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Zedler: Sprache [3] HIS-Data
5028-39-399-10-02
Titel: Sprache [3]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 39 Sp. 411
Jahr: 1744
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 39 S. 219
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weitere Arten Weiter pfleget man auch die Sprachen in rauhe, männliche, zärtliche und weibische Sprachen einzutheilen. Da überhaupt eine Sprache ein Inbegriff von vielen Wörtern ist; ein Wort aber aus solchen Buchstaben bestehen kan, die einem Zuhörer bey der Aussprache entweder hart oder gelinde fürkommen: So ist eine Sprache möglich, darinnen fast alle Wörter aus solchen Buchstaben bestehen, die entweder einem Menschen für sich, oder doch in Verbindung mit andern hart und also unangenehm fürkommen. Diese Sprache wird eine rauhe genennet.  
  Es können aber auch die Wörter einer Sprache aus solchen Buchstaben zusammen gesetzt seyn, von welchem zwar eine sehr grosse Menge in Ansehung eines gewissen Menschen hart ist, aber es sind doch auch viele Wörter aus gelinden Tönen zusammen gesetzt, welche diese Härte ziemlich vermindern und unmercklich machen. Dieser Sprache ist der Nahme einer männlichen beygeleget.  
  Es ist ferner möglich, daß hingegen diejenigen Wörter einen sehr grossen Theil von einer Sprache ausmachen, die nach dem Urtheile eines Zuhörers gelinde Buchstaben haben; die aus harten Buchstaben bestehende Wörter sind also in dieser Sprache nicht in so grosser Anzahl als in der vorigen. Hierinnen bestehet das Wesen von einer zärtlichen Sprache.  
  Endlich kan man eine Sprache gedencken, darinnen fast alle Wörter aus gelinden Tönen bestehen, so, daß die harten in derselben wenig oder gar nicht können gemerckt werden. Diese Sprache heisset die weibische.  
  Aus diesen angeführten Erklärungen kan man erkennen, daß dieselben sich auf einander beziehende Begriffe sind. Wir werden nicht bestimmen können, ob eine gewisse Sprache eine männliche sey, wo wir uns nicht zugleich in Gedancken eine andere vorstellen, die nach unserem Urtheile rauhe ist. Und diese wird eben so wohl nach jener beurtheilet. Wenn beyde Sprachen zwar nach unsrer Meynung viele harte Wörter in sich begreiffen, aber in der einen die Anzahl davon grösser ist, als in der andern, ob gleich der Unterscheid so gar groß nicht ist; so wird die erste Sprache rauhe, die andere aber männlich genennet: Eben so ist es auch mit der zärtlichen und weibischen Sprache beschaffen. Die eine muß nach der andern abgemessen werden. Wenn wir die eine für zärtlich halten, und wir vergleichen damit eine andere,  
  {Sp. 412}  
  die eine ziemlich grössere Anzahl von gelinden Wörtern in sich begreiffet, so wird diese von uns eine weibische genennet. Und auf einerley Weise bestimmen wir eine zärtliche Sprache nach der vorher von uns erkannten weibischen.  
  Eine männliche und zärtliche Sprache können auch von einander einen Maaßstab abgeben. Wenn wir die eine für männlich schätzen, und halten mit derselben eine andere zusammen, darinnen zwar mehrere gelindere Wörter anzutreffen sind, aber der Unterschied darf doch nicht mit einer sehr grossen Zahl ausgedruckt werden, so ist diese zärtlich. Auf gleiche Weise verfähret man, wenn die zärtliche zuerst ist gedacht worden.  
  Hieraus ist auch klar, daß nachdem wir diejenige Sprache für rauhe, männlich, weibisch, oder zärtlich halten, welche bey uns der Maaßstab von einer andern ist, so ist auch das Urtheil von der zu bestimmenden beschaffen. Dieses ist unter andern eine Ursache, daß die Urtheile von den Sprachen so sehr unterschieden sind. Wenn auch zwey Menschen nach einerley Sprache eine andere beurtheilen, und sie sind sich nicht in Ansehung der ersten einig, ob sie männlich, rauhe u.s.w. sey; so müssen sie auch sehr unterschiedene Urtheile von der andern fällen.  
  Das Wort rauhe hat mehr als eine Bedeutung, wenn es von einer Sprache gebraucht wird. Es wird zuweilen in dem Verstande genommen, daß es eine Sprache anzeiget, die in Ansehung ihrer innern Beschaffenheiten mangelhafft ist, daß nehmlich die Wörter in derselben die Begriffe und deren Verbindung nicht deutlich andeuten, die Regeln einer vernünfftigen Rechtschreibung bey derselben nicht genau beobachtet werden, u.d.g.m. In dem Verstande aber wird dieses Wort hier nicht genommen.  
  Ich verstehe unter einer rauhen Sprache eine solche, welche einem Zuhörer unangenehm ist, wegen der vielen harten Wörter. Es ist aber sehr wohl möglich, daß eine Sprache nach beyden Bedeutungen rauhe zu nennen ist. Sie kan ja nach ihren wesentlichen Beschaffenheiten unvollkommen seyn, und auch sehr viel harte Wörter in sich begreiffen. Man thut aber besser, daß man dieselbige wegen des ersten Mangels wesentlich unvollkommen nennet. Dadurch werden diese beyden vermeynten Fehler zur Gnüge unterschieden; denn die Rauhigkeit ist nur eine zufällige Unvollkommenheit. Ob gleich in einer rauhen Sprache die harten Worte den grösten Theil ausmachen; so können doch dem ungeachtet in derselben einige gelind-klingende Wörter anzutreffen seyn.  
  Es folget auch nicht aus dem Begriffe einer solchen Sprache, daß in derselben keine Buchstaben seyn dürffen, welche in und ausser der Verbindung mit andern gelinde sind. Eine solche Sprache ist nicht zu begreiffen, daraus  
  {Sp. 413|S. 220}  
  alle gelinde Wörter und Buchstaben gestossen wären. Sie würde nicht zureichen alle nöthige Begriffe mit Wörtern auszudrucken. Es ist zu einer rauhen Sprache schon genung, wenn die gelinden Wörter in derselben nur einen sehr geringen Theil ausmachen, so, daß sie für die grosse Menge von harten Tönen nicht klar können gemercket werden.  
  Eben so ist es mit der weibischen Sprache beschaffen in Ansehung der harten Wörter. Obgleich fast alle Wörter in derselben gelinde seyn müssen, so würde sie doch sehr unvollkommen seyn, wenn alle harte Wörter und Buchstaben von ihr ausgeschlossen wären. Sie verdienet doch den Nahmen einer weibischen Sprache, wenn die weniger harten Wörter unter denen ungemein vielen gelinden versteckt sind.  
  Daß in der männlichen und zärtlichen Sprache harte und auch gelinde Wörter seyn müssen, ob wohl in dieser mehrere gelinde als in jener, ist aus ihren Erklärungen leicht zu ersehen.  
  Es ist leicht zu erweisen, daß die Härte der Töne nicht ihren Grund in der allgemeinen menschlichen Natur habe, sondern vielmehr von der Beschaffenheit der Gliedmassen des Gehöres eintzelner Menschen abhange, welche demselben entweder angebohren ist, oder die sie sich durch eine lange Gewohnheit eigen gemacht haben. Hieraus kan man schliessen, daß von den harten Wörtern eben so wohl darinnen der Grund zu suchen sey.  
  Folglich muß man ein gleiches von der rauhen und männlichen Sprache behaupten, weil sie aus vielen harten Wörtern bestehen. Wer also das rauhe und männliche als eine allgemeine oder absolute Eigenschafft von einer Sprache ansiehet, der betrüget sich. Es sind diese nur Zufälligkeiten, welche ihren zureichenden Grund ausser der Sprache in den Zuhörern haben. Einerley Sprache kan also dem einen Menschen rauhe, dem andern aber männlich oder gar zärtlich vorkommen. Beyde können auch zugleich Recht haben, wenn sie anders ihrer Empfindung gemäß urtheilen, und nicht vorgefassten Meynungen folgen. Es sind nicht bey einer Sprache wiedersprechende Beschaffenheiten, das rauhe und das männliche zugleich, wenn nur nicht ein Mensch zu gleicher Zeit derselben diese beyleget.  
  Auf gleiche Art ist es mit einer zärtlichen und weibischen Sprache beschaffen. Denn die gelinden Töne haben ebenfalls ihren Grund in der verschiedenen Einrichtung des Gehöres eintzelner Menschen. Eine zärtliche und weibische Sprache aber begreiffen dem größten Theile nach solche Wörter in sich, die aus gelinden Buchstaben zusammen gesetzt sind. Eine unbedingte zärtliche und weibische Beschaffenheit in Ansehung einer Sprache ist ein Unding.  
  Aus diesem allen ist dennoch zu schliessen, daß kein Mensch sich zu einen allgemeinen Richter auf werffen, und einer Sprache eine von diesen schon offt angeführten Beschaffenheiten überhaupt beylegen dürffe. Es ist thöricht, wenn er aller Menschen Urtheil nach dem seinigen beurtheilen will. Es würde einen grossen Hochmuth anzeigen, wenn er alle diejenigen eines verderbten Gehöres beschuldigte, die seinen Meynungen nicht beypflichten. Keinem Volcke stehet dieses Recht zu, einer Sprache überhaupt eine von diesen Beschaffenheiten zuzueignen. Wenn ein Mensch  
  {Sp. 414}  
  und auch ein gantzes Volck vernünfftig verfahren will, so müssen sie nur soviel behaupten: Ihre Gliedmassen des Gehöres wären so beschaffen, daß eine Sprache diese und keine andere Würckung in ihnen verursache; sie gestünden aber dabey, daß andere Menschen ihre Einrichtung des Gehöres bewegen könne, ein entgegen gesetztes Urtheil von dieser Sprache zu fällen; sie begehrten nicht sich deswegen mit ihnen zu zancken, sie wären vielmehr überzeuget, daß sie alle zu gleicher Zeit die Wahrheit auf ihren Seiten haben könnten, und daß also jeder Streit vergeblich und unvernünfftig seyn würde. Wenn die Menschen auf diese Art ihre Urtheile von dieser Sache abfasseten; so würden die unnützen Zänckereyen unter den Völckern wegen des Vorzugs der Sprachen in diesem Stücke bald aufhören.  
  Aber ob es gleich wahr ist, daß sehr verschiedene und dem Scheine nach entgegen gesetzte Urtheile von dem rauhen, männlichen, zärtlichen und weibischen bey einer Sprache zugleich wahr seyn können, wenn sie sich auf die verschiedenen Würckungen gründen, die sie in den Ohren verschiedener Menschen verursachen; so kan man doch deswegen nicht allen Urtheilen das Wort reden, welche von den Sprachen in diesem Stücke gefället werden. Es ist bekannt, daß vorhergefaßte Meynungen, eine starcke Neigung und Haß gegen eine Sache, uns leicht betrügen können, daß wir meynen, etwas innerlich zu empfinden, welches doch nur Würckungen unserer Leidenschafften sind.  
  Diese haben aber auch einen grossen Einfluß in das Urtheil der Sprachen. Wenn jemand fremde und auswärtige Sachen sehr liebet, so wird er sich sehr leicht überreden, daß eine fremde Sprache an angenehm und gelinde klingenden Wörtern seine Landes-Sprache weit übertreffe. Der Grund dieses Urtheils ist alsdenn nicht in der Beschaffenheit seines Gehöres, sondern in der Neigung zu einer auswärtigen Sache zu suchen. Im Gegentheil aber, wenn wir wieder von einem Volck u. dessen Sprache vorher eingenommen sind; so wird uns dieselbe rauh und unangenehm klingen; obgleich die Wörter in derselben diese Würckung nicht hervorbringen, sondern vielmehr unser Vorurtheil.  
  Aus dem, was gesagt worden ist, kan man die Ursache erkennen, warum es so schwer zu bestimmen sey, ob würcklich einige Sprachen den Nahmen der rauhen, männlichen, zärtlichen und weibischen verdienen? Allgemeine Urtheile können in diesem Stücke nicht gefället werden. Sie gelten nur von einigen Menschen, und gründen sich auf die besondere Einrichtung des Gehöres. Eine Übereinstimmung und Einigkeit kan also hierinnen bey allen Menschen nicht vermuthet werden. Wenn diese Nahmen einigen Sprachen mit Recht von jemand zugeeignet werden solten, so müsten sie solche Wörter in sich begreiffen, welche in Ansehung des Gehöres harte oder gelinde sind, es müßten aber dabey alle Vorurtheile und Leidenschafften verbannet seyn.  
  Aber wie kan man dieses erforschen? Wie leicht verleiten uns nicht die Leidenschafften zu falschen Urtheilen? Wenn wir eine Sache durch die Erfahrung erkennen wollen, so bringen wir sehr offt einen geheimen Wunsch mit uns, daß die Sache so und nicht anders be-  
  {Sp. 415|S. 221}  
  schaffen seyn möchte. Wir können uns demnach bey unsern Empfindungen sehr leicht betrügen. Wenn man diese Sache weiter untersuchet; so wird man finden, daß diese offt erwehnten Arten der Sprache in einer gewissen Absicht gleich vollkommen sind. Man führet zwar viele Gründe darwieder an, welche ungefehr folgende sind:  
  Eine von den vornehmsten Absichten bey der Sprache ist, daß sie von den Menschen gehöret werde. Nun stimmet aber mit dieser Absicht besser überein, was angenehm zu hören, als was den Ohren zuwieder ist. Derowegen kömmt diejenige Beschaffenheit mit dem Endzwecke der Sprache besser überein, wenn die Wörter in derselben gut klingen, als wenn sie den Zuhörern unangenehm sind. Alles aber was mit der Absicht der Sprache übereinstimmet, machet eine Vollkommenheit von derselben aus; welches hingegen ihrem Endzwecke zuwieder ist, das ist eine Unvollkommenheit.  
  Hieraus folget, daß eine Sprache, die gut anzuhören ist, vollkommener sey, als diejenige, deren angehörte Wörter in unsrer Seele unangenehme Empfindungen machen. Die rauhen und weibischen Sprachen aber sind unsern Ohren zuwieder wegen der gar zu grossen Menge harter und gelinder Wörter; die männlichen hingegen und zärtlichen Sprachen haben eine grössere Vermischung harter und gelinder Wörter, und sie erwecken deswegen in unserer Seele angenehmere Empfindungen als die vorigen.  
  Aber auch diese sind dem Grade nach hierinnen unterschieden, die zärtliche Sprache hat vor der männlichen einen Vorzug. Hieraus meynen sie, könne man sich erschliessen, daß die zärtliche Sprache die vollkommenste sey, die männliche ihr in der Vollkommenheit nahe komme, die rauhe und weibische aber unvollkommen seyn. Man kan es zugeben, daß die männliche und zärtliche Sprache vollkommener als die rauhe und weibische sind, wenn nur dieser Satz gehörig eingeschräncket wird.  
  Er muß also ausgesprochen werden: ja wie ferne eine Sprache in Ansehung der Gliedmassen des Gehöres von einem Zuhörer für männlich oder zärtlich, rauhe oder weibisch gehalten wird; in so ferne ist sie auch von demselben für vollkommen und unvollkommen zu schätzen. Aber dieses ist nur eine veränderliche Vollkommenheit und Unvollkommenheit. Denn eine Sprache wird nach den verschiedenen Gliedmassen des Gehöres bey den Menschen bald für rauhe, bald für männlich, zärtlich und weibisch gehalten. Und hiernach muß auch das Urtheil von der Vollkommenheit einer Sprache geändert werden. Eine Sprache, welche jemand, der sehr subtile Gliedmassen des Gehöres hat, rauhe nennet, und für unvollkommen hält, wird von einem andern als männlich und vollkommen gelobet, dessen Werckzeuge zum hören stärcker sind.  
  Eben so ist es mit einer von einem Menschen für zärtlich ausgegebenen Sprache beschaffen. Diese wird von einem andern als weibisch und unvollkommen verworffen werden, weil sein Gehöre stärckere Töne verlangt. Ingleichen eine Sprache, welcher iemand den Vorwurff der Weibischen macht, wird ein anderer als zärtlich und sehr vollkommenen preisen.  
  Die Ursache ist, weil bey den ersten die Werckzeuge zum hören stärcker  
  {Sp. 416}  
  sind als bey den andern. Es ist also keine Art von diesen Sprachen, welche nicht in Ansehung gewisser Menschen einen andern an Vollkommenheit ziemlich gleich wäre. Es ist zwar nicht zu läugnen, daß eine Sprache, in wie ferne sie rauhe oder weibisch ist, in so ferne auch für unvollkommen zu halten sey; aber sie ist nicht beständig und in Ansehung aller Menschen so beschaffen. Folglich beziehet sich ihre Unvollkommenheit nur auf gewisse Menschen und ist veränderlich.  
  Es ist nicht möglich, daß eine Sprache beständig in diesem Stücke unvollkommen sey. Wenn dieses geschehen könnte, so müste das rauhe und weibische eine unbedingte Beschaffenheit von einer Sprache seyn, welches doch falsch ist. Eine wesentliche Vollkommenheit entstehet aus der Übereinstimmung der wesentlichen Beschaffenheiten und Eigenschafften eines Dinges. Diese muß bey einem Dinge beständig gefunden werden. Eine zufällige Vollkommenheit ist vorhanden, wenn die Zufälligkeiten mit dem Wesen und der Absicht von einer Sache übereinstimmen. Diese ist veränderlich, und das Ding kan dasselbe verbleiben, wenn es gleich in diesem Stücke unvollkommen ist.  
  Aus diesen Erklärungen ist klar, daß die Vollkommenheit, die aus dem männlichen und zärtlichen bey einer Sprache entstehet, nur zufällig sey. Die wesentliche Vollkommenheit von einer Sprache bestehet darinnen, daß die Wörter bequeme Zeichen von den Begriffen sind, daß bey jenen eine vernünfftige Rechtschreibung beobachtet werde, und sie nach den bey den Zeit und Nenn-Wörtern fest gesetzten Regeln verändert werden, u.s.w.  
  Es ist aber bekannt, daß die wesentlichen und zufälligen Vollkommenheiten sehr leicht miteinander streiten können, und daß alsdenn die Ausnahme von den letztern zu machen sey. Hieraus folget, wenn eine Sprache ihre wesentlichen Vollkommenheiten nicht erlangen könnte, wo nicht dieselbe in Ansehung einiger Menschen rauhe oder weibisch würde; so muß man ehe diese Unvollkommenheiten zulassen, als dieselbe ihrer wesentlichen Vollkommenheiten berauben.  
  Die Wörter in einer Sprache können die Begriffe bequem anzeigen, und die abstammenden Wörter können nach den festgesetzten Regeln von den Stamm-Wörtern hergeleitet seyn, ob sie gleich einigen Menschen gar zu harte oder gelinde fürkommen. Wer eine solche Sprache so gleich deswegen verwirfft, ohne zu überlegen, ob nicht dieses rauhe oder weibische eine nothwendige Ausnahme zum Grunde habe, derselbe giebt seine Unvernunfft sehr deutlich zu erkennen. Aber ob gleich das männliche und zärtliche nur zufällige Vollkommenheiten von einer Sprache sind, so ist doch ein Volck verbunden, seine Mutter-Sprache entweder zärtlich oder doch zum wenigsten männlich zu machen, wenn es ohne Verlust der wesentlichen Vollkommenheiten geschehen kan.  
  Ein Volck kan sich leicht über diese erwehnte Beschaffenheiten einer Sprache vereinigen. Denn die Erfahrung lehret uns, daß die Menschen, die zugleich in einem Lande wohnen, und als ein Volck angesehen werden, fast einerley Temperamente oder Beschaffenheit des Geblütes haben, und daß der Unterschied unter den übrigen Theilen ihrer Cörper auch so groß  
  {Sp. 417|S. 222}  
  nicht sey. Derowegen werden ihre Gliedmassen zum Hören sich eben so wohl ziemlich ähnlich seyn. Bey ihnen kan man also noch am ersten eine Übereinstimmung der Urtheile von den oft angeführten Beschaffenheiten einer Sprache vermuthen, wenn sie den Empfindungen ihres Gehöres folgen.  
  Das männliche und zärtliche aber ist eine Vollkommenheit einer Sprache, und diese ist allezeit dem Unvollkommenen vorzuziehen; derowegen muß ein Volck sich bemühen, daß seine Muttersprache in so ferne zärtlich, oder doch zum wenigsten männlich klinge, als es ohne den Verlust der wesentlichen Vollkommenheit geschehen kan. Und hierauf gründet sich die Freyheit eines Volckes, die Sprache seiner Vor-Eltern zu verbessern, wenn sie ihm rauhe vorkömmt. Aber hierbey muß das Gehöre unparteyisch um Rath gefragt werden. Eine unvernünfftige Liebe zum Neuigkeiten muß von diesen Veränderungen nicht der Bewegungsgrund seyn.  
  Es ist nicht zu läugnen, daß uns die Mundart unserer Vor-Eltern rauhe zu seyn scheinet. Sie waren mehr bemühet, durch die Wörter ihre Gedancken anzuzeigen, als daß sie für das Gehöre angenehme Ausdrücke aussuchten. Es kan auch vielleicht seyn, daß ihre Gliedmassen zum Hören stärcker gewesen sind, als die unsrigen. Wir sind in vielen Stücken zärtlicher geworden als unsere Vorfahren. Uns stehet also frey, solche Wörter zu erwehlen, die mit unserm zarten Gehöre übereinstimmen; aber wir müssen darinnen behutsam verfahren, und es nicht auf das Gutdüncken einiger Neulinge ankommen lassen. Critische Versuche der Gesellschafft zu Greifsw. T. I. p. 461 u.ff. p. 542 u.ff.
  Wer sich von der Ähnlichkeit, die in den meisten Sprachen herrschet, einen Begriff machen will, der lese nach: Ponati Anleit. zur Harmonie der Sprachen, Braunschw. 1713.  
Rechte Was von der Sprache etwann noch in Ansehung der Gerichtlichen Handlungen beygebracht werden könnte, wäre, daß die in fremden und ausländischen Sprachen abgefasste Documente in Proceß-Sachen der Producent, durch einen geschworenen Dollmetscher in die Deutsche Sprache übersetzt, den Beweiß-Artickeln bey Verlust beyfügen solle; Erläuterte Proceß-Ordnung ad 25. §. 3.
  Der Product aber dieselben nicht weniger, als andere, recognosciren, Eb. das.
  dem jedoch seine Erinnerungen wieder die Übersetzung unbenommen bleiben. Eb. das.
  Die Advocaten im Ober-Hof-Gerichte zu Leipzig sollen in ihrem Fürbringen nicht viel Lateinische Worte oder Allegata aufzuschreiben vortragen. Ober-Hof-Gerichts-Ordnung. tit. wie viel Procuratores etc.
     

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Stand: 25. Februar 2013 © Hans-Walter Pries