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Hat nun auf diese Weise ein Studiosus
Medicinae die Gesundheit, nebst dem hierzu
gehörigen
Zustande des
menschlichen
Cörpers,
erkennen, und im Gegentheile die Kranckheiten,
nach allen ihren
Umständen und Kennzeichen,
wohl
unterscheiden lernen, so
muß er sich um
fernern
Unterricht bemühen, wie die Gesundheit zu erhalten, die
Kranckheit aber sicher zu heben stehe. Das erstere lehret so
genannte Doctrina
diaetetica; das andere aber Therapia, welchen
Theil man auch
Praxis medica und
Methodus
medendi nennet. |
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Diätetik |
Die Lehre, welche von den Mitteln, die
Gesundheit zu erhalten, und das Leben zu
verlängern, handelt, giebt Anleitung, was ein ieder
Mensch nach Unterscheid seines Temperaments,
Geschlechts,
Alters, der Beschaffenheit der
Gegend, da er sich aufhält, Jahrs-Zeiten, Leibes-
und
Gemüths-Beschaffenheit und anderer
Umstände, für eine
Lebens-Art erwehlen, und wie
er sich im Essen und Trincken, Schlafen und
Wachen, im Gebrauche der Gemüths- und Leibes-Bewegungen verhalten, seinen Leib vor den
Anfällen der Lufft und äusserlichen Verletzung
verwahren, und die nöthigen Abführungen
befördern solle, damit die zur Gesundheit des
menschlichen Cörpers dienenden Verrichtungen
in natürlicher Ordnung beständig erhalten, deren
Hindernisse beyzeiten aus dem Wege geräumet,
und also Leben und Gesundheit möglichster
massen gefristet werden möge. |
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Hierbey kan man nicht in Abrede seyn, daß
diese Lehre auch zu unseren Zeiten noch nicht
gründlich genug ausgeführet wor- |
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{Sp. 1604} |
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den, und die meisten Tractate, welche
hiervon handeln, ein sehr mageres
Ansehen
haben, indem dieselben entweder nur einige
allgemeine
Regeln in sich schliessen, oder des
Verfassers Geschmack verrathen, was er gerne
gegessen und getruncken, oder welche Lebens-Art demselben vor andern
bequem geschienen.
Es gehöret dannenhero diese Lehre unter
diejenigen
Wissenschafften, welche erst durch
langwierige Erfahrung und vernünfftige
Anmerckung zu erlangen stehet, schwerlich aber,
wegen der so offt veränderlichen Lebens-Art der
Menschen und andern sich ereignenden
Hindernisse in gewisse Grund-Sätze und eine
förmliche Lehr-Art zu bringen seyn möchte. |
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Heilung |
Damit man aber die vorfallenden
Kranckheiten nach des Hippocrates Vorschrifft,
auf eine baldige, sichere, und den Patienten so
viel als möglich, bequeme Weise curiren möge: so
hat man nöthig, nicht nur
geschickte und
zulängliche Hülffs-Mittel auszulesen, sondern
auch dieselben mit aller Sorgfalt und Vorsicht
anzuwenden. |
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Medikamente |
Die Medicamente werden gemeiniglich in
pharmacevtica, chirurgica und diaetetica
eingetheilet, wovon die erstern zwey besondere
Gattungen ausmachen. Eine enthält die Cruda
und Simplicia, die andere alle Praeparata und
Composita. Cruda und Simplicia sind diejenigen,
welche die Natur aus ihren drey
Schatz-Kammern,
nemlich aus dem Pflantzen- Thier-und Mineral-Reiche an die Hand giebet, und zusammen unter
dem Namen der Materia medica, ins besondere
aber in der Botanik, Zoologie und Mineralogie
abgehandelt werden; dahingegen Praeparata und
Composita heissen, welche die Kunst aus den
erstern durch verschiedene Zubereitung und
Vermischung verfertiget, die dazu gehörigen
Handgriffe aber in der Pharmacia und Chemia
medica gezeiget werden. |
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Chirurgische Hülffs-Mittel bestehen sonderlich
in geschickten Handgriffen, gehörigen Bandagen,
und andern hierzu erfundenen Instrumenten,
durch deren nach der Kunst angewendeten
Gebrauch den äusserlichen Gebrechen und
Verletzungen geziemend begegnet wird. Ob nun
gleich dieser Theil der Medicin, welchen man in
Chirurgie nennet, heut zu Tage den hierzu
bestellten Wund-Ärtzten überlassen worden: so
muß doch ein iedweder rechtschaffener Medicus
von allen dergleichen Verrichtungen eine
hinlängliche Wissenschafft haben, weil derselbe
bey solchen allemahl die Aufsicht von
Rechts
wegen führen soll. |
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Was endlich die diätischen Mittel anbelanget:
so haben solche mit schon oben angeführten zwar
einerley Ursprung, die Anordnung aber derselben
bey Krancken wird zum Unterscheide Regimen
aegrotorum genennet, und bestehet darinnen, daß
den Patienten bey dem Gebrauche der Artzneyen
eine geziemende Verhaltung vorgeschrieben wird.
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Therapie |
Wenn nun diese angeführte Hülffs-Mittel zu
rechter Zeit in gehöriger Dose, Proportion und
Ordnung nach Unterscheid des Alters,
Geschlechts, Temperaments, Leibes-Beschaffenheit, des Orts, Jahrs-Zeit und gantzen
Lebens-Art, vernünfftig und der Erfahrung gemäß,
unter Erbittung Göttlicher Hülffe wider die
Kranckheiten und deren verschiedene Umstände
angewendet werden: so nennet man solche
Anwendung Therapia, oder den rechten Methodus
medendi, welchen zwar ein iedweder Medicus in
seinen Curen auszuüben vermeynet, die
allerwenigsten aber zu dessen Besitzung
gelangen, in- |
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{Sp. 1605|S. 816} |
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dem derselbe den gemeinen Ärtzten die
gantze Zeit ihres Lebens ein unauflösliches
Geheimniß verbleibet. Denn ausser der
weitläufftigen Wissenschafft, welche sich ein
iedweder rechtschaffener Practicus unumgänglich
zuwege bringen muß, und von dessen Umfange
wir schon einen kurtzen Entwurff gemacht haben;
so gehöret auch zur glücklichen Ausführung der
Curen, gnugsame Erfahrung und besondere
Klugheit. |
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Wie aber die Natur ihre Gaben bey vielen,
welche sich ohne angestellte Prüfung ihrer
Fähigkeiten der Artzney-Kunst gewiedmet, sehr
sparsam ausgetheilet hat, einige in ihrer Jugend
verabsäumet worden, oder auch in reifferem Alter
schlechte Anführung gehabt, andere nicht
gnugsamen Fleiß zur Erlangung ihres
vorgesetzten Endzwecks angewendet, sonder die
Zeit auf niedrigen und hohen
Schulen bey
Müßiggang und wollüstigem Leben
vorbeystreichen lassen, oder auch durch
beygebrachte Vorurtheile auf Irrwege gerathen, u.
dergleichen: so wird ein jeder gar leichte die
Ursachen einsehen können, warum man unter
dem Hauffen der Ärtzte so viele einfältige,
ungelehrte, unwissende, ungeschickte und in der
wahren Kunst zu heilen so gar unerfahrene
Practicanten antreffe. Damit man nun nicht unter
der Zahl derjenigen stehe, welche den
äusserlichen Schein haben, nichts weniger aber,
als die innerlichen Eigenschafften eines wahren
Medicus besitzen: so ist allen der Artzney-Kunst
Beflissenen zu rathen, daß sie bey einem so
weitläufftigen
Studium alle Tage und Stunden
ihrer
academischen Jahre wohl eintheilen, und
sich durch unermüdeten Fleiß und emsiges
Bemühen eine gründliche Wissenschafft zuwege
bringen. |
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Hat man diesen Endzweck erreichet: so ist
nichts mehr übrig, als daß man sich durch die
Erfahrung zu Ausübung seiner Kunst mehr und
mehr geschickt mache, und in der angehenden
Praxis alle nöthige Vorsicht und Klugheit
anwende. Von beyden Stücken soll nunmehro
etwas weniges gehandelt werden. |
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Erfahrung |
Erfahrung erlanget man sowol durch anderer
Leute, als auch durch eigene nach und nach
gemachte Anmerckungen. Die erstere wird
erhalten, wenn man nicht allein berühmter und
aufrichtiger Ärtzte aufgezeichnete und der
Nachwelt hinterlassene Beobachtungen fleißig
und mit rechter Aufmercksamkeit lieset, sondern
auch Gelegenheit zu erlangen trachtet, unter der
Anführung eines verständigen Practicus, die
Patienten auf ihrem Krancken-Bette zu besuchen.
Unter den Beobachtungen hat man vornehmlich
diejenigen zu erwehlen, welche den Verlauff der
öffters sich ereignenden Kranckheiten ordentlich
vom Anfang bis zum Ende beschreiben, die
Zufälle sorgfältig anmercken, die gebrauchten
Artzneyen und deren Würckungen aufrichtig
erzehlen; diejenigen aber zu verwerffen, welche
lauter seltene und unerhörte Zufälle aufführen,
und aus ihren Curen Wunder, und aus den
gebrauchten Hülffs-Mitteln Geheimnisse
machen. |
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Denn da die erstern eine deutliche Vorschrifft
und Muster zur Nachahmung abgeben: so
scheinen die letztern den abentheuerlichen
Thaten ähnlich zu seyn, deren Ausführung nur
den Amadies-Rittern möglich stehet. Die
Gelegenheit aber, die Kranckheiten nicht durch
blosse Erzehlung, sondern deren Beschaffenheit
auch würcklich und bey den Patienten kennen zu
lernen, findet man theils durch Vorschub eines
Privat-Practi- |
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{Sp. 1606} |
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cus, theils aber auch in Hospitälern,
Lazarethen und öffentlichen Krancken-Häusern. |
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Lassen es die Umstände zu, durch Eröffnung
der Verstorbenen die schadhafften Theile und
deren mancherley Verletzungen zu entdecken: so
wird dadurch die Beschaffenheit der Kranckheit,
und deren Ursachen viel begreifflicher, und
sodenn die Erfahrung mehr und mehr
befestiget. |
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Nach eben diesem Fusse richtet auch
nachgehends ein verständiger Medicus seine
eigenen Anmerckungen ein. Es muß nemlich
derselbe vor allen Dingen bey seinem Besuche
auf den Unterscheid des
Alters,
Geschlechts und
Temperaments Acht haben, und nachgehends
durch ordentliche und bescheidene Fragen den
Patienten Gelegenheit geben, ihre
Beschwerungen zu entdecken, wenn und wie
dieselben angefangen, und ob sie sich etwan
einiger begangenen Fehler in der Diät, jählingen
Gemüths-Bewegung, allzu starcker
Bewegung
oder äusserlicher Verletzung des
Cörpers zu
erinnern wissen, welche als Ursachen der
entstandenen Kranckheiten zu vermuthen
wären. |
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Man betrachtet dabey das äusserliche
Ansehen der Krancken,
erforschet durch
Anfühlung des Pulses den geschwinden oder
langsamen Umlauff des Geblüts und die daher
entstehende mehrere oder wenigere Hitze,
untersuchet durch Betrachtung des Urins, wie weit
die Zeitigung und Absonderung derjenigen
Materie, welche die Beschwerung verursachet,
gekommen sey, und erkennet aus den
unterschiedenen gehemmten oder
schmertzhafften Bewegungen und daher mehr
oder weniger verhinderten Verrichtungen den
eigentlichen Sitz und Ursprung der
Kranckheiten. |
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Diese Untersuchung wird in ein noch grösseres Licht gesetzet, wenn man sich
auch so viel, als es Zeit und Gelegenheit leiden, nach den vergangenen Umständen
des Patientens fleißig erkundiget, was derselbe bisher für eine
Lebens-Art gehabt, ob er von einer gesunden oder
kräncklichen Leibes-Beschaffenheit gewesen, zu
was für Zufällen er besonders geneigt sey, ob er
sich bisher zum Aderlassen, Schröpffen, oder
öfftern Gebrauche der Artzneyen gewöhnet, ob er
bey gegenwärtiger Kranckheit schon einen
Medicus, oder nur einige Haus-Mittel gebraucht,
und was dergleichen mehr ist. Hieraus wird man
gar leichte schlüssen können, warum sich ein
Krancker demjenigen Medicus am sichersten in
Curirung seiner Beschwerungen anzuvertrauen
habe, welcher durch lange Bekanntschafft von
allen angeführten Stücken hinlängliche Nachricht
bekommen, oder, wie man insgemein zu
reden
pflegt, die Natur des Patienten inne habe. |
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Wenn man nun alle diese
erforschte
Umstände wohl überleget: so wird man nicht nur
aus Gegeneinanderhaltung der annoch übrigen
Kräffte der Natur und unterschiedenen Grösse der
Kranckheit den glücklichen oder unglücklichen
Ausgang derselben vernünfftig beurtheilen,
sondern auch die hierzu erforderten Hülffs-Mittel
geschickt anwenden und verordnen lernen. |
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Bey dem Gebrauche der Medicamenten ist
sodenn nöthig, daß man deren Würckungen in
Acht nehme, alle darauf folgende
Veränderungen
und Zufälle genau und sorgfältig anmercke, und
mithin den gantzen Verlauff der Kranckheit dem
Gedächtnisse ordentlich eindrücke. |
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Alle diese Anmerckungen aber müssen von
den Sachen schlecht, und wie sie in die
Sinne
fallen, ohne vorgefasste
Meynungen, und |
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{Sp. 1607|S. 817} |
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daher entstehende Vorurtheile, gemacht
werden, widrigenfalls, und woferne eine solche
Vorsicht nicht dabey beobachtet wird, dürfften
dergleichen Anmerckungen leicht nach der
eingebildeten Meynung ihrer Verfertiger
schmäcken, weil es solchen Ärtzten beynahe
eben so gehet, als wie denjenigen, so die
Gelbsucht haben. Denn wie denen letztern, alles
was sie sehen, gelb scheinet; also bilden sich die
erstern bey allen ihren Anmerckungen ein, bald
das Wüten und Toben des obersten Archeus, bald
das Brausen einer schäumenden Gährung, bald
das Wimmeln der unruhigen Lebens-Würmergen
und andere dergleichen Erscheinungen
wahrzunehmen. |
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Klugheit |
Endlich muß auch ein jedweder Practicus in
Ausübung seiner
Kunst alle möglichste
Klugheit
anwenden. Denn da die Patienten fast auf alle
Worte und Minen ihres Medicus Achtung geben,
und die Curen dem
Urtheile so vieler
übelgesinneter Personen unterworffen sind: so hat
man sich um desto mehr zu bemühen, daß man
sich bey dem Krancken ein zuversichtliches
Vertrauen, als welches zur glücklichen Cur gar
vieles beyträget, zuwege bringe, bey den
Umstehenden aber in gutem
Ansehen
erhalte. |
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Besserer
Ordnung wegen soll Anfangs hier
gehandelt werden, wie sich ein Medicus
überhaupt aufführen soll, und hernach wollen wir
auch eine kurtze Anleitung geben, wie sich
derselbe, sowol gegen den Patienten, als auch
gegen die bey dem Krancken-Bette
vorkommenden Personen, zu verhalten habe.
Doch wird man vergebens eine Beschreibung
derjenigen Mittel und Kunst-Griffe, welche auf eine
unerlaubte oder bey den Verständigen lächerliche
und verhaßte Weise, zu Erlangung einer
weitläufftigen Praxis vorgeschlagen werden,
erwarten, weil solche zur Charlatanerie und
medicinischen Salbaderey gehören, die Ausübung
derselben aber einem honetten Manne
unanständig, und gar selten von langer Dauer zu
seyn pfleget, dabey auch wenig Segen, wohl aber
grosse Verantwortung und ein böses Gewissen zu
erhalten. Dieses alles wird mit Stillschweigen
übergangen. |
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Verhaltensregeln |
Wir wenden uns demnach nach der
gemachten Ordnung zu den
Regeln, welche ein
Practicus in seiner Aufführung überhaupt in acht
zu nehmen hat. Es soll demnach ein
rechtschaffener Medicus in allen seinen Curen
zuförderst
GOtt vor Augen, und dabey den
redlichen Vorsatz haben, seinem Nächsten mit der
erlernten
Wissenschafft nach seinem besten
Vermögen zu dienen, und daher, wenn er beruffen
worden, sowol dem
Armen, als
Reichen, Hohen
und Niedrigen, ohne Absehen einer grössern oder
kleinern Vergeltung,
unverdrossen, ohne Verzug,
sorgfältig, gewissenhafft und aufrichtig beyräthig
seyn. Doch muß er sich niemanden unberuffen
aufdringen, sich weder durch eigene
Ruhmredigkeit, Verachtung anderer Ärtzte,
Bestechung gewisser Personen,
Zusammenhaltung mit den Apotheckern, noch
durch andere unrechtmäßige Wege in
Kundschafft zu setzen suchen, sondern seinen
Beruff und Gewissen vor allen diesen Vorwürfen
unverletzt bewahren. |
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Seine Kleidung soll reinlich, und seinem
Stande gemäß, der Wandel erbar,
züchtig und
exemplarisch, und die
Lebens-Art mäßig und
nüchtern seyn. Besonders hat er sich vor dem
Laster des Volltrinckens zu hüten, damit er zu
aller |
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{Sp. 1608} |
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Zeit, es sey Tag oder Nacht, den Patienten,
so seiner Hülffe begehren, mit gutem
Verstande, Rath
und
That ertheilen können; auch viele und
unnöthige
Gesellschafft zu vermeiden, und sich
nicht ohne Noth in fremde Händel zu mischen,
oder mit weitläufftigen Haushaltungs-Geschäfften
zu beladen, als wodurch die
Gedancken
zerstreuet, das Nachsinnen geschwächt, und viele
Versäumnisse in der ordentlichen Beruffs-Arbeit
verursachet werden. |
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In seiner Aufführung soll er sich liebreich,
mitleidig und dienstfertig, doch ohne
Niederträchtigkeit, in seinen Gesprächen
freundlich, leutselig und bescheiden erweisen,
auch wol bisweilen einen unschuldigen Schertz
mit einstreuen, niemals aber von Leuten übels
reden, noch vielweniger was er gesehen, oder
gehöret, aus einem Hause in das andere tragen,
absonderlich aber solche Umstände der
Kranckheit, welche die Patienten gerne
verschwiegen gehalten haben wollen, nicht an
andern
Orten erzehlen, damit er sich nicht als ein
unnützer Plauderer und Klätscher verhaßt mache,
auf welche Weise sich gar viele Ärtzte um ihr
gantzes Ansehen und Kundschafft gebracht
haben. |
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Endlich muß auch ein Medicus, um den
Verdacht eines unanständigen Geitzes zu
vermeiden, seine Belohnung mit aller
Bescheidenheit suchen, und sich dabey einer
geziemenden
Billigkeit befleißigen; bey Armen
seine Dienste nicht nach der Grösse und
Würde,
sondern nach der Patienten wenigen
Vermögen
schätzen, von Wohlhabenden aber eine mehrere
und würckliche Erkänntlichkeit erwarten. Doch wie
keine Regel allgemein ist, also kan man auch
diesen Satz nicht allemal ohne Bedingung
annehmen. Denn da man bey vielen
undanckbaren Patienten, welche ihren Artzt
währender Hülffs-Leistung für einen Engel
angesehen, bey gesuchter Belohnung gar sehr
öffters gewahr wird, daß ihr Gesichte nicht wie
gestern und ehegestern, gleichwol aber ein ieder
Arbeiter seines Lohnes werth ist: so kan man es in
diesem Falle keinem Medicus für übel halten,
wenn er bey verspürter Unerkänntlichkeit seine
Bezahlung nach der vorgeschriebenen Tax-
Ordnung fordert. |
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Ins besondere aber hat ein Practicus so wohl
dem Patienten selbst, als auch denjenigen
Personen, welche bey dem Krancken-Bette
entweder als Besuch, oder zur Handreichung
angetroffen werden, mit aller Klugheit zu
begegnen. Denn da die gute Meynung und das
daher entstehende Vertrauen zu einem Medicus
nicht nur den Glauben bestärcket, sondern auch in
der That die Cur befördert, indem sodenn die
verordneten Medicamente mit willigerm Hertzen
und besserer Zuversicht gebraucht werden: so hat
man sich um desto mehr zu befleißigen, daß man
gleich Anfangs die Gunst und Gewogenheit des
Patientens und der Umstehenden erlange. |
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Bey dem Patienten selbst macht man sich
beliebt, wenn man gleich bey dem ersten Besuche
denselben freundlich anredet, wegen der
zugestossenen Unpäßlichkeit sein Mitleiden
bezeuget, alle mögliche Sorgfalt bey
vorzunehmender Cur anzuwenden verspricht, und
wünschet, daß GOtt zu Verordnung der Artzneyen
sein Gedeyen geben wolle. Nach diesem
untersuchet man nach der oben gegebenen
Anleitung sowol die gegenwärtigen
Beschwerungen, als auch die vorhergegangenen
Umstände des Patientens. Ist derselbe sehr |
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{Sp. 1609|S. 818} |
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schwach, oder verdrüßlich, muß man nur das
nothwendigste fragen, damit man ihn nicht
ungedultig mache, oder diejenigen, so um ihn
seyn, ersuchen, daß sie erzehlen, was sie an ihm
verspüret haben. |
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Wenn man bey jungen und
unverheyratheten
Frauenzimmer nach der Beschaffenheit der
monatlichen Ordnung oder andern
weiblichen
Umständen zu fragen nöthig hat, ist es dem
Wohlstande gemäß, daß man disfalls von deren
Müttern, Anverwandten oder Wärterinnen
Kundschafft einziehe, weil man widrigenfalls die
Gesetze der
Schamhafftigkeit zu
beleidigen
scheinet. Solte aber unterweilen die Verletzung an
heimlichen Orten so beschaffen seyn, daß man
die Cur ohne Beyhülffe der Augen oder Hände
nicht verrichten könte: so hat ein Medicus und
Chirurgus sich wohl in Acht zu nehmen, daß er
den
Leib nicht weiter entblösse, oder die
schamhafften Theile nicht mehr und öffter betaste,
als es die Noth erfordert, damit man nicht in den
Verdacht einer Geilheit gerathe, welches
besonders diejenigen, so den
Weibern in
schwerer Geburth hülffliche Hand leisten, wohl zu
mercken haben. |
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Bey Erforschung der Kranckheit muß man ein
aufmercksames und zugleich gelassenes
Ansehen von sich spühren lassen, indem die
Patienten auf alle Minen genau Achtung geben,
und zugleich denselben durch gute Vertröstungen
einen Muth machen; von dem Ausgange aber der
Maladie allezeit mit der grösten Behutsamkeit
urtheilen, und in Versprechung nicht allzukühne
und verwegen seyn, damit man durch
Großprahlerey vernünfftigen Leuten nicht zum
Gelächter, und bey erfolgten schlechten Ablauffe
der Cur dem gemeinen Manne nicht zum Spotte
und Lästerung werde. Zum wenigsten kan man
beyzeiten den Anverwandten und Freunden
Nachricht geben, wenn man die Umstände der
Kranckheit für bedencklich hält, weil sonst gar
leichtlich die Verabsäumung in
geistlichen und
weltlichen Sachen bey Patienten dem Medicus
zugeschrieben wird. Jedoch soll man auch im
Gegentheile nicht gleich aus iedweder kleinen
Unpäßlichkeit eine gefährliche Haupt-Kranckheit
machen, weil man sich dadurch in den Verdacht
setzt, daß man entweder die Kranckheit nicht
verstehe, oder um schnöden
Gewinsts willen die
Gefahr zu vergrössern suche. |
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Von der eigentlichen Beschaffenheit und
Ursache der Kranckheit ist nicht rathsam viel bey
den Patienten-Betten zu reden; indem die
wenigsten daselbst befindlichen Personen in
diesem Stücke ein rechtes Einsehen, die meisten
aber davon falsche
Begriffe und vorgefaßte
Meynungen haben. Denn wer nicht die
Sprache
der gemeinen Ärtzte redet, und saget, daß die
Dünste in
Kopff steigen, der Magen in
Tod
verdorben, und das kleine Geäder verstopfft sey,
daß die Leber Wasser an sich ziehe, die Miltz sich
aufblehe, die Mutter über sich steige, u.s.f. der
findet bey dergleichen Versammlung schlechten
Beyfall, und wenn er auch die trifftigsten
mechanischen Ursachen anführte, weil solche
gemeiniglich über den Horizont ihres Verstandes
gehen. |
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In der übrigen Unterredung erfordert die
Klugheit, daß man sich nach dem Begriff, Neigung
und andern Umständen des Patientens und der
gegenwärtigen Personen richte, niemals aber die
Haupt-Ursache mit unnöthigen Unterredungen
verabsäume. |
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