Stichworte |
Text |
Quellenangaben |
Weitere Fragen |
Damit wir bey dieser wichtigen
Sache, alle
Anstöße so viel
möglich aus dem Wege räumen; so
wollen wir noch einen und den andern Einwurff
beybringen. |
|
|
Man möchte sagen, warum GOtt zugegeben
hätte, daß der Satan unsere erste Eltern hätte
versuchen dürffen, da ihm doch nicht unbekannt
gewesen wäre, daß sie in der Versuchung unter
liegen würden. |
|
|
Jedoch es folget gar nicht, daß um der
Versuchung willen die ersten
Eltern nothwendig
hätten fallen müssen. Die Gläubigen werden
nunmehro auch vom Satan versuchet, und sie
können überwinden. |
- Ephes. VI, 10. 11. 12.
- Offenb. Joh. XII, 11.
|
|
Über dem so folget auch nicht, daß, wenn der
Mensch nicht wäre vom Satan versuchet worden,
er nicht in die Sünde würde gefallen seyn. Der
Satan, der zuerst gesündiget hat, ist von keinem
andern versuchet und gereitzet worden, und ist
doch gefallen. Wenn wir nun bey der Göttlichen
Allwissenheit, nach welcher
GOtt den Sünden-Fall
der ersten
Eltern vorhergesehen hat, auch seine
allervollkommenste Güte unser Auge mit richten,
so mögen wir nicht ohne
Grund
sagen, GOtt habe
vorher gesehen, daß der Mensch aus sich selbst
doch auf einen Abfall gerathen würde. Und so habe
er denn die leidliche Art des Falles lieber, als eine
andere, woraus dem Menschen nicht so leicht
hätte können geholffen werden, wollen geschehen
lassen; indem der Mensch, der durch einen andern
verführet worden, auch durch einen andern den
Mittler und Heyland des gantzen
menschlichen
Geschlechts, um desto leichter hat wieder zu recht
gebracht werden können. |
|
|
Aber spricht man endlich: Wie ist |
|
|
{Sp. 91|S. 59} |
|
|
es denn möglich gewesen, daß eine gute und
in ihrem Theil in grosser Vollkommenheit
erschaffene Creatur hat fallen können; so dienet
zur Antwort: Daß
GOtt den
Menschen gut
erschaffen, ist eine ausgemachte
Sache; daß er
gefallen sey, lehret uns die
Schrifft und die
Erfahrung. Wo nun die
That selbst ist, da muß auch
die Möglichkeit zur That vorhanden seyn. Von der
blossen Möglichkeit kan man zwar wohl nicht
schliessen, daß eine Sache würcklich da sey, oder
geschehen werde; aber von der
Würcklichkeit einer
Sache, kan auf die Möglichkeit derselben ein
sicherer
Schluß gemacht werden. Weil nun der Fall
einer gut erschaffenen Creatur würcklich
geschehen ist; so muß er nothwendig auch möglich
gewesen seyn. Gesetzt nun, daß wir die
Art der
Möglichkeit nicht auszufinden vermöchten, so
hätten wir solches unserer Unwissenheit
zuzuschreiben; wären aber deswegen nicht
berechtiget, einen Argwohn auf GOtt zu werffen,
als ob derselbe seine Hand wohl so mit im Spiele
möchte gehabt haben, daß, weil er den Fall
heimlich gerne gesehen, derselbe nothwendig
habe erfolgen müssen. |
|
|
Wir Menschen sind in der
Erkänntniß, wie
unsers
Leibes, den wir doch fühlen und
empfinden,
also auch unserer Seelen-Kräffte noch sehr blind.
Es gehet vieles in unserm Leibe, und noch mehr in
unserer Einbildungs-Krafft vor, davon wir nicht
eigentlich sagen können, wie es zu gehe und wie
es möglich sey. Von unserer
Seele wissen wir
wohl, daß sie einen
Verstand und
freyen Willen
habe; so wissen wir auch, daß der
Wille nach der
Art der Vorstellung im Verstande sich richte. Alleine
wie die Vorstellungen des Verstandes, die
Neigungen des Willens, die sinnlichen
Vorstellungen, und die sinnlichen
Begierden offt in
unglaublicher Geschwindigkeit durch einander
gehen, und wie es daher eigentlich zugehe, daß
sich der Mensch im Augenblick zu diesem, oder
jenem entschliesse; davon haben wir noch keine
genugsame Einsichten. Als der weise Salomo
eben dieser Sache lange nachgedacht hatte, so
schreibt er endlich: Schau, das habe ich gefunden,
daß GOtt den Menschen hat aufrichtig gemacht;
aber sie suchen viel Künste. |
Pred. Buch. Cap. VII,
30. |
|
Da er denn Cap. VIII, 1. unmittelbar hinzu thut:
Wer ist so weise, und wer kan das auslegen? Kan
jemand diese
Sache so aus einander setzen, daß
sie vollkommen deutlich wird, und daß dem
Menschen die Schuld alleine dabey bleibet; dem
wird man es vielen Danck wissen. Wer aber
solches nicht kan, der handelt doch wenigstens
sehr übereilt und unanständig, wenn er bey seiner
selbstzugestandenen Unwissenheit auf einmahl
sich anstellet, als ob er völlig einsähe, daß
GOtt
hier nothwendig die Schuld tragen müste. |
|
Art und Weise |
Inzwischen ist bereits schon oben in etwas
angeführet worden, wie und auf was Art und Weise
der erste Sünden-Fall wohl möchte geschehen
seyn; und wird auch jetzo noch etwas folgen. Wir
haben bisher gesehen, daß unserem GOtt die
Ursache der Sünde nicht zugeschrieben werden
können. Da nun auch die vom Satan gemachte
Vorstellung unsern ersten
Eltern nicht würde
geschadet haben, wenn sie nicht dieselbe als ihre
eigene angenommen, und sich hätten gefallen
lassen, so ist erwiesen, daß die Sünde nicht von
aussen als von ohngefehr, oder gar auf eine
un- |
|
|
{Sp. 92} |
|
|
vermeidliche Weise, in unsere erste Eltern
hinein gekommen sey, wie etwa ein Gifft von
aussen in einem
Cörper kommen möchte; sondern
daß der Satan nur eine äusserliche Veranlassung
dazu gegeben, die Sünde des Menschen aber bey
und in ihm selber ihren
Ursprung genommen
habe. |
|
|
Und so entstehet denn nun die Frage, in
welcher Krafft der Seelen die Sünde zu erst bey
dem Menschen entstanden sey? Die Kräffte der
Seelen sind nicht einerley
Art. Einige nennen wir
die obern, andere aber die untern Kräffte der
Seelen. Die obern Kräffte sind der
Verstand und
freye Wille, mit welchem sich das Gedächtniß
vergesellschafftet, krafft dessen sich der Mensch
wieder vorstellet, was vormahls in seinem
Verstande und
Willen gewesen ist. Die untern
Kräffte aber sind die sinnlichen Vorstellungen und
Neigungen, wozu die Erinnerungs-Krafft gehöret,
dadurch die vormahls gehabte sinnliche
Vorstellungen, Neigungen und
Empfindungen
wieder lebhafft werden. Vermittelst dieser letztern
hat die
Seele eine Gemeinschafft mit dem
Leibe,
und ist mit demselben zu einer Persönlichkeit
verbunden. |
|
|
Dieses nun voraus gesetzet, so haben wir bey
den verschiedenen Kräfften unserer Seelen die
Verknüpffung die sie mit einander haben, und die
Ordnung, in der sie mit einander stehen, zu
beobachten, so, wie es uns die
Erfahrung, und die
Natur der obern und untern Kräffte der Seelen, an
die Hand giebet. Der lautere
Verstand ist viel edler,
als die sinnlichen Vorstellungen; und der
freye Wille ist edler, als die sinnlichen Neigungen und
Begierden. Die letztern kommen auch den
unvernünfftigen Creaturen zu; die erstern aber
werden unter den uns sichtbaren Geschöpffen
allein bey den
Menschen gefunden. Soll nun
zwischen allen diesen Kräfften die gehörige
Ordnung bleiben; so müssen die sinnlichen
Vorstellungen unter dem Verstande, die sündlichen
Neigungen und Begierden aber unter dem Willen
stehen. Aus den Vorstellungen eines reinen
Verstandes fliesset die freye Neigung des Willens;
und aus den sinnlichen Vorstellungen entspringen
sinnliche
Affecten, Neigungen und Begierden. |
|
|
Soll nun auch hier alles in seiner gehörigen
Ordnung bleiben, so muß der Mensch nicht so
gleich die sinnlichen Vorstellungen gleichsam für
bekannt annehmen, weil in denselben noch viel
Verwirrung stecket, und er dadurch leichte kan
betrogen werden; sondern er muß die
Sachen,
welche ihm in die
Sinne fallen, mit seinem
Verstande erst recht aus einander setzen, und
dasjenige was wahrhafftig gut ist, und so fern es
gut ist, von dem, was nur den Schein eines Guten
hat, absondern. Denn sonst, wenn der
Mensch die
sinnlichen Vorstellungen ohne gehörige
Untersuchung und Beurtheilung sich so gleich
schlechterdings gefallen läßt, so werden dieselben
der Leit-Stern des
freyen Willens, setzen sich
solcher
Gestalt an die Stelle des Verstandes, und
neigen nicht nur den
Willen, sondern auch zugleich
die
Affecten und
Begierden. |
|
|
Die eigentliche
Ordnung der obern und untern
Kräffte der Seelen bestehet demnach in folgenden.
Die sinnlichen Vorstellungen sind das Werckzeug
und das Mittel, wodurch die
Seele diejenigen
Dinge, die ausser ihr sind gleichsam
verkundschafftet und in
Erfahrung bringet. Die
sinnlichen Neigungen, |
|
|
{Sp. 93|S. 60} |
|
|
Affecten und
Begierden aber sind die
Werckzeuge und das Mittel, wodurch der
Wille
etwas ausser der
Seelen, und durch den
Cörper
ausrichtet. Soll es nun hier recht ordentlich
zugehen, so müssen auch die blossen sinnlichen
Vorstellungen und
Empfindungen nicht zugleich
die sinnlichen Affecten, Neigungen und Begierden
erfolgen; denn sonst wäre der
Verstand und der
freye Wille nicht nöthig, und der
Mensch handelte
nur als ein unvernünfftiges Thier. Sondern es
müssen die sinnlichen Vorstellungen und
Empfindungen vom Verstande, wie gedacht, aus
einander gesetzt, untersuchet und beurtheilet
werden, damit der Mensch
erkenne, was gut oder
böse, was recht oder unrecht, was
billig oder
unbillig, was nützlich oder
schädlich, und was unter
allen das Beste sey. |
|
|
Wenn dieses der
Verstand
erkannt und
ausgemacht hat, sodann neiget sich der
Wille auf
das, was sich der Verstand als gut, und als das
beste vorgestellet hat. Und dieser Wille
determiniret so dann die sinnlichen
Affecten,
Neigungen und
Begierden, und mäßiget sie in so
weit, als es nöthig ist, daß durch selbige eine
äusserliche Handlung erwecket, und solchergestalt
dargestellet werde, was der Verstand für das Beste
erkannt hat; um auf solche Weise den abgezielten
Zweck, welchen der Verstand sich vorgestellet hat,
zu erreichen. |
|
|
Aus diesem allen folget nun klärlich, daß es
nothwendig lauter verkehrte Handlungen geben
müsse, wenn es in dem
Menschen nicht nach
dieser
Ordnung gehet. Erfolgen auf die sinnlichen
Vorstellungen und
Empfindungen, ohne
genugsame Überlegung des
Verstandes, sofort
sinnliche
Affecten, Neigungen und
Begierden, und
aus denselben die äusserlichen Handlungen; so
handelt der Mensch, wie schon erwehnet ist, auf
eine bloß Thierische Weise, und wird mit
Hindansetzung seines Verstandes und
freyen Willens ein bloser Sclave seiner
Leidenschafften. |
|
|
Bringt denn auch schon der
Mensch die
sinnlichen Vorstellungen und
Empfindungen
gleichsam für den Richter-Stuhl seines
Verstandes; er setzet aber nicht alles gehöriger
maßen auseinander, damit er recht
erkennen
möge, was
böse oder gut, nützlich oder
schädlich,
und ihm nach allen Umständen das Beste sey; so
wird der Verstand, durch die sinnlichen
Vorstellungen und Empfindungen benebelt, daß er
offt für gut annimmt, was doch an sich selbst nicht
gut ist, und solchergestalt wird der
Wille zu einer
ungegründeten und verkehrten Wahl verleitet, daß
darüber auch die sinnlichen
Affecten, Neigungen
und
Begierden
unordentlich werden, und folglich
auch äusserliche unordentliche und verbotene
Handlungen nach sich ziehen. |
|
|
Wenn wir nun nach diesen allen, das
Verhalten unserer ersten
Eltern, darüber sie
gefallen sind, beurtheilen; so gewinnet dasselbe
folgende
Gestalt.
GOTT hatte ihnen den Genuß
des Baums der Erkänntniß Gutes und Böses,
untersaget. Sie hatten also diesen Baum vielfältig,
und eine sinnliche Vorstellung und
Empfindung von
seiner äusserlichen Gestalt, und dem schönen
Ansehen seiner Frucht gehabt. Weil sie aber
wusten, daß GOtt ihnen davon zu essen verboten
hatte, und sie
erkannten, daß GOtt solches Verbot
zu geben befugt sey, sie aber demselben zu
gehorchen, als Creaturen ver- |
|
|
{Sp. 94} |
|
|
bunden wären; so stellete sie ihr
Verstand
ihnen das Essen von diesem Baume als etwas
Böses, die Enthaltung aber in dem Essen als etwas
Gutes vor; und so war bey ihnen kein
Wille, und
folglich auch keine sinnliche
Begierde, von diesem
Baum zu geniessen. |
|
|
So lange nun dieses alles in gedachter
Ordnung blieb, so blieben sie unschuldig, und
konnten ihnen die sinnlichen Vorstellungen, und
wenn sie auch diesen Baum tausend und aber
tausend mahl angesehen hätten keinen
Schaden
bringen. Nachdem aber der Satan dazu kam, so
suchte derselbe die sinnlichen
Begierden der Eva
zu reitzen, daß sie zum Essen der verbotenen
Frucht sich entschliessen solte. Und wie
bewerckstelligte er dieses? Er suchte anfänglich
das Andencken des Verbots bey ihr auszulöschen.
Denn er sprach: Ja! solte GOtt gesagt haben, ihr
sollt nicht essen von allerley Bäumen im Garten?
|
|
|
Weil er aber durch diesen seinen gemachten
Zweiffel die Gedächtniß-Krafft der Eva nicht
schwächen konnte, so griff er es auf eine andere
Weise an. Er stellte nehmlich ihr ein falsches Gut
vor, welches sie durch das Essen der verbotenen
Frucht erlangen würde, und daß sie daher nicht
nöthig hätte, auf das
Göttliche Verbot zu sehen.
Und hier heißt es nun: Und das Weib schauete an,
daß von dem Baum gut zu essen wäre, und lieblich
anzusehen, daß es ein lustiger Baum wäre; weil er
klug machte. |
|
|
Hier kam sinnliche Vorstellung und
Verstand zusammen. Die sinnlichen Vorstellungen
stellten den Baum sammt seiner Frucht in seiner
Schönheit dar, wie er war; und insofern war noch
kein Fall vorhanden. Der Verstand aber fieng an
über das vorgestellte falsche Gut zu urtheilen.
Wäre nun die Eva bey der
Erkänntniß, daß
GOtt
ein rechtmäßiger Gesetzgeber sey, und daß sie
ihm zu gehorchen
verbunden wäre,
schlechterdings stehen blieben; so würde sie das
von dem Satan vorgestellte Gut sogleich als ein
falsches Gut erkannt haben. Weil sie aber die
Sache nicht mehr gehörig auseinander setzte,
sondern von der angenehmen sinnlichen
Empfindung den
Schluß machte, daß denn auch
das würckliche Essen eine gute,
annehmliche und
nützliche Sache seyn würde; so wurde durch
dieses verkehrte Urtheil ihr
Wille geneiget; und
wurden dabey zugleich die sinnlichen
Begierden
und Neigungen Zügelloß, daß sie von der Frucht
nahm, und aß, und hernach durch ihre
Vorstellungen auch ihren
Mann auf eben diese
Weise dahin brachte, daß er nahm, und aß. |
|
|
Es ist bey dieser Vorstellung noch eins zu
bemercken. Der Satan hatte unter andern ihnen
auch vorgestellt, daß sie durch das Essen von dem
verbotenen Baum wissen würden, nicht nur, was
Gut, sondern auch was
Böse sey, und, daß sie
auch dadurch werden würden wie
GOtt. Hierdurch
suchte er ihnen den
Begriff beyzubringen, als ob
nicht nur in der
Erfahrung und dem Genuß des
Guten; sondern auch in dem würcklichen Genuß
des Bösen eine wahre Seeligkeit liege; ja, daß
GOtt selbst darinne seine höchste Seeligkeit mit
finde, welche er aber ihnen nicht gönne, und eben
deßwegen ihnen ein solches Verbot gegeben
habe. Hätten nun unsere ersten
Eltern auch hier
ihren |
|
|
{Sp. 95|S. 61} |
|
|
Verstand recht gebraucht, und selbst nur aus
der blossen Benennung des Bösen, sofern
dasselbe dem Guten entgegen gesetzet wird,
einen gehörigen
Schluß gemacht; so würden sie
haben leicht
erkennen können, daß aus dem
Genuß des Bösen bey ihnen nichts gutes, noch
eine wahre Seeligkeit erwachsen könnte. Weil sie
aber diesen falschen Satz für bekannt annahmen,
und sich das Böse selbst als eine
Art des Guten
vorzustellen anfiengen; so wurde denn ihr
Wille
dadurch zu dem, was eigentlich Böse ist, geneiget,
und mithin die sinnliche
Leidenschafften und
Begierden in desto grössere Unordnung
gesetzet. |
|
|
Und solchergestalt mögen wir denn nun
erkennen, daß der Fall sich daher angesponnen
habe, weil der
Mensch unterlassen hat, seinen
Verstand recht zu gebrauchen. Hierüber haben
falsche Vorstellungen bey ihm Raum gewonnen, er
hat ein falsches
Urtheil gefället, der
Wille hat sich
so gleich auf ein falsches Gut geneiget; und so ist
dadurch der Fall bey den Menschen vollkommen
worden. Was dieses bey unseren ersten
Eltern
selbst, und bey allen ihren Nachkommen, nach
sich gezogen habe, davon siehe mit mehrerm den
Artickel
Sünde (Erb-). |
|
|
|
|