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Zedler: Natur-Rechts (Grund-Satz des) [1] HIS-Data
5028-23-1205-1
Titel: Natur-Rechts (Grund-Satz des) [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 23 Sp. 1205
Jahr: 1740
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 23 S. 620
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Übersicht
Einleitung
Eigenschaften
Literatur
Klassen
  1. Grundsätze, die keine sind
 
  1.1 abweichende Beschaffenheit
 
  1.1.1 die Übereinstimmung der Völker (Consensum gentium)
  1.1.2 den natürlicher Trieb (instinctum naturalem)
  1.1.3 die Gleichförmigkeit der vernünftigen Kreatur mit ihrem Schöpfer (conformationem creaturae rationalis cum creatore)
  1.1.4 den Göttlichen Willen (voluntatem divinam)

Stichworte Text  
  Natur-Rechts (Grund-Satz des) Principium juris naturae, ist dasjenige, darinnen der Grund des natürlichen Rechts zu suchen und anzutreffen ist.  
Einleitung Was nun dieses sey, darüber ist iederzeit hefftig gestritten worden. Sollen wir nun die Lehre von diesem Principio gehörig abhandeln; so müssen wir erstlich dieses Grund-Satzes Eigenschafften zeigen; hernach die vornehmsten Principia, welche angenommen worden, historisch erzehlen und zum Theil beurtheilen; endlich aber einige allgemeine Anmerckungen über diese Materie beyfügen.  
Eigenschaften Den ersten Punct oder die Eigenschafften des Principii, welche insgemein pflegen angemercket zu werden, betreffend, so ist zum voraus zu wissen, daß, gleichwie das Principium einer philosophischen Disciplin, die Logick ausgenommen, entweder ein gemeines, oder ein besonderes ist, davon jenes entweder ein theoretisches oder practisches ist; das gemeine Principium des natürlichen Rechts, und zwar das theoretische, die gesunde Vernunfft; das practische der schuldige Gehorsam gegen GOtt; welches aber das besondere sey, so dem natürlichen Recht eigen ist, und daraus man die besondern Gesetze als Schlüsse folgert, wie denn auch dieses Principium Lex fundamentalis genennet wird, darinnen ist man nicht einig.  
  Soll es einen Grund-Satz abgeben, daß daher die natürlichen Gesetze durch richtige Folgerungen können geleitet werden, so erfordert man insgemein folgende Eigenschafften, daß es seyn müsse  
 
a) wahr, das ist, es müsste keinen falschen Satz in sich begreiffen, sonst könte man nichts Wahres daraus leiten; die Schlüsse aber des natürlichen Rechts solten gleichwol Wahrheiten seyn, wiewol Griebner in jurispr. ... erinnert, es sey nicht nöthig, diese Eigenschafft ins besondere zu erfordern, indem vor sich ausgemacht, daß ein Principium wahr seyn müste.
 
 
b) Deutlich, daß die Verknüpffung der Schlüsse mit denenselben augenscheinlich und handgreifflich wäre. Denn indem es gleichsam einen Richter abgeben solte, der allen Streit in diesem Recht entscheide, so müsste dasselbige so deutlich und offenbar seyn, daß es nicht dürffe in Streit gezogen werden, wie man denn aus einem dunckeln Satz nichts beweisen und erläutern könne:
 
 
c) ein einziges, welches die Natur der Demonstration und des Systematis erfordere, schickte sich auch besser vor die Natur des Verstandes, der nicht viel Dinge auf einmal fassen und begreiffen könne, daß man von einzelen anfangen, und hernach ordentlich auf vieles fortfahre. Wo nun ein solches einziges zu haben, so könte mans mitnehmen, ein anders wäre, wenn keines zu bekommen:
 
 
d) hinlänglich, daß es alle Gebote des natürlichen Rechts unter sich begreiffe, und doch keine andere Gebote, als des natürlichen Rechts. Denn solte daraus die Frage entschlichtet werden, was das natürliche Recht sey, und es wäre gleichwol nicht hinlänglich, sondern begriffe mehr, oder weniger Schlüsse, als sichs gehöre, so würde der andere leicht eine Ausflucht suchen können, die vorhabende streitige
 
  {Sp. 1206}  
 
  Materie sey auch vielleicht eine von den überflüßigen, und zu dem würde man vielmals den Grund der Demonstration in den Grund-Satz vergebens suchen, wenn nicht alle Schlüsse in selbigem stecken müsten, gleichwol aber solte dasselbe den Grund der Demonstration im natürlichen Recht abgeben.
 
Literatur Was aber vor Principia von den Moralisten ausgenommen worden, selbige sind  
 
  • zum Theil von denjenigen, welche die Historie des natürlichen Rechts beschrieben haben, als
    • Thomasius in histor. plenior. jur. nat.
    • Buddeus in hist. jur. nat. die seinen Selectis jur. nat. et gent. fürgesetzet;
    • Ludovici in delineat. histor. jur. divin.
    • Reimmann in hist. litt. der Deutschen part. 3. sect. 4.
    • Stolle in der Historie der Gelahrheit tom. 3. cap. 2.
    • nebst mehrern, die Walch in dem Entwurff der allgemeinen Gelehrsamkeit p. 219. berühret;
  • zum Theil von einigen Scribenten des natürlichen Rechts, als
    • Hochstettern in colleg. Pufend. exerc. 4. §. 12.
    • Gundling in via ad veritatem part. 3. cap. 2. p. 23.
    • Griebner in jurispr. nat. prolegom. cap. 4.
    • Gerhard in delineat. jur. nat. lib. 1. cap. 9.
    • Pragemann in jurisprud. nat. exerc. 3. p. 49. der darinnen grossen Fleiß angewendet;
    • Glafey in dem Vernunfft- und Völcker-Recht p. 246. u.ff.
    • Jano in Dissertatione de judiciis eruditorum de principiis juris nat. Wittenb. 1711,
    • auch Buddeo in theol. moral. part. 2. cap. 2. §. 53.
    • und Proeleo in Dissertatione de origine diversor. jur. nat. principior.
 
  angeführet. Dessen ohngeachtet soll diese Materie hier mitgenommen, und beydes ausführlich, als in einer richtigen Ordnung vorgetragen werden.  
Klassen Es können die Grund-Sätze des Natur-Rechts üblich in gewisse Classen gebracht werden.  
1. Grundsätze,
die keine sind
In die erste setzen wir diejenigen, die gar keine Principia sind, auch dahin stehet, ob sie durchgehends von denjenigen, denen man sie beyleget, dafür ausgegeben worden, gleichwol aber meistens darunter gezehlet werden, welche wieder zweyerley sind, in dem einige von der eigentlichen Beschaffenheit des Gesetzes und Principii, etliche aber der menschlichen Natur abweichen.  
1.1 abweichende
Beschaffenheit
Zu den ersten könte man rechnen  
 
1) die Ubereinstimmung der Völcker (Consensum gentium) daß dasjenige Rechts der Natur sey, worinnen die Völcker übereinstimmen, worauf sich Cicero Tuscul. quaest. lib. 1. cap. 30. Orat. pro Milone cap. 4. n. 10. beruffet, auch von den neuern Grotius de iure belli et pacis lib. 1. cap. 1. §. 12. n. 1. wiewol er erinnert, daß dieser Beweis nur a posteriori geschähe, und eine grosse Wahrscheinlichkeit mache, daß dasjenige Rechts der Natur sey, worinnen alle Völcker, wenigstens die wohlgesitteten übereinstimmeten.
 
 
  Seldenus hatte dagegen lib. 1. cap. 4. et 5. jur. nat. et gentium juxta disciplinam Ebraeor. verschiedenes eingewendet, welches auch Pufendorff de jure nat. et gent. lib. 2. cap. 3. §. 7. thut; es vertheidigen aber den Grotium Boecler in Comment. ad Grot. p. 160. und Zentgrav de origine verit. et immutabili rectit. juris nat. art. 6. p. 200.
 
 
  Wenn eine allgemeine Ubereinstimmung aller Völcker in der Moralität gewisser Handlungen vorhanden, so beweiset dieses sehr wahrscheinlich nur so viel, es müsste ein gewisses Gesetz da seyn, das in der Natur seinen Grund habe,
 
  {Sp. 1207|S. 621}  
 
  und aus der Beschaffenheit der moralischen Verrichtungen, worinnen sie mit einander übereinstimmen, schlüsset man, daß dieses oder jenes müsse geboten, oder verboten seyn; allein diese Ubereinstimmung an sich selbst hält den Grund der Moralität nicht in sich, daß man sagen wolte, dieses ist recht, weil die Völcker darinnen übereinkommen, und muß auf solche Weise anderswo hergeleitet werden, der aber gleichwol in einem richtigen Principio liegen muß.
 
 
  Es wird auch schwer fallen, eine solche Ubereinstimmung darzuthun; und gesetzt, sie hätte an sich ihre Richtigkeit, so würde doch der andere, dem man daher was beweisen wolte, viele Ausflüchte dagegen wissen. Und wenn man auch die Sache genau ansiehet, so hats eigentlich niemand als ein Principium erwehlet. Ciceroni ist wohl dieses niemals in Sinn kommen. Grotius hats ebenfalls sehr eingeschräncket, und wie er überhaupt sich keines gewissen Grund-Satzes bey seinen Demonstrationen bedienet, also braucht er auch dasselbige in der Application eben nicht, als das einzige und wichtigste Principium.
 
 
  Wilhelm Grotius de princip. jur. nat. cap. 1. ... bedienet sich auch der Einschränckung, daß man die Ubereinstimmung nur von gesitteten Völckern annehmen könne; es ist aber eine schwere Sache, wenn man determiniren soll, welches Volck darunter gehöret, wie Thomasius in fundamentis jur. nat. et gent. lib. 1. c. 5. §. 72. angemercket hat.
 
 
2) Den natürlichen Trieb (instinctum naturalem,) welches Aristoteles rhetor. lib. 1. cap. 13. §. 3. und lib. 5. cap. 10. ethic. soll angenommen haben, wiewol er auch die Absicht, ein Principium des natürlichen Rechts zu setzen, nicht gehabt. Man könte auch dahin die Beschreibung des Triboniani oder vielmehr Ulpiani: Jus naturae est, quod natura omnia animalia docuit, rechnen, wenn selbige nicht aus einem andern Grund der Stoischen Philosophie müste erkläret werden. Doch dahin gehet die Philosophie des Spinozä und Hobbesii, daß man das Recht nach den menschlichen Begierden abmessen müsse.
 
 
  Die natürlichen Begierden, so fern sie nach dem Fall von der gesunden Vernunfft regieret werden, geben wohl den Grund von den erlaubten Verrichtungen ab, nicht aber von denen, was recht, oder unrecht, dessen Determination in dem Gesetz zu suchen, wie man denn auch den natürlichen und von der Vernunfft dirigirten Begierden nicht ehe folgen darff, bis das Gesetz nichts bestimmt, z.E. wäre Cajus durch das Gesetz vermittelst eines Pacti verbunden, nach Mittag um zwey Uhr ein Collegium zu lesen, und er hätte gleichwol eine Lust zu schlafen, ohne daß solche von der Wollust wäre gereitzet worden, so gieng hier das Gesetz für, er müste lesen, und seinem Schlaf widerstehen; im Fall aber er in dieser Stunde Pflichtes halber nichts zu thun hätte, und also das Gesetz nicht im Wege stünde, so könte er dieser Lust folgen, und das wäre eine erlaubte Handlung.
 
 
3) Die Gleichförmigkeit der vernünfftigen Creatur mit ihrem Schöpffer, (conformationem creaturae rationalis cum creatore,) welchen Grund Zentgrav de origine, veritate, immutabili rectitudine jur. nat. art. 5. p. 150.
 
  {Sp. 1208}  
 
  und art. 9. p. 311. auch Ferber in phil. juris natural. cap. 1. §. 74. erwehlet haben, dabey aber, wie man leicht siehet, des rechten Weges verfehlet. Denn zu geschweigen, daß dieses nicht sowol ein Gebot, als vielmehr die Göttliche Absicht, wohin das Gesetz als ein Mittel gerichtet, in sich fasset, so gehöret diese Gleichförmigkeit nicht vor die Natur, und erfordert etwas höhers als die Vernunfft, und die natürlichen Kräffte sind.
 
 
  Es hat sich zwar Zentgrav viel Mühe gegeben, seinen Satz aus den heydnischen Büchern zu erläutern, als hätten sie diese Wahrheit sehr wohl erkannt; wofern er aber solche heydnische Aussprüche von der Gleichheit mit GOtt nach ihren Grund-Sätzen, daher sie geflossen, untersuchet hätte: so würden sie sich in einer gantz andern Gestalt dargestellet, und er sich Bedencken gemacht haben, selbige anzuführen. Denn sie stacken in dem höchst unvernünfftigen und gefährlichen Irrthum, daß die Seele ein Stück des Göttlichen Wesens, die in dem Leibe, als in einem Gefängniß sich befände, und wieder mit GOtt müste vereiniget werden.
 
 
4) den Göttlichen Willen (voluntatem divinam) so das Principium des Herrn Samuel Cocceji, der 1690 eine Disputation de principio juris naturae unico, vero et adaequato herausgab, die nicht nur 1712 zu Halle wieder gedruckt, sondern auch 1702 in Form eines Tractats herausgegebenen worden, welcher aus zwey Theilen bestehet. Der erste fasset besagte Disputation, die was anders eingerichtet, und vermehret worden, in sich; der andere aber die Beantwortung auf die dagegen gemachte Einwürffe
 
 
 
a) eines Ungenannten in den monatlichen Auszügen 1700. p. 371. (welcher der Herr von Leibnitz ist, wie aus Carl Günther Ludovici Historie der Leibnitzischen Philosophie §. 421. des 1 Theils zu ersehen;)
 
 
 
b) Jacob Friedrich Ludovici in delineat. histor. jur. nat. §. 101. 1701. 4. und
 
 
 
c) Hertii in Dissertatione de socialitate primo jur. nat. prinicipio, vol. 1. tom. 1. opusc. p. 88. Hierauf antwortete der Herr Ludovici in einer neuen Schrifft, unter den Titel: dubia circa hypothesin de principio juris nat. ejusdemque vindicias viri cujusdam celeberrimi 1703. worinnen er ihm noch andere Zweiffel entdeckte, dawider aber Coccejus 1705 resolutionem dubiorum circa hypothesin suam drucken ließ, und Ludovici versprach in der neuen Edition seiner Histor. jur. nat. p. 169. darauf zu antworten.
 
 
  Nimmt man dieses Principium in dem Verstand an: man soll alles thun, was dem Göttlichen Willen gemäß, und unterlassen, was ihm entgegen, oder welches eins ist, man soll GOtt gehorchen, so ist solches nicht sowol ein eigentlicher Grund-Satz des natürlichen Rechts, als vielmehr der gesamten Moral, und wenn mans in der natürlichen Rechtgelehrsamkeit brauchet, so wird man befinden, daß es nicht adäquat, und mehr, als seyn solte, daraus fliesset, weil auch die Gesetze in der Offenbarung heiliger Schrifft auf dem Willen GOttes beruhen, auch nicht deutlich und helle, indem so man iemanden hieraus eine besondere Folgerung ziehen wolte, ob hier der Wille GOttes so beschaffen, und also müsse man doch noch eine ander Principium zu Hülffe nehmen, wie denn auch einige noch dieses dagegen erinnert, daß der Wille
 
  {Sp. 1209|S. 622}  
 
  GOttes zwar das Principium essendi, aber nicht cognoscendi des natürlichen Rechts sey.
 
 
  Es scheint aber, daß man nicht allezeit Cocceji Meynung recht eingesehen, in dem er nicht schlechterdings den Willen GOttes zum Principio des natürlichen Rechts setzet, sondern Gründe der Erkänntniß an die Hand giebt, woraus man den Willen GOttes im Recht der Natur erkennen könne, und bemercket also die Grentze der Vernunfft und Offenbarung: wenn er aber sagen soll, welches man hier vor den Willen GOttes halten könne, so setzet er unter andern als ein Kennzeichen die Natur und den Endzweck einer Sache, zu welchen sie von GOtt bestimmet worden, welches aber sehr dunckel, wie unten mit mehrerm soll gezeiget werden, und Coccejus hätte auch seine Meynung etwas deutlicher und ordentlicher vortragen sollen, weil die meisten sie in dem Verstand, den wir vorhero berühret, annehmen.
 
 
  Eben dahin geht auch Kestner in dem Jure natural. et gent. nur daß der die Hypothesin des Cocceji in etwas verändert hat. Er machte einen Unterscheid unter dem Willen GOttes, so fern er durch Worte, und durch die That selbst wäre kund gethan worden, da denn jener das geoffenbarte, dieser aber das natürliche Recht in sich fasse.
 
 
  Im Jahr 1705 gab Joh. Senstius Schediasma juris nat. heraus, darinnen er sich einen gedoppelten Concept von dem natürlichen Recht macht, so fern dasselbige objective genommen werde, und das sey der Grund-Satz: suum cuique, oder formaliter, in welcher Absicht das Principium hiesse, wer zu befehlen hat, dem muß man gehorchen; aus welchem er wieder drey neue Principia: ehre GOtt, führe dich mäßig auf, und lebe gesellig, folgert, darwider man ebenfalls einwendet, daß der Satz, man müsse GOtt als dem Obern gehorchen, kein eigentliches Principium vor das natürliche Recht wäre.
 
 
  Kulpisius in colleg. Grotiano exercit. 1. §. 6. p. 10. gedencket des Principii, so Nitschius soll gehabt haben, und in dem cultu divino bestanden haben, welches vielleicht eben so viel heisset, als was das vorher angeführte gesagt, man solte GOtt gehorchen. Dem Coccejo folget auch Willenberg in siciliment. jur. nat. et gent. lib. 1. c. 1. quaest. 11. p. 10.
 
     

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Stand: 20. Februar 2013 © Hans-Walter Pries