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Arzneien |
Was |
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{Sp. 1610} |
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die Artzneyen anbelanget: so soll zwar ein
ieder rechtschaffener
Medicus nach seinem
besten
Wissen und
Gewissen allemal die
kräfftigsten und sichersten anordnen, bey
Erwählung aber und Zusammensetzung derselben
dahin trachten, daß sie dem Patienten nicht
zuwider, sondern, so viel als
möglich,
annehmlich seyn. Denn da viele keinen lieblichen Geruch und Geschmack, als
Ambra, Mosch, Zibeth, Zimmet, Rosen und so fort, sondern viel lieber
Hirsch-Horn-Geist, Teuffels-Dreck und andere stinckende Sachen vertragen, manche
kein Bibergeil, Pillen, Pulver, Lattwergen und dergleichen einnehmen, einige
nichts bitters, und andere nichts süsses leiden können: so hat man hierinnen
alle gehörige Vorsicht und Behutsamkeit anzuwenden. |
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Doch es nicht zu
läugnen, daß in diesem Stücke offtermals
die Gedult eines Medicus ermüdet werde. Zum
wenigsten muß man wohl acht haben, daß man
bey Zusammenmischung der Artzneyen nicht
solche
Sachen mit einander verbinde, welche in
der Composition einen widerwärtigen Geschmack,
Geruch, Farbe, oder Dicke verursachen können,
und daher von allen diesen eigene und
genugsame
Erfahrung haben. |
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Von den verordneten Medicamenten kan man
wohl auf Befragen melden, was sie für eine
Würckung thun, ob sie nemlich Brechen machen,
durch den Stuhl abführen, den Schweiß oder Urin
treiben, und sofort, auch ist bisweilen nöthig, daß
man dem Patienten davon Nachricht ertheile,
damit er sich desto besser darnach halten könne;
die Art und Weise aber, wie die Würckung
geschehe, mechanisch und weitläufftig zu
erzehlen, oder die Grund-Sätze, aus welchen die
Artzney verfertiget worden, zu nennen, ist eine
unnöthige Dienstfertigkeit, indem das erstere über
den
Begriff der Leute gehet, das letztere aber
vielmahls zu Geringschätzung des verschriebenen
Medicaments Gelegenheit giebet, und daher das
Sprüchwort wohl in acht zu nehmen stehet: Artis
est, celare artem. Wie man denn auch nicht
allemahl nöthig hat bey Vertreibung der Recepten
die Würckungen der Artzneyen weitläufftig mit
anzumercken, man müste sich denn nach der
Schwäche derjenigen Patienten richten wollen,
welche nichts als Hertz-Stärckungen, Perlen-Träncke, Bezoardische Pulver, Gold-Tincturen
und dergleichen verlangen. |
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Die verschriebenen Medicamente aber soll
ein gewissenhaffter Medicus öffters nach dem
Ansehen, Geruch und Geschmacke untersuchen,
indem bisweilen Fehler und Irrthümer in den
Apothecken vorzugehen pflegen, welche auf diese
Weise ein vorsichtiger Medicus entdecken, und
die übelen Folgerungen verhüten kan. |
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In Anordnung der Diät sind den Patienten
keine so gar strengen Regeln vorzuschreiben,
sondern vielmehr dahin zu sehen, daß ihr
Zustand
erträglich, und währender Kranckheit ihnen alle
zuläßige
Bequemlichkeiten gemacht werden. Es
rühret daher offtermalen aus Mangel der Einsicht
oder nicht genungsamen Überlegung eines
Medicus her, wenn man den Krancken in Essen
und Trincken ohne Noth so gar viele Gesetze
giebet; besonders aber ist unter die grösten Fehler
zu rechnen, wenn man die Krancken-Stuben so
starck heitzen, und die Patienten so tieff in die
Betten stecken lässet, indem durch den
verursachten vielen Schweiß |
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{Sp. 1611|S. 819} |
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die Kräffte geschwächet und die Säffte
verdicket werden. Der Besuch von guten
Freunden hilfft zwar bisweilen die
verdrüßliche
Zeit vertreiben, und schaffet dem Gemüthe eine
Erleichterung, doch muß man die Visiten von
solchen Personen, vor welche der Patiente
Ehrfurcht heget, suchen abzuwenden, weil die
Gegenwart derselben unterschiedene
Bequemlichkeiten abschneidet, deren
Unterlassung hernach dem Krancken vielen
Schaden zuwege bringen kan. |
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Visiten |
Was aber des Medicus Besuchung
anbelanget: so soll dieselbe nach den Umständen
des Patienten eingerichtet seyn, bey gefährl.
Kranckheiten öffters und bey schlechten
Unpäßlichkeiten sparsamer geschehen, damit
man weder einer Nachläßigkeit noch Eigennutzes
beschuldiget werden könne. Besonders hat man
den übeln Verdacht zu vermeiden, als wenn man
nur die
Reichen, wegen grosser Belohnung,
sorgfältig in Acht nähme, die
Armen aber
verabsäumete, weil man nichts davor zu
hoffen
hätte. Doch kan man auch mit
Rechte keinem
Practicus vor übel halten, wenn er auf Begehren
bey vornehmen Leuten öffterern Besuch ableget,
als es die
Nothwendigkeit erfordert, daferne nur
dabey diejenigen nicht verabsäumet werden, von
welchen man wenig oder nichts zu hoffen hat, und
die Sorgfalt nicht bloß nach der Absicht eines
schnöden Gewinstes abgemessen wird. |
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Die Personen, welche man bey dem Krancken-Bette antrifft, sind entweder gute
Freunde und Anverwandte, welchen Ihren Besuch ablegen, oder Leute, welche den
Patienten mit nöthiger Wartung an die Hand gehen. |
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Was die erstern anlanget: so pflegen dieselben nicht nur ihr Mitleiden wegen
der Kranckheit zu bezeugen, sondern die meisten wollen auch ihr Gutmeynen durch
Anrathen allerhand Hülffs-Mittel an den Tag legen. Ob nun gleich diese
überflüßige und unzeitige Dienstfertigkeit den Ärtzten nicht anders als
verdrüßlich seyn kan, auch bisweilen unerträglich wird: so erfordert doch
vielmahls die
Klugheit
dergleichen Rathgebern, welche mehrentheils schwache Werckzeuge sind, mit
Bescheidenheit zu begegnen, und den gegebenen Rath auf eine höfliche Weise
abzulehnen: nemlich die vorgeschlagenen Haus-Mittel wären nicht zu verachten,
wenn sich die Umstände der Kranckheit so und so befänden, oder man habe bereits
eben dergleichen verordnet, die ietzige Beschaffenheit der Kranckheit liesse aus
der und der
Ursache nicht zu, das angerathene zu gebrauchen, die
Natur der
krancken Personen wäre gar sehr unterschiedlich, und so fort, weil solche
barmhertzige Samariter durch gar zu deutlichen Widerspruch aufgebracht werden,
und denen Ärtzten wegen gebrauchter Aufrichtigkeit bey aller Gelegenheit durch
üble Nachrede Schaden zu thun suchen. Doch kan man auch den patriotischen Eiffer
nicht mißbilligen, wenn angesehene Practici dergleichen unbefugten
Affter-Ärtzten die nothwendige Regel einschärffen: was deines
Amts nicht ist,
da laß deinen Vorwitz. |
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Die zur Wartung bestimmten Leute hat man
mit Liebe und Freundlichkeit zu
unterrichten, wie
sie sich in ihren Handreichungen verhalten sollen,
auch wenn es der Wahrheit gemäß, ihre
Geschicklichkeit und Sorgfalt zu loben, weil diese
dienstbare Geister bey den Patienten das gute
Vertrauen gegen den Medicus zu erhalten durch
ihre Vorstellungen gar vie- |
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{Sp. 1612} |
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les beytragen können. Wir billigen aber
hierdurch keinesweges die Charlatanerie
derjenigen, welche durch Geschencke,
Versprechungen, und andere unanständige Mittel
ermeldte Leute auf ihre Seite ziehen, damit sie
hierdurch den Krancken möchten angepriesen,
andere rechtschaffene Ärtzte aber angeschwärtzt
und verhaßt gemacht werden. |
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Hilfspersonen |
Weil auch heut zu Tage gewöhnlich ist, daß
nebst den Ärtzten in äusserlichen Verletzungen
Wund-Ärtzte mit zu Rathe gezogen, und bey den
Gebährenden und Sechswöchnerinnen, wie auch
zu unnöthigen Abwartung der Wochen-Kinder die
Wehmutter und Beyweiber zu Hülffe genommen
werden: so ist nöthig, einige Anleitung zu geben,
wie sich ein Practicus gegen dieselben glücklich
aufzuführen habe. |
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Wundärzte |
Was nun anfangs die Wunde-Ärtzte betrifft,
so ist eine ausgemachte Sache, daß dieselben
ehedem der Ärtzte ihre
Bediente gewesen, welche
bloß und allein bey äusserlichen Schäden und
Verletzungen zu nöthigen Handreichung sind
gebrauchet worden, niemals aber ohne
ausdrücklichen
Befehl ihres vorgesetzten Medicus
haben eine Operation vornehmen, vielweniger
Remedia pharmacevtica, oder eigentliche Artzney-Mittel, weder innerlich noch äusserlich anwenden
dürffen. In den nachfolgenden
Zeiten ist es
geschehen, daß, weil die Ärtzte entweder aus
Eckel und allzu grosser Zärtlichkeit, oder aus
Nachläßigkeit und Uberdruß der
Arbeit, diesen
ihren Bedienten so viel nachgesehen, sich
dieselben endlich gar der sämtlichen Wund-Artzney angemasset, von ihren
Herren
losgemacht, und absonderliche Innungen, welche
nachgehends von der Obrigkeit bestätiget worden,
aufgerichtet haben. |
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Bey so gestalten Sachen, und da unsere
heutigen Wund-Ärtzte auch ohne Vorwissen und
Beyhülffe eines ordentlichen Medicus äusserliche
Curen und Operationen unternehmen mögen: so
kan man zwar nach der ietzigen Einrichtung die
ehemahlige
Herrschafft über sie nicht
schlechterdings verlangen; doch wird sich auch
ein iedweder verständiger Wund-Artzt bescheiden,
daß er noch unter der Aufsicht und Direction des
Medicus stehe, wenn beyde bey Curirung eines
Patienten zusammen kommen, wie solche auch
die
Statuten und Policey-Ordnung erfordern. |
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Inzwischen wird auch kein Medicus
deswegen seinem
Ansehen etwas vergeben,
wenn er bey gemeinschafftlicher Versorgung der
Krancken mit einem
rechtmäßigen und
kunsterfahrnen Chirurgus berathschlaget, dessen
Meynung und Vorschläge zur Beförderung der Cur
anhöret, und durch eigene Vorstellungen und
daher gefaßten Entschluß der Sache einen
Ausschlag giebt; doch soll man sich niemals das
Directorium nehmen lassen, welches gemeiniglich
geschiehet, wenn dem Medicus die hierzu
gehörige
Wissenschafft fehlet, noch viel weniger
aber gestatten, daß sich der Chirurgus in die
innerliche Cur mit einmischen, oder Anschläge,
wie solche anzufangen sey, ertheilen möge, wie
es von vielen, und besonders von den
sogenannten Feldscherern, aus eingerissener
bösen
Gewohnheit, zu geschehen pfleget. |
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Wolle aber auch ein ordentlicher Medicus,
nach erlangter Wissenschafft und hierzu
gehörigen Fähigkeit, selbst bey äusserlichen
Curen Hand anlegen, und Operationen verrichten:
so kan demselben keinen Verständiger solches
Unternehmen für |
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{Sp. 1613|S. 820} |
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übel halten, noch weniger aber verwehren,
weil die Chirurgie mit Rechte noch heut zu Tage
ein Theil der Artzney-Kunst bleibet, dessen
Ausübung aber nur wegen obangeführter
Ursachen davon getrennet worden. Doch billigen
wir hierdurch keinesweges das Vornehmen, wenn
sich ein Medicus durch Clystiersetzen, Schröpffen
und andere dergleichen geringe Operationen
niederträchtig macht. |
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Apotheker |
Mit den Apotheckern hat es beynahe gleiche
Bewandniß, als welche anfangs Haus-Bediente
der Ärtzte gewesen, und in den alten Zeiten unter
dem Namen Herbarii, Rhizotomi, Stösser,
Laboranten und Artzney-Verfertiger bekannt sind,
heut zu Tage aber, nachdem sie sich aus
Gutwilligkeit und gar zu grosser Nachsicht der
Ärtzte dieser
Bedienung entzogen, besondere
Zünffte und Profeßionen ausmachen. Ihre
Undanckbarkeit aber erstrecket sich so weit, daß
sie auch so gar durch ihre von der
Landes-Obrigkeit erlangte Begnadigung den ordentlichen
Ärtzten zu verwehren suchen, die durch eigenen
Fleiß und Mühe zubereiteten Medicamente den
anvertrauten Patienten darzureichen. Ob nun
gleich solches Unterfangen höchst
unbillig ist,
indem noch niemals einem Künstler untersaget
worden, zu Ausübung seiner
Kunst sein eigenes
Werckzeug anzuwenden, ja selbst den Wund-Ärtzten freystehet, ihre Salben und Pflaster
eigenhändig zu verfertigen: so ist es doch nicht zu
läugnen, daß in diesem Stücke bisweilen den
Ärtzten schwer fällt, wider den Stachel zu
lecken. |
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Bey solcher Verfassung, und da man sich
genöthiget siehet, die verordneten Medicamente
in den Apothecken machen zu lassen, hat ein
iedweder gewissenhaffter Practicus wohl Acht zu
haben, daß dieselben nach den verschriebenen
Rezepten gut und aufrichtig verfertiget, und die
dabey vorkommenden Fehler sogleich
angemercket, und den Apotheckern gezeiget
werden. Doch soll man sich in diesem Stücke
weder die Hoffnung eines reichlichen Neu-Jahr-Geschencks, oder andere eigennützige Absichten
blenden, noch auch aus Haß und Unwillen zu
einer Partheylichkeit verblenden lassen, weil mit
der rechten Präparation der Artzneyen
mehrentheils die Genesung der Patienten und die
eigene Ehre des Artztes
verknüpfft ist. |
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Vornemlich hat man mit allen Kräfften und
möglichster Sorgfalt, der bösen Gewohnheit zu
steuren, nach welcher die Apothecker, und
vornemlich deren Provisores, nicht nur ohne
Vorschrifft und Verordnung eines ordentlichen
Promoti allen und ieden Personen Medicamente
reichen, sondern auch gar die Patienten
besuchen, und mithin der Ärtzte Bein-Hasen
werden, womit sowol den
rechtmäßigen Practicis
unbefugter Eingriff geschiehet, als auch die
Patienten selbst gar öffters an ihrem
Leben und
Gesundheit Schiffbruch leiden. Wie aber Privat-Ärtzte nicht allemal vermögend sind, diesem Ubel
abzuhelffen: also wäre zu wünschen, daß die zu
solcher Einsicht bestallten Stadt- und Land-Physici, wie auch auf
hohen Schulen die
öffentlichen
Lehrer und medicinischen
Collegia
sich den Schaden Josephs liessen zu Hertzen
gehen, und durch patriotische Vorstellungen bey
hoher Obrigkeit dieser um sich greiffenden
Seuche nachdrücklichen Widerstand und Einhalt
zu thun, sich recht ernstlich bemühen
möchten. |
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Hebammen |
Unter den Personen, mit welchen ein
Medicus, in seiner Praxis zu thun hat, sind die
Weh- |
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{Sp. 1614} |
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mütter und Beyweiber fast die
verdrüßlichsten
und gefährlichsten. Denn ob sie gleich vielmals so
unwissend angetroffen werden, daß sie weder die
nöthigen Handgriffe
verstehen, noch die zu ihrem
Handwercke gehörige Wissenschafft und
Geschicklichkeit haben: so besitzen doch die
meisten eine solche
unverschämte Gabe, daß sie
auch wol gar in Gegenwart eines ordentlichen
Medicus den gebährenden Sechswöchnerinnen
und stillenden Frauen allerhand Hülffs-Mittel
anrathen, auch bey Kranckheit der kleinen Kinder
vielfältige Artzney-Mittel vorschlagen, welche zwar
den Kunst-Verständigen abgeschmackt genung
vorkommen, von den eingenommenen
Weibern
aber offtermals dem allerbesten medicinischen
Rathe vorgezogen werden. Man könte zum
Beweise unzehlige dergleichen Historien und
Begebenheiten anführen, wenn man vorietzo
willens wäre, diejenigen Fehler und Mißbräuche,
welche täglich in der medicinischen Praxis
vorgehen, weitläufftig zu erzehlen. |
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Wie nun ein junger und angehender Medicus
solche verhasste Abentheuer bisweilen mit
gelassenem
Gemüthe übersehen, oder zum
wenigsten mit
Klugheit und
Verstande
abzuwenden suchen muß, woferne er sich nicht
durch Lästerung der aufgebrachten Kinder-Mütter,
welche gemeiniglich bey leichtgläubigen
Frauenzimmern einen grossen Eindruck machen,
um seine Kundschafft bringen will; also kan ein
alter und angesehener Practicus schon mit
grösserem Nachdrucke solchen ungebetenen
Rathgebern ein geziemendes Stillschweigen
auferlegen, und sie zur Leistung ihrer Schuldigkeit
und gehörigen Ehrerbietung anhalten. Am
kräfftigsten aber ist die Obrigkeit vermögend,
diesem Ubel durch ihre weise Veranstaltung zu
steuren, wenn sie bey Bestellung solcher Weiber
denselben die benöthigte Anordnung einschärffen,
daß sie bey vorfallender Gelegenheit den
vorgesetzten Ärzten gehörigen
Gehorsam
leisten. |
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weitere Ärzte |
Endlich pfleget auch offtmals zu geschehen,
daß man in bedencklichen Kranckheiten nebst
dem ordentlichen oder ersten Medicus noch
einen, oder auch wohl mehrere zugleich mit zu
Rathe ziehet, damit die Beschaffenheit der
Kranckheit besser eingesehen, die Umstände und
Zufälle von ihnen zusammen erwogen, und
sodenn die Chur mit zusammen gesetzten
Kräfften unternommen werde. Ob man diesen
Endzweck allemal erhalte, und die Genesung
eines Patienten sicherer und besser durch
Rathgebung unterschiedener Ärtzte, als eines
eintzigen befördert werde, wollen wir vorietzo nicht
untersuchen, sondern nur mit wenigen
anmercken, wie sich ein Practicus in diesem Falle
zu verhalten habe. |
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Wenn wir den
Regeln des medicinischen
Machiavellismus folgen wolten: so müsten wir
überhaupt allen und ieden Ärtzten anrathen, nach
Möglichkeit zu verhüten, sich auch wol, wenn es
die Umstände leiden, zu widersetzen, daß ihnen
kein anderer Medicus zur Hülffe möchte
beygefüget werden, indem allerdings in solchen
Begebenheiten, die Cur mag ablauffen wie sie
wolle, die Ehre und das Ansehen des ersten
allemal einen Abbruch leidet. Denn wird der
Patiente wieder gesund: so schreibt man dessen
Genesung den heilsamen Rathschlägen des
zuletzt darzu geholten Medicus gantz alleine zu,
und will sogleich auf Anordnung des ersten
Medicaments Besserung gespüret haben. Stirbt
derselbe: so heißt es, man |
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{Sp. 1615|S. 821} |
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hätte eher dazu thun sollen, der letzte
Medicus sey allzu späte dazu geholet worden, und
da läßt sich dann leichte schlüssen, was für
Ehre
der vorher gebrauchte Medicus von solcher Cur
zu gewarten habe. |
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Alleine ausser dem, daß man nicht allezeit den von dem Patienten selbst,
oder dessen Angehörigen gefaßten Entschluß, noch einen Medicus zur Beyhülffe
anzunehmen, vermögend ist abzuwenden oder zu hintertreiben: wol aber bey
beharrlicher Widersetzung seinen gäntzlichen Abschied zu besorgen hat: so
ereignen sich auch bisweilen gewisse Umstände, in welchen ein verständiger
Practicus die Beyhülffe seiner Herren Collegen mehr verlangen als vermeiden
soll. |
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Wir setzen den Fall, ein junger Medicus bekömmt in den ersten Jahren solche
bedenckliche und besondere Kranckheiten zu curiren, von welchen er weder etwas
in
Collegiis gehöret, noch auch durch seine annoch wenige
Erfahrung
einige Känntniß davon bekommen haben kan, und sind der
Meynung, daß bey solcher Begebenheit sowol das Gewissen, als
auch die
Klugheit
erfordere, sich einen Beystand zu erwehlen, weil ohne demselben bey erfolgten
unglücklichen Ausgange der Chur, im
Gemüthe ein Zweifel entstehet, ob man nicht aus Mangel
gnungsamer Erfahrung etwas verabsäumet, den Spöttern aber Gelegenheit gegeben
wird, das Sprichwort anzuwenden: Ein neuer Medicus müsse einen neuen Kirchhof
haben. In solcher Angelegenheit ist sehr zuträglich, wenn man einen oder den
andern ansehnlichen Practicus auf seiner Seite hat, dessen bekannte Erfahrung
und Ansehen
sowol das Gewissen beruhigen, als auch wider alle Vorwürffe zur sichern
Bedeckung dienen kan. Zum wenigsten gereicht es zu mehrerer Befriedigung, und
weniger Nachtheil, wenn der dazu geholte Medicus älter ist, und in guter
Reputation stehet, als wenn man sich genöthiget siehet, seinen Ruhm in der
Praxis mit einem jüngern, und der weniger
Verdienste hat, zu theilen. |
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In der Berathschlagung selbst mit andern
Ärtzten hat man sich überhaupt aller gehörigen
Klugheit zu befleißigen. Daher soll man die
Meynung anderer, wegen Beschaffenheit und Cur
der vor sich habenden Kranckheit, gelassen und
bescheiden anhören, sein eignes
Urtheil aber mit gutem Bedachte und ohne Ubereilung von sich
geben. Alle Gelegenheit zu unnöthigen Streiten und Zänckereyen vermeiden, und
bey angestellter Uberlegung seinen einzigen Endzweck seyn lassen, das Aufkommen
des Patientens nach Möglichkeit zu befördern. |
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Weil nun die unterschiedenen und auf mancherley Vorurtheile gegründeten
Lehr-Sätze, nach welchen man öffters auf
hohen Schulen die Artzney-Kunst
erlernet, meistentheils bey Berathschlagungen zur Uneinigkeit der erste
Ursache
giebt: so handelt derjenige weislich, welcher die gegenwärtige Kranckheit und
deren Zufälle ohne Hypothes und vorgefaßte Meynung, so, wie sie sich in
natürlicher Ordnung den
Sinnen
vorstellen, untersuchet, das nach Vorurtheilen schmäckende Urtheil eines andern
mit Liebe und Sanfftmuth träget, und mehr auf die so nöthige Verordnung
geschickter und hinlänglicher Hülffs-Mittel, als auf das eitele
Disputiren
solcher Meynungen, welche von ihren Liebhabern für theure
Wahrheiten, von andern aber in folgender
Zeit
für |
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{Sp. 1616} |
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leere Träume und Mährgen gehalten werden,
seine Absicht und Sorgfalt richtet. |
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Dieses Haupt-Werck desto besser zu
befördern, muß ein iedweder nach seinem besten
Wissen und Gewissen handeln, und daher weder
aus unnöthiger Höflichkeit zu einem gutwilligen
Ja-Herrn werden, noch auch aus Eigensinn den
Vorschlägen anderer widersprechen. Denn wie
das erstere ein schlechtes Zutrauen zu seiner
eigenen
Wissenschafft, und eine unzeitige
Furcht
vor der andern Ansehen anzeiget: so entstehet
das andere meistentheils aus gar zu grosser
Selbst-Liebe, welche nichts für recht und
billig
hält, als was man selbst angerathen. |
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Besonders hat man sich bey dem Krancken-Bette im Streit und Widerspruch zu mäßigen,
indem die Uneinigkeit der Ätrzte das Vertrauen
mindert, und die Furcht vermehret, es möchte
endlich der Patiente das angestellte Consilium
medicum mit der Haut bezahlen müssen. Man
pflegt dannenhero solchem Ubel abzuhelffen,
entweder in Gegenwart der Krancken mit einander
in
Latein. Sprache
zu reden, oder, welches fast
noch mehr zu rathen, sich von dem Patienten
etwas zu entfernen, wenn man sich wegen
Anordnung der Artzneyen mit einander
berathschlagen will. Doch muß man sich bey
allem diesem gehöriger Behutsamkeit bedienen,
damit man zu keinem Mißtrauen oder sorglichen
Nachdencken Gelegenheit gebe. |
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Ubrigens sollen die jüngeren Ärtzte sich
gegen die ältern, in Ansehung der erlangten
grössern Erfahrung, bescheiden aufführen, und
sie nicht nach dem Vorurtheile vieler, vor alte
Salbader und Empiricos ausgeben; die ältern aber
auch die jüngern wegen ihrer Jugend nicht
verachten, oder den Leuten die Meynung
beyzubringen suchen, als wenn angehende
Practici in ihren ersten Jahren nur die Kirchhöfe
fülleten, und sich nicht anders, als durch die
Niederlage vieler Patienten den Weg zur
benöthigten Erfahrung bahnen könten. |
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Unter die gottlosen Kunst-Griffe eines
unchristlichen Machiavellismus aber gehöret,
wenn ein Medicus nach gehaltener Conferentz
den Patienten absonderlich besuchet, seinen
Collegen verdächtig macht, das zusammen
verordnete Medicament tadelt, unter dem
Vorwande, daß man zu Verschreibung
desselbigen genöthiget worden, und sich aus
fälschlich vorgegebenen Gutmeynen anerbietet,
ein besseres Hülffs-Mittel anzuordnen. |
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Die Ärtzte, mit welchen man rathschlaget,
sollen auf hohen und dazu
privilegirten Schulen
rechtmäßiger Weise promovirt haben, oder
wenigstens daselbst zur Praxis ordentlich
examinirt worden seyn; dahero sind zu einer
rechten Unterredung die so genannten Doctores
Bullati, welche von einem
Comite Palatino
gemacht worden, unfähig: noch weniger aber soll
ein rechtschaffener Practicus mit
Marcktschreyern, Quacksalbern, Laboranten,
Schäfern, Scharff-Richtern, Pferde-Ärtzten, Jägern
oder andern unbefugten Heilmännern zugleich
curiren, auch nicht einmahl innerliche
Medicamente denjenigen Patienten verordnen,
von welchen man weiß, daß sie dergleichen Leute
an äusserlichen Schäden gebrauchen. Denn da
sich ohne dem bey dem ietzigen Verfalle der
Artzney-Kunst die Anzahl der Stümper täglich
vermehret, auch wol solches Gesindel durch ihre
besondere Kunst-Griffe und Windmacherey bey
vornehmen und
gelehrten |
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{Sp. 1617|S. 822} |
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Personen zuweilen Gehör finden: so hat ein
honetter Medicus alle Vorsicht und Behutsamkeit
zu gebrauchen, daß er seine erlangte
Würde
durch gemeinschafftliche Curen mit Pfuschern
nicht beschimpffen, und sich selbst niederträchtig
machen, andern Leuten aber hierdurch Anlaß
geben möge, zu glauben, es müsse ein solcher
fahrender Schüler doch wohl etwas
verstehen,
weil ordentliche Ärtzte nicht Bedencken trügen,
mit demselben zu curiren. |
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Den Stöhrern aber ihr
unrechtmäßiges
Handwerck zu legen, kömmt nicht allemal auf die
Sorgfalt und Bemühung der Ärtzte, sondern
vielmehr auf die hohe und weise Einsicht
derjenigen an, welche das Ruder im
Regimente führen, wie schon oben angemercket worden; doch
können auch Practici sowol durch Verschreibung der Recepte in die Apothecken,
als auch durch eigene Verfertigung ihrer Artzneyen zur Ausbrütung der
medicinischen Pfuscher Gelegenheit geben. |
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Das erste geschiehet, wenn man bey der Signatur unnöthiger Weise die
eigentliche Würckung des verordneten Medicaments mit meldet, als wodurch die
Provisores und Apothecker-Gesellen von dessen Gebrauche
unterrichtet, und zur
Nachäffung der Curen angereitzet werden; das letztere ereignet sich, wenn man
seinen Stössern, Laboranten und
Bedienten
aus gar zu grosser Gemächlichkeit die gäntzliche Ausarbeitung der
Artzney-Processe unter die Hand giebet, oder wol gar bey weitläufftiger Praxis,
wo keine
Universität ist, in Ermangelung der
Studenten, durch eben dieselben die
Medicamente muß ausgeben, und auch wol einige Krancke mit besuchen lassen. Wie
nun leider! viele dergleichen verhaßte Exempel von beyderley Arten, mehr als zu
bekannt sind, also hat ein gewissenhaffter Medicus, um diesen
verdrüßlichen
Folgerungen möglichst vorzukommen, alle gehörige Behutsamkeit und Vorsicht
anzuwenden. |
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