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Zedler: Pflichten der Ärtzte [2] HIS-Data
5028-27-1598-7-02
Titel: Pflichten der Ärtzte [2]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 27 Sp. 1603
Jahr: 1741
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 27 S. 815
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Übersicht
Kliniker (Forts.)
  Lehre (Forts.)
 
  Diätetik
  Heilung
 
  Medikamente
  Therapie
  Erfahrung
  Klugheit
 
  Verhaltensregeln

Stichworte Text  
  Hat nun auf diese Weise ein Studiosus Medicinae die Gesundheit, nebst dem hierzu gehörigen Zustande des menschlichen Cörpers, erkennen, und im Gegentheile die Kranckheiten, nach allen ihren Umständen und Kennzeichen, wohl unterscheiden lernen, so muß er sich um fernern Unterricht bemühen, wie die Gesundheit zu erhalten, die Kranckheit aber sicher zu heben stehe. Das erstere lehret so genannte Doctrina diaetetica; das andere aber Therapia, welchen Theil man auch Praxis medica und Methodus medendi nennet.  
Diätetik Die Lehre, welche von den Mitteln, die Gesundheit zu erhalten, und das Leben zu verlängern, handelt, giebt Anleitung, was ein ieder Mensch nach Unterscheid seines Temperaments, Geschlechts, Alters, der Beschaffenheit der Gegend, da er sich aufhält, Jahrs-Zeiten, Leibes- und Gemüths-Beschaffenheit und anderer Umstände, für eine Lebens-Art erwehlen, und wie er sich im Essen und Trincken, Schlafen und Wachen, im Gebrauche der Gemüths- und Leibes-Bewegungen verhalten, seinen Leib vor den Anfällen der Lufft und äusserlichen Verletzung verwahren, und die nöthigen Abführungen befördern solle, damit die zur Gesundheit des menschlichen Cörpers dienenden Verrichtungen in natürlicher Ordnung beständig erhalten, deren Hindernisse beyzeiten aus dem Wege geräumet, und also Leben und Gesundheit möglichster massen gefristet werden möge.  
  Hierbey kan man nicht in Abrede seyn, daß diese Lehre auch zu unseren Zeiten noch nicht gründlich genug ausgeführet wor-  
  {Sp. 1604}  
  den, und die meisten Tractate, welche hiervon handeln, ein sehr mageres Ansehen haben, indem dieselben entweder nur einige allgemeine Regeln in sich schliessen, oder des Verfassers Geschmack verrathen, was er gerne gegessen und getruncken, oder welche Lebens-Art demselben vor andern bequem geschienen. Es gehöret dannenhero diese Lehre unter diejenigen Wissenschafften, welche erst durch langwierige Erfahrung und vernünfftige Anmerckung zu erlangen stehet, schwerlich aber, wegen der so offt veränderlichen Lebens-Art der Menschen und andern sich ereignenden Hindernisse in gewisse Grund-Sätze und eine förmliche Lehr-Art zu bringen seyn möchte.  
Heilung Damit man aber die vorfallenden Kranckheiten nach des Hippocrates Vorschrifft, auf eine baldige, sichere, und den Patienten so viel als möglich, bequeme Weise curiren möge: so hat man nöthig, nicht nur geschickte und zulängliche Hülffs-Mittel auszulesen, sondern auch dieselben mit aller Sorgfalt und Vorsicht anzuwenden.  
Medikamente Die Medicamente werden gemeiniglich in pharmacevtica, chirurgica und diaetetica eingetheilet, wovon die erstern zwey besondere Gattungen ausmachen. Eine enthält die Cruda und Simplicia, die andere alle Praeparata und Composita. Cruda und Simplicia sind diejenigen, welche die Natur aus ihren drey Schatz-Kammern, nemlich aus dem Pflantzen- Thier-und Mineral-Reiche an die Hand giebet, und zusammen unter dem Namen der Materia medica, ins besondere aber in der Botanik, Zoologie und Mineralogie abgehandelt werden; dahingegen Praeparata und Composita heissen, welche die Kunst aus den erstern durch verschiedene Zubereitung und Vermischung verfertiget, die dazu gehörigen Handgriffe aber in der Pharmacia und Chemia medica gezeiget werden.  
  Chirurgische Hülffs-Mittel bestehen sonderlich in geschickten Handgriffen, gehörigen Bandagen, und andern hierzu erfundenen Instrumenten, durch deren nach der Kunst angewendeten Gebrauch den äusserlichen Gebrechen und Verletzungen geziemend begegnet wird. Ob nun gleich dieser Theil der Medicin, welchen man in Chirurgie nennet, heut zu Tage den hierzu bestellten Wund-Ärtzten überlassen worden: so muß doch ein iedweder rechtschaffener Medicus von allen dergleichen Verrichtungen eine hinlängliche Wissenschafft haben, weil derselbe bey solchen allemahl die Aufsicht von Rechts wegen führen soll.  
  Was endlich die diätischen Mittel anbelanget: so haben solche mit schon oben angeführten zwar einerley Ursprung, die Anordnung aber derselben bey Krancken wird zum Unterscheide Regimen aegrotorum genennet, und bestehet darinnen, daß den Patienten bey dem Gebrauche der Artzneyen eine geziemende Verhaltung vorgeschrieben wird.  
Therapie Wenn nun diese angeführte Hülffs-Mittel zu rechter Zeit in gehöriger Dose, Proportion und Ordnung nach Unterscheid des Alters, Geschlechts, Temperaments, Leibes-Beschaffenheit, des Orts, Jahrs-Zeit und gantzen Lebens-Art, vernünfftig und der Erfahrung gemäß, unter Erbittung Göttlicher Hülffe wider die Kranckheiten und deren verschiedene Umstände angewendet werden: so nennet man solche Anwendung Therapia, oder den rechten Methodus medendi, welchen zwar ein iedweder Medicus in seinen Curen auszuüben vermeynet, die allerwenigsten aber zu dessen Besitzung gelangen, in-  
  {Sp. 1605|S. 816}  
  dem derselbe den gemeinen Ärtzten die gantze Zeit ihres Lebens ein unauflösliches Geheimniß verbleibet. Denn ausser der weitläufftigen Wissenschafft, welche sich ein iedweder rechtschaffener Practicus unumgänglich zuwege bringen muß, und von dessen Umfange wir schon einen kurtzen Entwurff gemacht haben; so gehöret auch zur glücklichen Ausführung der Curen, gnugsame Erfahrung und besondere Klugheit.  
  Wie aber die Natur ihre Gaben bey vielen, welche sich ohne angestellte Prüfung ihrer Fähigkeiten der Artzney-Kunst gewiedmet, sehr sparsam ausgetheilet hat, einige in ihrer Jugend verabsäumet worden, oder auch in reifferem Alter schlechte Anführung gehabt, andere nicht gnugsamen Fleiß zur Erlangung ihres vorgesetzten Endzwecks angewendet, sonder die Zeit auf niedrigen und hohen Schulen bey Müßiggang und wollüstigem Leben vorbeystreichen lassen, oder auch durch beygebrachte Vorurtheile auf Irrwege gerathen, u. dergleichen: so wird ein jeder gar leichte die Ursachen einsehen können, warum man unter dem Hauffen der Ärtzte so viele einfältige, ungelehrte, unwissende, ungeschickte und in der wahren Kunst zu heilen so gar unerfahrene Practicanten antreffe. Damit man nun nicht unter der Zahl derjenigen stehe, welche den äusserlichen Schein haben, nichts weniger aber, als die innerlichen Eigenschafften eines wahren Medicus besitzen: so ist allen der Artzney-Kunst Beflissenen zu rathen, daß sie bey einem so weitläufftigen Studium alle Tage und Stunden ihrer academischen Jahre wohl eintheilen, und sich durch unermüdeten Fleiß und emsiges Bemühen eine gründliche Wissenschafft zuwege bringen.  
  Hat man diesen Endzweck erreichet: so ist nichts mehr übrig, als daß man sich durch die Erfahrung zu Ausübung seiner Kunst mehr und mehr geschickt mache, und in der angehenden Praxis alle nöthige Vorsicht und Klugheit anwende. Von beyden Stücken soll nunmehro etwas weniges gehandelt werden.  
Erfahrung Erfahrung erlanget man sowol durch anderer Leute, als auch durch eigene nach und nach gemachte Anmerckungen. Die erstere wird erhalten, wenn man nicht allein berühmter und aufrichtiger Ärtzte aufgezeichnete und der Nachwelt hinterlassene Beobachtungen fleißig und mit rechter Aufmercksamkeit lieset, sondern auch Gelegenheit zu erlangen trachtet, unter der Anführung eines verständigen Practicus, die Patienten auf ihrem Krancken-Bette zu besuchen. Unter den Beobachtungen hat man vornehmlich diejenigen zu erwehlen, welche den Verlauff der öffters sich ereignenden Kranckheiten ordentlich vom Anfang bis zum Ende beschreiben, die Zufälle sorgfältig anmercken, die gebrauchten Artzneyen und deren Würckungen aufrichtig erzehlen; diejenigen aber zu verwerffen, welche lauter seltene und unerhörte Zufälle aufführen, und aus ihren Curen Wunder, und aus den gebrauchten Hülffs-Mitteln Geheimnisse machen.  
  Denn da die erstern eine deutliche Vorschrifft und Muster zur Nachahmung abgeben: so scheinen die letztern den abentheuerlichen Thaten ähnlich zu seyn, deren Ausführung nur den Amadies-Rittern möglich stehet. Die Gelegenheit aber, die Kranckheiten nicht durch blosse Erzehlung, sondern deren Beschaffenheit auch würcklich und bey den Patienten kennen zu lernen, findet man theils durch Vorschub eines Privat-Practi-  
  {Sp. 1606}  
  cus, theils aber auch in Hospitälern, Lazarethen und öffentlichen Krancken-Häusern.  
  Lassen es die Umstände zu, durch Eröffnung der Verstorbenen die schadhafften Theile und deren mancherley Verletzungen zu entdecken: so wird dadurch die Beschaffenheit der Kranckheit, und deren Ursachen viel begreifflicher, und sodenn die Erfahrung mehr und mehr befestiget.  
  Nach eben diesem Fusse richtet auch nachgehends ein verständiger Medicus seine eigenen Anmerckungen ein. Es muß nemlich derselbe vor allen Dingen bey seinem Besuche auf den Unterscheid des Alters, Geschlechts und Temperaments Acht haben, und nachgehends durch ordentliche und bescheidene Fragen den Patienten Gelegenheit geben, ihre Beschwerungen zu entdecken, wenn und wie dieselben angefangen, und ob sie sich etwan einiger begangenen Fehler in der Diät, jählingen Gemüths-Bewegung, allzu starcker Bewegung oder äusserlicher Verletzung des Cörpers zu erinnern wissen, welche als Ursachen der entstandenen Kranckheiten zu vermuthen wären.  
  Man betrachtet dabey das äusserliche Ansehen der Krancken, erforschet durch Anfühlung des Pulses den geschwinden oder langsamen Umlauff des Geblüts und die daher entstehende mehrere oder wenigere Hitze, untersuchet durch Betrachtung des Urins, wie weit die Zeitigung und Absonderung derjenigen Materie, welche die Beschwerung verursachet, gekommen sey, und erkennet aus den unterschiedenen gehemmten oder schmertzhafften Bewegungen und daher mehr oder weniger verhinderten Verrichtungen den eigentlichen Sitz und Ursprung der Kranckheiten.  
  Diese Untersuchung wird in ein noch grösseres Licht gesetzet, wenn man sich auch so viel, als es Zeit und Gelegenheit leiden, nach den vergangenen Umständen des Patientens fleißig erkundiget, was derselbe bisher für eine Lebens-Art gehabt, ob er von einer gesunden oder kräncklichen Leibes-Beschaffenheit gewesen, zu was für Zufällen er besonders geneigt sey, ob er sich bisher zum Aderlassen, Schröpffen, oder öfftern Gebrauche der Artzneyen gewöhnet, ob er bey gegenwärtiger Kranckheit schon einen Medicus, oder nur einige Haus-Mittel gebraucht, und was dergleichen mehr ist. Hieraus wird man gar leichte schlüssen können, warum sich ein Krancker demjenigen Medicus am sichersten in Curirung seiner Beschwerungen anzuvertrauen habe, welcher durch lange Bekanntschafft von allen angeführten Stücken hinlängliche Nachricht bekommen, oder, wie man insgemein zu reden pflegt, die Natur des Patienten inne habe.  
  Wenn man nun alle diese erforschte Umstände wohl überleget: so wird man nicht nur aus Gegeneinanderhaltung der annoch übrigen Kräffte der Natur und unterschiedenen Grösse der Kranckheit den glücklichen oder unglücklichen Ausgang derselben vernünfftig beurtheilen, sondern auch die hierzu erforderten Hülffs-Mittel geschickt anwenden und verordnen lernen.  
  Bey dem Gebrauche der Medicamenten ist sodenn nöthig, daß man deren Würckungen in Acht nehme, alle darauf folgende Veränderungen und Zufälle genau und sorgfältig anmercke, und mithin den gantzen Verlauff der Kranckheit dem Gedächtnisse ordentlich eindrücke.  
  Alle diese Anmerckungen aber müssen von den Sachen schlecht, und wie sie in die Sinne fallen, ohne vorgefasste Meynungen, und  
  {Sp. 1607|S. 817}  
  daher entstehende Vorurtheile, gemacht werden, widrigenfalls, und woferne eine solche Vorsicht nicht dabey beobachtet wird, dürfften dergleichen Anmerckungen leicht nach der eingebildeten Meynung ihrer Verfertiger schmäcken, weil es solchen Ärtzten beynahe eben so gehet, als wie denjenigen, so die Gelbsucht haben. Denn wie denen letztern, alles was sie sehen, gelb scheinet; also bilden sich die erstern bey allen ihren Anmerckungen ein, bald das Wüten und Toben des obersten Archeus, bald das Brausen einer schäumenden Gährung, bald das Wimmeln der unruhigen Lebens-Würmergen und andere dergleichen Erscheinungen wahrzunehmen.  
Klugheit Endlich muß auch ein jedweder Practicus in Ausübung seiner Kunst alle möglichste Klugheit anwenden. Denn da die Patienten fast auf alle Worte und Minen ihres Medicus Achtung geben, und die Curen dem Urtheile so vieler übelgesinneter Personen unterworffen sind: so hat man sich um desto mehr zu bemühen, daß man sich bey dem Krancken ein zuversichtliches Vertrauen, als welches zur glücklichen Cur gar vieles beyträget, zuwege bringe, bey den Umstehenden aber in gutem Ansehen erhalte.  
  Besserer Ordnung wegen soll Anfangs hier gehandelt werden, wie sich ein Medicus überhaupt aufführen soll, und hernach wollen wir auch eine kurtze Anleitung geben, wie sich derselbe, sowol gegen den Patienten, als auch gegen die bey dem Krancken-Bette vorkommenden Personen, zu verhalten habe. Doch wird man vergebens eine Beschreibung derjenigen Mittel und Kunst-Griffe, welche auf eine unerlaubte oder bey den Verständigen lächerliche und verhaßte Weise, zu Erlangung einer weitläufftigen Praxis vorgeschlagen werden, erwarten, weil solche zur Charlatanerie und medicinischen Salbaderey gehören, die Ausübung derselben aber einem honetten Manne unanständig, und gar selten von langer Dauer zu seyn pfleget, dabey auch wenig Segen, wohl aber grosse Verantwortung und ein böses Gewissen zu erhalten. Dieses alles wird mit Stillschweigen übergangen.  
Verhaltensregeln Wir wenden uns demnach nach der gemachten Ordnung zu den Regeln, welche ein Practicus in seiner Aufführung überhaupt in acht zu nehmen hat. Es soll demnach ein rechtschaffener Medicus in allen seinen Curen zuförderst GOtt vor Augen, und dabey den redlichen Vorsatz haben, seinem Nächsten mit der erlernten Wissenschafft nach seinem besten Vermögen zu dienen, und daher, wenn er beruffen worden, sowol dem Armen, als Reichen, Hohen und Niedrigen, ohne Absehen einer grössern oder kleinern Vergeltung, unverdrossen, ohne Verzug, sorgfältig, gewissenhafft und aufrichtig beyräthig seyn. Doch muß er sich niemanden unberuffen aufdringen, sich weder durch eigene Ruhmredigkeit, Verachtung anderer Ärtzte, Bestechung gewisser Personen, Zusammenhaltung mit den Apotheckern, noch durch andere unrechtmäßige Wege in Kundschafft zu setzen suchen, sondern seinen Beruff und Gewissen vor allen diesen Vorwürfen unverletzt bewahren.  
  Seine Kleidung soll reinlich, und seinem Stande gemäß, der Wandel erbar, züchtig und exemplarisch, und die Lebens-Art mäßig und nüchtern seyn. Besonders hat er sich vor dem Laster des Volltrinckens zu hüten, damit er zu aller  
  {Sp. 1608}  
  Zeit, es sey Tag oder Nacht, den Patienten, so seiner Hülffe begehren, mit gutem Verstande, Rath und That ertheilen können; auch viele und unnöthige Gesellschafft zu vermeiden, und sich nicht ohne Noth in fremde Händel zu mischen, oder mit weitläufftigen Haushaltungs-Geschäfften zu beladen, als wodurch die Gedancken zerstreuet, das Nachsinnen geschwächt, und viele Versäumnisse in der ordentlichen Beruffs-Arbeit verursachet werden.  
  In seiner Aufführung soll er sich liebreich, mitleidig und dienstfertig, doch ohne Niederträchtigkeit, in seinen Gesprächen freundlich, leutselig und bescheiden erweisen, auch wol bisweilen einen unschuldigen Schertz mit einstreuen, niemals aber von Leuten übels reden, noch vielweniger was er gesehen, oder gehöret, aus einem Hause in das andere tragen, absonderlich aber solche Umstände der Kranckheit, welche die Patienten gerne verschwiegen gehalten haben wollen, nicht an andern Orten erzehlen, damit er sich nicht als ein unnützer Plauderer und Klätscher verhaßt mache, auf welche Weise sich gar viele Ärtzte um ihr gantzes Ansehen und Kundschafft gebracht haben.  
  Endlich muß auch ein Medicus, um den Verdacht eines unanständigen Geitzes zu vermeiden, seine Belohnung mit aller Bescheidenheit suchen, und sich dabey einer geziemenden Billigkeit befleißigen; bey Armen seine Dienste nicht nach der Grösse und Würde, sondern nach der Patienten wenigen Vermögen schätzen, von Wohlhabenden aber eine mehrere und würckliche Erkänntlichkeit erwarten. Doch wie keine Regel allgemein ist, also kan man auch diesen Satz nicht allemal ohne Bedingung annehmen. Denn da man bey vielen undanckbaren Patienten, welche ihren Artzt währender Hülffs-Leistung für einen Engel angesehen, bey gesuchter Belohnung gar sehr öffters gewahr wird, daß ihr Gesichte nicht wie gestern und ehegestern, gleichwol aber ein ieder Arbeiter seines Lohnes werth ist: so kan man es in diesem Falle keinem Medicus für übel halten, wenn er bey verspürter Unerkänntlichkeit seine Bezahlung nach der vorgeschriebenen Tax- Ordnung fordert.  
  Ins besondere aber hat ein Practicus so wohl dem Patienten selbst, als auch denjenigen Personen, welche bey dem Krancken-Bette entweder als Besuch, oder zur Handreichung angetroffen werden, mit aller Klugheit zu begegnen. Denn da die gute Meynung und das daher entstehende Vertrauen zu einem Medicus nicht nur den Glauben bestärcket, sondern auch in der That die Cur befördert, indem sodenn die verordneten Medicamente mit willigerm Hertzen und besserer Zuversicht gebraucht werden: so hat man sich um desto mehr zu befleißigen, daß man gleich Anfangs die Gunst und Gewogenheit des Patientens und der Umstehenden erlange.  
  Bey dem Patienten selbst macht man sich beliebt, wenn man gleich bey dem ersten Besuche denselben freundlich anredet, wegen der zugestossenen Unpäßlichkeit sein Mitleiden bezeuget, alle mögliche Sorgfalt bey vorzunehmender Cur anzuwenden verspricht, und wünschet, daß GOtt zu Verordnung der Artzneyen sein Gedeyen geben wolle. Nach diesem untersuchet man nach der oben gegebenen Anleitung sowol die gegenwärtigen Beschwerungen, als auch die vorhergegangenen Umstände des Patientens. Ist derselbe sehr  
  {Sp. 1609|S. 818}  
  schwach, oder verdrüßlich, muß man nur das nothwendigste fragen, damit man ihn nicht ungedultig mache, oder diejenigen, so um ihn seyn, ersuchen, daß sie erzehlen, was sie an ihm verspüret haben.  
  Wenn man bey jungen und unverheyratheten Frauenzimmer nach der Beschaffenheit der monatlichen Ordnung oder andern weiblichen Umständen zu fragen nöthig hat, ist es dem Wohlstande gemäß, daß man disfalls von deren Müttern, Anverwandten oder Wärterinnen Kundschafft einziehe, weil man widrigenfalls die Gesetze der Schamhafftigkeit zu beleidigen scheinet. Solte aber unterweilen die Verletzung an heimlichen Orten so beschaffen seyn, daß man die Cur ohne Beyhülffe der Augen oder Hände nicht verrichten könte: so hat ein Medicus und Chirurgus sich wohl in Acht zu nehmen, daß er den Leib nicht weiter entblösse, oder die schamhafften Theile nicht mehr und öffter betaste, als es die Noth erfordert, damit man nicht in den Verdacht einer Geilheit gerathe, welches besonders diejenigen, so den Weibern in schwerer Geburth hülffliche Hand leisten, wohl zu mercken haben.  
  Bey Erforschung der Kranckheit muß man ein aufmercksames und zugleich gelassenes Ansehen von sich spühren lassen, indem die Patienten auf alle Minen genau Achtung geben, und zugleich denselben durch gute Vertröstungen einen Muth machen; von dem Ausgange aber der Maladie allezeit mit der grösten Behutsamkeit urtheilen, und in Versprechung nicht allzukühne und verwegen seyn, damit man durch Großprahlerey vernünfftigen Leuten nicht zum Gelächter, und bey erfolgten schlechten Ablauffe der Cur dem gemeinen Manne nicht zum Spotte und Lästerung werde. Zum wenigsten kan man beyzeiten den Anverwandten und Freunden Nachricht geben, wenn man die Umstände der Kranckheit für bedencklich hält, weil sonst gar leichtlich die Verabsäumung in geistlichen und weltlichen Sachen bey Patienten dem Medicus zugeschrieben wird. Jedoch soll man auch im Gegentheile nicht gleich aus iedweder kleinen Unpäßlichkeit eine gefährliche Haupt-Kranckheit machen, weil man sich dadurch in den Verdacht setzt, daß man entweder die Kranckheit nicht verstehe, oder um schnöden Gewinsts willen die Gefahr zu vergrössern suche.  
  Von der eigentlichen Beschaffenheit und Ursache der Kranckheit ist nicht rathsam viel bey den Patienten-Betten zu reden; indem die wenigsten daselbst befindlichen Personen in diesem Stücke ein rechtes Einsehen, die meisten aber davon falsche Begriffe und vorgefaßte Meynungen haben. Denn wer nicht die Sprache der gemeinen Ärtzte redet, und saget, daß die Dünste in Kopff steigen, der Magen in Tod verdorben, und das kleine Geäder verstopfft sey, daß die Leber Wasser an sich ziehe, die Miltz sich aufblehe, die Mutter über sich steige, u.s.f. der findet bey dergleichen Versammlung schlechten Beyfall, und wenn er auch die trifftigsten mechanischen Ursachen anführte, weil solche gemeiniglich über den Horizont ihres Verstandes gehen.  
  In der übrigen Unterredung erfordert die Klugheit, daß man sich nach dem Begriff, Neigung und andern Umständen des Patientens und der gegenwärtigen Personen richte, niemals aber die Haupt-Ursache mit unnöthigen Unterredungen verabsäume.  
     

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Stand: 14. Februar 2013 © Hans-Walter Pries