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Zedler: Tod [1] HIS-Data
5028-44-623-5-01
Titel: Tod [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 44 Sp. 623
Jahr: 1745
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 44 S. 325
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Hinweise:
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  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen
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Übersicht Historische Abhandlung vom Tode

Stichworte Text   Quellenangaben
  Tod, Lat. Mors, Frantz. Mort, ist insgemein und in natürlicher Betrachtung die Endschafft oder das Aufhören des Lebens.  
  Insbesondere bey den Thieren heisset der Tod eine gäntzliche Auflösung der Gewercke, woraus der Cörper zusammen gesetzet, oder ein Stillstand des Umlauffs des Geblüts und der Lebens-Säffte.  
  Bey dem Menschen ist der Tod, nach der gemeinsten Meynung, ein Abscheiden der Seele von dem Leibe, aus Mangel der Wärme, und der Bewegung, wenn sie durch zufällige Ursachen verhindert worden.  
  Es kommen bey dem Tode des Menschen verschiedene Umstände vor, die sowohl nach den Gründen der Vernunfft als der Heil. Schrifft untersuchet werden können, obschon die Erkänntniß, die man aus der Schrifft hat, weit vollständiger ist, daraus wir sonderlich die Ursache und moralische Beschaffenheit des Todes erkennen müssen. Einem Philosophen gehet hierinnen die Erfahrung an die Hand, durch die er so wohl wahrnimmt, daß der Tod bey allen Menschen was gemeines; als auch, worinnen er bestehet, von welchen beyden Stücken wir zuförderst sonderlich in Ansehung des Menschen handeln wollen.  
  Wir wollen zum voraus durch den Tod überhaupt eine Endschafft des Lebens verstehen, da denn kein vernünfftiger Mensch zweiffeln wird, daß derselbige statt habe, und ihm alle Menschen unterworffen sind. Denn dieses weiß man aus Erfahrung, und ob man schon nicht wissen kan, was ins künfftige geschehen dürffte; so hat man doch in Ansehung, daß alle Menschen, die ehemahls auf der Welt gewesen, gestorben, einen sichern Grund zu glauben, es werde niemand beständig leben.  
  Aus der Schrifft wissen wir eine andere und sichere Ursache davon, daß weil alle Menschen Sünder, so müssen auch alle sterben, jedoch mit dem Unterscheide, daß bey den Gläubigen der natürliche Tod nicht als eine Straffe anzusehen ist. Doch sind einige gewesen, welche gemeynet, es dürfften  
  {Sp. 624}  
  eben nicht alle Menschen sterben, und man könnte wohl Mittel wider den Tod aussinnen und sich unsterblich machen.  
  Pfaffe gedencket in dem gelehrten Schediasmate de morte naturali … verschiedener, die solche Einbildung gehabt, darunter insonderheit ein Engelländer Johann Asgill bekannt, der in einer Englischen Schrifft behauptet, daß ein Mensch des Sterbens gar könne entübriget seyn, und auch dem Leibe nach allbereit in diesem Leben unsterblich werden, wenn er an Christi, als des Überwinders und Besiegers des Todes heilige Lebens- Verheissungen sich mit einem Helden Glauben hielte; daß aber gleichwohl die Menschen alle mit einander stürben, daran wären sie selber Schuld, indem sie keinen starcken Glauben an Christi Verdienst hätten.  
  Dieses Buch ist Englisch zu Londen 1699 und in Holländischer Sprache zu Rotterdam 1700, auch in Deutscher 1702 unter dem Titel: Die Unsterblichkeit der Menschen an Leib und Seele heraus kommen, davon die Deutsche Übersetzung D. Pritius verfertiget, auch wider diese Schrifft eine besondere Dissertation de translatione in vitam aeternam sine transitu per mortem geschrieben; ausser dem sie noch von andern widerleget worden, als von Fechten, Quistorpio, Grapio, wie Pfaffe in dem angeführten Orte p. 24 schon angemercket.  
  Man legt diese Meynung auch dem Wilhelm Postellus bey, welcher soll gesaget haben, wer so weise und gelehrt sey, wie er, der sterbe niemahls, wie Verdier bey dem Pope- Blount in censura celebr. … von ihm erzehlet; so aber nur eine hochmüthige Einbildung gewesen, wenn sich die Sache so verhält, wie man vorgiebt.  
  Es haben aber schon in den ältesten Zeiten die Philosophen vom Tode in Reden und Schrifften gehandelt, deren Meynungen hierinne sehr verschieden, theils aber auch ungegründet und lächerlich sind. Wir glauben unserer Pflicht gemäß zu handeln, die verschiedenen Meynungen der alten Weltweisen, und gantzer Völcker vorzutragen, welches  
  die Historische Abhandlung vom Tode  
  ausmachen wird.  
älteste Philosophen Unter den alten Philosophen haben wohl keine so viel über den Tod philosophirt, als die Gymnosophisten. Wir beruffen uns auf des Strabo Zeugniß, welcher dieses bekräfftiget, und ihre Meynung anführt. Sie haben davor gehalten, schreibt er Lib. XV,  
  es sey dieses Leben nicht anders als der Zustand der erst empfangenen Kinder, der Tod aber als die Geburt in das wahre und glückselige Leben anzusehen.  
  Daher haben sich die Gymnosophisten auf vielerley Art zum Tode vorbereitet, und unter ihren vornehmsten Lehrsätzen war auch dieser, nach des Origines Philosophum … und Diogenes Laertius Zeugnisse Prooem. S. VI mit begriffen: Man muß den Tod verachten. Man kan hiervon nachlesen was Wolff in notis ad philosophumena … angemercket.
  Der weise und tugendhaffte Socrates hat ebenfalls, als ein Heyde, sehr vernünfftig vom Tode geredet, wenn man anders seinen Worten trauen darff. Seine Lehren enthalten unter andern auch diese:  
  Über den Tod hat man sich nicht zu entsetzen, denn man mag ihn ansehen, wie man will,  
  {Sp. 625|S. 326}  
  so gehet es einem wohl."  
  Er hat auch gelehret: daß der Tod in der Absonderung des Leibes von der Seele bestehe, welches Plutarch de Plac. Philosoph. … erzehlet. Ob er es aber also verstanden, wie die Worte selbst lauten, oder aber durch die Absonderung einer Auflösung der lufftigen Theilgen, aus welcher die Seele seiner Meynung nach bestehet, verstanden habe, wie Olearius über den Stanlejus … muthmasset, dieses lässet sich so gewiß nicht ausmachen.  
  Seine Nachfolger in der Cyrenäischen Secte, welche ihren Ursprung dem Socrates schuldig ist, redeten nicht weniger vom Tode. Zu ihren Lehrsätzen muß auch dieser mit gerechnet werden, welchen sie von der Nichtigkeit dieses Lebens und der Vortreflichkeit des Todes vorgetragen haben. Das menschliche Leben, sagten sie,  
  ist mit vielen Schmertzen und Kranckheiten des Leibes und Unruhe des Gemüths umgeben, daß man sich kein recht glückseliges Leben versprechen kan. Es ist demnach besser den Tod zu erwählen als das Leben."  
  In der Übersetzung lautet der letztere Lehrsatz also: Es ist gleich viel, sterben oder leben. Es hat aber Mer. Casaubonus ad Laert. …, wo diese Sätze angeführet werden, sehr wohl angemerckt, daß dieses der rechte Verstand nicht sey, und die Worte im Texte zerrissen worden. Die gemeine Übersetzung hat dennoch Stanlejus … und Stolle in der Historie der Heydnischen Moral … angenommen, welcher letztere den oben angeführten Lehrsatz folgender massen vorbringt: Das Leben oder den Tod wehlen, stehet in unserm Belieben.  
  Keiner hat aber wohl vom Tode mit grosserm Nachdrucke jemahls geredet als Hegesias. Dieser war nicht nur in der Philosophie sondern auch in der Redner-Kunst ungemein geübt. Der letztern bedienete er sich insonderheit, das Elend des menschlichen Lebens, und die Glückseeligkeit derjenigen, die dasselbe verlohren, auf eine lebendige und bewegliche Art vorzustellen. Es wurden sehr viele durch diese beweglichen Redner bewogen, sich, nach des Valerius Maximus … Berichte, das Leben selbst zu nehmen. Er hat auch von dieser Materie ein Buch geschrieben, dessen Cicero Tusc. Quaest. … gedencket, es ward ihm aber vom König Ptolomäus das Lehren verboten, weil er befürchtete, er möchte durch seine beweglichen Vorstellungen des Todes sein Land von Einwohnern entblössen.  
  Bey dem Plutarchus de consolatione ad Apollon finden wir folgende Gedancken von dem Tode: Was ist doch immermehr an dem Tode, das uns so zuwider seyn kan? er ist uns so nahe verwand; warum kommt er uns denn so gar schmertzhafft vor? ist es wohl Verwunderungs-werth, wenn eine Sache zertrennet wird, die von Natur zertrennlich ist: oder wenn etwas zerrinnet, verbrennet oder verdirbet, was von Natur so bewand ist, daß es zerrinnen, verbrennen, und verderben soll? wenn ist wohl der Tod nicht in uns?  
  Heraclius sagt:  
  Das Lebende und Tode, daß Wachende und Schlaffende, daß Junge und Alte sey ein Ding, weil jenes in dieses, und dieses in jenes verwandelt  
  {Sp. 626}  
  werde. Gleichwie der Künstler dem Thone die Gestalt eines Thieres gegeben, und wieder nehmen, und diesen Wechsel nach Belieben wiederholen kan; also hat auch die Natur aus einerley Materie vor diesem unsere Groß-Eltern, hernach unsere Väter und endlich auch uns hervor gebracht, wird auch immer noch andere hervorbringen. Denn der Fluß unsers Ursprunges fliesset immer fort, und wird niemahls stille stehen, ingleichen auch der ihm widrige Fluß unsers Unterganges.  
  Die erste Ursache, so uns das Licht der Sonne zeiget, führet uns also auch in den finstern Abgrund. Ich finde hiervon ein Gleichniß in der uns umgebenden Lufft, welche immerfort unmwechselt, und bald Tag bald Nacht, Leben u. Tod, Schlaffen und Wachen verursachet. Daher wird auch das Leben eine nothwendige Schuld genennet, welche unsere Vorfahren gemacht und wir bezahlen müssen. Es muß aber solches, wenn der Gläubiger sie einfordern wird, mit gleichem Gemüthe und ohne Seufzen geschehen."  
  Denn auf solche Weise werden wir unsere Demuth am besten bezeugen, wie Stolle in der Historie der Heydnischen Moral … die Worte in das Teutsche übersetzet hat.  
  Man findet noch andere Exempel von denen, welche den Tod als was geringes angesehen. Epicurus urtheilte von dem Tode wie Seneca. Er sagte, der Tod gehe uns nichts an. Denn was aufgelöset ist, das hat keine Empfindung, was aber keine Empfindung hat, geht uns nichts an, wie Diogenes Laertius … berichtet. Solche Schlüsse liessen sich hören, wenn die Seele sterblich wäre, wie sich Epicurus eingebildet. Allein da die Seele unsterblich, so kan man nicht sagen, daß nach dem Tode alle Empfindung gantz aufhöre. Wenn wir erwegen, wie die Seele, indem wir leben, ein Verlangen zum Leben, und in der Vereinigung mit dem Cörper zu leben sich sehne, und ihre Absonderung von demselbigen als ein Übel ansehe, indem sie darüber eine unangenehme und schmertzhaffte Empfindung habe.  
  Doch sehen wir hier den Zustand der Seelen nach dem Tode nicht an, wie er in der Heiligen Schrifft beschrieben wird. Wie diese den Tod vor nichts Böses haben halten wollen, also hat hingegen Aristoteles l. 3. c. 6 ethic. ad Nicomach. gemeinet, der Tod sey das allerschrecklichste unter allen erschrecklichen Dingen. Gleichwohl hat er geglaubet, daß nach demselbigen weder was böses, noch gutes zu erwarten sey. Cicero in quaest. Tuscul. … berichtet von dem Theophrastus, er habe sich sehr über die Natur beschweret, daß sie den Hirschen und Raben, welchen doch nichts dran gelegen sey ein so langes; den Menschen aber, denen es zu nöthig gewesen wäre, ein so kurtzes Leben verliehen. Denn wenn dieser ihr Alter sich fein weit hinaus erstrecket hätte, so würden die Künste vollkommen und der Menschen Leben mit aller Lehre seyn unterrichtet gewesen. Ja er hat geklaget, daß, nachdem er kaum angefangen, dieses alles zu erkennen, er nun sterben müsse. Diese Klage legt Seneca de brevitate vitae c. I. dem Aristoteles bey.  
  Noch andere sollen den Tod als was indifferentes angesehen haben, dahin wir den Socrates rechnen müssen, welcher  
  {Sp. 627|S. 327}  
  soll gesaget haben: Ich halte den Tod weder vor böse, noch vor gut, sondern bloß vor das Ende des Lebens, wiewohl diejenigen eigentlich auch hieher gehören, von denen wir vorher gedacht, daß sie aus dem Mangel der Empfindung nach dem Tode schliessen wollen, es sey derselbige nichts böses. Und weil man ihn nicht auch vor was gutes halten kan und wird, so bleibet er was indifferentes.  
Tod etwas Böses? Sollen wir nach Anleitung dieser jetzt angeführten Sprüche der alten Weltweisen die Frage selbst untersuchen, ob der Tod etwas böses sey? so muß man voraus setzen, daß die Seele unsterblich sey, und also eine Empfindung ihrer Trennung von dem Cörper habe; und daß sie, da sie noch mit dem Leibe vereiniget, das Leben und ihre Vereinigung mit dem Cörper vor was gutes halte, in dem man sich immer ein langes Leben wünschet, und vor dem Tode einen Abscheu hat. Aus diesem kan man schliessen, daß man den Tod vor was böses anzusehen habe, und zwar in Ansehung der Seelen, die nach dem Tode übrig bleibt.  
Philosophischer Tod Wir müssen noch etwas von dem Philosophischen Tode anführen, den Pythagoras und Plato gelehret haben. Ihr Philosophischer Tod bestunde darinnen, wenn sich das Gemüthe je mehr und mehr von dem Leibe und allen cörperlichen Dingen loßreisse, und gantz ausser sich selbst gesetzt, GOtt betrachte. Es meynt Plato, daß ein Philosophe nicht wisse, was in der Stadt geschehe, oder geschehen sey; ja er wisse kaum einmahl den Weg auf den Marckt oder das Rath-Hauß. Denn sein Leib reise nur allein in der Stadt herum: sein Gemüthe aber, so dieses alles wenig oder nichts achte, halte sich bloß mit der Betrachtung der Natur aller Dinge auf, welche Stelle, nebst einer andern aus dem Apulejus, Lipsius in manuductione ad Stoic. philosoph. … anführet.  
  Damit man diesen Philosophischen Tod genauer kennen lerne, so ist zu wissen, daß Pythagoras und Plato dafür hielten, die Seele sey ein Stücke des Göttlichen Wesens, welche in den Leib, als in ein Gefängniß gestecket worden. Von diesen Banden müsse sie sich loßreissen und zu dem höchsten Gut gelangen, so die Gleichheit mit GOtt sey. Pythagoras nennete die Philosophie homoiōsin tou Theou, die Gleichheit GOttes, welches auch Plato thate, nur mit diesem Unterscheid, daß jener sein Absehen auf eine vollkommene Gleichheit gehabt zu haben scheinet; dieser aber die Sache einiger massen eingeschräncket und noch hinzu gesetzet: kata to dynaton anthrōpō.  
  Diese Gleichheit mit GOtt würde durch den Philosophischen Tod erlanget, in welchem Stand man wieder durch verschiedene Mittel kommen müste. Selbige wären die Erkänntniß sein selbst, die Reinigung, daß das Gemüthe von den bösen Neigungen und Affecten gereiniget werde; sie glaubten aber, es käme das böse von dem Cörper her, womit die Seele durch ihre Vereinigung mit demselbigen angestecket worden; die in sich Kehrung, daß der Mensch, wenn er sich selbst erkennet, und das Gemüthe gereiniget, in sich selbst kehre, und sich zur Betrachtung der Götter, ja des höch-  
  {Sp. 628}  
  sten GOttes erhebe, worauf die Betrachtung GOttes selbst folge. Man lese hievon des Hierocles Commentarium in aurea carmina mit. Neodhams Noten, und von den neuern
  • Scheffer de natura et constitutione philosophiae Italicae …
  • Buddeum in analect. hist. philos.
  • Hanschium de Enthusisasmo Platonico
  • Floerkium in commentatione de crimine conjurationis spirituum
  • Crellen in disp. de similitudine Dei
  • Sonntag disp. de similitudine nostri cum deo Pythagorico- Platonico.
  Durch solchen Philosophischen Tod kan man leicht soweit kommen, daß man seinem Verstand abstirbt, und darüber zum Narren wird.  
     

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Stand: 3. April 2013 © Hans-Walter Pries