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Zedler: STUDIUM HISTORICUM HIS-Data
5028-40-1226-10
Titel: STUDIUM HISTORICUM
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 40 Sp. 1226
Jahr: 1744
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 40 S. 626
Vorheriger Artikel: STUDIUM, ein Kloster
Folgender Artikel: STUDIUM JURIS
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text  
  STUDIUM HISTORICUM, Historien lesen und studiren ist eine nöthige, nützliche und ange-  
  {Sp. 1227|S. 627}  
  nehme Sache, wie man aber hierinnen verfahren soll, dieses beruhet in Ansehung der gesammten Historien auf wenig Regeln:  
  Es ist eine Vorbereitung hierzu nöthig, welche in der Erkänntniß der Geographie, Chronologie, Genealogie, und der Sitten der Völcker bestehet, und wenn man das Werck selbsten angreifft, so muß man unterscheiden das Lesen selbst, und die Untersuchung und Anordnung desjenigen, was man in den Historien-Büchern gelesen.  
  Diejenigen so von der Art und Weise Historien zulesen, geschrieben, haben den ersten Punct vornehmlich mit genommen, indem sie die Bücher, die man lesen soll, und die Ordnung so in der Lesung derselben zu beobachten, erzehlet, auch Anleitung gegeben, Philosophische und Philologische Realien daraus zu excerpiren, wiewohl noch keinem Lust angekommen, von der Historie in ihrer rechten Weitläufftigkeit zu handeln, sondern alle haben sich in ihren methodis historiarum vergnüget, von der Kirchen-Historie und der so genannten Person das ist Civil-Historie eine Nachricht zu geben.  
  Die Untersuchung der Historie ist von mehrerer Wichtigkeit, und zielet dahin ab, daß man erkenne, ob ein Geschichtschreiber wahr oder falsch schreibe. In Historischen Sachen, welche auf menschliche Autorität beruhen, haben wir keine andere, als eine wahrscheinliche Erkänntniß, weil wir keine Gewißheit in den Grund-Sätzen, worauf sich unsere Erkänntniß stützet, haben; wir mögen nun die Zeugnisse und die Glaubwürdigkeit der Autorität, oder die Umstände der Geschichte selbst ansehen.  
  Wollen wir aber hinter die Wahrscheinlichkeit kommen, so müssen wir erstlich mit guten Bedacht sehen, theils auf die Zeugnisse, theils auf die Geschichte selbst, und auf die Natur der Sache, von welcher sie erzehlet wird.  
  Bey den Zeugnissen müssen wir so wohl die Vielheit und Übereinstimmung als den Werth derselben betrachten. Daß ein Zeugniß eines Autoris gültig sey, kommt auf dessen Glaubwürdigkeit an, das ist, daß er könne und wolle die Wahrheit sagen, oder daß er erstlich ein vernünfftiger und verständiger Mensch sey, der bey Aufzeichnung seiner historischen Dinge die besten Mittel gehabt habe, und sich zum andern von keinen unordentlichen Affecten regieren lasse.  
  In Ansehung der Mittel, deren sich jemand bedienet, muß man sehen, ob er bey der Sache selbst gewesen, ob er aus Argwohn schreibe, ob er Diplomata wohl zu gebrauchen gewust, oder wem er sonst gefolget.  
  Bey der Erkänntniß des Gemüths eines Scribenten ist nöthig, daß man sich um dessen Lebens-Lauff und Bedienungen bekümmere. Denen, die geheime Historien geschrieben, oder zu ihrer eigenen Nachricht und zum Privat-Nutzen etwas aufgezeichnet, desgleichen denjenigen, welche auch grosser und berühmter Leute Thun und Lassen, als lasterhafft abmahlen, kan man gemeiniglich mehr trauen, als denen, welche die Historie zu jedermans Nachricht, auch wohl gar auf Befehl des Landes-Herrn, vor gewisse Besoldung oder Präsente schreiben, oder welche die Verrichtungen, absonderlich grosser Herren und berühmter Leute, als gar zu klug und heroisch abbilden.  
  In der Betrachtung der Geschichte selbst, und  
  {Sp. 1228}  
  des Objects, davon sie erzehlet wird, muß ein Verständiger zu urtheilen wissen, in wieweit die erzehlte Geschichte theils an sich selbst wohl oder übel zusammen hange, theils auch ob, und wie weit sie in Betrachtung des Wesens, und die Umstände des Objects entweder wahrscheinlich, oder möglich sey.  
  Hernach müssen wir auch bey der Erkänntnis der historischen Wahrscheinlichkeit die hier im Schwang gehende Vorurtheile ablegen, z.E. von dem Glück und Unglück der menschlichen Verrichtungen, von dem Wohl und Wehe der Bürgerlichen Gesellschafften, von den Wunderwercken, Offenbarungen und dergleichen, worinnen man vor andern in der Kirchen-Historie behutsam zu gehen hat, daß man nicht nach seinen vorgefasten Meynungen alles prüffe und richte.  
  So hat Polybius, da er von der Klugheit des Römischen Volckes handelt, die Lehre von der Glückseligkeit einer vermischten Regiments- Form zum Grund gesetzet. Clerc hat in dem Parrhasian angemercket, daß die heutigen Scribenten eine absolute und umschränckte Gewalt der Fürsten gar zu sehr zuerheben und zu loben pflegen, gleich als ob darinnen die gröste Glückseligkeit der Republicken bestünde.  
  Niemand wird läugnen, daß dergleichen Untersuchung der Historischen Wahrheit höchst nöthig, wenn man nur diesen eintzigen Punct überleget, wie die Scribenten in einer Materien der Geschichten von einander abgehen. Lesen wir die Englischen Geschichtschreiber, so behaupten Richard, Eduard Philippi, Robert Bradi, daß die Könige von Engelland von Anfang und fast bis auf diese Zeit durch Erb-Recht, ohne daß sie einigen Gesetzen unterwürffig gewesen, über Engelland regieret; da hingegen Johann Milton, Jacob Tyrrel, und andere sagen, daß sie allezeit unter dem Parlament gestanden. Nicolaus Sander ist auf Heinrich den Achten gar übel, Gilbert Buvret aber gar wohl zu sprechen, und wer weiß nicht, was für andere ungleiche Erzehlungen aus den unordentlichen Neigungen entstanden sind. Man halte den Livium, Dionysium Halicarnassum, den Eusebium und Zosimum, von den neuern den Gojeciardianum und Bembum, den Surium und Sleidanum, den Harnarum und Grotium, den Buchanan und Cambdeum, Chistetium und Blondell, Maimbourg und Seckendorf, nebst vielen andern gegeneinander.  
  Es ist dergleichen Beurtheilung keine leichte Sache, und erfordert erstlich eine gute Urtheils-Krafft, daß man erkenne, was wahrscheinlich, und unwahrscheinlich und möglich ist, denn eine Erkänntnis der Sache selbst, von welcher die Geschichte handelt, und hierbey muß die gelehrte Historie immer an die Hand gehen.  
  Die Anwendung des Historien-Lesens bestehet darinnen, daß wir den oben angezeigten Nutzen der Historie uns selbst zu Nutze machen, und unter andern, was die Verachtung der Menschen betrifft, allerhand Regeln der Weisheit, Klugheit und Thorheit daraus ziehen.  
  Es könnten auch noch besondere Regeln in Ansehung der besondern Arten der Historie, von  
  {Sp. 1229|S. 628}  
  dem nützlichen Gebrauch derselben gegeben werden, doch dieses wäre eine Arbeit, dazu sich so wenig Raum nicht schickt. Es ist auch allbereit unter dem Artickel Historie im XIII Bande, p. 281 u.ff. vieles von dem Studio historico gedacht worden, dahin man den Leser hier mit verweiset.  
     

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Stand: 17. Februar 2013 © Hans-Walter Pries