dem, was sich
für ihn nicht schickte, und ihm auch am
Leibe
schädlich seyn würde, zu bewahren gesucht hätte:
Noch könnte man einwenden: GOtt hätte doch
gleichwohl den Sünden-Fall des ersten Menschen
zugelassen. |
|
|
Was hätte aber GOtt denn thun sollen?
Spricht
man: Er hätte ihn verhindern sollen; allein, wie
hätte er ihn denn verhindern sollen? Entweder, er
hätte verhindern müssen, daß nur die äusserliche
That des Essens nicht wäre vollbracht worden;
oder er hätte dem
Menschen keinen
freyen Willen
lassen, oder, er hätte den Menschen gar nicht
erschaffen müssen. |
|
|
Die äusserliche
That des Essens hätte GOtt
freylich leichte verhindern können. Er hätte nur der
Eva ihren Arm, als sie denselben zu der
verbotenen Frucht ausstreckete, lähmen dürffen;
wie dem Könige Jerobeam wiederfahren, als er
seine Hand wieder den Propheten, der wieder ihn
weissagete, ausgestrecket hatte, |
1 Buch der Könige XIII,
4. |
|
Allein, dadurch wäre dieser
Sache noch nicht
gerathen gewesen. Denn auf diese Weise wäre
zwar wohl die äusserliche
That, nicht aber die
innerliche Abweichung des Hertzens von
GOtt, und
also auch nicht der äusserliche Sünden-Fall von
GOtt verhindert worden. Es kommt bey der Sünde
nicht hauptsächlich auf diese oder jene äusserliche
That an, sondern auf die innerliche Beschaffenheit
des
Gemüths und den
Willen. Hätte denn nun aber
GOtt dem ersten
Menschen keinen
freyen Willen
lassen wollen; so würde er keine
vernünfftige
Creatur gewesen, oder geblieben seyn; und eben
deßwegen würde er auch keiner besondern
Gemeinschafft mit GOtt, noch einer daher
entspringenden wahren Seeligkeit, haben
geniessen können. |
|
|
Das
Wesen einer vernünfftigen
Seele ist also
beschaffen, daß sie kein wahres Vergnügen an
einer
Sache haben kan, wenn sie nicht dieselbe für
gut
erkennet, und ihre freye Wahl darauf richtet.
Man setze einen Menschen wieder seinen
Willen in
die besten und vortheilhafftesten Umstände, er
wird gewiß an denselben wenig Vergnügen finden.
Da hingegen ein Mensch manchmahl an einer
Kleinigkeit, woraus andere nichts zu machen
wissen, sich vergnüget, eben deßwegen, weil er es
so gut findet, und mit seiner freyen Wahl darauf
verfällt. |
|
|
Hätte
GOtt dem
Menschen diesen seinen
freyen Willen benehmen sollen, so würde das
höchste Gut selbst, ihm nicht mehr ein
vergnügendes Gut gewesen seyn; und dadurch
wäre der eigentliche Zweck der
Schöpffung des
Menschen weggefallen. Solte GOtt aber den
Willen des Menschen
recht frey lassen; so muste
derselbe ihm auch frey bleiben, wenn er von GOtt
abzuweichen gut finden solte. Denn es kan keine
wahre Freyheit des Willens statt haben, wenn
derselbe sich nicht auf ja oder nein, auf eins oder
das andere richten kan. |
|
|
Hätte denn endlich GOtt den Menschen gar
nicht erschafft wollen um nur auf solche Weise zu
verhüten, das unter den Menschen kein
Sünden-Fall entstehen möchte; so würde der
gantze
Reichthum der
Göttlichen Gnade, welche er
in Christo JEsu dem gantzen
menschlichen
Geschlecht geoffenbaret und geschencket hat,
haben zurück und verborgen |
|
|
{Sp. 90} |
|
|
bleiben müssen. Wie viel tausend, ja Millionen
Menschen, hätten nicht der ewigen Herrlichkeit, die
sie nun in Christo JEsu würcklich erlangen,
beraubet und in ihrem Nichts verbleiben müssen,
wenn
GOtt um des vorher gesehenen
Sünden-Falls willen, das gantze menschliche
Geschlecht bey der
Schöpffung hätte weglassen
wollen. Auf diese würde GOtt mehr auf die
Gottlosen, die doch aus ihrer eigenen Schuld
verlohren gehen, gesehen haben, als auf
diejenigen, von welchen er doch vorher
erkannt
hat, daß sie sich aus dem Sünden-Fall, durch die
Gnade Christi wieder würden zu rechte bringen
lassen. Solte denn nun wohl GOtt hinlängliche
Ursachen gehabt haben, seine Augen mehr auf
muthwillige Gottlose, als auf seine künfftige Kinder
zu richten, und um jener willen, auch diesen ihre
Würcklichkeit zu versagen? |
|
|
Wir finden vielmehr in der Göttlichen
Haußhaltung seiner Vorsehung, daß
GOtt
manchmahl gottlose
Menschen träget und duldet,
um der
Kinder willen die noch von ihnen sollen
gebohren werden, und von welchen GOtt vorher
gesehen hat, daß sie sich von Hertzen zu ihm
bekehren, und sehr nützliche Werckzeuge auf dem
Erdboden werden würden. Wäre der gottlose
König
Manasses, der 55 Jahre
regieret hat, gleich nach
wenigen Jahren seiner
Regierung, da er die
abscheulichsten Laster ausübete, von GOtt
getödtet worden; so hätte er nicht allein sich selbst
in seinem Alter nicht noch bekehren können,
sondern es würde auch sein Groß-Sohn der Josias
nicht zur
Welt gekommen seyn, welcher doch
hernach soviel Gutes stifftete. Dieses eintzige
Exempel kan zu weitern Nachdencken Anlaß
geben. |
|
|
|
|