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Zedler: Rede, in der Philosophie [2] HIS-Data
5028-30-1589-1-02
Titel: Rede, in der Philosophie [2]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 30 Sp. 1595
Jahr: 1741
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 30 S. 807
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Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

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Übersicht
praktische Betrachtung
  Unsere eigene Rede
 
  Verhalten nach der Billigkeit
 
  1. Schweigen oder reden?
  2. Gebrauch anderer Zeichen?
  3. falsche Rede
 
  1. gegen Kinder u.a.
  2. gegen Erwachsene
  3. zum Besten des Staats
  4. gegen Feinde
  5. kein Betrug
  6. vor Gericht
  Zweideutige Reden

Stichworte Text   Quellenangaben
praktische Betrachtung Bey der practischen Betrachtung der Rede setzen wir voraus, daß eine jede Rede an und vor sich selbst, sie mag wahr oder falsch seyn, indifferent ist, und also die Wahrhaftigkeit, da man bemühet ist, nach seines Hertzens Meynung zu reden, an und vor sich weder eine Tugend, noch ein Laster seyn kan, sondern aus der Beschaffenheit des Gebrauchs eins von beyden werden muß. Daher dieses die moralische Natur der Rede ist, daß man sich im Gebrauch derselben nach den Regeln der Billigkeit und Klugheit richtet, oder nicht, wodurch sie entweder vernünfftig oder unvernünfftig wird.  
  Nemlich die Vernunfftmäßigkeit einer Rede bestehet darinnen, daß solche in Ansehung eines andern mit den Regeln der Billigkeit, oder Obligation; in Ansehung aber mein selbst mit den Regeln der Klugheit übereinstimme; woraus im Gegentheil gar leicht zu schlüssen, worauf ihre Unvernunfftmäßigkeit ankomme.  
  Unvernünfftig ist es, wenn ich zu des andern Schaden was sage, davon ich doch selbst keinen Nutzen habe; oder sage ihm die Wahrheit nicht, da er doch ein Recht hat, solche zu wissen, wie wir mit mehrerm in dem Artickel: Lüge, im XIIX Bande, p. 1073. u.ff. gezeiget, und bald noch mit mehrerm weisen werden.  
  Man kan auch aus diesem erkennen, worinnen das Recht der menschlichen Rede bestehe, nehmlich darinnen, daß ein jeder Mensch die Freyheit zu reden, oder zu schweigen hat, nachdem er solches zur Beförderung eines andern und seiner eigenen Wohlfahrth vor nöthig und nützlich befindet.  
  Dieses voraus gesetzet, so müssen wir sehen, wie wir uns in Ansehung der Rede zu verhalten haben? Diese Praxis kommet auf zwey Stück an, einmahl, wie wir uns in Ansehung unserer selbst und unserer eigenen Rede; hernach in Ansehung anderer und ihrer Rede aufführen sollen.  
Unsere eigene Rede Die Aufführung in Ansehung unserer eigenen Rede beruhet auf zwey Stücke: erstlich, wie wir uns gegen die Pflichts-Reden nach den Regeln der Billigkeit oder Obligation gegen einen andern, und gegen die politischen Reden, nach den Regeln der Klugheit unsern Nutzen bey der Rede zu beobachten, verhalten müssen.  
  Was  
  {Sp. 1596}  
Verhalten nach der Billigkeit das erste, das Verhalten der Redenden, nach den Regeln der Billigkeit, oder die Pflichten der Redenden betrifft, so ist dieses allgemeine Gebot zu mercken: Brauche die Rede, und andere Zeichen des Gemüths, die gemeine Ruhe menschlichen Geschlechts zu befördern.  
1. Schweigen oder reden? Insbesondere hat man zu erwegen, erstlich: ob ich dasjenige, was ich im Sinne habe, einem andern offenbahren soll? wobey nicht nur dieses Verbot: schweige, wenn durch deine Rede andere beleidiget, oder unschuldige in Schaden geführet werden; oder wenn die Gefälligkeit, oder ein Vertrag, oder gemeiner Friede, Verschwiegenheit erfordert: sondern auch das Gebot: rede, wenn du aus Gefälligkeit, oder einem Vertrag zu reden verpflichtet bist; oder wenn dem Schweigen andern Schaden oder Verachtung bringt, oder die gemeine Ruhe verletzet, in Obacht zu nehmen.  
  Dieses Gebot übertreten diejenigen, welche eine der Republic, oder einem Mitbürger, oder insgemein ihrem Nächsten annahende Gefahr verschweigen, ingleichen in ihrer Information nicht treulich lehren, und die Untergebenen, wo es sich gehöret, nicht zur Rede setzen, oder bestrafen, siehe Thomasium c.l. §. 29. ff. der in Fundam. jur. nat. et gent.
  diese Gebote also kürtzlich ausspricht: schweige oder rede, so offt du durch deine Verschwiegenheit oder Rede anderer Leute Vortheil und Nutzen befördern kannst, und so offt durch Reden oder Schweigen eines andern Rechte gekräncket werden, daß also der erste Theil dieser Gebote eine Folgerung aus den Regeln der Anständigkeit, der andere aus den Regeln der Gerechtigkeit sey, wobey Pufendorf in jure nat. et gent. lib. 4. cap. 1. §. 7. und Willenberg in Sicilim. lib. 3. cap. 1. qu. 17. p. 429 zu lesen.
2. Gebrauch anderer Zeichen? Zum andern, ob man in Erklärung dessen, was man gedencket, sich der Zeichen, so von andern erfunden sind, gebrauchen soll? Wobey folgende Regeln zu beobachten: brauche die Worte ohne erhebliche Ursachen nicht in anderer Bedeutung, als wie es die angenommene Gewohnheit mit sich bringt. Denn sonst würde durch den sonderlichen Gebrauch der Worte der andere leicht beleidiget, und die gemeine Bewilligung, auf welche sich alle Reden gründen, verletzet werden, siehe Pufendorf de officio hominis et civis, lib. I. cap. 10. §. 2. mit Titii Noten p. 297.
3. falsche Rede Drittens, ob die Zeichen mit dem Gemüth überein treffen müssen? Hierinnen haben wir ein Gebot: rede, was mit deinem Gemüthe übereinkommt, wenn solches die Billigkeit, das ist, die Gefälligkeit, oder ein Vertrag, oder die allgemeine Ruhe erfordert. Diesem stehet ein ander Verbot entgegen: enthalte dich von falscher Rede, wenn dadurch ein anderer beleidiget oder verachtet, und der Friede des menschlichen Geschlechts gestöhret werden solte. Gehet aber dem andern nichts ab, und mir ist viel daran gelegen, so kan ich meine Rede also einrichten, daß sie etwas anders, als ich im Sinn habe, ausdrücke. Ja wenn wir auch auf anderer Leute Nutzen sehen, welche also geartet sind, das, wenn wir ihnen die Wahrheit sagten, wir ihnen dadurch Schaden thun würden, so sind wir in diesem Fall schuldig, eine erdichtete, oder  
  {Sp. 1597|S. 808}  
  verblümte Rede zu gebrauchen, siehe Griebners jurisprud. natural. lib. I. cap. 7. §. 3. p. 105.
  wovon mit mehrern der Artickel, Lüge und Wahrhafftigkeit, nachzusehen sind.  
1. gegen Kinder u.a. Inzwischen machet man insgemein diese Anmerckungen vom Gebrauch falscher Rede, daß man sich erstlich nicht ohne Unterscheid derselben gegen kleine Kinder, und die, so ihrer Vernunfft beraubt sind, zu gebrauchen, weil sie eben so wohl Menschen, wie wir, und man sich also nicht ehe gegen dieselben erdichteter Reden zu bedienen habe, als wenn ihr eigen Bestes dadurch mehr befördert werde, und so ferne sie die blosse Wahrheit nicht begreiffen könnten.  
2. gegen Erwachsene Zum andern könne man gegen erwachsene eine erdichtete Rede zu einem guten Endzweck, und zu ihrem eigenen oder dem gemeinen Nutzen brauchen, welchen Nutzen man nicht hätte erreichen können, wenn man gleichzu gesagt hätte;  
3. zum Besten des Staats drittens könne man zum Besten der Republick ihre Heimlichkeiten und Rathschläge, daran viel gelegen, daß man sie vor andern verberge, mit erdichteter Rede verdecken, oder in zweifelhafftigen und duncklen Sachen einen Ausspruch thun, der einen nicht ums Hertze, die Wahrheit zu erkundigen.  
4. gegen Feinde Viertens könne man dem Feind durch erdichtete Avisen eine Nase drehen, wenn es nur nicht in den Friedens-Schlüssen geschiehet, so wie mit dem Feinde aufgerichtet, dieweil wir durch dieselben wo nicht gäntzlich doch etlicher massen vom feindlichen Stande uns abgegeben.  
5. kein Betrug Fünftens hält Grotius dafür l. 3. cap. 1. §. 13. n. 1. de jure belli et pacis, es wäre keine Lüge, wenn wir uns gegen jemand einer erdichteten Rede gebrauchen, welcher dadurch nicht betrogen werde, obgleich der dritte Mann daraus eine falsche Meynung schöpffte, weil ich mit dem dritten nichts zu schaffen habe; wobey andere meinen, daß dieses nicht so schlechterdings zu sagen sey, und allerhand Einschränkungen beyzufügen wären, wie Pufendorf gethan.  
6. vor Gericht Sechstens fraget man: ob ein Beklagter, ohne vor einen eigentlichen Lügner gehalten zu werden, seine Mißhandlung, deren er beschuldiget wird, läugnen, oder mit erdichteten Beweißthümern die Gerichte betrügen könne? Die Antwort des  
 
  • Hobbesii de cive cap. 2. §. 19.
  • Spinozä in tract. polit. cap. 3. §. 8.
  • Pufendorfs in jure nat. et gentium lib. 4. cap. 1. §. 20. wenn man dasjenige, was er im Capitel von Straffen schreibet, conferiret,
 
  ist ja;  
 
  • des Herrn Thomasii aber in jurisprud. divin. lib. 2. cap. 8. §. 85.
  • und anderer
 
  ist nein, und nicht ohne Grund. Denn hat der Richter Macht und Gewalt, die Wahrheit von dem Beklagten auf alle mögliche Art heraus zu bringen, so folget aus dem Satze: daß man die Wahrheit reden soll, wenn derjenige, mit dem ich zu thun habe, ein Recht zu derselben hat, von sich selbst, daß auch der Beklagte eine Schuldigkeit auf sich habe, dem Richter die Wahrheit zu sagen, siehe Dörings Dissertation de obligatione delinquentis ad confessionem criminum propriorum coram magistratu, Leipzig 1723.
Zweideutige Reden Die zweydeutigen Reden und die Zurückhaltungen, oder die reservationes mentales, wenn man etwas im Sinn behält, das zur Völligkeit des Verstandes gehöret, sind nicht er-  
  {Sp. 1598}  
  laubet, wenn sie zum Schaden des andern gereichen, da er nemlich ein Recht der Rede an mir hat. Die Jesuiten und etliche von denen so genannten Moralisten der Römischen Kirche spannen die Sache gar zu hoch, wenn sie behaupten wollen, es können solche Zweydeutigkeiten und Zurückhaltungen überall und ohne Unterscheid statt haben, auch wenn der, so da frage, ein wohlgegründetes Recht dazu habe. Es haben nicht nur die Protestanten; sondern auch einige von den Papisten selbst diese Lehre billig als gottlos verworffen.  
    Man lese, was
  • Montaltius in epistol. provinc. ep. 9. p. 236.
  • Rivetus in explic. decalog. p. 297.
  • Pufendorf in jure naturae et gentium lib. 4. cap. 1. §. 14.
  • Hochstetter in colleg. Pufendorf. exerc. 7. §. 24.
  • Buddeus in institut. theol. morl. part. 2. cap. 3. sect. 5. §. 33. not.
  • Placette in divers traités sur des matieres de conscience trait. 1. chap. 8. ff
  • und andere
    erinnert. Ausser den schon angeführten und andern Scribenten des natürlichen Rechts lese man von dieser Materie noch nach
   
  • Uffelmann de obligatione hom. quae ex sermone oritur.
  • Titii Dissertation de officiis sermocinantium, Leipzig 1695.
  • Wernhers Dissertation de officio hominis circa sermonem, Leipzig 1702.
  • Simon Fr. Jägers Disputation de officio circa sermonem, Wittenb. 1691.
    nebst andern, welche in Hassens exercit. de peccato silentii p. 5. angeführet werden.
     

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Stand: 7 Februar 2024 © Hans-Walter Pries