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Zedler: Pflichten der Ärtzte [1] HIS-Data
5028-27-1598-7-01
Titel: Pflichten der Ärtzte [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 27 Sp. 1598
Jahr: 1741
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 27 S. 812
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Geschichte
Kliniker
  Lehre
 
  Anatomie und Physiologie
  Pathologie

Stichworte Text  
  Pflichten der Ärtzte.  
  Ein jedweder rechtschaffene Artzt hat in Ausübung seiner Kunst zweyerley Pflichten zu beobachten.  
  Die eine bestehet darinnen, daß er die ihm anvertrauten Patienten fleißig besuche, derselben Kranckheiten und Zufälle genau erforsche, und vernünfftig beurtheile, darwider kräfftige und gehörige Hülfsmittel verordne, und bey dem Gebrauche derselben eine sorgfältige Verhaltung vorschreibe.  
  Die andere, daß er auf Erforderung der Gerichten und Obrigkeiten von gewissen Umständen lebender, gesunder, krancker, gebrechlicher, verwundeter und sterbender Personenn, auch todter Cörper und vielerley anderer natürlicher Dinge, nach seinem besten Wissen und  
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  Gewissen unterschiedene Zeugnisse, Wundzeddel und Berichte abstatte.  
  Die erste Pflicht nennen die Gelehrten Officium medico-clinicum, die andere Officium medico-forense, von welchen beyden zugleich der berühmte D. Bohn, ehemals öffentlicher Lehrer der Artzney-Kunst in Leipzig in einem gelehrten Tractate de officio medici duplici, clinici et forensis, welcher zu Leipzig im Jahr 1704 in 4to heraus gekommen, sehr nett und gründlich gehandelt hat.  
Geschichte In welchen Zeiten zu allererst der Gebrauch aufgekommen, daß eigentliche Ärtzte ihre bettlägerigen Patienten auf ihren Kranckenzimmern besuchet, und denselben mit Verordnung der gehörigen Hülfsmittel beyräthig gewesen, kan man aus Mangel hinlänglicher Urkunden nicht so gar genau erweisen. Zu vermuthen stehet, daß anfangs ein jeglicher Mensch sein eigener Artzt gewesen, nachgehends aber Väter und Mütter ihren Kindern und Hausgesinde, oder auch ältere Personen diejenigen Mittel, welche sie in ihrer eigenen Unpäßlichkeit für gut befunden, den jungen Leuten in vorfallenden gleichmäßigen Beschwerungen angerathen haben.  
  Bey nach und nach erfolgter Vermehrung der Menschen hat man angefangen, die Krancken auf die Strassen, Scheidewege, Märckte und andere öffentliche Örter auszusetzen, um von den Vorbeygehenden einigen Rath einzuholen, dergleichen bey unterschiedlichen Völckern damahls eingeführte Gewohnheit, Strabo, Herodotus, und andere Geschichtschreiber in ihren Schriften angemercket haben.  
  Nachdem nun die, auf solche, oder andere Weise zu Ihrer Gesundheit gelangte Personen, zur Danckbarkeit gegen die Götter, nebst beygefügten Geschencken, ihre gehabte Kranckheit und gebrauchten Hülfsmittel, auf gewisse Täfelgen aufzeichneten, und in die, der Gesundheit gewiedmeten Tempel zum Gedächtniß aufhängen, oder auch eben dieses an die Wände und Pfeiler dieser Götzenhäuser anschreiben liessen, welches obangeführter Strabo, und zugleich Pausanias bezeugen: so ist es nachmahls geschehen, daß die Artzneywissenschafft den daselbst verordneten Priestern bekannt, und von denselben auch ausgeübet worden, dergleichen besonders von den Egyptischen Magis in den Geschicht-Büchern erzählet wird.  
  Es haben aber besagte Priester, ihren Curen ein mehreres Ansehen, und den Patienten ein grösseres Vertrauen zu machen, die angerathenen Hülfsmittel gar öfters für göttliche Aussprüche ausgegeben, wie solchen Betrug Aristophanes in seinem Schauspiele Plutus lächerlich genug und weitläufftig erzählet; nemlich, die in den Tempel gebrachten Krancken pflegten nach verrichtetem Opffer daselbst die Nacht über zu schlafen, da denn der oberste Priester, in der Person des Aesculapius verkleidet, einem jeden ein besonderes Genesmittel eröffnete, welches die Patienten, ob sie schon wachten, dennoch für eine göttliche Offenbarung, so ihnen im Traum wiederfahren, halten und ausgeben mußten.  
  Von diesen Magis oder Götzenpriestern entstunden nachgehends unterschiedene Zünfte der Ärtzte, welche von öffentlichen Einkünfften unterhalten wurden. In Egypten musten dieselben bey Lei-  
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  besstraffe ihre Curen nach gewissen Vorschrifften anstellen, und wurden nach verschiedenen Arten der Kranckheiten, deren Heilung sie sich beflissen, auch in besondere Classen eingetheilet. In Griechenland führten dieselben ihr Geschlecht und Herkunft von dem Aesculap her, wie denn noch zu Zeiten des Hippocrates die Asclepiadischen Schulen in den Inseln Rhodus, Cos, und der Halb-Insul Cnidus bekannt waren.  
  Es hielten aber diese Schulen anfangs die Gewohnheit, daß bloß die Väter ihren Kindern und diese ihren Nachkommen die Artzney-Kunst mündlich, und von Jugend auf lehrten, daher dieselbe bloß auf ihre Familie fortgepflantzet wurde, bis man endlich auch Fremde, welche sich auf diese Wissenschafft legen wolten, unter gewissen Bedingungen und Eidesleistung darinnen unterwiese. Selbst Hippocrates, welcher sein Geschlechts-Register ebenfalls von dem Aesculap herleitet, ist aus der Insel Cos entsprossen und in der medicinischen Schule daselbst auferzogen worden.  
  Aller dieser Ärtzte Wissenschafft gründete sich anfänglich eintzig und allein auf die Erfahrung, indem man nur die bey den Krancken sich ereignenden Zufälle und Veränderungen sorgfältig anmerckte, und die Würckungen der gebrauchten Hülffs-Mittel fleißig aufzeichnete. Nachdem aber die damaligen Welt-Weisen, bey allgemeiner Untersuchung der natürlichen Dinge, sich auch der Artzney-Kunst zu befleißigen anfiengen: so geschahe es, daß man nicht mehr mit den blossen Anmerckungen zufrieden war, sondern zugleich nach den Ursachen, wovon die Kranckheiten im menschlichen Cörper entstünden, forschete, und die Art und Weise, wie die angewendeten Medicamente würckten, zu entdecken suchte.  
  Bey dieser Gelegenheit trennten sich die Ärtzte in zwey besondere Gattungen, wovon die erstern, welche sich bloß auf die Erfahrung stützten, Empirici, die andern aber, weil sie bey allen Curen auf zureichende Gründe drungen, Rationales, genennet wurden. Hippocrates suchte beyde streitende Partheyen zu vereinigen, indem er bey Ausübung der Artzney-Kunst, Erfahrung mit Vernunfft klüglich verknüpfte, und den auschweifenden Nachforschungen gehörige Schrancken setzte, weswegen seine Nachfolger den Namens, Dogmatici, erhielten.  
  Ob aber erst zu den Zeiten Hippocrates die Gewohnheit aufgekommen, die Patienten ordentlich zu besuchen, oder ob Aesulap der erste Medicus clinicus gewesen, kan man so eigentlich nicht entscheiden. Von dem Chiron, welcher damals als ein allgemeiner Lehrmeister Griechenlands, nicht nur den Aesculap, sondern auch viele andere junge Herren, so wohl in der Artzney-Wissenschafft, als andern anständigen Künsten unterwiese, ist bekannt, daß er nur von Hause aus den Krancken in Ihren Beschwerungen beyräthig gewesen, und daher fast zu vermuthen, daß solche Gewohnheit auch von seinen Lehrlingen werde seyn beobachtet worden. Doch kan man auch nicht läugnen, daß die bey-  
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  der Söhne des Aeskulap, nemlich Podalirius und Machaon in der Belagerung der Stadt Troja die Verwundeten besucht, und den Krancken mit Rath und That beygestanden,, wovon Homer in seinem Gedichte Ilias genungsame Nachricht giebt. Zum wenigsten ist es eine ausgemachte Sache, daß Hippocrates nicht nur in seinem Vaterlande Cos, sondern auch in vielen Orten Griechenlandes, wohin er theils beruffen, theils freywillig verreiset, diejenigen, so seiner Hülffe begehret, auf ihrem Krancken-Bette persönlich besuchet, welches seine gemachten und der Nachwelt hinterlassene Anmerckungen sattsam bezeugen.  
  Ubrigens sind dergleichen rechtmäßige und ansehnliche Ärtzte wohl zu unterscheiden von denjenigen leibeigenen Knechten, welche im ersten Jahrhundert nach CHristus Geburt von den Römern, bey Patienten, als Krancken-Wärter, Aufseher, Cammer-Diener und Wund-Ärtzte gebraucht worden. Denn obgleich solche, nach Inhalt einiger Grabschrifften, welche Rhodius und Mercurial anführen, auch Medici clinici gemeldet werden: so scheinet doch, daß man diesen Zunamen allhier gemißbrauchet habe, in dem dieselben in andern Schrifften wegen ihrer mancherleyen Dienstleistung, Medici Coqui, Cubicularii ad lectum, ad matulam, und so ferner, heissen.  
Kliniker Worinnen aber besonders deren Verrichtungen bestanden, wollen wir vor jetzo nicht weitläufftig untersuchen, sondern vielmehr kürtzlich die Eigenschafften derjenigen Ärtzte, welche mit Rechte und dem eigentlichen Verstande Clinici benamet werden, beschreiben.  
  Derjenige nun, welcher sich vorgesetzet, ein rechtschaffener Medicus clinicus zu werden, muß Anfangs in seiner Kunst sich eine genungsame Wissenschafft zuwege bringen, nachgehends gehörige Erfahrung zu erlangen trachten, und endlich bey den vorfallenden Curen alle mögliche Klugheit und Vorsicht anwenden. Die beyden ersten Stücke sind wesentliche Eigenschafften, welche von einem jedweden Practicus erfordert werden; das letztere aber ist zu einer glücklichen Ausübung der Curen unentbehrlich. Wo nun diese drey Eigenschafften beysammen angetroffen, und zugleich die Pflichten gegen GOtt und den Nächsten, welche allen Christen gemein sind, mit aufrichtigen Hertzen ausgeübet werden, da kan man sich gewiß den göttlichen Segen und einen glücklichen Fortgang seiner Praxis versprechen.  
Lehre Zur Erlangung benöthigter Wissenschafft erfordert Hippocrates von seinen Schülern eine Unterweisung von Kindheit an. Weil aber die Asklepiadischen Schulen, in welchen diese Gewohnheit gehalten wurde, schon vorlängst eingegangen, und der Zeiten Lauff in dem jetzigen gemeinen Leben eine grosse Veränderung verursachet hat: so pfleget man zwar heut zu Tage selten die Kinder in Sachen, welche die Artzney-Kunst betreffen, zu unterrichten, wol aber dieselben in Sprachen und sogenannten Studiis humanioribus zu unterweisen, als welche den Grund abgeben, worauf ein iedweder nachgehends mit gutem Erfolge, das Gebäude derjenigen Gelehrsamkeit, welche er sich bey reiflicher Uberlegung zu seinem eigentlichen Endzweck erwehlet, auf hohen Schulen vollführen kan.  
  Doch ist bey allen diesen auch nicht zu läugnen, daß derjenige vor vielen andern glücklich ist, welcher von Jugend auf Gelegenheit  
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  findet, sich unter der Anführung eines geschickten Medicus in den Grund-Sätzen der Artzney-Kunst zu üben. In Ermangelung dessen sollen angehende Studiosi Medicinae zum wenigsten nebst der Lateinischen, als der allgemeinen Sprache der Gelehrten, auch die Griechische wohl erlernet haben, weil in solcher der ersten und ältesten Ärtzte Schrifften verfasset sind. Leiden es die Umstände, sich auch zugleich in der Frantzösischen, Italiänischen und Englischen Sprache unterrichten zu lassen; so wird die Känntniß derselben nicht nur zu einer grossen Zierde gereichen, sondern auch ein besonderes Mittel abgeben, zu einer weit gründlichern Wissenschafft in der Medicin zu gelangen, indem viel Ausländer ihre neuen Entdeckungen und darüber gemachten Anmerckungen in ihrer Mutter-Sprache beschrieben haben.  
  Auf hohen Schulen muß sodenn ein ächter Schüler des Aeskulap für allen andern Dingen der Welt-Weisheit fleißig obliegen, weil dadurch der Verstand geschärfft, und zu richtigen Schlüssen angewöhnet wird, besonders aber auf die Erforschung der Natur-Lehre mit aller Sorgfalt sich legen, indem aus solcher die meisten Grund- Sätze der Artzney-Kunst erläutert werden, und nach dem gemeinem Sprüchworte der Medicus daselbst anfängt, wo der Physicus aufhöret. Denn da die Natur-Lehre überhaupt die Natur der Cörper untersuchet, die Medicin aber ins besondere den menschlichen Cörper nach seinem natürlichen und widernatürlichen Zustande betrachtet: so wird ein iedweder gar leichtlich erkennen, daß die erstere der andern in allen Untersuchungen die Hand biete.  
Anatomie und Physiologie Den natürlichen Zustand des menschlichen Leibes, welchen man Gesundheit nennet, desto besser zu verstehen, giebet die Anatomie und Physiologie gründliche Anleitung. Jene zeiget, durch Eröffnung und Zergliederung der Cörper, die Beschaffenheit, Verbindung, Zusammenhang und gantzen Bau der Theile in ihrer natürlichen Ordnung. Diese lehret was aus solcher Zusammenfügung für Würckungen und Bewegungen entstehen, und zu welchen Endzwecken ein ieder Theil von der Natur bestimmet sey. Alle diese Bewegungen aber, und deren Ursachen erkennet man noch deutlicher aus der Mechanick, indem dieselbe die mehrere oder wenigere Beweglichkeit der Cörper nach Verhaltung der unterschiedlichen Grösse, Figur, Härte, Elasticität, Flüßigkeit, und sofort, bey Veränderung des Orts, Lagers, Zusammenstossung und Forttriebes, anzeiget, und die dahero entstehenden unterschiedenen Bewegungen oder deren Verzögerung genau berechnet.  
  Was aber aus diesem Grund-Sätzen nicht sattsam erkläret werden kan, erläutert offtermals die Chemie, als welche lehret, wie man vermittelst des Feuers, und anderer hierzu geschickter Instrumente, die zusammengesetzten Cörper künstlich zerlegen, und durch Zusammenfügung verschiedener Sachen, neue, besondere und öffters gantz unvermuthete Dinge hervorbringen, flüßige in feste, trockene in nasse Cörper, und umgekehrt, verwandeln, und viele sonderbare Würckungen dadurch ausrichten, auch derselben Ursachen zugleich entdecken könne, welches alles zu Erklärungen derjenigen Bewegungen, von welchen Leben und Gesundheit im menschlichen Leibe herkömmt, sehr vieles beyträgt.  
  Wie nun derjenige, welcher in der Feld-  
  {Sp. 1603|S. 815}  
  Meß-Kunst einen rechten Begriff von einer gleichen Linie hat, gar leichte die krummen zu beurtheilen fähig ist, also wird es auch einem der Artzney-Kunst befliessenem nicht schwer fallen, den widernatürlichen Zustand des menschlichen Cörpers, oder die Kranckheiten zu erkennen, wenn er sich vorher auf ietztbeschriebene Weise von der natürlichen Beschaffenheit des Menschens eine hinlängliche Wissenschafft zuwege gebracht hat, weil diese den Grund zu allen folgenden medicinischen Lehr-Sätzen abgiebet.  
Pathologie Die Lehre aber, welche eigentlich von dem widernatürlichen Zustande des Menschen handelt, wird Pathologie genennet, und erkläret sowol überhaupt, als ins besondere, einer iedweden Kranckheit Natur und Beschaffenheit, Ursprung und Ursachen, mancherley Zufälle und daher im menschlichen Cörper entstehende Veränderungen, welche letztere gewisse Würckungen verursachen, so den Ärtzten zu Kennzeichen dienen, die Kranckheit nicht nur wohl zu erkennen und zu unterscheiden, sondern auch derselben Ausgang vernünfftig zu beurtheilen.  
  Diese jetzt beschriebene Lehre, welche Semiotic heisset, ist den Ärtzten um desto nöthiger, ie gefährlicher diejenigen Irrthümern sind, welche aus Unwissenheit dieser Lehre herkommen. Denn, wer sich in der Erkänntniß der Kranckheit irret, der fehlet gantz gewiß auch in derselben Cur, und das Urtheil von dem glücklichen oder unglücklichen Ausgange der Kranckheit wird schwerlich iemals zutreffen, wenn man von Beschaffenheit der Verletzungen einen falschen Begriff hat. Weil nun hierauf sowol das Vertrauen der Patienten, als auch die gantze Ehre eines Artztes ankommt: so ist einem ieden der Artzney-Beflissenen zu rathen, daß er sich mit möglichstem Fleisse bemühe, eine gründliche Wissenschafft in diesem Stücke zu erlangen.  
     

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Stand: 12. Juli 2013 © Hans-Walter Pries