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Zedler: Natur-Rechts (Grund-Satz des) [2] HIS-Data
5028-23-1205-02
Titel: Natur-Rechts (Grund-Satz des) [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 23 Sp. 1209
Jahr: 1740
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 23 S. 622
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Hinweise:
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Übersicht
Klassen (Forts.)
  1. Grundsätze, die keine sind (Forts.)
 
  1.1 abweichende Beschaffenheit (Forts.)
 
  1.1.5 den durch die Natur und Zweck derjenigen Dinge, womit der Mensch in dieser Zeitlichkeit umgehet, geoffenbarten Willen Gottes
  1.1.6 die Übereinstimmung mit der Göttlichen Heiligkeit (convenientiam cum sanctitate)
  1.2 keine Gesetze der Natur
 
  1.2.1 die sieben Gebote der Noachiden
  1.2.2 den Stand der Unschuld (Statum integritatis)
  1.2.3 die Liebe
  1.2.4 die zehn Gebote (den Decalogum)

Stichworte Text  
 
5) Den durch die Natur und Zweck derjenigen Dinge, womit der Mensch in dieser Zeitlichkeit umgehet, geoffenbarten Willen GOttes, welchen zum Grund-Satz der Auctor des meditirenden Eclectici p. 207. gesetzet, und darinnen vom Herrn Coccejo abgehen wollen, daß er mit ihm nicht den Willen GOttes bloß; sondern mit gehörigen Einschränckungen zum Grund gesetzt, und dadurch dem Einwurff, als wenn es unzulänglich wäre, geholffen.
 
 
  Wolte man aber auch hier einwenden, es bliebe doch dieses nur ein Principium essendi, und nicht cognoscendi, so erinnert er, es wäre hier kein Widerspruch enthalten, daß ein Ding, so ein Principium essendi von einem andern wäre, auch ein Principium cognoscendi davon wäre, zum Exempel, wenn man Feuer sähe, so schlösse man gantz vernünfftig, es müsse auch Rauch oder Hitze vorhanden seyn, wenn man gleich dasselbe nicht sähe, mithin sey das Feuer nicht nur das Principium essendi von der Hitze und vom Rauch, sondern auch zugleich
 
  {Sp. 1210}  
 
  das Principium cognoscendi, daß man von der Erkänntniß des Feuers auf die Erkänntniß der Hitze und des Rauchs komme.
 
 
  Allein es lässet sich hier noch vieles erinnern. Denn wenn iemand aus der Existentz des Feuers schlüssen will, es sey Hitze und Rauch vorhanden, so muß er das Feuer sehen, und schon aus der Erfahrung diese Würckung des Feuers gelernet haben, daß daher nicht zu vermuthen, es werde iemand, wenn er niemals den Rauch des Feuers gesehen, oder dessen Hitze empfunden, indem er ein Feuer siehet, urtheilen, daß auch Rauch und Hitze vorhanden wären.
 
 
  Es merckt auch noch der Auctor der Gedancken über die Journale p. 6. p. 493. an, daß dieses Principium von des Cocceji seinem, wenn man dasselbige recht verstünde, nicht unterschieden sey. Der Auctor selbst, welcher der Herr Glafey ist, hat nachgehends in seinem Vernunfft- und Völcker-Recht p. 258. umständlich davon gehandelt.
 
 
6) Die Ubereinstimmung mit der Göttl. Heiligkeit, (convenientiam cum sanctitate) oder: alles, was mit der göttlichen Heiligkeit übereinstimmet, das ist im Recht der Natur geboten, und alles, so damit nicht übereinkommet, ist im Recht der Natur verboten, welches Principium die Scholastici hatten, auch noch von vielen gebilliget wird.
 
 
  Sie machen einen Unterscheid unter der Göttlichen Heiligkeit und unter dem Göttlichen Willen, und leiten diejenigen Handlungen, die zum Recht der Natur gehörten, aus der Heiligkeit, welche an sich selbst und ihrer Natur nach ehrbar und unanständig wären, so auch sonst die objectivische Moralität genennet wird; diejenigen Verrichtungen aber, die das willkührliche Gesetz unter sich faßten, kämen vom Göttlichen Willen.
 
 
  Hierinnen bekam Pufendorf grossen Widerspruch, nachdem er diese Lehre der Scholasticorum widerleget, und gewiesen hatte, daß alle Moralität vom Gesetz, folglich vom Willen GOttes herrühre. Grotius blieb bey dieser scholastischen Meynung auch noch de jure belli et pacis lib. 1. cap. 1. §. 10. n. 2. Dem unter andern gefolget
 
 
 
  • Osiander in Observ. ad Grot. proleg. obs. 5.
  • Velthem in introd. ad Grotium lib. 1. c. 1. q. 1. und 4.
  • Jäger in notis ad Grot. obs. 4. p. 39.
 
 
  wovon mit mehrerm auf Seiten derer, die solche Meynung widerleget haben,
 
 
 
  • Pufendorf de jure nat. et gent. l. 1. c. 3. §. 4. in specimine Controvers. c. 4.§. 3. und c. 5.
  • Thomasius in jurisprud. divin. lib. 1. c. 1. §. 31.
  • Ludovici in delineat. hist. jur. nat. §. 68. p. 1112. 113.
  • Griebner in jurispr. nat. proleg. c. 4. §. 8.
 
 
  zu lesen sind.
 
 
  Es ist dieses Principium nicht allein falsch, so fern man einen Unterscheid unter dem Göttlichen Willen und der Göttlichen Heiligkeit machen will, hiermit der heil. Schrifft widerspricht, und Dinge, die mit der gesunden Vernunfft streiten, daß eine Obligation ohne Gesetz seyn könne, annimmt; sondern auch dunckel, weil wir von GOttes Heiligkeit entweder nichts, oder doch nur etwas verworrenes aus dem Licht der Natur wissen, über dies auch unzulänglich, weil es eines Theils zu viel, andern Theils zu wenig unter sich fasset.
 
 
  Der Herr Leibnitz hat diese alte scholastische Meynung, wiewol auf eine andere Art, auch vertheidiget, dessen Gedancken in der Hällischen Bibliotheck part. 22. p. 109. sqq. deutlich
 
  {Sp. 1211|S. 623}  
 
  fürgetragen werden.
 
1.2 keine Gesetze der Natur Die andere Art der falschen Principiorum ist, wenn die Grund-Sätze zwar Gesetze in sich fassen, aber keine Gesetze der Natur, die in der menschlichen Natur ihren Grund hätten, wohin man rechnet  
 
1) die sieben Gebote der Noachiden, von der Idololatrie, Entheiligung des Göttlichen Namens, vom Blut-Vergiessen, von der Aufdeckung der Scham, vom Stehlen, vom Recht und Gerechtigkeit, vom Fleisch-Essen in seinem Blut, welche Gebote, indem sie zum Theil natürlich, zum Theil willkührlich, nicht als ein Grund-Satz des natürlichen Rechts können angesehen werden, der weder allgemein noch hinlänglich wäre.
 
 
  Es stehet auch dahin, ob sie iemand dafür ausgegeben hat. Denn hat sie gleich Seldenus in seinem Werck de jur. nat. et gent. juxta disciplinam Ebraeor. zum Grund geleget, so ist doch seine Absicht nicht sowol gewesen, ein Recht der Natur zu schreiben, als vielmehr diese Gebote nach denen Rabbinischen Meynungen zu erklären, daß man also diese Schrifft mehr vor ein historisch, als dogmatisch Buch anzusehen hat.
 
 
  Einen Auszug hat davon Buddeus gemacht in Synopsi juris naturae et gentium juxta disciplam Ebraeorum, die Vitriarii institut. jur. nat. et gent. beygefüget. Pufendorff urtheilet davon in Scandica pag. 200. weitläufftig, und überhaupt handeln von dieser Materie
 
 
 
  • Buddeus in hist. jur. nat. §. 25. p. 32.
  • Ludovici in delin. histor. jur. nat. §. 44. p. 72.
  • Schneider de finibus jurisprud. nat. regend. cap. 2. §. 6.
  • Thomasius in plenior. hist. jur. nat. cap. 6. §. 13. p. 88.
  • Zentgrav de origin. jur. nat. art. 6. §. 38. pag. 199.
 
 
2) Den Stand der Unschuld (Statum integritatis) welches der Grund-Satz des Herrn Alberti war, der Compendium juris nat. orthodoxae theologiae conformatum herausgab, darinnen er sich bemühete, das Principium des Herrn Pufendorffs über den Hauffen zu stossen, und hingegen das Recht der Natur aus dem Stande der Unschuld zu leiten, und denselben zu einer Richtschnur des Zustandes im gegenwärtigen Leben zu machen, woraus weidliche Streitigkeiten entstunden.
 
 
  Schon vor ihm ist David Mevius in dem Prodromo jurisprudentiae gentium communi, der nachgehends unter dem Titel: nucleus juris naturalis et gentium zum Vorschein kommen, dieser Meynung gewesen, welches auch Alberti in der Vorrede des ersten Theils seines Wercks pag. 10. nicht in Abrede ist, und gestehet, er gäbe nichts, als die blosse Methode, vor seine Erfindung aus.
 
 
  Er bekam mit Strimesio einen Streit, der zwar nur die Frage betraff: ob man den Stand der Unschuld aus dem Licht der Natur erkennen und beweisen könne? Welches Alberti leugnete, Strimesius hingegen in einer besondern Disputation, die der Herr Seligmann auf Seiten des Alberti beantwortet, bejahete, und sich desfalls auf die vielen Zeugnisse der Griechischen und Lateinischen Poeten berieff.
 
 
  Pufendorff aber grieff die gantze Sache an, der mit Alberti einige harte Streit-Schrifften gewechselt, und Thomasius fieng daselbst wieder an, wo er es gelassen hatte. Denn in der Jurisprud. divin. und
 
  {Sp. 1212}  
 
  in dem vorgesetzten Programmate hat er diese Albertinische Meynung genau untersuchet, und gründlich gewiesen, was vor ein Unterscheid zwischen dem Stande der Unschuld und dem ietzigen Zustande nach dem Fall sey; ingleichen daß der Stand der Unschuld unmöglich eine Richtschnur des Rechts der Natur seyn könne, weil es nicht möglich, daß wir durch die Natur den geringsten Grad der verlohrnen Vollkommenheit erlangen könten, auch in besagtem Stande willkührliche Gesetze gewesen, und sich da Dinge befunden, die im gegenwärtigen nach dem Fall nicht mehr anzutreffen, und hingegen aus dem verderbten Stande Sachen entstanden, die dorten nicht statt gehabt, zu geschweigen, daß das Recht der Natur den Heyden soll ins Hertz geschrieben seyn, die aber nach dem eigenen Geständniß des Herrn Alberti vom Stande der Unschuld nicht gewust.
 
 
  So mercket er auch an, daß zur Behauptung dessen, es sey etwas wider das Recht der Natur, nicht hinlänglich sey, wenn man aus den Heydnischen Philosophen anführe, daß sie es auch vor verboten geachtet, weil die Heyden vieles aus dem Umgang mit dem Jüdischen Volck und auch durch die Tradition von ihren Vorfahren erhalten hätten, das nicht zum natürlichen, sondern zum Göttlich allgemeinen geoffenbarten Gesetz gehöre.
 
 
  Dem ohngeachtet haben dieses Principium
 
 
 
  • Lanius in Dissertatione de principio juris naturae,
  • Pasche de inventis nov-antiquis cap. 4. §. 11.
  • Seckendorff im Christen-Staat addit. lib. 3. cap. 8. §. 6.
 
 
  gebilliget, wovon mit mehrern
 
 
 
  • Pufendorff in Specim. controv. cap. 4. §. 10. u.ff.
  • Thomasius in jurisprud. divin. lib. 1. cap. 4. §. 40. u.ff. in plenior. hist. jur. nat. cap. 6. §. 23. 31. u.ff.
  • Ludovici in delin. hist. jur. nat. §. 62. pag. 105.
 
 
  zu lesen sind.
 
 
3) Die Liebe, die CHristus so sehr treibet, welchen Satz Johann Ludwig Prasche, ein gelehrter Bürgermeister zu Regenspurg, zum Grund des natürlichen Gesetzes legte, und erhärten wolte, daß die Liebe die Wurtzel sey, aus welcher alle Pflichten des natürlichen Rechts müsten hergeleitet werden, dazu der Mensch sowol in, als ausser der bürgerlichen Gesellschafft verbunden, wie wir dieses aus seinem sogenannten Lege caritatis und aus der designat. juris nat. ex disciplin. christianor. sehen, dawider ihm Thomasius in den freymüthigen Gedancken von allerhand neuen Büchern 1689 p. 79. bis 99. und 206. bis 230. allerhand Einwürffe machte, und er sich gleich durch eine klare und gründliche Vertheidigung des natürlichen Rechts nach Christlicher Lehre wider die gemachten Einwürffe, die er in eben denselben Jahr drucken liesse, vertheidigen wolte, so fand er doch wenig Beyfall, und hingegen pflichteten Thomasio Fr. Gentzken in Schediasm. mor. de principiis justi cap. 1. §. 22. und Ludovici in delineat. hist. jur. nat. §. 47. pag. 131. bey, weil allerdings nach diesem Grund-Satz die gröste Verwirrung der theologischen und philosophischen Morale, der natürlichen und Christlichen Pflichten entstehen muß, und wie will ein bloß natürlicher Mensch etwas von dieser Liebe ohne die Offenbarung wissen.
 
  {Sp. 1213|S. 624}  
 
4) Die zehen Gebote (den Decalogum) wohin Georg Calixtus in theolog. moral. cap. de legib. pag. 60. Hemmingius in apodictica methodo de lege naturae, und Boecler praef. comment. ad Grotium gehen, die sich aber fälschlich einbilden, als wäre der Decalogus ein Begriff der natürlichen Gesetze, massen weder das dritte, noch das neundte und zehende Gebote aus der Natur durch die Vernunfft können erkannt werden, daher auch Paulus von sich Röm. VII, v. 7. bezeuget sich, er hätte nicht gewust, daß die Lust Sünde, wo ihm das Gesetz, nemlich das geschriebene Gesetz, nicht gesagt hätte, laß dich nicht gelüsten.
 
     

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Stand: 9. November 2023 © Hans-Walter Pries