Stichworte |
Text |
Quellenangaben |
|
Rede, Sermo,
Oratio, Parler. |
|
|
Von der Rede wird in
verschiedenen
Theilen der
Philosophie gehandelt; damit wir aber alles
ordentlich
zusammen fassen,
wollen wir eine
theoretische und
practische Betrachtung
anstellen. |
|
theoretische Betrachtung |
Nach der theoretischen haben wir die
Natur
und Beschaffenheit der Rede zu untersuchen, welche entweder eine
natürliche oder
künstliche. |
|
natürliche Beschaffenheit |
Nach der natürlichen ist sie ein abgetheilter Klang, dadurch ein
Mensch
dem andern seine
Gedancken
und
Begierden zu
verstehen giebt. Sie ist von der Stimme und Ton unterschieden.
Denn die Stimme ist ein Ton, den alle lebendigen Geschöpffe von sich geben; der
Ton aber alles, was durch die Ohren empfunden wird. |
|
|
Ins besondere haben wir drey Fragen zu erwegen: |
|
|
- wie die Rede geschicht?
- wem sie zukomme?
- und was
Gott dabey vor eine Absicht gehabt?
|
|
1. Wie die Rede geschieht? |
Erstlich ist die Frage: wie die Rede geschicht? Sie geschicht durch die
Bewegung der Lufft, zwischen der Zunge, dem Gaumen und den Lippen, wodurch eine
Stimme formiret wird, die durch gewisse Masse in vernehmliche Sylben und
Worte
gefasset, etwas gewisses bedeuten. Es sind dazu besondere Werckzeuge nöthig, die
von den Anatomicis beschrieben werden, und nach dem unterschiedenen Maaß der
Bewegung, wie die Lufft ausgelassen wird, geschichts, daß man entweder laut oder
leise redet. |
|
|
Ein Frantzos, Namens Cordemoy, hat einen besondern
physischen Tractat de loquela 1668 in
Frantzösischer Sprache geschrieben, der nachgehends in das
Lateinische übersetzet worden, wobey man auch Grischow
in introd. in philol. general. cap. 3. nebst den andern
Scribenten,
die wir hernach anführen wollen, lesen kan, in welchen
Büchern umständlicher
gezeiget worden, wie die Rede bey einem
Menschen
geschiehet. Man kan auch Werenfelsii Dissertation de
loquela lesen, welche sich tom. 2. dissertationum varii
argumenti p. 111. befindet. |
|
2. Wem die Rede zukomme? |
Vors andere fragt sichs: wem die Rede zu komme? Das Reden ist dem
Menschen
allein eigen, wie Cicero lib. 1. de oratore
saget: Dieses haben wir fast allein vor den unvernünfftigen Thieren, daß
wir mit einander sprechen und unsere Gedancken ausdrücken können. Aristoteles
aber polit. lib. 1. cap. 2. Die Natur macht nichts
vergebens. Der Mensch allein hat unter allen Thieren die Krafft zu reden.
|
|
|
Es bezeuget dieses nicht nur die
Erfahrung;
sondern wir können auch dieses aus der Beschaffenheit der unvernünfftigen Thiere
und Creaturen sehen. Wer reden will, muß vorher vernünfftige
Gedancken
haben und reflectiren können, daß er weiß, was er reden soll. Aus welchem
Grund
die unvernünfftigen Thiere keine Reden haben können, bey denen auch die Absicht
nicht statt findet, warum
Gott dem
Menschen
das
Vermögen
zu reden gegeben, daß derselbige gesellschaftlich leben könne. |
|
|
Unter den Alten haben zwar Plutarchus, Empedocles, |
|
|
{Sp. 1590} |
|
|
Sextus Empiricus, Porphyrius, und von den Neuern
Isaac Voßius, Hier. Rorarius den Bestien eine Rede zugeschrieben, |
siehe Morhof in polyhist. litterar. lib.
1. cap. 1. §. 3. und Paschium de inventis
nov-antiquis p. 811. |
|
Denn ob gleich ein Rabe, ein Papagoy etliche
Worte
aussprechen lernet, so ist doch solches nicht ein Reden, sondern ein Nachahmen
menschlicher Stimme, und sie wissen viel, was die Worte bedeuten sollen. Was wir
in der
Schrifft
von der Eselin des Bileams lesen, muß als ein göttliches Wunderwerck angesehen
werden. Die heydnischen
Scribenten
erzehlen auch Exempel von Thieren, daß sie geredet, die man aber entweder aus
Betrug oder aus Mißverstand dafür angenommen. Sie haben wohl eine Stimme,
dadurch auch manche
Arten einander locken können; Solche Stimme aber ist noch
keine Rede. |
|
|
Ob die Engel unter einander reden; ob die Seligen im Himmel reden, und was
für eine
Sprache sie brauchen werden? sind unnütze und vergebliche Fragen,
darüber ehemahls sonderlich die Scholastici ihre Zeit verderbet haben. Daß die
Engel einander ihre
Gedancken
zu
erkennen geben, ist ausser allem Zweiffel, weil sie in einer
Gesellschafft stehen; daß aber dieses durch Stimmen und
Worte
geschehe, kan daher nicht behauptet werden, weil sie als
Geister
die hierzu nöthigen Werckzeuge nicht haben. |
|
|
Ob man die Tauben und Stummen redend machen könne? solches haben
verschiedene versuchet, und wie sie versichert, Proben davon gemacht, unter
denen sich Johann Wallis in dem Tractatu grammatico-physico
de loquela sine sonorum formatione, der 1683 zuerst heraus kommen, und
nachgehends dem 1699 zu Oxfort edirten dritten Theil der
operum
mathematicorum einverleibet worden, und Johann Conrad Amman
in surdo loquente (Amsterdam 1692 und 1700 vermehrter unter
dem Titel: Dissertatio de loquela) viele Mühe gegeben, anderer nicht zu
gedencken, von denen Morhof de paradoxis sensuum cap.
3. p. 316. Dissertat. academ. und Eckard in
den monatlichen Auszügen 1700. p. 269. zu lesen sind. |
|
Ursprung der Rede |
Die Natur
theilt dem Menschen
das
Vermögen
zu reden mit; die Fertigkeit aber erlangt man durch die Übung
vermittelst der Nachahmung, daß er nach und nach diese, oder jene
Sprache zu reden fähig wird. Eben auf den Unterscheid zwischen der Rede
und Sprache hat man zu sehen, wenn man bey den Dispüten vom
Ursprung der Rede
die
Sache
ordentlich aus einander setzen und vortragen will. |
|
|
Nimmt man hier zuerst die historischen Nachrichten davon zur Hand, so ist
das, was die Heyden davon
sagen, ein fabelhaftes Vorgeben, deren Stellen
Pufendorf in jure nat. et gentium lib. 4. cap. 1. §.
3. angeführet, warum man sich nicht zu verwundern hat. Denn da sie so wohl
überhaupt vom
Ursprung aller Dinge;
als insonderheit des menschlichen
Geschlechts nicht wusten, so war kein Wunder,
wenn sie auch vom Ursprung der Rede nichts sagen konnten. |
|
|
Aus der
Schrifft
sehen wir, daß
Gott dem ersten
Menschen
eine Fertigkeit eine
Sprache zu reden angeschaffen, wie er nachgehends den Aposteln die Gabe
mancherley Sprachen zu reden, mitgetheilet. Es ist auch höchst wahrscheinlich, |
|
|
{Sp. 1591|S. 805} |
|
|
daß die Sprache, die unsere ersten
Eltern geredet, keine andere, als die
Hebräische gewesen, ob wohl viele sind, die gantz andere
Gedancken
davon haben. Man lese |
|
|
- August Pfeiffers exercitat. de lingua protoplast.
in fascicul. Dissertat. p. 121. ff. und in dubiis vexatis p.
84. ff.
- Buxtorf in dissert. philol. theolog. n. 1.
- Clerc in sentim. des quelques theologiens de
Hollande sur l‘ hist. crit. ep. 19. p. 122.
-
Buddeum in histor. eccles. Vet. Test. tom. 1.
p. 94. 212. 234.
|
|
|
wiewohl dieser Punct eigentlich hieher nicht, sondern in den
Artickel:
Sprache, gehöret. |
|
|
Wir haben auch nicht zu untersuchen, ob die
Wörter
dieser ersten Sprache eine natürliche
Krafft
etwas zu bedeuten haben, und ob sich diese Krafft auf die Übereinstimmung mit
der
Sache
selbst gründe; oder ob solche Bedeutungs-Krafft von der Anordnung und Willkühr
unserer ersten
Eltern herrühre? Das erste haben dafür gehalten
Helmontius, Zierold, Caspar Neumann, wie dessen genesis linguae
sanctae und Lexicon, so sich auf diese
Meynung gründet, ausweisen. Wenigstens gehöret eine grosse
Einbildungskrafft dazu, wenn man sich solche
Dinge
einbilden soll. |
|
|
Es ist auch damit die Frage
verknüpffet: Ob Adam den Thieren solche
Nahmen
beygeleget, welche mit der Beschaffenheit und
Natur
derselben überein kommen? |
wovon Lilienthal in Select.
histor. litterar. tom. 1. obs. 9. p. 258. zu lesen. |
|
Die Nachkommen unserer ersten
Eltern haben von
Natur
keine Fertigkeit; sondern nur eine
Krafft
zu reden bekommen, aus welcher nach und nach durch die Nachahmung, vermittelst
des Gehörs, eine Fertigkeit erwachsen. Sie haben einerley
Sprache geredet, bis der Bau des Babylonischen Thurms Anlaß zu dem
Unterscheid der Sprachen gegeben, wovon uns Moses im 1 seiner
Bücher Cap. XI.
unterrichtet. Es finden sich zwar einige, welche diese
Geschicht nicht so wohl von einer Verwirrung der Sprachen, als vielmehr der
Gemüther auslegen, daß die Bauleute unter sich uneins und
dadurch bewogen worden aus einander zu gehen, und den Bau liegen zu lassen, als
Clerc in dem Comment. über die angezogene Stelle. Hermann von der Hardt
in den
ephemer. philolog. disc. 3. denen man Vitringam in Observ. Sacris lib. I.
Diss.
I. beyfügen kan. |
|
|
Solche Zerstreuung soll nach ihrer
Meynung die
Ursach
von dem Unterscheid der
Sprachen gewesen seyn. Es haben aber andere angemercket,
daß aus dem 7, 8 und 9ten Vers des angeführten Capitels gantz deutlich zu
ersehen, daß vielmehr die Verwirrung der Sprachen Ursach der Zerstreuung, und
nicht die Zerstreuung die Ursach vom Unterscheid der Sprachen gewesen. So viel
erkennen wir aus der
Heiligen Schrifft von dieser
Sache. |
|
|
Sehen wir sie nach der
Vernunfft an, so weiß man, daß man von
Natur
das
Vermögen
zu reden habe, und daß die Fertigkeit eine
Sprache zu reden durch die Nachahmung erlangt werde. Die
Wörter
selbst und ihre Bedeutungen dependiren von dem menschlichen Willkühr, daß wenn
man z.E. eine Person,
die über einen Strich Landes
zu gebieten hat,
Fürst nennet, so ist dieses was willkührliches, und man hät- |
|
|
{Sp. 1592} |
|
|
te ihr auch einen andern Namen geben können. Denn ein mahl ist bekannt, daß
ein Wort mehr als eine Bedeutung hat, und gantz unterschiedene
Dinge
anzeiget; Gleichwie eine
Sache
vielmahls mit verschiedenen Wörtern beleget wird. Man weiß von den meisten
Sprachen, daß sie im Anfang sehr
arm und mager gewesen, nach der Zeit aber von
den Menschen
vermehret worden. Aus diesen Umständen läst sich schlüssen, es müsse in den
Wörtern keine solche innerliche Bedeutungs-Krafft stecken, die mit der Natur
einer Sache übereinkomme. Wenn aber die Wörter und deren Bedeutungen auf den
Willkühr der Menschen ankommen, so ist deswegen kein besonderer und
ausdrücklicher Vergleich getroffen worden; sondern der
Grund
davon ist die langwierige
Gewohnheit, nach dem vorher von ohngefehr diese, oder
jene Wörter angenommen und mit einer besondern Bedeutung beleget worden. Solche
Gewohnheit und Gebrauch ist entweder ein allgemeiner unter einem gantzen
Volck;
oder ein besonderer unter Künstlern und Gelehrten von Dingen, die dem gemeinen
Mann
nicht angehen, und nicht allenthalben im Gebrauch sind. |
Man lese
Pufendorf de jure nat. et gentium. lib. 4. cap. 1. §.
5. 6. und
Thomasium in jurisprudentia divina lib. 2.
cap. 8. §. 12. ff. |
|
Aus diesem kan man sehen, daß viele
Scribenten
des
natürlichen Rechts ohne Grund die Rede unter die menschlichen
Verordnungen
zählen. |
|
3. Gottes Absicht? |
Nun ist noch die dritte Frage übrig: was
Gott bey der Rede vor eine Absicht gehabt? Weil die Rede
dazu dienet, daß man dadurch dem andern seine
Gedancken
an Tag leget, so schlüsset man daraus, daß dahin auch die göttliche Absicht
gegangen, und nimmt daher ein Argument vom gesellschaftlichen
Leben der
Menschen,
Gott wolle haben, die Menschen solten in einer
Gesellschafft unter sich leben, weil er ihnen das
Vermögen
zu reden mitgetheilet. Wie überhaupt aus der Beschaffenheit der
Menschen die göttliche
Existentz
zu erkennen, also läst sich diese auch insonderheit aus der Rede
beweisen. |
Man lese Jac. Wilh. Feuerleins Dissertationem philosophicam ex
loquela hominis argumentum existentiae et providentiae divinae deducentem,
Altd. 1719, nebst des Murray Tractat: demonstratio Dei ex
voce animalium. |
künstliche Beschaffenheit |
Bishero haben wir die Rede nach ihrer natürlichen Beschaffenheit betrachtet,
sofern sie als ein abgetheilter Klang angesehen wird; nun aber müssen wir sie
auch nach der künstlichen Beschaffenheit erwegen, sofern sie nach einer gewissen
Art in gehöriger
Ordnung zusammen gesetzet und eingerichtet wird. In dieser
Absicht gibts unterschiedene
Arten der Rede. Die Peripatetici theilen in ihrer
Logick dieselbe in eine unvollkommene welche keinen völligen
Begriff von etwas entdecke, oder ausdrücke; z.E. wer fromm und gelehret ist; und
in die vollkommene, welche einen völligen Begriff von etwas an
Tag gebe, die wieder getheilet wird in enunciativam orationem, in die
aussprechende Rede, wovon man in der Lehre von der Enunciation
handelt; und in non enunciativam, die keinen gewissen Ausspruch thäte,
und weder etwas bejahete, noch verneinete, dergleichen die Frag-
Befehl- Wunsch-
und Bitt-Sätze wären, |
siehe |
|
{Sp. 1593|S. 806} |
|
|
|
- Bechmanns instit. logic. lib. 2. cap. 2.
- Chauvins Lexic. philosoph. p. 462. edit. 2.
|
|
Wenn man die unterschiedene Reden schlechterdings nach der Logic
untersuchet, so bestehet sie bisweilen in einem blossen Termino, bisweilen nur
in einer Enunciation, da man etwas bejahet oder verneinet; bisweilen in einem
Vernunfft-Schlusse, der aus einer Enunciation gefolgert worden, woraus hernach
ein völliger Discours entstehet, der gleichsam aus solchen kleinen Reden
zusammen gesetzet ist, der aber auch eine Rede genennet, und von uns in dem
folgenden vornemlich verstanden wird. |
|
|
Aber wir finden noch unterschiedene Umstände, darinnen die Reden von
einander unterschieden sind. Sie sind unterschieden in Ansehung der
Materien,
die sie fürtragen: bald lobet man, bald macht man einen herunter; bald fragt
man, bald
unterrichtet man, bald bittet man, bald
befiehlt man; bald ist die
Rede von
geistlichen, bald
weltlichen, bald gelehrten, bald von ungelehrten und häuslichen
Sachen,
u.s.w. |
|
|
Sie sind aber auch unterschieden in Ansehung der
Art, wie dieselbigen in
Absicht der unterschiedenen
Kräffte
des
Verstandes,
daher die
Gedancken kommen, und welche durch die Rede ausgedruckt und an Tag
gegeben werden, eingerichtet sind. Denn man wird befinden, daß bey einigen Reden
das meiste auf das Gedächtniß ankommt, z.E. wenn man etwas schlechterdings
erzählet, so man entweder selbst gesehen, oder gehöret, oder gelesen, und wie
die Geschicklichkeit des Gedächtniß darinnen bestehet, daß man eine
Sache
ordentlich fasset, und behält, welcher Geschicklichkeit die Unordnung und
Verwirrung entgegen stehet, so wird man auch in Ansehung dessen zwey Arten der
redenden antreffen. |
|
|
Einige, wenn sie etwas erzählen, wissen ihren Vortrag ordentlich
einzurichten; einige aber vermischen alles unter einander, das letzte setzen sie
voran, daß erste hinten hin, und die Umstände einer
Sache
hängen nicht zusammen, daß man kaum weiß, obs gehauen, oder gestochen seyn soll.
In etlichen Reden leuchtet sonderlich die Zusammenreimungs-Krafft, oder das
Ingenium herfür, wohin die kurtze, und artige
empfindliche Reden gehören, die in
einer segensreichen Kürtze solche Neben-Ideen, ingleichen solche Folgerungen in
sich halten, die nach der Absicht des redenden die
Affecten der hörenden auf
eine empfindliche Art erregen sollen. |
|
|
Gracian führet in seinem Oracul Max. 37. dreyerley Sorten
derselben an, deren man sich mit Nachdruck bedienen könne, um die
Gemüther anderer rege zu machen und in eine
Bewegung zu
bringen. Man läst sich mit dergleichen heraus, entweder die
Affecten und
Gedancken, so die Leute in Ansehung einer
Sachen, oder
Person hegen, dadurch
auszuforschen, oder ihnen gewisse Gedancken und Affecten beyzubringen; und
dieses letztere hinwiederum entweder in der Absicht, eine Person oder Sache
herunterzumachen, oder in der Absicht eine Sache, oder Person mit Nachdruck zu
erheben. |
|
|
Erstlich braucht man zuweilen dergleichen Reden, um die
Gemüther anderer auszulocken. Denn ein wohl angebrachtes
nachdenckliches
Wort,
dadurch man mit einem sinnreichen acumine auf etwas zielet, ist fähig,
vermittelst der lebhaften Vor- |
|
|
{Sp. 1594} |
|
|
stellungen, welche ein Gemüth sich zu machen dadurch gereitzet wird,
selbiges in ausserordentliche Beschäfftigung und
Bewegung zu setzen. Sind die
Leute gegen eine
Person
oder
Sache
wohl, oder nicht zum besten geneigt, und kommet man in ihrer
Gesellschafft mit einer solchen nachdrücklichen Rede, welche selbige Person,
oder Sache betrifft, so werden ihre geneigten oder widrigen
Affecten dermassen
schleunig und lebhafft dadurch gerührt, daß ein Gemüth in der Verstellungs-Kunst
es auf einen ziemlichen Grad der Vollkommenheiten gebracht haben muß, daß er
nicht die Unordnung und Hefftigkeit seines gereitzten Affects einiger massen
äusserlich solte blicken lassen; es sey nun, daß solches durch eine
verdrüßliche, oder freudige Widerrede, oder nur wenigstens durch dergleichen
Mine geschehe. Solcher gestalt sind dergleichen Reden gar dienliche Mittel ein
Gemüth auszuforschen, wie es gegen eine Person oder Sache gesinnet sey, da man
sonst auf eine plumpe Nachfrage mehrentheils schlechten Bescheid bekommt. Der
Affect muß in dergleichen Begebenheiten der Verräther seyn, welchen man zwingen
muß, so, wie gedacht, durch dergleichen Reden aufs nachdrücklichste geschehen
kan. |
|
|
Hernach bedienet man sich solcher Reden in dergleichen Absicht, eine
Sache,
oder Person
herunter zu machen, welches viele nicht schlechterdings mißbilligen. Denn es
könnten Fälle seyn, da dem
gemeinen Besten daran gelegen, daß ein Irrthum, eine Gottlosigkeit, eine
Eitelkeit zu einem Gelächter werden möge, wenn man nemlich anderer gestalt
denselben nicht kräfftig gnug steuren könne: und weil dergleichen Thorheiten
durch die Personen, denen sie anhangen, öffters unterstützet und in Flor
erhalten würden; so sey es nicht wider die
Vernunfft, wenn man bey Durchhechelung einer groben Narrheit
auch zuweilen den groben Narren ein wenig mit treffe, und die gar natürliche
Folgerung, welche man von der Narrheit auf den Narren machen könne, eben nicht
gar sorgfältig abzulehnen und zu verhüten suche. |
|
|
Die dritte
Art solcher Reden ist, dadurch die Reputation dessen, von dem man
redet, bekräfftiget wird. Denn es ist gewiß, daß eine in einer kurtzen
nachdencklichen Rede verdeckte Lobes-Erhebung von weit grösserer
Würckung
ist, als ein zu Hause mühsam ausstudirter Panegyricus, den ohne dem jedermann
vor paßionirt zu halten pfleget, |
siehe
Müllers Anmerckungen
über Gracians Oracul c.l. p. 254. |
|
Wer solche Rede mit Geschick fürbringen will, muß eine gute Lebhafftigkeit
des Ingenii haben, daher diejenigen, welche entweder damit gar nicht versehen,
oder die Masse der Artigkeit sinnreicher
Gedancken
überschreiten, bey
vernünfftigen
Leuten gar unglücklich seyn werden. |
|
|
Endlich läst sich bisweilen in den Reden sonderlich die Urtheils-Krafft oder
das
Judicium sehen, da man nach Beschaffenheit der vorkommenden
Materien
Wahrheiten zeiget, solche beurtheilet, seine
Gedancken
über diese und jene
Sache
scharffsinnig entdecket, und seine Gedancken bald mit einer Gewißheit; bald mit
einer Wahrscheinlichkeit zu bekräfftigen weiß. Kommen z.E. judicieuse und
ingenieuse
Köpffe
zusammen, und reden von einer Absicht und Ausführung |
|
|
{Sp. 1595|S. 807} |
|
|
einer gewissen Sache, so wird der ingenieuse allerhand Rath- und Anschläge
aufs Tapet bringen, wie die Sache anzugreiffen und auszuführen sey; der
judicieuse aber wird solche Rathschläge reiff überlegen, das ist, mit den sich
ereignenden Umständen der Sache conferiren und urtheilen, ob sie practicabel,
oder nicht. Aus solchen Reden nun kan einer gar leicht die Fähigkeit des
Verstandes
eines andern erkennen, wenn er aufmercksam ist, und vermöge der
Scharffsinnigkeit urtheilen, wozu man sich seiner
Dienste am besten bedienen
könne. |
|
|
Überdies findet sich noch ein
Unterscheid der Reden, in Ansehung ihrer
moralischen
Natur, indem einige von den
Regeln der
Billigkeit;
einige von den Regeln der
Klugheit
dependiren: jene könnte man
Pflichts-Reden, wovon in der
Philosophie das
natürliche Recht handelt; diese aber
politische Reden und
Discourse, deren man sich in der Conversation bedienet, und davon die Lehre von
der Klugheit zu leben,
Unterricht giebet,
nennen. |
|
|
|
|