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Pflichten der Ärtzte. |
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Ein jedweder rechtschaffene
Artzt hat in
Ausübung seiner
Kunst zweyerley
Pflichten
zu beobachten. |
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Die eine bestehet darinnen, daß er die ihm anvertrauten Patienten
fleißig besuche,
derselben Kranckheiten und Zufälle genau
erforsche, und
vernünfftig beurtheile, darwider
kräfftige und gehörige Hülfsmittel
verordne, und
bey dem
Gebrauche
derselben eine sorgfältige Verhaltung vorschreibe. |
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Die andere, daß er auf Erforderung der
Gerichten und
Obrigkeiten von
gewissen
Umständen lebender, gesunder, krancker, gebrechlicher, verwundeter und
sterbender
Personenn, auch todter
Cörper und
vielerley anderer
natürlicher Dinge, nach seinem
besten
Wissen und |
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{Sp. 1599|S. 813} |
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Gewissen
unterschiedene Zeugnisse,
Wundzeddel und Berichte abstatte. |
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Die erste Pflicht nennen die
Gelehrten
Officium medico-clinicum, die andere
Officium
medico-forense, von welchen beyden zugleich der
berühmte D. Bohn, ehemals öffentlicher
Lehrer
der Artzney-Kunst in Leipzig in einem gelehrten
Tractate de officio medici duplici, clinici et forensis,
welcher zu Leipzig im Jahr 1704 in 4to heraus
gekommen, sehr nett und gründlich gehandelt
hat. |
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Geschichte |
In welchen
Zeiten zu allererst der Gebrauch
aufgekommen, daß eigentliche Ärtzte ihre
bettlägerigen Patienten auf ihren
Kranckenzimmern besuchet, und denselben mit
Verordnung der gehörigen Hülfsmittel beyräthig
gewesen, kan man aus Mangel hinlänglicher
Urkunden nicht so gar genau erweisen. Zu
vermuthen stehet, daß anfangs ein jeglicher
Mensch sein eigener Artzt gewesen, nachgehends
aber
Väter und
Mütter ihren
Kindern und
Hausgesinde, oder auch ältere Personen
diejenigen Mittel, welche sie in ihrer eigenen
Unpäßlichkeit für gut befunden, den jungen
Leuten in vorfallenden gleichmäßigen
Beschwerungen angerathen haben. |
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Bey nach und nach erfolgter Vermehrung der
Menschen hat man angefangen, die Krancken auf
die Strassen, Scheidewege, Märckte und andere
öffentliche Örter auszusetzen, um von den
Vorbeygehenden einigen Rath einzuholen,
dergleichen bey unterschiedlichen
Völckern
damahls eingeführte
Gewohnheit,
Strabo,
Herodotus, und andere Geschichtschreiber in
ihren
Schriften angemercket haben. |
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Nachdem nun die, auf solche, oder andere
Weise zu Ihrer Gesundheit gelangte Personen,
zur Danckbarkeit gegen die
Götter, nebst
beygefügten Geschencken, ihre gehabte
Kranckheit und gebrauchten Hülfsmittel, auf
gewisse Täfelgen aufzeichneten, und in die, der
Gesundheit gewiedmeten Tempel zum
Gedächtniß aufhängen, oder auch eben dieses an
die Wände und Pfeiler dieser Götzenhäuser
anschreiben liessen, welches obangeführter
Strabo, und zugleich Pausanias bezeugen: so ist
es nachmahls geschehen, daß die
Artzneywissenschafft den daselbst verordneten
Priestern bekannt, und von denselben auch
ausgeübet worden, dergleichen besonders von
den Egyptischen Magis in den Geschicht-Büchern
erzählet wird. |
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Es haben aber besagte Priester, ihren Curen
ein mehreres
Ansehen, und den Patienten ein
grösseres Vertrauen zu machen, die
angerathenen Hülfsmittel gar öfters für göttliche
Aussprüche ausgegeben, wie solchen Betrug
Aristophanes in seinem Schauspiele Plutus
lächerlich genug und weitläufftig erzählet; nemlich,
die in den Tempel gebrachten Krancken pflegten
nach verrichtetem Opffer daselbst die Nacht über
zu schlafen, da denn der oberste Priester, in der
Person des Aesculapius verkleidet, einem jeden
ein besonderes Genesmittel eröffnete, welches
die Patienten, ob sie schon wachten, dennoch für
eine göttliche Offenbarung, so ihnen im Traum
wiederfahren, halten und ausgeben mußten. |
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Von diesen Magis oder Götzenpriestern
entstunden nachgehends unterschiedene Zünfte
der Ärtzte, welche von öffentlichen Einkünfften
unterhalten wurden. In Egypten musten dieselben
bey
Lei- |
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{Sp. 1600} |
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besstraffe ihre Curen nach gewissen
Vorschrifften anstellen, und wurden nach
verschiedenen
Arten der Kranckheiten, deren
Heilung sie sich beflissen, auch in besondere
Classen eingetheilet. In Griechenland führten
dieselben ihr
Geschlecht und Herkunft von dem
Aesculap her, wie denn noch zu Zeiten des
Hippocrates die Asclepiadischen
Schulen in den
Inseln Rhodus, Cos, und der Halb-Insul Cnidus
bekannt waren. |
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Es hielten aber diese Schulen anfangs die
Gewohnheit, daß bloß die Väter ihren Kindern und
diese ihren Nachkommen die Artzney-Kunst
mündlich, und von Jugend auf lehrten, daher
dieselbe bloß auf ihre Familie fortgepflantzet
wurde, bis man endlich auch Fremde, welche sich
auf diese
Wissenschafft legen wolten, unter
gewissen Bedingungen und Eidesleistung
darinnen unterwiese. Selbst Hippocrates, welcher sein Geschlechts-Register ebenfalls von dem
Aesculap herleitet, ist aus der Insel Cos
entsprossen und in der medicinischen
Schule
daselbst auferzogen worden. |
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Aller dieser Ärtzte Wissenschafft gründete
sich anfänglich eintzig und allein auf die
Erfahrung, indem man nur die bey den Krancken
sich ereignenden Zufälle und Veränderungen
sorgfältig anmerckte, und die
Würckungen der
gebrauchten Hülffs-Mittel fleißig aufzeichnete.
Nachdem aber die damaligen
Welt-Weisen, bey
allgemeiner Untersuchung der natürlichen Dinge,
sich auch der Artzney-Kunst zu befleißigen
anfiengen: so geschahe es, daß man nicht mehr
mit den blossen Anmerckungen zufrieden war,
sondern zugleich nach den
Ursachen, wovon die
Kranckheiten im menschlichen Cörper entstünden,
forschete, und die Art und Weise, wie die
angewendeten Medicamente würckten, zu
entdecken suchte. |
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Bey dieser Gelegenheit trennten sich die
Ärtzte in zwey besondere Gattungen, wovon die
erstern, welche sich bloß auf die Erfahrung
stützten, Empirici, die andern aber, weil sie bey
allen Curen auf zureichende
Gründe drungen,
Rationales, genennet wurden. Hippocrates suchte
beyde streitende Partheyen zu vereinigen, indem
er bey Ausübung der Artzney-Kunst, Erfahrung mit
Vernunfft klüglich
verknüpfte, und den
auschweifenden Nachforschungen gehörige
Schrancken setzte, weswegen seine Nachfolger
den
Namens, Dogmatici, erhielten. |
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Ob aber erst zu den Zeiten Hippocrates die
Gewohnheit aufgekommen, die Patienten
ordentlich zu besuchen, oder ob Aesulap der erste
Medicus clinicus gewesen, kan man so eigentlich
nicht entscheiden. Von dem Chiron, welcher
damals als ein allgemeiner Lehrmeister
Griechenlands, nicht nur den Aesculap, sondern
auch viele andere junge
Herren, so wohl in der
Artzney-Wissenschafft, als andern anständigen
Künsten unterwiese, ist bekannt, daß er nur von
Hause aus den Krancken in Ihren Beschwerungen
beyräthig gewesen, und daher fast zu vermuthen,
daß solche Gewohnheit auch von seinen
Lehrlingen werde seyn beobachtet worden. Doch
kan man auch nicht läugnen, daß die bey- |
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{Sp. 1601|S. 814} |
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der Söhne des Aeskulap, nemlich Podalirius
und Machaon in der Belagerung der
Stadt Troja
die Verwundeten besucht, und den Krancken mit
Rath und
That beygestanden,, wovon
Homer in
seinem Gedichte Ilias genungsame Nachricht
giebt. Zum wenigsten ist es eine ausgemachte
Sache, daß Hippocrates nicht nur in seinem
Vaterlande Cos, sondern auch in vielen
Orten
Griechenlandes, wohin er theils beruffen, theils
freywillig
verreiset, diejenigen, so seiner Hülffe
begehret, auf ihrem Krancken-Bette persönlich
besuchet, welches seine gemachten und der
Nachwelt hinterlassene Anmerckungen sattsam
bezeugen. |
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Ubrigens sind dergleichen
rechtmäßige und
ansehnliche Ärtzte wohl zu unterscheiden von
denjenigen
leibeigenen
Knechten, welche im
ersten Jahrhundert nach CHristus Geburt von den
Römern, bey Patienten, als Krancken-Wärter,
Aufseher, Cammer-Diener und Wund-Ärtzte
gebraucht worden. Denn obgleich solche, nach
Inhalt einiger Grabschrifften, welche Rhodius und
Mercurial anführen, auch Medici clinici gemeldet
werden: so scheinet doch, daß man diesen
Zunamen allhier gemißbrauchet habe, in dem
dieselben in andern Schrifften wegen ihrer
mancherleyen Dienstleistung, Medici Coqui,
Cubicularii ad lectum, ad matulam, und so ferner,
heissen. |
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Kliniker |
Worinnen aber besonders deren
Verrichtungen bestanden, wollen wir vor jetzo
nicht weitläufftig untersuchen, sondern vielmehr
kürtzlich die
Eigenschafften derjenigen Ärtzte,
welche mit
Rechte und dem eigentlichen
Verstande Clinici benamet werden,
beschreiben. |
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Derjenige nun, welcher sich vorgesetzet, ein
rechtschaffener Medicus clinicus zu werden, muß
Anfangs in seiner
Kunst sich eine genungsame
Wissenschafft zuwege bringen, nachgehends
gehörige
Erfahrung zu erlangen trachten, und
endlich bey den vorfallenden Curen alle mögliche
Klugheit und Vorsicht anwenden. Die beyden
ersten Stücke sind wesentliche Eigenschafften,
welche von einem jedweden Practicus erfordert
werden; das letztere aber ist zu einer glücklichen
Ausübung der Curen unentbehrlich. Wo nun diese
drey Eigenschafften beysammen angetroffen, und
zugleich die
Pflichten gegen
GOtt und den
Nächsten, welche allen Christen gemein sind, mit
aufrichtigen Hertzen ausgeübet werden, da kan
man sich gewiß den göttlichen Segen und einen
glücklichen Fortgang seiner Praxis
versprechen. |
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Lehre |
Zur Erlangung benöthigter Wissenschafft
erfordert Hippocrates von seinen Schülern eine
Unterweisung von Kindheit an. Weil aber die
Asklepiadischen Schulen, in welchen diese
Gewohnheit gehalten wurde, schon vorlängst
eingegangen, und der
Zeiten Lauff in dem jetzigen
gemeinen
Leben eine grosse Veränderung
verursachet hat: so pfleget man zwar heut zu
Tage selten die
Kinder in
Sachen, welche die
Artzney-Kunst betreffen, zu
unterrichten, wol
aber dieselben in
Sprachen und sogenannten
Studiis humanioribus zu
unterweisen, als welche
den
Grund abgeben, worauf ein iedweder
nachgehends mit gutem Erfolge, das Gebäude
derjenigen
Gelehrsamkeit, welche er sich bey
reiflicher Uberlegung zu seinem eigentlichen
Endzweck erwehlet, auf
hohen Schulen vollführen
kan. |
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Doch ist bey allen diesen auch nicht zu
läugnen, daß derjenige vor vielen andern glücklich
ist, welcher von Jugend auf Gelegenheit |
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{Sp. 1602} |
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findet, sich unter der Anführung eines
geschickten Medicus in den Grund-Sätzen der
Artzney-Kunst zu üben. In Ermangelung dessen
sollen angehende Studiosi Medicinae zum
wenigsten nebst der
Lateinischen, als der
allgemeinen Sprache der
Gelehrten, auch die
Griechische wohl erlernet haben, weil in solcher
der ersten und ältesten Ärtzte Schrifften verfasset
sind. Leiden es die Umstände, sich auch zugleich
in der
Frantzösischen, Italiänischen und
Englischen Sprache unterrichten zu lassen; so
wird die Känntniß derselben nicht nur zu einer
grossen Zierde gereichen, sondern auch ein
besonderes Mittel abgeben, zu einer weit
gründlichern Wissenschafft in der Medicin zu
gelangen, indem viel Ausländer ihre neuen
Entdeckungen und darüber gemachten
Anmerckungen in ihrer Mutter-Sprache
beschrieben haben. |
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Auf
hohen Schulen muß sodenn ein ächter
Schüler des Aeskulap für allen andern
Dingen der
Welt-Weisheit fleißig obliegen, weil dadurch der
Verstand geschärfft, und zu richtigen
Schlüssen
angewöhnet wird, besonders aber auf die
Erforschung der Natur-Lehre mit aller Sorgfalt sich
legen, indem aus solcher die meisten Grund-
Sätze der Artzney-Kunst erläutert werden, und
nach dem gemeinem Sprüchworte der Medicus
daselbst anfängt, wo der Physicus aufhöret. Denn
da die Natur-Lehre überhaupt die
Natur der
Cörper untersuchet, die Medicin aber ins
besondere den menschlichen Cörper nach seinem
natürlichen und widernatürlichen
Zustande
betrachtet: so wird ein iedweder gar leichtlich
erkennen, daß die erstere der andern in allen
Untersuchungen die Hand biete. |
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Anatomie und Physiologie |
Den natürlichen Zustand des menschlichen
Leibes, welchen man Gesundheit nennet, desto
besser zu
verstehen, giebet die Anatomie und
Physiologie gründliche Anleitung. Jene zeiget,
durch Eröffnung und Zergliederung der Cörper,
die Beschaffenheit, Verbindung, Zusammenhang
und gantzen Bau der Theile in ihrer natürlichen
Ordnung. Diese lehret was aus solcher
Zusammenfügung für Würckungen und
Bewegungen entstehen, und zu welchen
Endzwecken ein ieder Theil von der Natur
bestimmet sey. Alle diese Bewegungen aber, und
deren
Ursachen erkennet man noch deutlicher
aus der Mechanick, indem dieselbe die mehrere
oder wenigere Beweglichkeit der
Cörper nach
Verhaltung der unterschiedlichen Grösse, Figur,
Härte, Elasticität, Flüßigkeit, und sofort, bey
Veränderung des
Orts, Lagers,
Zusammenstossung und Forttriebes, anzeiget,
und die dahero entstehenden unterschiedenen
Bewegungen oder deren Verzögerung genau
berechnet. |
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Was aber aus diesem Grund-Sätzen nicht
sattsam erkläret werden kan, erläutert offtermals
die Chemie, als welche lehret, wie man vermittelst
des Feuers, und anderer hierzu geschickter
Instrumente, die zusammengesetzten Cörper
künstlich zerlegen, und durch Zusammenfügung
verschiedener Sachen, neue, besondere und
öffters gantz unvermuthete Dinge hervorbringen,
flüßige in feste, trockene in nasse Cörper, und
umgekehrt, verwandeln, und viele sonderbare
Würckungen dadurch ausrichten, auch derselben
Ursachen zugleich entdecken könne, welches
alles zu Erklärungen derjenigen Bewegungen, von
welchen Leben und Gesundheit im menschlichen
Leibe herkömmt, sehr vieles beyträgt. |
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Wie nun derjenige, welcher in der Feld- |
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{Sp. 1603|S. 815} |
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Meß-Kunst einen rechten
Begriff von einer
gleichen Linie hat, gar leichte die krummen zu
beurtheilen fähig ist, also wird es auch einem der
Artzney-Kunst befliessenem nicht schwer fallen,
den widernatürlichen Zustand des menschlichen
Cörpers, oder die Kranckheiten zu erkennen,
wenn er sich vorher auf ietztbeschriebene Weise
von der natürlichen Beschaffenheit des
Menschens eine hinlängliche
Wissenschafft
zuwege gebracht hat, weil diese den Grund zu
allen folgenden medicinischen Lehr-Sätzen
abgiebet. |
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Pathologie |
Die Lehre aber, welche eigentlich von dem
widernatürlichen Zustande des Menschen handelt,
wird Pathologie genennet, und erkläret sowol
überhaupt, als ins besondere, einer iedweden
Kranckheit Natur und Beschaffenheit,
Ursprung
und Ursachen, mancherley Zufälle und daher im
menschlichen Cörper entstehende
Veränderungen, welche letztere gewisse
Würckungen verursachen, so den Ärtzten zu
Kennzeichen dienen, die Kranckheit nicht nur wohl
zu erkennen und zu unterscheiden, sondern auch
derselben Ausgang vernünfftig zu
beurtheilen. |
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Diese jetzt beschriebene Lehre, welche
Semiotic heisset, ist den Ärtzten um desto
nöthiger, ie gefährlicher diejenigen Irrthümern
sind, welche aus Unwissenheit dieser Lehre
herkommen. Denn, wer sich in der
Erkänntniß der
Kranckheit irret, der fehlet gantz gewiß auch in
derselben Cur, und das
Urtheil von dem
glücklichen oder unglücklichen Ausgange der
Kranckheit wird schwerlich iemals zutreffen, wenn
man von Beschaffenheit der Verletzungen einen
falschen Begriff hat. Weil nun hierauf sowol das
Vertrauen der Patienten, als auch die gantze
Ehre
eines Artztes ankommt: so ist einem ieden der
Artzney-Beflissenen zu rathen, daß er sich mit
möglichstem Fleisse bemühe, eine gründliche
Wissenschafft in diesem Stücke zu erlangen. |
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