Stichworte |
Text |
Quellenangaben |
Rechtsmediziner |
Nachdem wir also die nöthigsten
Pflichten
und
Eigenschafften angeführet haben, welche ein
Medicus clinicus beobachten soll, wenn er seinen
Patienten glücklich helffen, und sich selbst mit
gutem Gewissen in
Ehre und
Ansehen bringen
will: so sollen nunmehro auch die Pflichten eines
Medicus forensis in möglichster Kürtze
beschrieben werden. |
|
|
Gleichwie aber nach Cicerons Ausspruche
alle Menschen zur Gerechtigkeit gebohren sind, ja
auch, nach dem Aristoteles, in den
Gesetzen die
Wohlfahrt einer
Republick bestehet, dergestalt,
daß, nach der angenommenen und festgestellten
juristischen
Regel, die Gesetze das alleredelste, ja
heiligste sind, welche alle Menschen wissen, und
auf das genaueste beobachten sollen, |
L. leges sacratiss. 9.
C. de
Legibus, |
|
und zu dem Ende allen, besonders aber
denen, so für das gemeine Wohl zu sorgen und zu
wachen haben, zum Besten niedergeschrieben
sind, |
L. 24.
ff.
quae in fraudem
creditorum. |
|
Also soll man sich in allem
Dienste des
Nächsten bestmöglichst dahin bestreben, daß die
Gerechtigkeit bey ieder Gelegenheit und in jedem
Stande beobachtet und befördert, wie nicht
weniger das Ansehen und der Nachdruck der
Gesetze vertheidiget, befestiget und erhalten
werden. |
|
|
Diese Beobachtung und Nachahmung der
Gerechtigkeit kan nun vornemlich in derjenigen
Rechts-Gelahrheit statt finden, welche auch den
Ärtzten zu wissen nöthig ist, und |
|
|
{Sp. 1618} |
|
|
deswegen Medicina forensis seu legalis
genennet wird, die denn nichts anders ist, als eine
vernünfftige und gewissenhaffte Entscheidung
verschiedener, in dem gemeinen Leben
vorkommender und vor
Gericht gebrachter Fälle,
welche auf die wahren Grund-Stützen der
Artzney-Kunst, nemlich auf die
Vernunfft und
medicinische
Erfahrung, gegründet, und daraus
erörtert, und besonders zur Unterstützung des
öffentlichen Rechtes, Erleichterung der
politischen
Bürgerlichen Gerechtigkeit, und zur Vertheidigung
der
Wahrheit, hauptsächlich aber zur
Ehre
GOttes
und
Nutzen des Nächsten abgefasset und
eingerichtet seyn muß. |
|
|
Da nun zwar in dieser medicinischen Rechts-Gelehrsamkeit, der medicinische
Richter und
Schiedsmann keinesweges an gewisse
Bürgerliche Gesetze gebunden ist, die eigentlich
und wesentlich zu medicinischen
Rechts-Sachen
gehören; So bestehet doch der
Grund, nach
welchem ein tüchtiges und wahres medicinisches
Urtheil gefället werden soll, nicht nur in einer
wahren, gut ausgesonnenen, einsichtigen und
gewissen
Wissenschafft, sondern auch in einer
gesetzten, gegründeten und deutlichen Erfahrung,
dergestalt, daß so nach ein Medicus forensis sowol in seiner
Kunst erfahren, als auch in seiner
Wissenschafft gewiß und gesetzet seyn muß,
indem ihm viele Fälle vorkommen können, die in
irgend einen Theil seiner Wissenschafft lauffen,
und vernünfftig untersuchet werden müssen. |
|
|
Bey so gestalten Sachen bezeuget die
tägliche Erfahrung, daß die Herren Rechts-Gelehrten und Richter in ihrem
Amte offtermals
der Ärtzte Gutachten, Rath und Hülffe
unentbehrlich nöthig haben, so, daß sie ohne
diese in vielen, sowol zum
bürgerlichen als
geistlichen Rechte gehörigen Fällen, nichts
bestimmen, beurtheilen und ausrichten
können, |
Rejes. Camp. Elys.
… |
|
Die Ärtzte hingegen brauchen die Rechts-Gelehrten zu ihren Verrichtungen und Curen gar
nicht, sondern können selbige dabey gar wohl
missen. Ob nun aber wohl zwischen der eigentlich
sogenannten Artzney-Wissenschafft oder
Medicina clinica und der Medicina forensis gemeiniglich ein Unterscheid gemachet wird; So
sind dennoch beyde noch ziemlich genau mit
einander verbunden, und zwar in so ferne, daß
sich diese in verschiedenen Fällen auf jene
gründet, indem sie |
|
|
- in Beurtheilung, Anzeigung und Vertheidigung
mancherley Kranckheiten;
- in der Forschung,
Vergleichung und Benennung verschiedener
Ansteckungen;
- in Untersuchung und Beurtheilung
der von andern Ärtzten oder Wund-Ärtzten
verrichteten Curen;
- in Erforschung und
Beförderung der menschlichen Gesundheit;
- in
Beurtheilung und Anzeigung des Wahnwitzes;
- in
Untersuchung und Erklärung der Vergifftungen
und dererselben Graden;
- in Erläuterung einer
wahren und verstellten Kranckheit;
- in
Untersuchung und Beurtheilung der heilbaren und
unheilbaren, erblichen, Gemüthes- und andern
Schwachheiten;
- in Erforschung und
Beurtheilung der Artzneyen;
- in Untersuchung und
Angebung gesunder und ungesunder
Örter und
Völcker etc.
|
|
|
vieles Licht aus der Praxis clinica erhält. |
|
|
Diese Gerichts-Medicin (Medicina judicialis)
ist über dieses mit vielen andern
Wissenschafften
verbunden; angesehen die |
|
|
{Sp. 1619|S. 823} |
|
|
Gerichts-Fälle unterschiedene Sätze und
Sachen in sich enthalten. Daher es nöthig ist, daß
dergleichen Medicus forensis ein guter
Philosoph,
und zwar besonders in der Logick sehr wohl
geübet sey, damit er richtig zusammen fügen,
vergleichen, schlüssen und beurtheilen möge;
hernachmals soll er sich auch in der
Sitten-Lehre
geübt haben, die
Gemüther,
Sitten, Neigungen,
Leidenschafften und verschiedene andere
Eigenschafften der
menschlichen
Seele zu
erkennen; ferner muß er die Natur-Lehre wohl
verstehen, damit er die Eigenschafften,
Kräffte,
Gegeneinanderverhaltungen verschiedener
Dinge,
die zur Natur des gantzen
Welt-Gebäudes
gehören, wohl inne habe; Endlich soll er auch in
dem
Rechte der Natur nicht unwissend seyn,
damit er aus der menschlichen
Gesellschafft und
den
Pflichten der Menschen in verschiedenen
Fällen richtig schlüssen und einsehen könne, was
billig oder
unbillig, was wahr oder falsch, und was
gut, nützlich und heilsam oder undienlich
sey. |
|
|
Daraus erhellet also, daß die medicinische
Rechts-Gelehrsamkeit auf zween wahren Grund-Stützen ruhet, auf welche man sich in
verschiedenen Fällen steiffen muß: Denn
gleichwie sich diejenigen medicinischen
Entscheidungen, welche richtig und in öffentlichen
bürgerlichen Gerichten nützlich seyn, und daselbst
Beyfall finden sollen, nicht auf ungewisse
Muthmassungen, zweiffelhaffte
Meynungen und
unbeständige Aussprüche gründen dürffen; Also
können sonder Zweiffel die nur kürtzlich
angerathenen Stützen den ersten, festesten und
sichersten
Grund der Gerichts-Medicin abgeben,
indem selbiger aus der
Wahrheit der
menschlichen Verrichtungen und den
Eigenschafften, so den Menschen in ihren
Geschäfften gemein sind, hergenommen, und auf
gegenwärtigen Fall, davon die Frage ist, aufs
genaueste angewendet wird: Denn alle Gründe,
die nicht aus der Erfahrung genommen, sondern
nur verblümter- und Gleichniß-weise angebracht
werden, sind in der Gerichts-Medicin betrüglich
und unvollkommen, und müssen daher vermieden
werden. |
|
|
Es erfordert demnach die nur ietzt benannte
Medicin einen geübten, verständigen und
bewährten Artzt, an dessen Erfahrenheit und
gewissenhaften Wandel man nicht zweifeln darff,
noch viel weniger etwas daran auszusetzen hat:
denn solte ihm eine von diesen guten
Eigenschafften mangeln, so würden die Gerichte
dadurch hintergangen und verführet, daß sie
hernachmals ebenfalls keinen wahren, gegründeten
und billigen Entscheid oder
Urtheil sprechen
könten: Daher kommen so viele Betrügereyen und
Aufenthalte, an welchen aber der
Richter nicht
allemal so gar viel Schuld hat, dieweil sich dieser
auf den Entscheid des Artztes gründet, sondern
die Haupt-Schuld fällt alsdenn auf den Artzt selbst,
wenn derjenige, welchen er
unrechtmäßiger
Weise verdammet hat, an höhere Gerichte
appelliret. |
|
|
Derjenige Artzt demnach, welcher die
medicinische Rechts-Gelehrsamkeit treiben und
ausüben will, muß einen guten und einsichtigen
Verstand haben, und damit das
Wesen und den
Zusammenhang aller Umstände auf das
genaueste untersuchen, geringe Sachen nicht
groß machen und erheben, Sachen von
Wichtigkeit aber nicht übersehen, |
|
|
{Sp. 1620} |
|
|
sondern reifflich überlegen und wohl
beurtheilen: hernachmals auch nichts übereilt und
unbedachtsam vornehmen, sondern bey
Untersuchung aller Sachen die nöthige
Behutsamkeit und Aufmercksamkeit gebrauchen:
ferner auf kein zweifelhafftes und noch nicht
sattsam bewährtes Ansehen und Vertrauen weder
seiner selbst noch anderer sich gründen, vielmehr
aber einen verständigen und klugen Richter
abgeben, damit er seinem ehrlichen Namen und
guten Ruffe keinen Schandfleck noch Mißtrauen
anhänge, welches einem Artzte um so viel
schändlicher und schädlicher ist, wenn man von
ihm saget, daß er keinen practischen Verstand
habe. |
|
|
So vernünfftig demnach die Ärtzte in der
Gerichts-Medicin seyn sollen; eben so behutsam
und vernünfftig sollen sich auch die Richter dabey
aufführen: sintemal das allzu frühzeitige und
unüberlegte Vertrauen auf die medicinischen
Urtheile leichtlich auch andere Richter verblenden
und verführen kan; daher sie bey den
Beweis-Gründen und Grund-Sätzen der Ärtzte wohl zu
überlegen haben, ob solche aus der Natur der
Sache, oder aus einer vorgefaßten Meynung und
verwegenen Muthmassung hergenommen sind:
Und obwohl dem Richter nicht allerdings erlaubet
ist, des Artztes Urtheil aus Privat-Absichten und
andern Vorurtheilen durchzustänckern, und
darinne zu grübeln, und solches zweifelhafftig zu
machen; So erfordert doch die Klugheit, daß er in
nöthigen Fällen bessere, einsichtigere und
gegründetere Meynungen einhole. |
|
|
Gleichwie aber die medicinischen
Collegia
und
Facultäten, nach dem
Unterscheid der
menschlichen Sachen, sowol in Ansehung ihrer
Meynungen, als ihrer
Urtheile, verschiedentlich
von einander
unterschieden sind; Also wird
besonders in den gefällten Entscheidungen
dergleichen vor den
Gerichten beobachtet, daher
in solchen Fällen die
Richter offtmals genöthiget
werden, sich in dreyen medicinischen Facultäten
Raths zu erholen, und die beyden einstimmigen
zu
erwehlen. |
Was sonst noch von dem Officio Medici
forensis zu mercken, solches erhellet aus Michael
Alberti Jurisprudentia medica … |
|
|
|