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Sinne, Sensus, sind ein
Vermögen
der
Seele,
von den Objecten afficiret zu werden, und hierdurch sie zu
empfinden. |
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Man kan von denselbigen eine dreyfache Betrachtung anstellen, eine
physische, logische und
moralische. |
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physisch |
Nach der physischen
Erklärung betrachtet man die Sinnen, wie sie an sich
beschaffen, sowohl nach ihrer
Natur,
als nach ihrer Absicht, die
GOtt dabey gehabt. Wenn wir ihre Natur genau einsehen
wollen, so müssen wir drey
Dinge
sorgfältig auseinander setzen, die Sinnen, die Empfindungen und die Gliedmassen,
oder Werckzeuge der Sinnen. |
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Die Sinnen gehören zu der
Seelen,
und sind das
Vermögen
von den Objectis afficiret zu werden, und selbige hierdurch zu
empfinden, wie wir schon vorher angeführet haben. Indem die Seele nach solcher
Krafft
würcket, so heissen die
Würckungen
die Empfindungen, (SENSATIONES, SENSIONES,) davon der
Artickel
Empfindung in VIII. Bande p. 1029.
handelt. |
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Die Gliedmassen des
Leibes
aber, vermittelst deren die Objecte zu der
Seelen
gebracht werden, sind die Werckzeuge der Sinnen, SENSORIA,
SENSORIA ORGANA, deren man insgemein fünffe zehlet, als das Auge, die Nase,
das Ohr, die Zunge, und die Nerven durch den gantzen Leib. |
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Man theilt aber die Sinnen in äusserliche (Sensus
externos) und innerliche, (Sensus internos) nach
dem Unterscheid des Objecti, so sie
empfinden. Denn die
Seele
empfindet |
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- entweder cörperliche
Dinge,
die ausser ihr sind, durch die vorher angeführten Werckzeuge, und weil man
derselben fünffe zehlet, so entstehen daher auch fünff
Arten der
Empfindungen, das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen, oder das
Gesicht, das Gehör, der Geruch, der Geschmack und das Fühlen; Und das sind
die äusserlichen Sinnen;
- oder sie empfindet ihre eigenen und in ihr selbst geschehenen
Bewegungen, als ihre
Gedancken
und
Begierden, welches die innerlichen Sinnen sind,
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wie
Rüdiger de sensu veri et falsi, Lib. I. Cap.
3. §. 14. erwiesen. |
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Einige Peripatetici haben davor gehalten, daß MEMORIA,
PHANTASIA
und SENSUS COMMUNIS die drey innerlichen Sinnen wären. Denn die gemeine
Empfindung nähme den Eindruck der
Bewegung, so durch die äus- |
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{Sp. 1692} |
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serlichen Sinne zum Gehirn gelange, an. Die
Einbildungs-Krafft unterscheide
sie nach ihrer Art, und mache gewisse Bilder daraus, und das Gedächtniß lege die
angenommenen Bilder bey, und wiederhohle sie nach Gelegenheit. Wie sie aber den
Sensum communem sehr verwirrt beschreiben; also werden auch ohne
Ursache
die Empfindungs-Krafft und das Gedächtniß unter die Sinnen gezehlet. Es können
auch diese viere, Hunger, Durst, Frölichkeit und Traurigkeit vor die innerlichen
Sinnen nicht ausgegeben werden, |
wie Cartesius de homine,
Part. 4. §. 52. seqq. behauptet. |
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Bey denen Empfindungen verhält sich der
Verstand
leidend, welche
Leidenschafft sich in zwey Stücken äussert. Denn einmahl stehet
nicht in unserer
Gewalt,
ob wir was
empfinden wollen, oder nicht; sondern wenn die
Sachen
vorhanden sind, müssen wir sie empfinden; Soll aber die Empfindung unterbleiben,
so ist kein anders Mittel, als daß wir verhindern, daß die Objecta die
Gliedmassen der Sinnen nicht berühren. |
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Hernach ist auch eine
Nothwendigkeit
in der Art der Empfindung. Denn die Empfindungen müssen wir annehmen, wie sie
nach Art der Objectorum kommen, daß z.E. von einem sauren Bier niemand einen
süßen Geschmack haben kan. Doch muß man mit den Empfindungen die
Urtheile, die
darauf folgen, nicht vermischen. So können zwey
Personen
einerley Empfindung haben, wenn sie z.E. einerley Essen zu sich nehmen;
urtheilen aber doch ungleich davon, daß einer
sagt, es schmecke gut, der andere
aber, es schmecke nicht gut. Ob sich wol der
Verstand
bey der Empfindung auf diese Art leidend verhält; so geht doch dabey auch eine
Action für, daß, wenn er von den Objectis afficiret wird, er solche
Bewegung
annimmt, weswegen einige die Empfindung lieber eine commotionem, als
passionem intellectus nennen wollen. |
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Die Sinnen dienen zu des
Menschen
Glückseligkeit, und geben des Schöpffers
Macht,
Weisheit und Gütigkeit gantz deutlich zu
erkennen. Denn auf Seiten des
Leibes
gereichen sie zu dessen Erhaltung. Den Leib müssen wir mit Speise und Tranck
versorgen, zu welchem Ende nicht nur nöthig, daß wir Speise suchen; sondern
müssen sie auch unterscheiden, und eine
Begierde dazu haben. Keines kan ohne die
Sinnen geschehen. Denn das Auge braucht man die Speise zu sehen, und zu
unterscheiden, zu welchem letztern auch der Geruch und der Geschmack dienet; Und
durch das Gefühle, wenn man hungert und durstet, wird man angetrieben zu essen
und zu trincken. Sollen wir überdies den Leib vor allem
Schaden bewahren, so
müssen wir sehen und hören, wo was gefährliches vorhanden, und fühlen, wenn uns
was beschwerliches und schmertzliches zustösset. |
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Der
Seele
gehen die Sinnen gleichsam an die Hand, sofern sie den
Grund
zu ihren
Gedancken
und willkührlichen
Begierden leget. Denn wie wir hernach anmercken wollen, so
kommen alle
Ideen von der |
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{Sp. 1693|S. 860} |
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Empfindung. Die Ideen machen den materiellen Theil der Gedancken aus, und
die Gedancken erwecken wieder Begierde im
Willen. |
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logisch |
Die logische Betrachtung der Sinnen zeiget |
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1) |
wie die sinnliche
Erkänntniß
an sich beschaffen. |
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Wir haben überhaupt zweyerley
Arten der
Erkänntniß: eine gemeine, und eine gelehrte. Jene geschicht unter andern
durch die Sinne, und hat bey einzelnen
Sachen
und Begebenheiten statt, wenn wir selbige
unmittelbar
empfinden, und in
das Gedächtniß fassen, woraus durch die Länge der Zeit die
Erfahrung
entstehet. Man kan sie gewisser massen in eine natürliche und künstliche
eintheilen: Jene ist, wenn sie bloß durch die natürliche
Krafft
der Gliedmassen der Sinnen zuwege gebracht wird; diese aber wäre, wenn
man dabey der natürlichen Schwachheit solcher Gliedmassen durch
künstliche Hülffs-Mittel zu statten kommt. Denn hat man z.E. Microscopia
erfunden, und dadurch die Krafft des Gesichtes verdoppelt, daß man durch
dieselbigen
Dinge
siehet, die man ordentlich mit den Augen nicht sehen kan. |
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Eine solche sinnliche
Erkänntniß
ist |
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a) |
gewiß, daß, was man
unmittelbar
empfindet, darauf
kan man sich gewiß verlassen, daß es sich in der That also verhalte, als
man es empfunden hat, wenn sich nemlich alles in ordentlichem
Zustande
befindet, und der Gebrauch der Sinnen recht angestellet wird. |
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Man giebt davon folgende
Regeln: |
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Erstlich müsse die
Sache,
die man
empfinden wolte, in gehöriger Distantz seyn. Solche Distantz kan
man in keinem gewissen Puncto setzen, sondern überhaupt nur soviel
sagen, es müsse die Sache weder zu nah, noch zu weit von mir seyn. |
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Dieses kommet von zwey
Ursachen
her. Denn einmahl haben die Sinnen nicht alle einerley Distantz. Bey dem
Gefühle und Geschmack müssen die
Sachen, welche man
empfinden will,
gantz an das Werckzeug der Empfindung angedrucket werden; Bey dem
Geruch, Gehör und Gesicht können sie in weiterer Distantz, und unter
diesen dreyen Sinnen immer bey einem weiter, als bey dem andern
empfunden werden. |
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Hernach sind auch die
Menschen
in Ansehung ihrer Sinnen sehr von einander unterschieden, daß der eine
einen subtileren Geruch, Geschmack, schärfer Gehör, Gesicht, u.s.w. als
der andere hat, folglich kan bey einem die Distantz weiter, als bey dem
andern seyn. |
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Die andere
Regel heist: Es müsse das Medium
sentiendi seine ordentliche Beschaffenheit haben; wodurch man die
Lufft
verstehet, welche bey dem Gesicht, Gehör und Geruch zwischen den
Organo und Objecto ist, und deswegen genugsames Licht haben, und nicht
so dicke seyn muß. Denn es ist natürlich, wenn zwischen dem Objecto und
Organo etwas ist, dadurch die Zulänglichkeit der Empfindung gehindert
wird, daß man sich alsdenn betrügen kan. |
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Die dritte
Regel heist: Es müsse das Werckzeug
eines jeden Sinnes, dessen man sich zur
Erkänntniß
einer
Sache
bedienet, in gesundem |
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{Sp. 1694} |
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Zustande seyn. Denn wenn zum Exempel ein
Mensch
einen Schaden am Auge oder Nasen hat, so kan es leicht geschehen, daß er
sich die Sache bey der Empfindung anders vorstellet, als sie sich in der
That verhält; welches man aber den Sinnen an sich nicht zuschreiben,
noch daraus eine Betrüglichkeit schliessen kan. |
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Die vierdte
Regel ist: Man muß allenfalls, wenn
es sich thun läst, mehr Sinnen darzu nehmen; zum Exempel, wenn man die
Beschaffenheit des Weins genau
erkennen will, so muß man ihn nicht
allein kosten; sondern auch den Geruch und das Gesichte zu Hülffe
nehmen. Bey solchen Umständen kan man sich gewiß auf seine Sinnen
verlassen. |
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Wenn also die Cartesianer denen Sinnen ihre
Gewißheit absprechen, so irren sie, und legen damit den
Grund
zu dem Scepticismo. Der
Ursprung dieses Irrthums ist, daß man die
Urtheile mit der Empfindung verwirret. Denn daß man, zum Exempel, die
Sonne dem ersten Anblick nach weit kleiner zu seyn vermeynet, als sie in
der That ist; solches ist ein Irrthum nicht der Sinnen, sondern des
Judicii, indem die Sinnen weder mehr, noch weniger
empfinden, als sich
in dieser Entfernung vorstellet. |
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Ist ein Grund der Gewißheit bey der sinnlichen
Erkänntniß
vorhanden, so muß man sich dessen recht bedienen, wenn man bey solcher
Erkänntniß gewiß seyn will, wozu eine fleißige Aufmercksamkeit nöthig,
daß man die
Sachen,
die man
empfinden
soll, genau betrachtet. |
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Man lese davon
- Thomasium in Introd. in Philosophiam aulicam, Cap. 5.
§. 31. 32. in der Einleitung der Vernunfft-Lehre Cap. 6. §. 50.
seqq.
-
Rüdiger
de sensu veri et falsi, Lib.
I. Cap. 2.
- Treuer in Meditationib. de mente,
sensu non errante.
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b) |
gemein, daß solche alle Leute, sie mögen gelehrt
oder ungelehrt seyn, haben, wenn sie nur ihre Sinnen brauchen können,
weswegen keine
Geschicklichkeit darzu erfordert wird; und |
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Solche Unvollkommenheit kommt darauf an, daß die
Erkänntniß
der
Dinge,
wie wir sie bloß durch die Sinne haben, unzulänglich, indem sich nur
einige
Eigenschafften
durch dieselbige erkennen lassen, und das übrige, was insonderheit das
Wesen
betrifft, mit der
Vernunfft muß erreichet werden; und confus und verwirrt,
weil einem die verschiedenen Dinge ohne
Ordnung fürkommen; und die
Sinnen an sich nicht fähig sind, eine gewisse Ordnung darinne zu machen. |
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Es zeigt aber die logische Betrachtung der Sinnen auch
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2) |
was sie zur
Erkänntniß
der
Wahrheit beytragen.
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Dieses ist zweyerley. Denn einmahl legen Sie den
Grund
zu allen
Gedancken,
folglich auch zu den wahren Gedancken des Judicii. Durch die Empfindung
bekommen wir alle
Ideen; die Ideen aber sind die Objecta, womit sich der
Verstand
beschäfftiget, ohne welchem auch das Judicium nicht würcken kan. Wie nun
der Anfang aller unserer
Erkänntniß
die Empfindung ist; also müssen wir auch bey derselben stehen bleiben,
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{Sp. 1695|S. 861} |
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und dürffen keinen
Beweis über dieselbige suchen, noch verlangen.
Darinnen bestehet eben die Endlichkeit des menschlichen Verstandes.
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Nicht allein aber legt die Empfindung den
Grund
zu der
Erkänntniß
überhaupt; sondern auch insonderheit zu dem Nachdencken, welches unser
Verstand,
als was eignes hat. Das Nachdencken äussert sich hier, wenn man von den
Ideen der einzelnen
Sachen,
wie wir solche durch die Empfindung bekommen, abstrahiret, allgemeine
und andere Ideen machet. Hierdurch wird der Weg zu der judiciösen und
gelehrten Erkänntniß der
Wahrheit gebahnet, und auf diese Art sind
unsere Disciplinen, wie wir sie in systematischer
Ordnung haben,
entstanden. Man hat durch die sinnliche Erkänntniß allerhand
Anmerckungen von einzelnen Sachen zusammen gelesen, und nachgehends
durch das Nachdencken sich allgemeine
Regeln gemacht, und sie nach und
nach in einen Zusammenhang gebracht.
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In dieser Absicht hat man den Gebrauch der Sinnen vorsichtig
anzustellen, und deswegen folgende Regeln zu beobachten:
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Man muß wohl unterscheiden, zu welchen Sinnen ein Object gehöret. Denn
gehöret es zu den äusserlichen, so darff man seine
Erkänntniß
nicht bey den innerlichen suchen; gleichwie man ein Object der blossen
innerlichen Sinnen nicht darff zu den äusserlichen bringen. Wider diese
Regel hat man gar offt angestossen. Denn manche haben ohne Noth in
natürlichen
Dingen
die
Erfahrung
hintan gesetzet, und sich durch innerliche Empfindungen blosser durch
das Ingenium erdichteter Möglichkeiten eine Erkänntniß erwerben wollen,
wie man an den Cartesianern siehet.
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Man muß weiter bey solchen Empfindungen allen Fleiß anwenden, daß man
derselbigen so viel, als möglich ist, zusammen bringet, auch anderer
Erfahrung
zu Hülffe nimmt, die verschiedenen
Eigenschafften,
die von einem Object in die Sinne fallen, unterscheidet und beurtheilet,
auf welche unter denselben man seine Aufmercksamkeit am meisten zu
richten habe. Nicht weniger hat man dahin zu sehen, daß man die
Urtheile
mit den Empfindungen selbst nicht verwirre. Denn es geschiehet gar
vielmals, daß sich mit denen Empfindungen gleich
Gedancken
und Urtheile
verknüpffen, welches zu grosser Verwirrung Anlaß geben kan,
wenn man sie nicht wohl von einander zu sondern weiß. Man bildet sich
vielmal ein, man empfände das, was man doch nur gedencket, oder
geurtheilet.
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Nun sind die Empfindungen allezeit gewiß und unbetrüglich; die
Gedancken
aber können sowohl falsch als wahr seyn. Eine nützliche
Regel ist auch,
daß man bey der sinnlichen Betrachtung der
Dinge
die
Affecten, so viel möglich ist, beyseite setze. Denn diese
verursachen, daß man die
Eigenschafften
der Dinge, die würcklich da sind, nicht siehet, wenn sie den Affecten
zuwider, und daß man hingegen andere Eigenschafften, die nicht
vorhanden, wahrzunehmen, vermeynet. Zum Exempel:
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{Sp. 1696} |
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an unsern Feinden verhindert uns der Haß, die Tugenden; die
Liebe aber,
an unsern Freunden, und an uns selbst, die Fehler zu beobachten.
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