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Zedler: Verstand des Menschen [1] HIS-Data
5028-47-1980-2-01
Titel: Verstand des Menschen [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 47 Sp. 1980
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 47 S. 1003
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Übersicht
Dogmatische Betrachtung
  Was der menschliche Verstand sei?
 
  Erklärung des Verstandes
 
  1) Beschaffenheit

Stichworte Text Quellenangaben und Anmerkungen
  Verstand des Menschen, Lat. Intellectus humanus, Intellectus hominis. Wir wollen hier eine Dogmatische und Historische Abhandlung anstellen, und bey jener die Sache erklären; bey dieser aber die vornehmsten Meynungen der Philosophen hiervon erzehlen.  
  Bey der Dogmatischen Betrachtung haben wir erstlich überhaupt zu sehen: Was der menschliche Verstand sey? Wir nennen ihn eine Fähigkeit der Seelen, zu empfinden, und auf menschliche Art zu gedencken, die uns die Natur mittheilet. Daß wir solche Fähigkeit haben, dessen sind wir durch die eigene Empfindung völlig versichert, indem wir die Würckungen, die daher fliessen, empfinden, und uns derselbigen bewust sind. Eben solche Empfindung nebst der Erfahrung dessen, was wir an den Reden und Thaten anderer Leute wahrnehmen, ist der Grund, woraus wir die Beschreibung desselbigen nehmen, und wo es nötig ist, beweisen müssen.  
  Wir legen darinnen dem menschlichen Verstande eine doppel-  
  {Sp. 1981|S. 1004}  
  te Krafft bey. Die eine ist das Vermögen zu empfinden, welches man auch die Sinnen zu nennen pfleget; das andere das Vermögen auf menschliche Art zu gedencken, da es denn GOtt sehr weislich geordnet, daß jenes diesem vorgehet. Denn wenn wir gedencken wollen, muß ein Object da seyn, daran wir gedencken können. Ehe aber der Verstand daran gedencken kan, muß es ihm vorher bekannt gemacht seyn, wozu die Empfindung dienet.  
  Also ist die Empfindung das erste, so zum Wesen unsers Verstandes erfordert wird, daß wenn dieses geschehen, so fängt er an, daran zu gedencken, und zwar, wie wir in der Beschreibung sagen, auf menschliche Art. Hiermit haben wir den Unterscheid zwischen den Menschen und Bestien in diesem Stücke anzeigen wollen. Man kan mit den Cartesianern die Bestien nicht zu blossen Maschinen machen, und wenn man ihnen einen Verstand beyleget, ist nöthig, daß man einen Unterscheid unter einem viehischen und menschlichen Verstand setzet.  
  Von dem Vieh weiß man aus der Erfahrung, daß es nicht nur empfindet; sondern auch gewisse Arten der Gedancken hat, indem es etwas behalten und sich dessen erinnern kan. Der Mensch hat hierinnen vor demselbigen noch was besonders, daß er nehmlich nachdencken kan, folglich, wie aus dieser Würckung zu schliessen, eine besondere Krafft an seinem Verstande haben muß. Wolte man also den Verstand als das Genus, und den menschlichen nebst dem viehischen, als zwey Arten desselbigen ansehen, so könnte man folgende Erklärungen machen.  
  Der Verstand überhaupt sey eine Fähigkeit empfinden und zu gedencken; der Verstand des Menschen insonderheit eine Fähigkeit seiner Seelen zu empfinden und auf menschliche Art zu dencken; und der Verstand eines Viehs eine Fähigkeit zu empfinden und durch das Gedächtniß zu dencken. Doch ist nicht zu leugnen, daß nicht einem jeden Vieh eine Gedancke kan beygeleget werden  
  Rüdiger in physica divina ... mercket an, daß einige Thiere nur die Bewegungs und Empfindungs Krafft hätten, wie die Insecten; etliche noch dabey das Gedächtniß, und bey etlichen träf man auch das Ingenium an, wie an den Affen zu sehen. Doch wir bleiben hier bey der Untersuchung des menschlichen Verstandes, u. da wir dessen eigentliches Wesen in dem Nachdencken setzen, so geschicht dieses nicht vergebens; sondern wir wissen dieses aus der Empfindung und Erfahrung.  
  Geben wir Acht auf unsere Gedancken, so werden wir verschiedene Arten derselbigen wahrnehmen. Wenn in uns durch die Empfindung Ideen erreget werden, so können wir solche nicht nur behalten und uns derselbigen wieder erinnern; sondern auch durch das Nachdencken und Überlegen derselbigen bewust seyn, sie gegen einander halten, ihre mancherley Art der Übereinstimmung, oder Abweichung bemercken, sie von einander trennen; oder zusammen setzen und sich allgemeine Ideen, oder ideas abstractas machen.  
  Diese Art der Gedancken durch das Nachdencken; oder Überlegen pflegt man cogitationem reflexam zu nennen. Sie zeigt an, daß der menschliche Verstand auch mit besondern Kräfften zu würcken müsse begabet seyn, wel-  
  {Sp. 1982}  
  che man das Ingenium und Judicium nennet; daß wenn der viehische Verstand nur eine Empfindungs-Krafft und das Gedächtniß hat; so hat der menschliche hingegen die Empfindungs-Krafft, das Gedächtniß, Ingenium und Judicium. Man lese, was D. Müller in seiner Logick ... hiervon angemercket hat.
  In der Beschreibung setzen wir noch hinzu, es sey der Verstand eine solche Fähigkeit, die uns die Natur mittheile, womit wir den Grund des Unterscheids, den man unter Verstand und Vernunfft machen kan, anzeigen wollen. Denn den Verstand kan man als eine natürliche Fähigkeit; die Vernunfft aber als eine durch Fleiß und Übung erlangte Geschicklichkeit ansehen.  
  Herrn Wolffen ist der Verstand eine Krafft, das Mögliche deutlich vorzustellen. Und hierinnen ist ihm der Verstand von den Sinnen und der Einbildungs-Krafft unterschieden, daß, wo diese alleine sind, die Vorstellungen nur höchstens klar, aber nicht deutlich seyn: Hingegen, wo der Verstand dazu kommt, dieselben deutlich werden.  
  Daher, wenn uns einer von einer Sache nichts zu sagen weiß, ob er sie gleich sich einbilden kan, das ist, wenn er keine Deutlichkeit in seinen Gedancken hat, pflegen wir zu sagen, er habe keinen Verstand davon, oder er verstehe sie nicht. Hingegen, wenn er uns sagen kan, was er sich von der Sache vorstellet, so sagen wir, er habe Verstand davon oder er verstehe sie. Und unterweilen geben wir gar deutlich die Deutlichkeit als einen Grund an, daß einer die Sache nicht verstehe, wenn wir nehmlich sagen: Wie will er es sagen, er verstehet nichts davon, ob uns gleich bekannt, daß er die Sache empfunden und sich weiter einbilden kan.  
  Einige nehmen das Wort: Verstand, in einem weitläufftigen Verstande, nehmlich überhaupt pro omni facultate cognoscitiva, für das Vermögen zu erkennen (oder für eine Krafft der Seele das Mögliche vorzustellen, es mag deutlich oder undeutlich, ja gar auch dunckel geschehen). Und in diesem Fall gehören die Sinnen (oder Krafft zu empfinden) und die Einbildungs-Krafft mit zum Verstande und werden zugleich mit darunter begriffen. Allein das heisset ohne Noth durch eine Unbeständigkeit im Reden ein Wort zweydeutig und dadurch Verwirrung machen, da gleichwohl an dem Unterscheide gar viel gelegen, und wir Wörter genug haben, wodurch wir alle Kräfte der Seele von einander zu unterscheiden vermögend sind: Wir haben zweyerley Erkänntniß, deutliche und undeutliche.  
  Derowegen ist billig, daß wir beydes Vermögen unterscheiden, welches die Seele dazu hat. Das Vermögen undeutlich eine Sache vorzustellen, sind die Sinnen und Einbildungs-Krafft. Denn, wenn wir in dem, was sie vorstellen, Deutlichkeit suchen, so äussert sich der Verstand. Und demnach behält billig das Vermögen, die Sachen deutlich vorzustellen, diesen Nahmen.  
  Es ist einfältig, wenn man den Verstand in einem weitläufftigen Verstande genommen, oder das Vermögen zu erkennen überhaupt ein freyes Wesen der Seele, oder facultatem liberam nennen will. Denn dieses Vermögen hat keine Freyheit, sondern muß den vorgeschriebenen Regeln folgen, unerachtet die Seele Freyheit hat, sich zum Gebrauch desselben  
  {Sp. 1983|S. 1005}  
  nach ihrem Gutbefinden zu determiniren. Ist demnach der Verstand diejenige Krafft der Seele, in so weit sie das Mögliche deutlich vorstellet: So ist der Verstand um soviel vollkommener, jemehr er Dinge deutlich vorstellen kan, und jemehr er in einem einigen Dinge deutlich vorzustellen vermögend ist. So weit Herrn Wolff in seiner deutschen Metaphysick und in den Anmerckungen darüber.  
Erklärung des Verstandes Wir kommen nun wieder zu der oben gegebenen Erklärung des Verstandes, und müssen wir nunmehro vors andere insonderheit die besondern Stücke dabey durchgehen, daß wir die Sache genauer erkennen lernen. Es kan alles, was davon zu sagen und zu wissen nöthig ist, füglich auf drey Puncte gebracht werden, daß wir diese Fähigkeit, Beschaffenheit, Stand und Gebrauch erwegen. Was anlangt  
 
1) deren Beschaffenheit, so haben wir sie zwar vorher schon beschrieben; es müssten aber die Ideen, woraus die Beschreibung bestehet, genauer betrachtet werden.
 
 
  Wir erkennen die Beschaffenheit des Verstandes aus dem, was durch denselbigen geschiehet, woraus wir dessen Kräffte schliessen, daß obwohl diese Kräffte der Natur ehe sind, so handeln doch diejenigen nicht übel, welche zuerst dasjenige, was in dem Verstande geschiehet, betrachten, weil uns solches ehe bekannt ist. Auf solche Weise haben wir, um die Beschaffenheit des menschlichen Verstandes kennen zu lernen, zweyerley zu erwegen, dessen Kräffte und Würckungen, die in demselbigen durch die Kräffte geschehen.
 
 
  Bleiben wir bey der natürlichen Ordnung, und machen in der Darstellung den Anfang von den Kräfften des Verstandes, so schliessen wir aus den unterschiedenen Würckungen, die in demselbigen vorgehen, daß ihn GOtt mit verschiedenen Kräfften begabet, derer nach dem, was wir vorher angemercket, viere seyn müssen, die Empfindungs-Krafft, das Gedächtniß, das Ingenium und das Judicium, wiewohl man auch derselbigen nur dreye zählet, und die Empfindungs-Krafft weglässet, weil sie nicht sowohl eine Krafft des Verstandes, etwas zu thun, als vielmehr die Würckungen der Objecten, von denen er afficiret werde, anzunehmen. Von einer jeden ist insbesondere gehandelt worden, daß man nur die Artickel von der Empfindung, von den Sinnen, von dem Gedächtniß, Ingenio und Judicio aufsuchen darf.
 
 
  Alle diese Kräffte zielen auf die Absicht, daß wir die Wahrheit erkennen sollen. Bey einer Wahrheit, wenn sie soll erkannt werden, kommen zwey Stücke vor. Das eine ist der materielle Theil, welchen die Ideen ausmachen; das andere aber das Formale, das auf die Verbindung oder Verhältniß der Ideen ankommt. Zu jenen brauchen wir die Empfindungs-Krafft und das Gedächtniß. Denn durch die Empfindung bekommen wir alle Ideen; wäre aber kein Gedächtniß da, so würden sie nicht einmahl entstehen können, indem man sich der Bewegung, so durch die Empfindung erreget worden, nicht erinnern könnte, mithin hätte man keine Sachen, von denen man die Wahrheit erkennen, und das Judicium dabey brauchen könnte.
 
 
  Eben dieses Judicium brauchen wir zum formalen Theile der
 
  {Sp. 1984}  
 
  Wahrheit, weil wir durch dasselbige erkennen müssen, wie sich die Ideen gegen einander verhalten, und wie also ihre Verbindung unter einander einzurichten, ob sie zu verknüpffen, oder abzusondern sind. Auf solche Weise scheinet es, daß man das Judicium[1] bey der Erkänntniß der Wahrheit nicht brauche, weil alles durch die Empfindungs-Krafft, durch das Gedächtniß und Judicium könne ausgerichtet werden.
[1] HIS-Data: richtig: Ingenium
 
  Wir haben schon oben, da wir von diesem Ingenio gehandelt, angemercket, daß man bey demselbigen einen zweyfachen Zweck zu erwegen. Die Göttliche Absicht dabey ist gewesen, daß der Mensch diejenigen Connexionen der Dinge, die er vermittelst des Judicii weder durch die Sinne; noch durch nothwendige Folgerungen zu erkennen vermag, durch ingenueses oder sinnreiches Herumrathen, oder Versuch allerhand möglichen Connexionen zu seinem grossen Nutzen zu finden möge fähig seyn.
 
 
  Auf diesem Grunde bestehet die gantze Lehre von der Wahrscheinlichkeit und auf diese wieder eine ziemlicher Anzahl der schönsten Disciplinen unserer Gelehrsamkeit. Also hat das Ingenium seinen grossen Nutzen bey den wahrscheinlichen Wahrheiten. Die Menschen aber haben angefangen, solches zur Erfindung allerhand artiger Connexionen ihrer Ideen zu brauchen, die blos zur Belustigung dienen, und sich in den Schertzreden, Erdichtungen u.d.g. zu zeigen.
 
 
  Aus diesem sieht man zugleich die Ordnung, wie diese Kräffte auf einander folgen, und daß wir nicht ohne Ursache sie in diese Ordnung gebracht: Empfindungs Krafft, Gedächtniß, Ingenium und Judicium. Denn zuerst geschicht die Empfindung, worauf durch das Gedächtniß, wenn man sich erinnert, was man empfunden, die Ideen entstehen und verwahret werden, mit denen das Ingenium allerhand mögliche Connexionen anstellet, und damit dem Judicio gleichsam den Weg bahnet.
 
 
  Dieses bestätiget auch die Erfahrung. Denn das erste, so sich bey einem Menschen äussert, ist die Empfindung, worauf man das Gedächtniß verspüret; nach diesem das Ingenium, und zuletzt das Judicium, da man zu sagen pfleget, der Verstand kommt nicht vor den Jahren. Denn das Wort Verstand wird auch in engerm Sinn genommen, daß man darunter das Judicium verstehet, z.E. wenn man spricht, der Mensch hat keinen Verstand, so bedeutet hier der Verstand nicht den intellectum, indem er sonst gar nicht empfinden und gedencken, folglich kein Mensch seyn könnte; sondern das Judicium, und zeigt an, er könne nicht nachdencken, nicht überlegen, die Sachen gegen einander halten.
 
 
  Den würcklichen Unterscheid dieser Kräfften schliessen wir aus dem Unterscheide der Gedancken, der sich auch deutlich zu erkennen giebt, wenn wir die verschiedene Manieren etwas vorzustellen und auszurichten an andern Leuten, sonderlich die sich den Studien wiedmen, bemercken. Denn man findet, daß welche in Sachen des Gedächtnisses, viel vor sich bringen können; die hingegen zu judicieusen und ingenieusen Dingen nicht geschickt sind. Andere sind ingenieuse Köpffe; zu Sachen aber die ein Gedächtniß und Nachdencken erfordern, nicht aufgelegt. Noch andere sind fähig, eine
 
  {Sp. 1985|S. 1006}  
 
  Sache einzusehen, zu überlegen, und das, so auf das Judicium ankommt, geschickt zu tractiren; bey welcher Geschicklichkeit aber ein Unvermögen des Gedächtnisses und Ingenii verspüret wird. Um deswegen ist nicht ein jeder zu allen Künsten und Profeßionen, zu jeglicher Lebensart, zur Expedition eines jeden Geschäffts geschickt.
 
 
  Durch diese Kräffte des Verstandes entstehen auch in demselbigen gewisse Würckungen, die wir in zwey Arten abtheilen müssen, in die Empfindungen und Gedancken, unter denen folgender Unterscheid ist: die Empfindungen gehen vorher; und die Gedancken folgen auf selbige, so, daß wir keine eintzige Gedancke ohne der Empfindung haben können. Denn der Gegenstand der Gedancken sind die Ideen; alle Ideen aber kommen von der Empfindung her.
 
 
  Die Empfindungen sind Leidenschafften des Verstandes, welcher nicht nur, wenn die Objecte vor die Sinnen kommen, nothwendig empfinden muß; sondern auch nicht anders empfinden kan, als es die Beschaffenheit der Sache mit sich bringt, z.E. bey einer sauren Speise können wir keinen süssen Geschmack haben. Indem er aber gleichwohl die Würckungen der Objecten, von denen er afficiret wird, annehmen muß, und also auch dabey eine Thätlichkeit vorgehet, so wollen einige die Empfindung lieber eine Commotionem, als passionem intellectus nennen.
 
 
  Die Gedancken hingegen sind blosse Thätlichkeiten des Verstandes.
 
 
  Beyde Arten dieser Würckungen lassen sich wieder abtheilen. Denn wie die Empfindungen entweder äusserliche; oder innerliche sind; also hat man Gedancken des Gedächtnisses, wenn man etwas mercket, und sich dessen erinnert; des Ingenii, wenn man was ersinnet, das vielleicht möglich oder auch artig ist; oder des Judicii, wenn man durch das Nachdencken das wahre Verhältniß zweyer Ideen erkennet, und bald ein Urtheil, bald einen Vernunft-Schluß abfasset.
 
 
  Von diesem ist nicht unterschieden, wenn andere die Ordnung der Gedancken so setzen, daß wir erstlich Ideen oder Vorstellungen hätten; hierauf Judicia oder Urtheile abfaßten, und denn Vernunfft-Schlüsse machten. Denn zu den Gedancken des Gedächtnisses müssen wir die Ideen, oder die Vorstellungen rechnen.
 
 
  Auf die Würckungen des Gedächtnisses folgen die Würckungen des Ingenii und Judicii. Diese beyde Kräfte kommen überhaupt darinnen mit einander überein, daß sie die Ideen gegen einander halten, und an ihr Verhältniß unter sich dencken, ob sie etwan beysammen stehen können, oder nicht. Hieraus entstehen die Urtheile, oder die Propositiones, welche entweder bejahend, oder verneinend seyn müssen, weil keine Gegeneinanderhaltung ohne Bejahung oder Verneinung geschehen kan, und das wäre die Art der Gedancken.
 
 
  Indem aber unter dem Ingenio und Judicio dieser Unterscheid ist, daß das Ingenium nur eine Krafft allerhand mögliche Verbindungen der Ideen zu erdencken; das Judicium hingegen eine Krafft, das wahrhafftige Verhältniß oder den wahren Zusammenhang der Ideen zu treffen, so müssen die Urtheile oder Propositiones nothwendig zweyerley seyn, entweder ingenieuse oder judicieuse.
 
 
  Endlich kommt die dritte Art der Gedancken, oder der Vernunft-Schluß
 
  {Sp. 1986}  
 
  hinzu, wenn das Judicium sein Nachdencken fortsetzet, und den in dem Urtheil getroffenen Zusammenhang der Ideen mit mehrern verbindet, und also einen Satz mit dem andern verknüpffet,
wovon D. Müller in der schon angeführten Logick c. 3. zu lesen.
     

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Stand: 7. April 2013 © Hans-Walter Pries