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Quellenangaben und Anmerkungen |
Anwendung des Naturrechts |
Weil das Völcker-Recht nichts anders ist, als das
Recht der Natur, in
soferne auch freye
Völcker es als ein göttliches Recht zu beobachten
verbunden
sind: so brauchet man in Abhandlung desselben keine neuen Lehren, sondern es
dürffen nur die
Gesetze des
natürlichen Rechts auf den
Stand freyer Völcker
appliciret werden. Es soll dieses allhier in aller Kürtze geschehen. |
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Da die
menschliche
Natur gesellig ist, so, daß durch die
Geselligkeit nicht
etwa nur etliche
Menschen, oder nur viele, sondern das gantze menschliche
Geschlecht einen
moralischen Zusammenhang hat; so hat dadurch, daß das
menschliche Geschlecht sich in so mancherley freye
Völcker
zertheilet, die Geselligkeit unter ihnen so wenig, als die menschliche Natur, aufhören können.
Dannenhero, gleichwie der erste und näheste
Grund des
Rechts
der Natur überhaupt
die Geselligkeit ist: also ist der erste und näheste Grund des Völcker-Rechts
die Geselligkeit der
Völcker: immassen auch, gleichwie die Geselligkeit der
menschlichen Natur überhaupt, nothwendig vielerley würckliche
Gesellschafften,
und diese wiederum gar unterschiedene
Stände der Menschen, nach sich gezogen;
also auch die Geselligkeit der Völcker unterschiedliche Gesellschafften
derselben, d.i. Vereinigungen der
Kräffte ihrer vieler zu Erlangung
gemeinschafftlicher
Zwecke, und folglich gar mancherley Stände der Völcker unter
einander hervorgebracht. |
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Dahero, so weit man nur in denen Geschichten von den heutigen Begebenheiten
der
Völcker bis in die allerältesten zurück gehet, man durchgehends befinden
wird, daß jederzeit unterschiedene, so wohl benachtbarte, als auch zuweilen von
einander weit entlegene Völcker, zu ihrer gemeinschafftlichen Sicherheit, und
Unterhaltung allerhand nützlicher Commercien, ihre
Kräffte mit der grösten
Wachsamkeit und Sorgfalt haben zusammen setzen müssen. |
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Demnach da das erste und oberste
Gesetz der
Geselligkeit das Gesetz der
Liebe ist, und zwar der Liebe unsers Nechsten als unser selbst, so folget, daß
auch das erste und oberste Gesetz der Geselligkeit der
Völcker, und also des
Völcker-Rechts, das Gesetz einer zu unterhaltenden allgemeinen Gewogenheit und
Freundschafft der Völcker unter einander seyn müsse. |
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Daher erhellet, worinnen das wahre vernunfftmäßige |
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{Sp. 108} |
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Staats-Interesse überhaupt beruhe, und wie es von dem unächten, das nehmlich
der
Geselligkeit der
Völcker zuwider ist, und hierdurch von keiner gründlichen
Dauer seyn kan, unterschieden sey. Denn gleichwie der Geselligkeit die
unvernünfftige Eigenliebe, die ohne einen gnugsamen Grad der
Liebe anderer
Menschen ist, entgegen gesetzet ist, welche der wahrhaffte
Grund aller
Ungerechtigkeit und alles
Schadens ist, den die Menschen
unmittelbar andern,
mittelbar aber zugleich sich selbst anthun, also ist der Geselligkeit der
Völcker der unumschränckte Eigennutz entgegen, welcher ebenfalls der wahrhaffte
Grund ist aller Ungerechtigkeit, und alles Schadens, dem ein
Staat, der nur
allein auf sein eigenes Interesse bedacht ist, und solches auch mit unbefugtem
Schaden anderer Staaten zu befördern kein Bedencken träget, zwar unmittelbar
ebenfalls andern Völckern, mittelbar aber und durch die daher natürlich
fliessende Folgerungen, sich selbst anthut. In dessen Betrachtungen ein
vermeyntes Staats-Interesse, dass denen Grund-Gesetzen der Geselligkeit der
Völcker zuwider ist, unstreitig ein unächtes ist, und von keiner gründlichen
Dauer seyn kan. |
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Befugnisse und Pflichten |
Gleichwie aus der
Geselligkeit alle natürliche Befugnisse und
Pflichten der
Menschen gegen einander entspringen; also entspringen auch aus der Geselligkeit
der
Völcker alle natürliche Befugnisse und
Pflichten freyer Völcker gegen
einander; und zwar Befugnisse und Pflichten so wohl der Sicherheit, als der
geselligen Hülffe, und beyde wiederum theils vollkommene, theils
unvollkommene.Doch ist, vermöge der Geselligkeit ein jeder
Staat befugt, seine
ihm beywohnende
Kräffte zuförderst zu seiner eigenen Erhaltung und Wohlfahrt
anzuwenden, alsdenn aber und nach diesem
Zwecke allererst, auch zum Wohlseyn
anderer den nöthigen Beytrag zu thun. |
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Ein
Volck, das dem andern eine ihm schuldige
Pflicht versaget,
beleidiget
hierdurch nothwendig solches andere Volck, und ist also die Beleidigung wieder
gut zu machen, und den dadurch verursachten
Schaden zu ersetzen, durch das
Völcker-Recht
verbunden: Gleichwie auch der beleidigte Theil mit einer
billigen
Ersetzung des angethanen Unrechts sich begütigen, und also den
Frieden
beybehalten und wieder herstellen zu lassen, schuldig ist. |
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Rechte |
Die
Rechte oder Befugnisse, die ein freyes
Volck gegen ein anderes freyes
Volck zu haben vermeynet, und hierinnen, vermöge des äusserlichen Rechts der Völcker, seinem eigenen
Urtheile folget, kan solches andere freye Volck jenem
erstern, vermöge eben desselben äusserlichen Rechts der Völcker entweder
zugestehen, oder versagen, immassen es nicht weniger, seinem eigenen Urtheile
hierinnen zu folgen berechtiget ist; daher denn mancherley Rechts-Streitigkeiten
unter freyen Völckern entstehen können. |
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Prätension |
Ein
Recht, das ein freyes
Volck gegen das andere zu haben vermeynet, und dem
andern würcklich ansinnet, welches andere Volck aber solches Recht jenem
zuzugestehen sich nicht schuldig
erkennet, wird eine Prätension genennet. Das
Recht, die Prätensionen freyer Völcker bey vorfallenden Streitigkeiten zu
entscheiden, kan in Ansehung der natürl. Freiheit, und des daher entstehenden
äusserl. Rechts der Völcker in ih- |
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{Sp. 109|S. 68] |
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ren Streitigkeiten ihre eigene
Richter zu seyn, niemanden als denen
Partheyen selbst zukommen. Also stehet auch der Umstand der Zeit, wenn ein
Staat
die Prätensionen, die er hat, treiben wolle, lediglich bey ihm; immassen keiner
hierinnen dem andern etwas vorzuschreiben hat, und die Gerechtigkeit die
Regeln
der
Klugheit, bequehme Zeiten zu erwarten, nicht ausschliesset. |
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Ob man dahero gleich seinen
Rechten auch entsagen, und wenn solches
geschehen, sie nicht nach Gefallen wieder hervor suchen kan; so ist doch, wenn
ein freyes
Volck, eine Prätension zu treiben eine Zeitlang unterlassen, solches
nicht so fort vor eine stillschweigende Begebung derselben zu achten, wenn nicht
andere Umstände, aus denen solche Begebung durch richtige Folge geschlossen
werden kan, hinzukommen, dahero, wenn dergleichen Handlungen oder Umstände
vorhanden seyn solten, aus denen man wieder die Absicht dessen, der eine
Prätension hat, eine stillschweigende Entsagung möchte schliessen wollen; ein
Volck entweder durch ausdrückliche Protestation, oder durch andere
entgegengesetzte Handlungen sich zu verwahren hat. |
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Der
Grund, die Prätensionen freyer
Völcker zu entscheiden, kan kein anderer
seyn, als das innerliche natürliche Völcker-Recht. Denn an die Privat-Rechte,
die denen
Unterthanen von ihren Gesetzgebern vorgeschrieben werden, z.E. an das
Römische und
Päbstische Recht, können freye Völcker nicht gebunden seyn. Wenn
sie dahero ihre Prätensionen gegen einander rechtlich entscheiden wollen, so kan
solches nach keinem andern, als nach einem allgemeinen Völcker-Rechte geschehen,
dessen kein anderes, als das natürliche möglich ist. |
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Von dem äusserlichen natürlichen Völcker-Rechte nun ist, wenn freye
Völcker
ihre Streitigkeiten rechtlich entscheiden wollen, die Frage nicht; indem, da sie
einander allerseits vor freye Völcker
erkennen, sie schon vorher, ehe sie sich
in eine rechtliche Untersuchung mit einander einlassen, einander das äusserliche
Recht, in ihren Rechten und Prätensionen ihre eigene
Richter zu seyn, (in
welchem Puncte das äusserliche Völcker-Recht bestehet,) zugestehen. |
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Also muß, wenn freye
Völcker die
Rechts-Gründe ihrer Prätensionen mit
einander untersuchen, lediglich und allein von der Gerechtigkeit derselben nach
dem innerlichen natürlichen Völcker-Rechte die Frage, und besagtes Recht also
der eintzige wahrhaffte
Grund aller Rechtfertigungen freyer Völcker seyn: Massen
solches auch aus der Definition der natürlichen Freyheit, in welcher die Völcker
sich befinden, deutlich erhellet, als welche ein Recht eines jeden
Volcks ist,
in seinen Überlegungen dessen, was recht, d.i. dem innerlichen Völcker-Rechte
gemäß sey, seinem eigenen
Urtheilen zu folgen, nicht aber ein Recht, ohne alle
Überlegung und Absicht, ob etwas innerlich recht sey, oder nicht, nach seinen
Lüsten alles zu thun, was es nur wolle, wenn nur niemand, wie etwa im
Stande der
Republiquen, ein äußerliches Recht, es zu verbieten, habe. |
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Entscheidungen |
Endlich die Art und Weise, wie freye
Völcker ihre rechtlichen Prätensionen
gegen einander selbst entscheiden, kan nicht anders als zweyerley seyn: Erstlich
eine ordentliche, durch freundliche
Unterhandlungen, um vermittelst derselben zu
gütlichen Ver- |
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{Sp. 110} |
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gleich durch Pacte zu gelangen; zum anderen in Entstehung jener erstern eine
ausserordentliche, durch Krieg; wie Cicero Offic. L. I. c.
1. sehr wohl lehret: Cum duo sint genera decertandi, unum per
disceptationem, alterum per vim, cumque illud proprium sit hominis, hoc
belluarum; consugiendum est ad posterius, si uti non licet priore. Da
vermöge der
Geselligkeit der Völcker ein jeder
Staat befugt ist, seine
Kräffte
zuförderst zu seiner eigenen Erhaltung anzuwenden, und sodann erst andern, die
seiner Hülffe bedürffen, beyzuspringen. |
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Recht der Not |
Dieweil die
Geselligkeit, und alle daraus fliessende
Pflichten der
Völcker
gegen einander, unstreitig der eigenen Wohlfahrt eines
Staats, als ein Mittel
seinem
Zwecke subordiniret, und diesem also nicht entgegen seyn muß, so folget,
daß alles, was von dem Rechte der Noth überhaupt
gesaget wird, auch unter freyen
Völckern statt finden müsse; daß nehmlich, wenn eine nach den
Regeln der
Geselligkeit einem Staate sonst ordentlicher Weise obliegende
Pflicht, bey
besondern sich eräugnenden Umständen, dem Staate zu seinem eigenen Ruin
gereichen, oder mit dem
Verlust eines guten verbunden seyn würde, daß das gute,
welches der
Zweck solcher Pflichten, offenbarlich überwiegen würde; solche
Pflicht durch das Recht der Noth, als welche kein
Gesetze hat, eine Pflicht zu
seyn aufhöre, und daß also in ausserordentlichen Nothfällen, dergleichen
insonderheit in denen Staats-Begebenheiten viele sehr wichtige, und zwar gar
offt, vorkommen können, ein Staat etwas zu thun berechtiget seyn könne, das
sonst an sich selbst, und in andern Fällen, nicht recht seyn würde; z.E. einen
übelgesinnten Nachtbar, der etwas gefährliches im
Sinne hat, durch allerhand
List und Verstellungen zu hintergehen; von einem Bündnisse, das durch
unversehene neue Conjuncturen dem
Reiche, und der gemeinen Ruhe und Wohlfahrth
vieler anderer Länder
schädlich zu werden beginnet abzuweichen; ja wohl gar
andere solchen ersten Bündnissen entgegengesetzte zu schliessen, u.s.w. |
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Staats-Raison |
Der gantze Zusammenhang, oder das gantze Systema, derer bey
gewissen Staats-Conjuncturen zur Sicherheit und Wohlfahrth eines und vieler
anderer
Reiche gefasseten
rechtmäßigen Anschläge, wird insgemein ratio
status oder die Staats-Raison[1] genennet; welche also in unterschiedenen
Reichen, zu unterschiedenen Zeiten, und bey unterschiedenen Staats-Conjuncturen,
nothwendig mancherley seyn muß, und an sich selbst so wenig etwas ungerechtes
seyn kan, als es ungerecht seyn kan, die Sicherheit und wahre Wohlfahrth der
Länder durch wohl ersonnene, und richtig an einander hangende Rathschläge und
Mittel zu befördern. |
[1] |
HIS-Data: siehe auch Teutsche Staats-Raison |
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Die Staats-Raison kan demnach, vermöge des angeführten, entweder eine
ordentliche; oder eine ausserordentliche seyn. Die ordentliche Staats-Raison
ist, wenn der gantze Zusammenhang aller solcher an einander hängenden, auf das
Heil der Länder gerichteten Anschläge, an sich selbst rechtmäßig ist. Die
ausserordentliche aber ist, wenn bei ausserordentlichen Umständen ein
Staat
zuweilen etwas, das sonst überhaupt und an sich selbst nicht recht ist, mit in
den obgedachten Zusammenhang seiner auf die Wohlfahrth der Länder gerichteten
Anschläge zu bringen, durch ein wahr- |
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{Sp. 111|S. 69} |
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hafftes Noth-Gesetz sich genöthiget siehet; wovon Tacitus
L. XIV. c. 43. zu
verstehen, da er
spricht: Habet aliquid ex iniquo
omne magnum exemplum, quod contra singulos utilitate publica rependitur.
Wenn der Zusammenhang der gefasseten Rathschläge nicht auf ein wahrhafftes und
wohlgegründetes, sondern auf einen unächtes, falsches und ungerechtes
Staats-Interesse gerichtet ist; so ist auch solcher Zusammenhang nicht eine
wahrhaffte und mündliche, sondern eine unächte und betrügliche Staats-Raison. |
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Eidschwüre |
Da das Völcker-Recht kein anderes ist, als das
Göttliche
natürliche Recht,
insoferne es auf den
Stand freyer
Völcker appliciret wird, und solchergestalt
der kräfftigste
Bewegungs-Grund, der die
Völcker, solcher
Pflichten heiliglich
zu halten, eintreiben soll, die Erwegung der wahrhafften Göttlichkeit solcher
Pflichten ist, und daß
GOtt durch eine festgesetzte
Ordnung der Natur, die auf
der
Geselligkeit der
menschlichen
Natur beruhet, das Wohl und Wehe der Völcker
an die Beobachtung u. Übertretung besagter Pflichten gebunden; die
Gewissenhaffte Erwegung aber der wahrhafften Göttlichkeit unserer Pflichten die
uns zu Beobachtung derselben kräfftigst antreiben sollen, den Eydschwur
hervorbringet, so folget, daß die Eydschwüre auch unter freyen Völckern statt
finden können, und von ihnen heiliglich zu halten sind. |
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Hieher gehöret insonderheit, daß, wo keine wahrhaffte
Pflicht schon vor dem
Eydschwur vorhanden ist, auch der Eyd von keiner
Krafft seyn könne; u. daß
dahero, wo nach einer wahren, in dem
Göttl.
natürl. Rechte gegründeten
Staats-Raison, durch ein wahrhafftes Recht der Noth, eine sonst überhaupt den
Völckern obliegende Pflicht hinweg fällt, auch ein in Absicht auf solche Pflicht
geleisteter Eyd von keiner Krafft seyn könne. Doch würde es sehr unverständig
seyn, wenn man daher schliessen wolte, daß es etwa überhaupt eine löbliche
Staats-Raison sey, in
Staats-Sachen weder Pflicht noch Eydschwur etwas gelten zu
lassen. |
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Zurechnung |
Vermöge der
Geselligkeit der
Völcker, durch welche das wahrhaffte
Staats-Interesse des einen Volckes mit dem wahrhafften Staats-Interesse des
andern immerzu in genauer Verbindung stehet, ist ein jedes Volck befugt, nicht
allein um seiner eigene, sondern auch um anderer Völcker
Staats-Geschäffte sich
sorgfältig zu bekümmern, und deren Gerechtigkeit zu beurtheilen. Aus diesem
Grunde entspringet, auch unter freyen Völckern, die imputatio oder
Zurechnung ihrer Unternehmungen, welche ist ein
vernünfftiges Urtheil, ob ein
Unternehmen eines
Staats dem Völcker-Rechte gemäß sey, oder nicht, und wer es
eigentlich als der wahre Urheber zu verantworten habe, damit andere Völcker in
Ansehung ihrer dabey ihnen zukommenden Befugnisse und
Pflichten, in ihren zu
ergreiffenden Rathschlägen und Entschliessungen sich darnach mögen achten
können. |
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Es ist demnach, auch in der Imputation des Völcker-Rechts, auf zweyerley
zusehen, erstlich, wem ein Unternehmen zuzurechnen sey; zum anderen wovor es ihm
anzurechnen seyn, ob nemlich vor ein
rechtmäßiges oder vor ein ungerechtes
Unternehmen. Also da die
Unterthanen eines
Staats einmahl vor allemahl gewolt,
daß der einige
Wille ihres
Regenten ihrer aller Wille seyn solle; auch, über
diese |
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{Sp. 112} |
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Einigkeit der Willen zu halten, alle ihre
Kräffte zusammen vereiniget, und
den Regenten damit ausgerüstet; so ist nothwendig alles, was der Regent krafft
der Majestät wieder auswärtige
Völcker beginnet, vor ein Beginnen des gantzen
Staats, und aller Inwohner zu achten, und dahero dem Völcker-Rechte gemäß, daß
die
Thaten des Regenten dem gantzen Staate zugerechnet werden; folglich die
Unterthanen die von ihrem Regenten verübte
Beleidigungen entgelten müssen, und
zu dem Ende mit Feuer und Schwerd verfolget werden können. |
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Gesetzt demnach, daß ein
Regent sein
Reich auch in einen unnöthigen und
schädlichen Krieg verwickelt; so ist es dennoch, vermöge des angeführten
Grundes
nicht ungerecht, wenn es nach dem bekannten Verse heisset: |
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Quicquid delirant reges, plectuntur Archivi: |
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immassen die Noth, in die hernach das Reich verfällt, unter die Übel
gehöret, die im
Stande
weltlicher
Reiche nicht zu vermeiden sind. |
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Gleichwie die Befugnisse und
Pflichten der
Menschen überhaupt nach denen
mancherley
Ständen, in denen sie sich befinden, unterschieden sind, also beruhet
auch auf dem Unterschiede der Stände der
Völcker der Unterschied ihrer
Befugnisse und Pflichten. Andere haben unter ihnen statt im Stande des
Friedens,
andere im Stande des Krieges; andere im Stande der Bündnisse, u.s.w. Doch muß
zuförderst ein natürlicher Stand der Völcker seyn, in welchem sie ohne alles
willkührliche zuthun, oder besondere Pacte unter einander sich befinden. Dieser
ist der Stand der natürlichen Freyheit. Dieser aber, da er nichts anderes ist
als ein Recht, in Beurtheilung seiner Befugnisse und Pflichten seinen
Überlegungen, und in Beobachtung beyder seinen eigenen Entschliessungen zu
folgen, setzet durch unumstößliche Folge Gesetze der Natur voraus, als ohne
welche weder Befugnis noch Pflicht seyn kan. |
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Frieden der natürliche Stand |
Nach diesen Gesetzen der Natur muß der natürliche Stand der Völcker ein
Stand
nicht des Kriegs, sondern des
Friedens seyn, dieweil besagte Gesetze der
Natur, die die Völcker zum Frieden verbinden, nicht menschliche Anstalten,
(dergleichen zu einem willkührlichen Stande erfordert werden,) sondern Göttliche
natürliche
Ordnungen sind; auch der Stand des Krieges selbst, in welchen die
Völcker zum öfftern durch ihr willkührliches thun, und also durch einen nicht
natürlichen, sondern von ihnen selbst willkührlich veranlasseten Stand
verfallen,
Rechte und
Pflichten voraus setzet, die das eine
Volck wider das
andere mit
Gewalt zu behaupten suchet, und also einen Stand des Friedens, der da
unterbrochen worden, und nun mit Gewalt wieder gesuchet wird; wenn man anders
einen Krieg
vernünfftiger
Menschen nicht mit einem Kampfe unvernünfftiger Thiere
vor einerley halten will. |
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Eigentum |
Allein da im
Stande der
Natur, in sofern er überhaupt allen willkührlichen
Ständen entgegen gesetzet wird, nicht allein in Ansehung der
Personen keine
menschliche
Herrschafft
und Unterwürffigkeit, sondern auch in Ansehung der
Güter
kein Eigenthum seyn kan, so hat man die Frage aufgeworffen, ob nicht, da freye
Völcker
im Stande der Natur sich gegen einander befinden, unter ihnen auch die
Rechte |
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{Sp. 113|S. 70} |
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des Eigenthums hinweg fallen müssen? Bynckershoeck de
dominio maris, c. 1 hat die Frage bejahet, indem er der
Meynung
ist, daß das Eigenthum allererst im Stande der
weltlichen
Reiche durch bürgerliche
Gesetze eingeführet worden, an welche freye Völcker nicht gebunden wären: Dahero
nicht allein kein Volck das andere vor einen Eigenthums-Herrn des von ihm
bewohnten Landes zu
erkennen schuldig sey; sondern auch ein
Bürger oder
Unterthan eines
Reiches das Eigenthum über seine Güter nur unter seinen
Mitbürgern, vermöge der bürgerlichen Gesetze seines Landes, habe, welches
hingegen ihm zuzugestehen andere Völcker, die besagten bürgerlichen Gesetzen
nicht unterthan wären, nicht gehalten seyn könnten; es wäre dann, daß zwey oder
mehrere Völcker deshalber mit einander ein Bündniß hätten. |
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Andere sind noch weiter gegangen, und haben aus diesem
Grunde schliessen
wollen, daß die bekannten latrocinia gentium, oder Räubereyen, die die
Völcker gegen einander verübet, dem Völcker-Rechte nicht zuwider gewesen, wie
Hobbes de Cive, c. 5 §. 2 davor hält: Priscis
temporibus [folgen 10 Zeilen lateinischer Text]. |
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Kolonien |
Sie haben ferner daher geschlossen, daß die Weise der Griechen und Römer,
Colonien in fremde Länder zu schicken, um nach Vertreibung der vorigen Innwohner
sich allda niederzulassen, ingleichen die aus den neuern Geschichten bekannten
Migrationen der
Völcker, sich nach dem Völcker-Rechte noch wohl rechtfertigen
liessen: Daß also die Spanier, als ihnen Columbus West-Indien entdecket, nicht
von nöthen gehabt, eine Schenckung von dem Pabste sich auszuwürcken, damit sie
die Americanischen Völcker mit
Recht zu vertreiben, und ihre Länder und
Reichthümer mit Recht sich zuzueignen scheinen möchten; ja daß überhaupt ein
Volck dem andern, mit dem es wegen der besessenen Länder in keinem Pacte noch
Bündniß stünde, alles, was es nur könne, bey aller Gelegenheit abzuzwacken
berechtiget sey. |
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Allein da die ursprüngliche Gemeinschafft aller
Dinge
zwar im Anfange, nicht aber auch im Fortgange des
menschlichen
Geschlechts möglich gewesen; und also
das Recht der Natur die
Menschen
verbunden hat, mit Aufhebung der Gemeinschafft
aller Dinge das
Eigenthum einzuführen; so folgert, daß, da also ein Mensch dem
andern sein Eigenthum zuzugestehen nach dem Rechte der Natur verbunden ist, auch
ein Volck dem andern das Seinige zu lassen nach dem Völcker-Rechte schuldig seyn
müsse, |
Griebner Princip. Jurispr. ... |
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Zumahl da der
Stand des
Eigenthums sonder Zweiffel weit älter ist, als der
Stand der
Völcker; indem die
Mensch vorher in gewissen
Landes-Gegenden, die
sie
eigenthümlich inne gehabt, sich in
weltliche
Reiche haben vereinigen, und
also erst in unterschiedene Völcker |
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{Sp. 114} |
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sich haben zertheilen müssen, ehe der Stand der Völcker hat entstehen
können. Dahero, wenn man
saget, daß freye Völcker sich gegen einander im Stande
der Natur befinden, der Stand der Natur nicht in weitem
Verstande zu verstehen
ist, sondern in engern und besonderm Verstande, in welchem er blos dem
Civil-Stande entgegen gesetzet wird, einen Stand bedeute, in welchem man blos
und allein von der Unterwürffigkeit unter eine weltliche
Herrschafft
abstrahiret. |
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