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Zedler: Sinne [2] HIS-Data
5028-37-1691-4-02
Titel: Sinne [2]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 37 Sp. 1696
Jahr: 1743
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 37 S. 861
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Übersicht
moralisch
  Ethik
  natürliches Recht
 
  gesunde Gliedmaßen
  Politik
Historisches
  Wem die Sinne zukommen?
  Gewißheit der Sinne?
Bibel
Krankheiten

Stichworte Text Quellenangaben 
moralisch Es folget noch die moralische Betrachtung der Sinnen, welche vorstellig machet, wie sich dieselbigen gegen das Thun und Lassen der Menschen verhalten, und was man dabey zu beobachten. Diese Vorstellung kan auf eine dreyfache Art eingerichtet werden, nach der Ethic, natürlichen Rechts-Gelehrsamkeit und Politic.  
Ethik Nach der Ethic zeiget man, wie weit die äusserlichen Sinnen zu der innerlichen Einrichtung des Gemüths und dessen Verderbniß etwas beytragen, und was daher müsse beobachtet werden. Das Gemüth oder der Wille des Menschen dependiret ordentlich von den Vorstellungen des Verstandes, durch welche derselbige, wenn sie nicht gründlich und judiciös sind, bey seinen Bewegungen und Begierden in Unordnung gebracht wird. Dieses geschiehet durch die sinnliche Betrachtung einer guten und bösen Sache. Denn die Sinnen sind an sich nicht fähig, zu erkennen, was gut oder böse, und wenn man dieses aus der angenehmen und unangenehmen Empfindung schlüssen wolte, so würde man sich sehr betrügen.  
  Manche Sachen scheinen den Sinnen angenehm, die doch böse und schädlich sind; gleichwie etliche unangenehm deuchten, die doch gut sind. Dieses ist der Grund der Schein-Güter, auf welche die Menschen fallen, und die wahren fahren lassen, weil jene in die Sinne fallen, und eine angenehme sinnliche Empfindung verursachen. Und auf solche Art wird dieses die Quelle vieler bösen Neigungen und Laster. Eine sinnliche Vorstellung hat eine grosse Krafft in das Gemüth. Was äusserlich in die Sinne, und zwar in die Augen fällt, bewegt das Gemüth weit hefftiger, als dasjenige, was man nicht vor Augen hat, worinnen man der Affecten wegen Vorsichtigkeit zu brauchen; daß man über seine Sinnen die Herrschafft erlange, und dadurch die Affecten zurückhalte.  
  Wie nun dieses Dinge sind, welche zum Verderben und Unruhe des Gemüths viel beytragen; also hat man hingegen zu sehen, daß man dasjenige, was an einer Sache würcklich gut, oder böse ist, innerlich empfinde, damit dadurch der Mensch angereitzet werde, das Gute zu erlangen oder zu erhalten, das Böse hingegen wegzuschaffen, und der Glückseligkeit, welche auf die angenehme Empfindung des Guten ankommt, theilhafftig zu werden;  
natürliches Recht In dem natürlichen Rechte werden wir bey den Pflichten gegen uns selbst auch angewiesen, wie wir uns gegen unsere Sinnen zu verhalten. Wir müssen dieselbigen brauchen, wie es der Göttlichen Absicht gemäß, damit wir dadurch unsere Glückseligkeit befördern. Sie sollen dienen sowol zur Erhaltung und Gesundheit des Leibes; als auch zur Erhaltung der Wahrheit, und durch diese zur vernünfftigen Einrichtung unsers Gemüthes.  
gesunde Gliedmaßen Keines von beyden Stücken kan erhalten werden, wenn nicht die Gliedmassen der Sinnen sich in einem gesunden Zustande befinden, und  
  {Sp. 1697|S. 862}  
  deswegen hat man sie zu verwahren, damit sie nicht auf eine Weise verletzet und verschlimmert, oder wir gar derselben verlustig werden.  
  Am meisten ist an dem Gesichte und Gehöre gelegen. Wer von Natur gute Augen bekommen hat, daß er sowol in die Ferne, als Nähe wohl sehen kan, der muß solche in diesem Stande erhalten, und also alles meiden, wodurch sie können verschlimmert werden. Dieses geschiehet unter andern, wenn man viel in die Nähe, und wenig in die Ferne siehet, und sonderlich auf kleine Sachen, und auf grössere bey schwachem Licht die Augen zu nahe leget, wodurch man leicht ein blödes Gesicht bekommt; oder wenn man viel in die Ferne, und wenig in die Nähe siehet, so einem Schaden thut, wenn man nachgehends viel in der Nähe ansehen soll, weswegen man hier die Masse halten muß. Dieses ist auch wegen des Lichtes nöthig, daß man seine Augen weder bey allzustarckem, noch bey allzuschwachem Lichte brauche, weil sie leicht ein an eines können gewöhnet, und zu dem andern untüchtig werden. Durch einen allzustarcken Schall, oder durch allzustarckes Reden und Schreyen kan man das Gehör verderben, daher man sich vor beydes zu hüten hat.  
  Ob wir wol die andern Gliedmassen der Sinnen im menschlichen Leben nicht so nothwendig brauchen, als das Gesicht und das Gehör, so haben sie doch auch ihre Absichten, und man hat Sorge zu tragen, daß man sie in dem natürlichen Stande erhalte, und sie nicht verschlimmern lasse. Wenn nun die äusserlichen Sinnen zur Gesundheit des Menschen abzielen, wie wir oben erwiesen, so ist unsere Schuldigkeit, selbige auch zu diesem Ende zu brauchen, und alles, was der Gesundheit schädlich, von der Empfindung abzuhalten. Dienen sie zur Erkänntniß der Wahrheit, daß daher unsere Erkänntniß den Anfang nehmen, und sich zuletzt darauf gründen muß, welches auch vorher ausgeführet worden, so fliesset daraus, daß wir uns nach der von GOtt gesetzten Ordnung richten müssen, und in moralischen Sachen die sinnliche Erkänntniß durch das Judicium regieren, wodurch das Gemüth von mancher Unruhe kan abgehalten werden.  
Politik In der Politic ist von den Sinnen sonderlich die Regel zu mercken, daß man nicht seinen eigenen Empfindungen folge, wenn man sich andern gefällig machen will. Denn es folget nicht, was mir angenehm, oder unangenehm ist, daß solches auch andern auf diese Art müsse angenehm, oder unangenehm seyn.  
Historisches Nun wollen wir noch einige historische Umstände zur Erläuterung beyfügen.  
Wem die Sinne zukommen? Bey der Frage: Wem die Sinnen zukommen? ist man auf zwey Abwege gerathen, daß einige der Sache zu viel, andere hingegen zu wenig gethan. Denn Thomas Campanella hat vier Bücher de sensu rerum et magia geschrieben, worinnen er behaupten wollen, daß alle Dinge in der Welt eine Empfindung hätten. Mersennus in dem Comment. in Genesin hat von diesem Werck geurtheilet, daß es des Feuers würdig sey, wovon man Cypriani
  {Sp. 1698}  
    vitam Campanellae pag. 58. lesen kan.
  Insonderheit haben solches einige von den Pflantzen gelehret, und sie unter die Thiere gezehlet, als Pythagoras, Anaxagoras, Plato, Democritus, wovon Menagius über den Diogenem Laertium Lib. 8. Segm. 28. pag. 365. zu lesen. Mehrers von dieser Materie hat Wolf in notis ad Casauboniana pag. 267. zusammen getragen.
  Andere haben der Sache zu wenig gethan, wenn sie die Bestien zu blossen Maschinen gemachet, und ihnen alle Empfindung absprechen wollen. Dieses ist die Cartesianische Lehre. Denn nachdem Cartesius Principior. Part. I. §. 9. dafür gehalten, daß Gedencken und Empfinden einerley sey, so hat man daraus geschlossen, daß, weil die Bestien keine Gedancken hätten, so käme ihnen auch die Empfindung nicht zu, davon Antonii le Grand Dissert. de carentia sensus et cogitationis in brutis, kan gelesen werden.
  Plutarchus de placitis Philosophor. Lib. 5. Cap. 20. berichtet, daß schon Diogenes geglaubt, die Bestien hätten weder Verstand, noch Empfindung; welches auch ein Spanischer Medicus Pereira in einem Werck, dem er den Titel gegeben: Antoniana margerita, vertheidigen wollen, S. Paschium de inventis nov-antiquis, Cap. 3. §. 2. pag. 155.
Gewißheit der Sinne? Wegen der Gewißheit der Sinnen haben die Philosophen auch unter sich disputiret, ob dieselbe ihre Richtigkeit habe? Einige haben dieselbige geleugnet. Unter den Alten hielten Aristippus, Plato mit seinen Anhängern, Xenophanes und andere dafür, daß die Sinnen betrüglich wären, davon Stanlejus in Histor. Philos. pag. 243. 328. 873. edit. latin. die Zeugnisse angeführet, denen zu den neuern Zeiten Cartesius gefolget, welcher Principior. Part. I. §. 4. ausdrücklich schreibet, daß die Sinnen irren, und deswegen wäre rathsam, daß man ihnen nicht zu sehr trauete, worüber er sich Part. 2. §. 3. noch weiter erkläret. Seine Anhänger sind gleicher Meynung, als Antonius le Grand Institut. Philos. Part. I. Cap. 2. reg. 2. §. 4. und 7. Malebranche de la recherche de la verité Part. I. Lib. I. Cap. 5. seqq.  
  Wohin auch Huetius in traité philosophique de la foiblesse de l‘ esprit humain, Lib. I. Cap. 3. pag. 32. gehet, und meynet, was man durch die Sinne erkenne, sey sehr zweifelhafftig. Man lese aber dabey des Gerardi de Vries Dissert. de sensuum usu in Philosophia, welche den Exercitation. rationalib. pag. 394. Utrecht 1695. beygefüget.
  Andere haben billig das Gegentheil gelehret, und zwar von den ältern Aristoteles, Zeno, Epicurus, von denen auch Stanlejus in Histor. Philos. p. 448. 558. 952. zu lesen,
  mit denen es die meisten der neuern halten. Hierher gehöret auch Morhofs Dissertat. de paradoxis sensuum, welche in seinen Dissertat. academ. pag. 303. stehet.
  Zu Leipzig sind 1717 von Benedict. Gottlob Clauswitz zwey Dissertationes de officiis hominis circa sensus externos gehalten worden. Martinus Schoockius hat in seinem Tr. de Ecstasi pag. 30. seqq. verschiedenes vom moralischen Gebrauch der Sinnen angeführet; wie  
  {Sp. 1699|S. 863}  
  denn auch Zentgrav in einer Disputation de jure sensuum, Straßburg 1692, gehandelt hat. In Sturms Philosoph. eclectic. Tom. 2. p. 218. stehet eine Exercitat. de sensu unius geminato. Walchs philosophisches Lexicon. Siehe auch
  • Christoph Martin Burchardi Meditationes de anima humana, Rostock 1726 in 8.
  • Johann Melchior Verdriesens Commentationem de aequilibrio mentis et corporis, Giessen und Franckfurt 1726 in 4.
Bibel In der Heil. Schrifft bedeuten die Sinne  
 
1) Verstand, da Weisheit zugehöret,
Apost. Gesch. XVII, 9.
 
2) Den vom Heiligen Geist erleuchteten Verstand,
1. Joh. V, 20.
 
3) Des Menschen Gemüthe, das von mancherley Sorgen zerstreuet und verwirret ist,
Buch der Weisheit IX, 15.
 
4) Den rechten Verstand der Göttlichen Wahrheit,
2 Thess. II, 2.
Krankheiten Wir fügen zum Beschluß dieses Artickels annoch ein Verzeichniß von den Kranckheiten der äusserlichen Sinne (Morbis sensus externos depravantibus) bey. Diese sind  
 
I.) das verletzte Rüchen, Laesio Olfactus, welches Schaden leidet:
 
 
 
1) vom flüssenden und trocknen Schnupffen;
 
 
 
2) vom Nasen-Gewächs;
 
 
 
3) vom Nasen-Geschwür.
 
 
II.) Das verletzte Schmecken, Vitia Gustum laedentia, darzu man rechnet
 
 
 
1) die Schwämmgen;
 
 
 
2) die Blattern des Mundes, Ritzen der Zungen, und Abschälung der Zungen-Haut.
 
 
III.) Das verletzte Gehör, Morbi Auditum impedientes, welches verursachen:
 
 
 
1) der Ohrzwang;
 
 
 
2) das Sausen und Klingen der Ohren;
 
 
 
3) das schwere Gehör;
 
 
 
4) die Taubheit.
 
 
IV.) Die Verletzung des Sehens, oder die Augen-Kranckheiten, Morbi Oculorum, deren die vornehmsten sind:
 
 
 
1) das Zusammenwachsen und die Lähmung der Augenlieder;
 
 
 
2) das Thränen-Auge;
 
 
 
3) das Gerstenkorn;
 
 
 
4) die Ubersichtigkeit;
 
 
 
5) das blöde Gesicht;
 
 
 
6) der Nachtschatten;
 
 
 
7) das Schielen;
 
 
 
8) die Flecken vor den Augen;
 
 
 
9) die Augen-Flecke und Augen-Felle;
 
 
 
10) die Augen-Blättergen;
 
 
 
11) das mit Blut unterlauffene Auge;
 
 
 
12) die Augen-Entzündung;
 
 
 
13) der schwartze Staar;
 
 
 
14) der graue Staar;
 
 
V.) Das verletzte Fühlen, Vitia Tactus, zu diesem gehören
 
 
 
  erstlich die Unempfindlichkeit;
 
 
 
2) aller Schmertz;
 
 
 
3) das Haupt-Weh;
 
 
 
4) das Zahn-Weh;
 
 
 
5) das Hertz-Weh;
 
 
 
6) das Magen-Drücken;
 
 
 
7) das Miltz-Weh;
 
 
 
8) die Verstopffung, Entzündung und Verhärtung der Leber;
 
 
 
9) die Verstopffung, Entzündung und Verhärtung der Miltz;
 
 
 
10) die Gicht mit ihren Gattungen.
 
     

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Stand: 25. Februar 2013 © Hans-Walter Pries