HIS-Data
Home | Suche
Zedler: Wahrheit [7] HIS-Data
5028-52-896-4-07
Titel: Wahrheit [7]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 52 Sp. 924
Jahr: 1747
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 52 S. 475
Vorheriger Artikel: Wahrheit [6]
Folgender Artikel: Wahrheit [Wort Gottes]
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen, Bibel
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden

vorhergehender Text  Teil 6 Artikelübersicht  

  Text   Quellenangaben
  Endlich stellen wir auch noch eine  
  Theologische Betrachtung der Wahrheit  
  an. Die Wahrheit wird an verschiedenen Orten der Schrifften Luthers folgendergestalt erkläret:  
 
I. Psalm CXI, 7.
 
 
  Ich halt, daß wir Deutschen das Ebräische Wort [ein Wort Hebräisch], Wahrheit, also verdeutschen, Recht, als wenn wir sagen, das ist der rechte Gott, das ist das rechte Evangelium, das ist die rechte Kirche, damit wir anzeigen gegen die falsche Kirche, Evangelium, Gott, den wahren Gott, die wahre Kirche, das wahre Evangelium, also auch die wahre Werck, gegen die falschen Wercke, heissen wir die rechten Werck.
 
 
Das Wort aber [ein Wort Hebräisch], Jaschar, das man zu Latein Aequitas, Rectitudo, und ich zu Deutsch aufrichtig heisse, ist so viel, daß ein Christ, nicht aus Gunst, noch um Lohn, noch um einiger Personen Ansehen willen, Gutes thut, sondern aus freyem, reinem, richtigem, einfältigem Hertzen, nicht das Seine sucht, noch Jemand zu Liebe, oder Leide, sondern allein Gott zu Ehren, und dem Nächsten zu gut, wohl thut, nicht, wie die Miethlinge und Eigennützige und Ehrgeitzigen thun.
 
 
Daß Wahrheit sey wider die Werck, ohn Hertzen geschehen, aufrichtig, wider die Werck, aus eigennützigen Hertzen, das auf sich selbst gekrümmet ist. Diese zwey Wort pflegt St. Paulus 1 Cor. V, 8. zu nennen Simplicitatem et Sinceritatem, daß er uns lehret, daß wir sollen einfältige und lautere Kinder Gottes seyn,
T. V. … über den CXI Psalm.
 
II. Ephes. VI, 14. Umgürtet eure Lenden mit Wahrheit.
 
 
  Wahrheit heisset die Schrifft rechtschaffen Wesen, das nicht falsch, noch erlogen ist.
T. V. … über Ephes. VI.
 
III. Wahrheit und Gerechtigkeit.
 
 
  Wahrheit heißt, rechtschaffen seyn gegen Gott, und kein Heuchler, mit rechtem Glauben und Ernste Gott dienen. Gerechtigkeit heist, die Liebe und Barmhertzigkeit, damit man gegen dem Nächsten recht thue. In diesen zweyen Stücken ste-
 
  {Sp. 925|S. 476}  
 
het das gantze Leben eines H. Volcks.
Ausleg. des VIII Cap. Zachar. …
 
IV. Wahrheit, Verheissung der Gnaden und des Lebens.
Esa. XXXVIII, 18. Gl.
 
V. Güte und Wahrheit, das ist, Wohlthat und aufrichtiger Sinn und Gemüth, daß keine Heucheley da ist.
Eißl. A.T.B. … über den 25 Psalm.
 
VI. Wahrheit ist nicht allein Christum hören, oder von ihm viel waschen können, sondern auch im Hertzen gläuben, daß Christus uns frey und loß machen wolle, daß man solches im Hertzen erfahre, das machet einen rechten Christen.
Eißl. A.T.B. …, über das 8 Cap. Joh.
 
VII. Wahrheit ist, das recht ist, daß nicht falsch ist, das nicht ein Gleiß noch Schein hat, sondern für GOtt recht ist, als der im Glauben für GOtt wandelt und gehet, und gehet darnach auf dem Weg der Liebe, daß er dem Nächsten diene.
Eißl. A.T.B. …, über den 26 Psalm.
 
VIII. Wahrheit ist die Frucht des Geistes wider die Heucheley und Lügen, daß ein Christ nicht allein wahrhafftig ist in seinen Worten, sondern auch rechtschaffen in seinem Leben, als daß er nicht den Nahmen führe im Werck, und sey ein Christ, und doch heidnisch lebe, in Unkeuschheit, Geitz und andern Lastern.
R.P.W.S. …
 
IX. Wahrheit ist, daß sie nicht falsch und tückisch, mit Betrug und Schalckheit umgehet, sondern rechtschaffen und richtig nach dem reinen Wort GOttes gelehret und gelebt ist, solches muß bey den Christen seyn, und sich erzeigen, als die nun in einem neuen Stand und Wesen sind, etc.
R.P.S.S.
 
X. Wahrheit wird genennet, daß GOTT nicht allein uns will gnädig und barmhertzig seyn, und die Sünden uns schencken und erlassen, sondern dasjenige, was wir förder leben, das soll köstlich Ding seyn, unangesehn, ob wir gleich noch wohl an unsern Halß viele Gebrechlichkeit und Sünde, auch Fleisch und Blut und viel böser Lüste nach der Tauffe fühlen, da wir mit dem Fleisch zu fechten und zu ringen haben, welche Sünde GOtt billig straffen und richten möchte, denn es laufft bey uns noch viel vom alten Adam mit unter, da wir nichts anders aus.
E.T. …, über das 1 Cap. Johann.
 
XI. Psalm LI, 8.
 
 
Du hast Lust zur Wahrheit. Das Wort (Wahrheit) soll nicht allein auf die Rede, und unsere Worte gezogen, und allein davon verstanden werden, sondern ingemein von unserm gantzen Leben, daß alles, zumahl, was wir reden, dencken, thun und leben, ja alles, was um und an uns ist, soll gewiß und wahrhafftig seyn, und auf das nicht allein die Welt, sondern auch wir selbst nicht betrogen werden.
III, W, …, über den LI Psalm.
 
XII. 2 Tim. IV, 4.
 
 
Sie werden die Ohren von der Wahrheit wenden. Er heist hie die Wahrheit auf seine Weise den Glauben Christi, wie auch die Hebräische Art ist. Setzt ein Unterscheid durch Widerspiel, zwischen Wahrheit und Gleißnerey, oder das gleich viel ist, zwischen der Wahrheit und blossen Schein des Christli-
 
  {Sp. 926}  
 
chen Wesens, als nehmlich Ephes. IV, 15. Last uns vollbringen die Wahrheit in der Liebe, das ist, last uns rechtschaffen seyn in der Liebe und wachsen an ihn. Abermahl, sagt er daselbst: Ziehet an den neuen Menschen, der nach GOtt geschaffen ist in Gerechtigkeit und Heiligkeit, da will er ja freylich die Gerechtigkeit der schnöden Eitelkeit, und des schön gleissenden Aberglaubens, verworffen haben.
  • VII. W. … Offenb. des Antichrists.
  • Förtschens Bibl. Lex. Lutheri
  Zu diesen Erklärungen fügen wir noch die Erklärung der Sprüche: III Esra III, 12, u. IV, 41, wo von der Wahrheit gesaget wird, daß sie alles überwinde, daß sie groß sey, und über alles herrsche. Es wolten einmahl die drey Cämmerlinge, welche, den Leib des Königs zu bewahren verordnet waren, die Zeit zu verkürtzen, sich mit kurtzweiligen Fragen unter einander üben. Die Haupt-Frage aber bestund in diesem: Was doch das stärckste sey auf der Welt? Der eine gab den Vorzug dem Weine; der andere dem Könige; der Dritte den Weibern, doch so, daß die Wahrheit alles überwinde. Denn die Wahrheit bleibe und walte in Ewigkeit, lebe und herrsche von Ewigkeit zu Ewigkeit. Welches er mit einem solchen Nachdruck vorbrachte, daß alles Volck schrye und sprach: Groß ist die Wahrheit und herrschet über alles. Hat also die Wahrheit allein, wie Billig, den Sieg behalten.  
  Es ist die Wahrheit entweder philosophisch, oder sittlich, oder theologisch.  
  Die philosophische Wahrheit ist die eigentliche Beschaffenheit eines Dinges, die von menschlichem Verstande begriffen werden kann; Ingleichen, da ein Gelehrter in allen Disciplinen gewisse Lehrsätze hat, woraus er solche Schlüsse machen kan, welche mit der eigentlichen Beschaffenheit eines Dinges genau übereinstimmen. Z.E. Das ist eine Wahrheit aus der Physic, oder Natur, wenn Agur saget: Wenn man Milch stösset etc. Sprüchw. XXX, 33. Siehe Matth. XXIV, 32; Jac. III, 11.
  Das ist eine Wahrheit aus der Mathematick; Was krumm ist, kan nicht schlecht seyn, Hohel. I, 15.
  Und wenn 1 Chron. XXI, 6, stehet: Da war ein grosser Mann, der hatte etc. so ist das eine Wahrheit aus der Mathematick.  
  Doch von dieser Art ist nicht nöthig, viel zu handeln. Mehr hat die sittliche Wahrheit auf sich, die zwar, wenn wir sie in der Ethic besonders betrachten wollen, auch wohl zu der Philosophie gehöret, ja, nicht weniger zu der Theologie, als eine herrliche Tugend des Christenthums. Wiewohl, wir sehen sie nur an, wie sie allen Menschen in dem gemeinen Leben zukömmt, und eine solche Tugend ist, welche sich mit sehr viel andern, ja mit allen, befreundet. Denn so eine Tugend nicht wahr ist, wie kan sie eine Tugend seyn?  
  Die Wahrheit hat ihren Sitz in dem Hertzen, und giebet sich so wohl in Worten, als in Wercken, zu erkennen. Offenbahret sich die Wahrheit in Worten, so redet der Mund nichts anders, als das Hertz gesinnet ist, wie 
  • Matth. V, 37.
  • Jac. V, 12.
  • Zach. VIII, 16.
  • Ephes. IV, 25
stehet.
  Die Theologische Wahrheit beziehet sich insonderheit auf GOtt und Göttliche Dinge. Hierüber ist die Bedeutung in Heil.  
  {Sp. 927|S. 477}  
  Schrifft vielfältig und mancherley. Nur die vornehmsten zu berühren, so wird darunter die Erkänntniß GOttes verstanden, auch welche uns von Natur noch übrig geblieben ist,
  • Röm. I, 18.
  • Johann IV, 23.
  Es ist auch so viel, als eine Erfüllung der Fürbilder Alten Testamentes, wie Joh. I, 17.
  Es deutet auch den Stand der Vollkommenheit an Gerechtigkeit und Heiligkeit an, darinnen GOtt die Engel und Menschen erschaffen hat, Joh. VIII, 44.
  So wird auch die Wahrheit allen dreyen Personen der Gottheit offt zugeeignet:
  • Ps. LXXXIX, 50.
  • Ebräer VI, 13.
  • Joh. XIV, 6;
  • 1 Joh. V, 20.
  • Joh. XIV, 17. XVI, 13.
  • 1 Joh. V, 6.
  • Ps. CXLIII, 10.
  • Ps. XXV, 10.
  Woraus denn fliesset, daß GOttes Wort überhaupt Wahrheit heisset, Joh. XVII, 17.
  Wenn demnach in unsern Worten von der Wahrheit geredet wird, so scheinet es ja, daß Zoroabel auf die sittliche sehe, und sie deshalb also preise, damit der König Darius sich seines Versprechens erinnern, und es erfüllen möchte, welches er des Tempels wegen gethan hat; wie er denn hernach zu ihm sagte: Gedencke an das Gelübde, das du gethan hast, daß Jerusalem soll gebauet werden, etc. Jedoch, weil die Jüden und Jüdischen Weisen das Gesetz Mosis über alles zu preisen, und mit den allerherrlichsten Nahmen zu beehren pflegen, so scheinet es, daß Zoroabel ebenfalls das Gesetz in dem Sinne habe. Inzwischen weil das, was er von der Wahrheit rühmet, meistens vor GOtt, GOttes Wort, GOttes Regierung und Gottesdienst gehöret, so kan auch die Göttliche oder Theologische Wahrheit, am meisten verstanden werden.  
  Und hiervon wird nun gesaget, sie überwinde alles. Zoroabel führete gar eine prächtige Rede, wenn er diesen Spruch vor dem Könige erklären und beweisen soll: Lieben Männer, sind denn die Weiber nicht mächtig? etc. Dieses alles hat er in das eintzige Wort Überwinden zusammen gebunden, welches nicht eben bloß von einem Siege, den man in den Kriege und Streite erhält, sondern auch von der Vortrefflichkeit und Beständigkeit zu verstehen ist. Und gewiß, davon wird sich die Wahrheit preisen, man nehme sie, in welcherley Deutung man wolle.  
  Es ist die Wahrheit (wie gesagt) entweder in GOtt oder in den Menschen, zu betrachten. Die Wahrheit GOttes betrifft erstlich das Wesen desselben. Diese ist eine solche unaussprechliche und unvergleichliche Übereinstimmung und gleichförmige Vollkommenheit mit dem Göttlichen Verstande, daß er wahrhafftig ein solcher wahrer GOtt ist, wie er selbst sein wahrhaftiges und ewiges Wesen auf das allervollkommenste erkennet, weiß und verstehet, welches er uns denn auch also in seinem wahrhafftigen Worte offenbahret, und nicht anders, als auf solche Art, will von dem Menschen erkannt, geehret, gelobet und gepreiset werden,
  • 1 Thessal. I, 9.
  • Joh. V, 20. XVII, 3..
  Die Wahrheit GOttes betrifft zweytens sein Wort und Verheissungen, und ist aus folgenden Sprüchen zu erkennen:
  • Joh. XVII, 17.
  • Ps. XXV, 10.
  • 4 B. Mos. XXIII, 19.
  • Ebräer VI, 18.
  • 1 Joh. V, 20.
  Diese Göttliche Wahrheit ist also zu erwegen, damit wir dem heiligen GOtt keinen Betrug, Lügen,  
  {Sp. 928}  
  oder Falschheit, beymessen, sondern denselben also erkennen lernen, daß er allezeit alles, wie es in Wahrheit an ihm selber ist, eigentlich redet, und seine Meynung klärlich und aufrichtig anzeiget, dergestalt, daß wir ihm in allen seinen unfehlbaren heiligen Worten und Verheissungen sicherlich trauen, und an seinem ernsten Drauungen niemahls zweiffeln dürffen.  
  Die Wahrheit der Menschen in dem gemeinen Leben bestehet darinnen, daß der Mensch also rede, wie er es in dem Hertzen meyne. Hierzu wird erfordert:  
 
1) Daß er der Lügen feind sey, dieselbe, als eine Teuffels-Brut, hasse, fliehe und meide. Denn wer Lügen und Verleumdungen höret, derselbe giebet damit zu verstehen, daß er ein Feind der Wahrheit, und ein Werckzeug der Teuffels sey.
  • Ps. CI, 7. CXIX, 163.
  • Syrach XXVIII. 20.
  • 1 Cor. V, 11.
 
2) Daß man die Wahrheit frey heraus sage, und nicht Menschen zu Gefallen, oder aus Furcht für den Menschen verschweige.
  • Sprüchw. Salom. XII, 17.
  • Syrach IV, 29.
  • Matth. XXII, 16.
 
3) Daß man die Wahrheit beständig vertheidige,
Syrach IV, 33.
 
4) Daß man täglich zu GOTT seuffze und bete, daß er uns bey der Liebe zu der Wahrheit erhalten wolle.
 
  Die Unwiedergebohrnen sind von der Wahrheit weit entfernet; und wie falsch und betrüglich der Ruhm solcher unglückseligen Seelen von der Göttlichen Gemeinschafft sey, wird 1 Joh. I, 6, mit dem doppelten Urtheile bezeuget: Sie lügen, und thun nicht die Wahrheit.  
  Erstlich spricht Johannes, lügen die, so in der Finsterniß wandeln, wann sie sagen, daß sie mit GOtt Gemeinschafft haben. Dann sagen sie diß in ihrem Hertzen, dencken und meynen sie es selbst also, so ist es Lügen, weil es sich ja in der That gantz anders verhält. Sagen sie es aber nur mit ihrem Munde, daß ihr Hertz nicht mit beystimmet, so ist es doppelt Lügen, weil sie nicht nur anders reden, als sich die Sache selbst befindet, sondern auch gantz etwas anders sagen, als ihr Hertz und Gewissen ihnen zu erkennen giebt und vorstellet. Sie belügen und betrügen sich selbst, wann sie sich bey ihrem Wandel in der Finsterniß für Christen und Kinder GOttes halten. Sie belügen andere, wann sie sich gegen dieselben des Glaubens und der Gottseligkeit rühmen. So ist auch in dem übrigen alles, was an ihnen ist, betrüglich und lügenhafft, Esa. XXVIII, 14.
  Lügen ist es, wenn dergleichen Leute beten: Vater Unser! Denn nicht GOtt, sondern den Satan haben sie zu ihrem Vater: Nicht GOttes, sondern des Teuffels Kinder sind sie. Lügen ist es, wenn sie singen: Ich bin ein Glied an Christi Leib, des tröst ich mich von Hertzen etc. Denn sie sind Glieder der Höllen, und können sich Christi bey ihrer Sünden-Finsterniß keinesweges getrösten. Lügen ist es, wenn sie von Vergebung ihrer Sünden, von Freude an GOtt und seinem Worte, und anderm Guten, sagen. Denn daran haben sie (ohne rechtschaffene Bekehrung von der Finsterniß zu dem Lichte) keinen Theil.  
  So ist es auch Lügen, wenn sie sprechen: HErr, wenn ich dich nur habe. Christus ist mein Leben: Denn wo sie nur selber in ihr Gewissen gehen wollen, werden sie befinden, daß diese und dergleichen Trost-  
  {Sp. 929|S. 478}  
  Worte sich auf sie gar nicht reimen, und daß deren Gebrauch lauter sträfliche Unwahrheit und Vermessenheit bey ihnen sey, u.s.w.  
  Hierbey bleibet es nun aber nicht einmahl. Johannes versichert ferner von allen denen, die in der Finsterniß herrschender Sünden wandeln: Sie thun nicht die Wahrheit. Nehmlich, wie es Lügen ist, wenn die Maul-Christen in dem Hertzen dencken und mit den Worten sprechen, daß sie Gemeinschafft mit GOtt haben; so muß man davon, daß sie auch mit allerley äusserlich guten und Christlichen Wercken der göttlichen Gemeinschafft sich berühmen, gleichermaßen das Urtheil fällen, daß sie hierinnen nicht die Wahrheit thun; daß solche ihre guten Bezeiligungen lauter That-Lügen, lauter Betrug, Blendung und Gauckelwerck seyn; daß sie zwar den Schein von der Gottseligkeit haben, aber die Krafft derselben verleugnen; 2 Tim. III, 5;
  und daß also das rechtschaffene Wesen, das in Christo JEsu ist, gar keinen Platz bey ihnen finde; hergegen aber lauter Falschheit, Heucheley, unnütze Verstellung, und heimtückisches unlauteres Wesen bey ihnen wahrzunehmen sey.  
  Es sind nehmlich alle Tugenden, alle Gottesdienste, und alle vorgegebenen guten Wercke und Übungen derer, die in einer oder in mehr herrschenden Sünden leben, nichts, als eine Larve ihrer innerlichen Bosheit, und ein Comödianten-Spiel, womit sie die wahren Gläubigen nachäffen; sie sind ein Schaum und Schatten, der zu gar nichts nutzet; sie sind schön scheinende Sünden, und recht heßliche Betrügereyen.  
  Die Maul-Christen thun unzehlich vieles, das würcklich mit der göttlichen Wahrheit nicht übereinstimmet; wenn sie aber auch noch etwas der Wahrheit gemässes thun, so thun sie es nicht mit wahrhafftigen, redlichen, aufrichtigen Hertzen, sondern aus lauter verwerflichen, unrichtigen Absichten. Z.E. In ihrem Allmosen, suchen sie Ehre und Ansehen für den Leuten, oder Ruhe des Gewissens bey ungerechtem Gute. In ihrer offt extravaganten Heuchels-Demuth gegen andere, suchen sie, daß sich jederman um so vielmehr wieder für ihnen demüthigen soll. In ihrer Gedult, suchen sie den Ruhm der Großmuth, und öffters nur Zeit zu der Rache. Und so wird in allem andern ihrem Thun nicht GOttes Willen und Wahrheit, sondern lauter Lügen und Falschheit gethan und ausgeübt; sie thun nie, was sie zu thun scheinen, und gehen in nichts aufrichtig und redlich mit GOTT und mit dem Nächsten um. Es soll aber unsere Liebe nicht mit Worten und mit der Zunge, sondern mit der That und mit der Wahrheit geschehen, 1 Johann. III, 18.
  Wie die Wercke bey den Worten und liebreichen Neigungen seyn sollen, so wird beydes zu den Wercken, und zu den Worten und Neigungen, die Wahrheit, oder wie es einige Ausleger übersetzen, die Aufrichtigkeit und Redlichkeit, erfordert. Es kan sich nehmlich nicht nur bey liebreichen Worten sondern auch bey liebreichen Wercken, eine blosse Heuchel-Liebe einschleichen und verbergen. Man kan (wie dort das klare Exempel an dem Ananias ist) so gar alle seine Güter mit dem Nächsten theilen, und doch gantz leer von einer rechtschaffenen Liebe seyn. Darum ist es eine  
  {Sp. 930}  
  notwendiger Erinnerung, daß ein Kind GOttes nicht nur mit der That, sondern auch mit der Wahrheit, das ist, ohne Heucheley, Falschheit, Verstellung und Schein, lieben solle. Es wird aber hierzu erfordert:  
 
1) Daß es das Hertz recht aufrichtig und gut mit dem Nächsten in Erzeigung der schuldigen Liebe meyne;
 
 
2) Daß es innerlich eben so liebreich sey, als es sich äusserlich in den Wercken der Liebe bezeugt und zu erkennen giebt;
 
 
3) Daß es keine falschen und unreinen Absichten, keine heimlichen Tücke und verborgenen unlauteren Motionen seiner Liebes-Geschäffte, habe;
 
 
4) Daß es aus rechter Liebe zu GOtt, und aus dem rechtschaffenen Wesen einer wahren Wiedergeburt, den Nächsten liebe; Und denn endlich
 
 
5) daß es seine Liebes-Wercke nicht grösser mache, und höher schätze, als sie sind, derselben Mängel und Unvollkommenheit willig erkenne, GOtt allein alle Ehre davor gebe, und sie nicht, durch Paßionen und Partheylichkeit, beflecke und vernichte.
 
  Wenn man es mit seinem Nächsten nicht aufrichtig und redlich meynet, so werden zwar die guten Worte, die man ihm giebt, und die liebreichen Wercke, welche man ihm erzeiget, vor Menschen den Schein einer wahren Liebe haben; aber GOtt, der das Hertz ansieht, kennet eines solchen Menschen Tücke, und richtet sich nicht nach dem äusserlichen Bezeigen, sondern nach der innerlichen Falschheit und Bosheit, die einen solchen verdammen wird.  
  Die Wahrheit, Redlichkeit und Aufrichtigkeit, muß, wie alle gute Wercke, also auch absonderlich die Wercke der Liebe, zieren. Sie ist das Saltz, ohne welches dem Wahrheit liebenden GOtt gar kein Opffer, und also auch kein Liebes Opffer, wohlgefällt. Sie scheidet Natur und Gnade, sie heiliget unsere Neigungen, sie giebt den Würckungen des Geistes der Wahrheit Raum, sie verhütet die betrüglichen Einflüsse des Bösewichts, und macht recht Christlich und Göttliche, was sonsten heydnisch und menschlich, wo nicht gar teufflisch ist.  
     

vorhergehender Text  Teil 6 Artikelübersicht  

HIS-Data 5028-52-896-4-07: Zedler: Wahrheit [7] HIS-Data Home
Stand: 28. März 2013 © Hans-Walter Pries