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Zedler: Völcker-Recht [2] HIS-Data
5028-50-98-4-02
Titel: Völcker-Recht [2]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 50 Sp. 107
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 50 S. 67
Vorheriger Artikel: Völcker-Recht [1]
Folgender Artikel: Völcker-Recht [3]
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

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Übersicht
Anwendung des Naturrechts
Befugnisse und Pflichten
  Rechte
 
  Prätension
 
  Entscheidungen
  Recht der Not
  Staats-Raison
  Eidschwüre
  Zurechnung
  Frieden der natürliche Stand
  Eigentum
 
  Kolonien

Stichworte Text Quellenangaben und Anmerkungen
Anwendung des Naturrechts Weil das Völcker-Recht nichts anders ist, als das Recht der Natur, in soferne auch freye Völcker es als ein göttliches Recht zu beobachten verbunden sind: so brauchet man in Abhandlung desselben keine neuen Lehren, sondern es dürffen nur die Gesetze des natürlichen Rechts auf den Stand freyer Völcker appliciret werden. Es soll dieses allhier in aller Kürtze geschehen.  
  Da die menschliche Natur gesellig ist, so, daß durch die Geselligkeit nicht etwa nur etliche Menschen, oder nur viele, sondern das gantze menschliche Geschlecht einen moralischen Zusammenhang hat; so hat dadurch, daß das menschliche Geschlecht sich in so mancherley freye Völcker zertheilet, die Geselligkeit unter ihnen so wenig, als die menschliche Natur, aufhören können. Dannenhero, gleichwie der erste und näheste Grund des Rechts der Natur überhaupt die Geselligkeit ist: also ist der erste und näheste Grund des Völcker-Rechts die Geselligkeit der Völcker: immassen auch, gleichwie die Geselligkeit der menschlichen Natur überhaupt, nothwendig vielerley würckliche Gesellschafften, und diese wiederum gar unterschiedene Stände der Menschen, nach sich gezogen; also auch die Geselligkeit der Völcker unterschiedliche Gesellschafften derselben, d.i. Vereinigungen der Kräffte ihrer vieler zu Erlangung gemeinschafftlicher Zwecke, und folglich gar mancherley Stände der Völcker unter einander hervorgebracht.  
  Dahero, so weit man nur in denen Geschichten von den heutigen Begebenheiten der Völcker bis in die allerältesten zurück gehet, man durchgehends befinden wird, daß jederzeit unterschiedene, so wohl benachtbarte, als auch zuweilen von einander weit entlegene Völcker, zu ihrer gemeinschafftlichen Sicherheit, und Unterhaltung allerhand nützlicher Commercien, ihre Kräffte mit der grösten Wachsamkeit und Sorgfalt haben zusammen setzen müssen.  
  Demnach da das erste und oberste Gesetz der Geselligkeit das Gesetz der Liebe ist, und zwar der Liebe unsers Nechsten als unser selbst, so folget, daß auch das erste und oberste Gesetz der Geselligkeit der Völcker, und also des Völcker-Rechts, das Gesetz einer zu unterhaltenden allgemeinen Gewogenheit und Freundschafft der Völcker unter einander seyn müsse.  
  Daher erhellet, worinnen das wahre vernunfftmäßige  
  {Sp. 108}  
  Staats-Interesse überhaupt beruhe, und wie es von dem unächten, das nehmlich der Geselligkeit der Völcker zuwider ist, und hierdurch von keiner gründlichen Dauer seyn kan, unterschieden sey. Denn gleichwie der Geselligkeit die unvernünfftige Eigenliebe, die ohne einen gnugsamen Grad der Liebe anderer Menschen ist, entgegen gesetzet ist, welche der wahrhaffte Grund aller Ungerechtigkeit und alles Schadens ist, den die Menschen unmittelbar andern, mittelbar aber zugleich sich selbst anthun, also ist der Geselligkeit der Völcker der unumschränckte Eigennutz entgegen, welcher ebenfalls der wahrhaffte Grund ist aller Ungerechtigkeit, und alles Schadens, dem ein Staat, der nur allein auf sein eigenes Interesse bedacht ist, und solches auch mit unbefugtem Schaden anderer Staaten zu befördern kein Bedencken träget, zwar unmittelbar ebenfalls andern Völckern, mittelbar aber und durch die daher natürlich fliessende Folgerungen, sich selbst anthut. In dessen Betrachtungen ein vermeyntes Staats-Interesse, dass denen Grund-Gesetzen der Geselligkeit der Völcker zuwider ist, unstreitig ein unächtes ist, und von keiner gründlichen Dauer seyn kan.  
Befugnisse und Pflichten Gleichwie aus der Geselligkeit alle natürliche Befugnisse und Pflichten der Menschen gegen einander entspringen; also entspringen auch aus der Geselligkeit der Völcker alle natürliche Befugnisse und Pflichten freyer Völcker gegen einander; und zwar Befugnisse und Pflichten so wohl der Sicherheit, als der geselligen Hülffe, und beyde wiederum theils vollkommene, theils unvollkommene.Doch ist, vermöge der Geselligkeit ein jeder Staat befugt, seine ihm beywohnende Kräffte zuförderst zu seiner eigenen Erhaltung und Wohlfahrt anzuwenden, alsdenn aber und nach diesem Zwecke allererst, auch zum Wohlseyn anderer den nöthigen Beytrag zu thun.  
  Ein Volck, das dem andern eine ihm schuldige Pflicht versaget, beleidiget hierdurch nothwendig solches andere Volck, und ist also die Beleidigung wieder gut zu machen, und den dadurch verursachten Schaden zu ersetzen, durch das Völcker-Recht verbunden: Gleichwie auch der beleidigte Theil mit einer billigen Ersetzung des angethanen Unrechts sich begütigen, und also den Frieden beybehalten und wieder herstellen zu lassen, schuldig ist.  
Rechte Die Rechte oder Befugnisse, die ein freyes Volck gegen ein anderes freyes Volck zu haben vermeynet, und hierinnen, vermöge des äusserlichen Rechts der Völcker, seinem eigenen Urtheile folget, kan solches andere freye Volck jenem erstern, vermöge eben desselben äusserlichen Rechts der Völcker entweder zugestehen, oder versagen, immassen es nicht weniger, seinem eigenen Urtheile hierinnen zu folgen berechtiget ist; daher denn mancherley Rechts-Streitigkeiten unter freyen Völckern entstehen können.  
Prätension Ein Recht, das ein freyes Volck gegen das andere zu haben vermeynet, und dem andern würcklich ansinnet, welches andere Volck aber solches Recht jenem zuzugestehen sich nicht schuldig erkennet, wird eine Prätension genennet. Das Recht, die Prätensionen freyer Völcker bey vorfallenden Streitigkeiten zu entscheiden, kan in Ansehung der natürl. Freiheit, und des daher entstehenden äusserl. Rechts der Völcker in ih-  
  {Sp. 109|S. 68]  
  ren Streitigkeiten ihre eigene Richter zu seyn, niemanden als denen Partheyen selbst zukommen. Also stehet auch der Umstand der Zeit, wenn ein Staat die Prätensionen, die er hat, treiben wolle, lediglich bey ihm; immassen keiner hierinnen dem andern etwas vorzuschreiben hat, und die Gerechtigkeit die Regeln der Klugheit, bequehme Zeiten zu erwarten, nicht ausschliesset.  
  Ob man dahero gleich seinen Rechten auch entsagen, und wenn solches geschehen, sie nicht nach Gefallen wieder hervor suchen kan; so ist doch, wenn ein freyes Volck, eine Prätension zu treiben eine Zeitlang unterlassen, solches nicht so fort vor eine stillschweigende Begebung derselben zu achten, wenn nicht andere Umstände, aus denen solche Begebung durch richtige Folge geschlossen werden kan, hinzukommen, dahero, wenn dergleichen Handlungen oder Umstände vorhanden seyn solten, aus denen man wieder die Absicht dessen, der eine Prätension hat, eine stillschweigende Entsagung möchte schliessen wollen; ein Volck entweder durch ausdrückliche Protestation, oder durch andere entgegengesetzte Handlungen sich zu verwahren hat.  
  Der Grund, die Prätensionen freyer Völcker zu entscheiden, kan kein anderer seyn, als das innerliche natürliche Völcker-Recht. Denn an die Privat-Rechte, die denen Unterthanen von ihren Gesetzgebern vorgeschrieben werden, z.E. an das Römische und Päbstische Recht, können freye Völcker nicht gebunden seyn. Wenn sie dahero ihre Prätensionen gegen einander rechtlich entscheiden wollen, so kan solches nach keinem andern, als nach einem allgemeinen Völcker-Rechte geschehen, dessen kein anderes, als das natürliche möglich ist.  
  Von dem äusserlichen natürlichen Völcker-Rechte nun ist, wenn freye Völcker ihre Streitigkeiten rechtlich entscheiden wollen, die Frage nicht; indem, da sie einander allerseits vor freye Völcker erkennen, sie schon vorher, ehe sie sich in eine rechtliche Untersuchung mit einander einlassen, einander das äusserliche Recht, in ihren Rechten und Prätensionen ihre eigene Richter zu seyn, (in welchem Puncte das äusserliche Völcker-Recht bestehet,) zugestehen.  
  Also muß, wenn freye Völcker die Rechts-Gründe ihrer Prätensionen mit einander untersuchen, lediglich und allein von der Gerechtigkeit derselben nach dem innerlichen natürlichen Völcker-Rechte die Frage, und besagtes Recht also der eintzige wahrhaffte Grund aller Rechtfertigungen freyer Völcker seyn: Massen solches auch aus der Definition der natürlichen Freyheit, in welcher die Völcker sich befinden, deutlich erhellet, als welche ein Recht eines jeden Volcks ist, in seinen Überlegungen dessen, was recht, d.i. dem innerlichen Völcker-Rechte gemäß sey, seinem eigenen Urtheilen zu folgen, nicht aber ein Recht, ohne alle Überlegung und Absicht, ob etwas innerlich recht sey, oder nicht, nach seinen Lüsten alles zu thun, was es nur wolle, wenn nur niemand, wie etwa im Stande der Republiquen, ein äußerliches Recht, es zu verbieten, habe.  
Entscheidungen Endlich die Art und Weise, wie freye Völcker ihre rechtlichen Prätensionen gegen einander selbst entscheiden, kan nicht anders als zweyerley seyn: Erstlich eine ordentliche, durch freundliche Unterhandlungen, um vermittelst derselben zu gütlichen Ver-  
  {Sp. 110}  
  gleich durch Pacte zu gelangen; zum anderen in Entstehung jener erstern eine ausserordentliche, durch Krieg; wie Cicero Offic. L. I. c. 1. sehr wohl lehret: Cum duo sint genera decertandi, unum per disceptationem, alterum per vim, cumque illud proprium sit hominis, hoc belluarum; consugiendum est ad posterius, si uti non licet priore. Da vermöge der Geselligkeit der Völcker ein jeder Staat befugt ist, seine Kräffte zuförderst zu seiner eigenen Erhaltung anzuwenden, und sodann erst andern, die seiner Hülffe bedürffen, beyzuspringen.  
Recht der Not Dieweil die Geselligkeit, und alle daraus fliessende Pflichten der Völcker gegen einander, unstreitig der eigenen Wohlfahrt eines Staats, als ein Mittel seinem Zwecke subordiniret, und diesem also nicht entgegen seyn muß, so folget, daß alles, was von dem Rechte der Noth überhaupt gesaget wird, auch unter freyen Völckern statt finden müsse; daß nehmlich, wenn eine nach den Regeln der Geselligkeit einem Staate sonst ordentlicher Weise obliegende Pflicht, bey besondern sich eräugnenden Umständen, dem Staate zu seinem eigenen Ruin gereichen, oder mit dem Verlust eines guten verbunden seyn würde, daß das gute, welches der Zweck solcher Pflichten, offenbarlich überwiegen würde; solche Pflicht durch das Recht der Noth, als welche kein Gesetze hat, eine Pflicht zu seyn aufhöre, und daß also in ausserordentlichen Nothfällen, dergleichen insonderheit in denen Staats-Begebenheiten viele sehr wichtige, und zwar gar offt, vorkommen können, ein Staat etwas zu thun berechtiget seyn könne, das sonst an sich selbst, und in andern Fällen, nicht recht seyn würde; z.E. einen übelgesinnten Nachtbar, der etwas gefährliches im Sinne hat, durch allerhand List und Verstellungen zu hintergehen; von einem Bündnisse, das durch unversehene neue Conjuncturen dem Reiche, und der gemeinen Ruhe und Wohlfahrth vieler anderer Länder schädlich zu werden beginnet abzuweichen; ja wohl gar andere solchen ersten Bündnissen entgegengesetzte zu schliessen, u.s.w.  
Staats-Raison Der gantze Zusammenhang, oder das gantze Systema, derer bey gewissen Staats-Conjuncturen zur Sicherheit und Wohlfahrth eines und vieler anderer Reiche gefasseten rechtmäßigen Anschläge, wird insgemein ratio status oder die Staats-Raison[1] genennet; welche also in unterschiedenen Reichen, zu unterschiedenen Zeiten, und bey unterschiedenen Staats-Conjuncturen, nothwendig mancherley seyn muß, und an sich selbst so wenig etwas ungerechtes seyn kan, als es ungerecht seyn kan, die Sicherheit und wahre Wohlfahrth der Länder durch wohl ersonnene, und richtig an einander hangende Rathschläge und Mittel zu befördern.
[1] HIS-Data: siehe auch Teutsche Staats-Raison
  Die Staats-Raison kan demnach, vermöge des angeführten, entweder eine ordentliche; oder eine ausserordentliche seyn. Die ordentliche Staats-Raison ist, wenn der gantze Zusammenhang aller solcher an einander hängenden, auf das Heil der Länder gerichteten Anschläge, an sich selbst rechtmäßig ist. Die ausserordentliche aber ist, wenn bei ausserordentlichen Umständen ein Staat zuweilen etwas, das sonst überhaupt und an sich selbst nicht recht ist, mit in den obgedachten Zusammenhang seiner auf die Wohlfahrth der Länder gerichteten Anschläge zu bringen, durch ein wahr-  
  {Sp. 111|S. 69}  
  hafftes Noth-Gesetz sich genöthiget siehet; wovon Tacitus L. XIV. c. 43. zu verstehen, da er spricht: Habet aliquid ex iniquo omne magnum exemplum, quod contra singulos utilitate publica rependitur. Wenn der Zusammenhang der gefasseten Rathschläge nicht auf ein wahrhafftes und wohlgegründetes, sondern auf einen unächtes, falsches und ungerechtes Staats-Interesse gerichtet ist; so ist auch solcher Zusammenhang nicht eine wahrhaffte und mündliche, sondern eine unächte und betrügliche Staats-Raison.  
Eidschwüre Da das Völcker-Recht kein anderes ist, als das Göttliche natürliche Recht, insoferne es auf den Stand freyer Völcker appliciret wird, und solchergestalt der kräfftigste Bewegungs-Grund, der die Völcker, solcher Pflichten heiliglich zu halten, eintreiben soll, die Erwegung der wahrhafften Göttlichkeit solcher Pflichten ist, und daß GOtt durch eine festgesetzte Ordnung der Natur, die auf der Geselligkeit der menschlichen Natur beruhet, das Wohl und Wehe der Völcker an die Beobachtung u. Übertretung besagter Pflichten gebunden; die Gewissenhaffte Erwegung aber der wahrhafften Göttlichkeit unserer Pflichten die uns zu Beobachtung derselben kräfftigst antreiben sollen, den Eydschwur hervorbringet, so folget, daß die Eydschwüre auch unter freyen Völckern statt finden können, und von ihnen heiliglich zu halten sind.  
  Hieher gehöret insonderheit, daß, wo keine wahrhaffte Pflicht schon vor dem Eydschwur vorhanden ist, auch der Eyd von keiner Krafft seyn könne; u. daß dahero, wo nach einer wahren, in dem Göttl. natürl. Rechte gegründeten Staats-Raison, durch ein wahrhafftes Recht der Noth, eine sonst überhaupt den Völckern obliegende Pflicht hinweg fällt, auch ein in Absicht auf solche Pflicht geleisteter Eyd von keiner Krafft seyn könne. Doch würde es sehr unverständig seyn, wenn man daher schliessen wolte, daß es etwa überhaupt eine löbliche Staats-Raison sey, in Staats-Sachen weder Pflicht noch Eydschwur etwas gelten zu lassen.  
Zurechnung Vermöge der Geselligkeit der Völcker, durch welche das wahrhaffte Staats-Interesse des einen Volckes mit dem wahrhafften Staats-Interesse des andern immerzu in genauer Verbindung stehet, ist ein jedes Volck befugt, nicht allein um seiner eigene, sondern auch um anderer Völcker Staats-Geschäffte sich sorgfältig zu bekümmern, und deren Gerechtigkeit zu beurtheilen. Aus diesem Grunde entspringet, auch unter freyen Völckern, die imputatio oder Zurechnung ihrer Unternehmungen, welche ist ein vernünfftiges Urtheil, ob ein Unternehmen eines Staats dem Völcker-Rechte gemäß sey, oder nicht, und wer es eigentlich als der wahre Urheber zu verantworten habe, damit andere Völcker in Ansehung ihrer dabey ihnen zukommenden Befugnisse und Pflichten, in ihren zu ergreiffenden Rathschlägen und Entschliessungen sich darnach mögen achten können.  
  Es ist demnach, auch in der Imputation des Völcker-Rechts, auf zweyerley zusehen, erstlich, wem ein Unternehmen zuzurechnen sey; zum anderen wovor es ihm anzurechnen seyn, ob nemlich vor ein rechtmäßiges oder vor ein ungerechtes Unternehmen. Also da die Unterthanen eines Staats einmahl vor allemahl gewolt, daß der einige Wille ihres Regenten ihrer aller Wille seyn solle; auch, über diese  
  {Sp. 112}  
  Einigkeit der Willen zu halten, alle ihre Kräffte zusammen vereiniget, und den Regenten damit ausgerüstet; so ist nothwendig alles, was der Regent krafft der Majestät wieder auswärtige Völcker beginnet, vor ein Beginnen des gantzen Staats, und aller Inwohner zu achten, und dahero dem Völcker-Rechte gemäß, daß die Thaten des Regenten dem gantzen Staate zugerechnet werden; folglich die Unterthanen die von ihrem Regenten verübte Beleidigungen entgelten müssen, und zu dem Ende mit Feuer und Schwerd verfolget werden können.  
  Gesetzt demnach, daß ein Regent sein Reich auch in einen unnöthigen und schädlichen Krieg verwickelt; so ist es dennoch, vermöge des angeführten Grundes nicht ungerecht, wenn es nach dem bekannten Verse heisset:  
  Quicquid delirant reges, plectuntur Archivi:  
  immassen die Noth, in die hernach das Reich verfällt, unter die Übel gehöret, die im Stande weltlicher Reiche nicht zu vermeiden sind.  
  Gleichwie die Befugnisse und Pflichten der Menschen überhaupt nach denen mancherley Ständen, in denen sie sich befinden, unterschieden sind, also beruhet auch auf dem Unterschiede der Stände der Völcker der Unterschied ihrer Befugnisse und Pflichten. Andere haben unter ihnen statt im Stande des Friedens, andere im Stande des Krieges; andere im Stande der Bündnisse, u.s.w. Doch muß zuförderst ein natürlicher Stand der Völcker seyn, in welchem sie ohne alles willkührliche zuthun, oder besondere Pacte unter einander sich befinden. Dieser ist der Stand der natürlichen Freyheit. Dieser aber, da er nichts anderes ist als ein Recht, in Beurtheilung seiner Befugnisse und Pflichten seinen Überlegungen, und in Beobachtung beyder seinen eigenen Entschliessungen zu folgen, setzet durch unumstößliche Folge Gesetze der Natur voraus, als ohne welche weder Befugnis noch Pflicht seyn kan.  
Frieden der natürliche Stand Nach diesen Gesetzen der Natur muß der natürliche Stand der Völcker ein Stand nicht des Kriegs, sondern des Friedens seyn, dieweil besagte Gesetze der Natur, die die Völcker zum Frieden verbinden, nicht menschliche Anstalten, (dergleichen zu einem willkührlichen Stande erfordert werden,) sondern Göttliche natürliche Ordnungen sind; auch der Stand des Krieges selbst, in welchen die Völcker zum öfftern durch ihr willkührliches thun, und also durch einen nicht natürlichen, sondern von ihnen selbst willkührlich veranlasseten Stand verfallen, Rechte und Pflichten voraus setzet, die das eine Volck wider das andere mit Gewalt zu behaupten suchet, und also einen Stand des Friedens, der da unterbrochen worden, und nun mit Gewalt wieder gesuchet wird; wenn man anders einen Krieg vernünfftiger Menschen nicht mit einem Kampfe unvernünfftiger Thiere vor einerley halten will.  
Eigentum Allein da im Stande der Natur, in sofern er überhaupt allen willkührlichen Ständen entgegen gesetzet wird, nicht allein in Ansehung der Personen keine menschliche Herrschafft und Unterwürffigkeit, sondern auch in Ansehung der Güter kein Eigenthum seyn kan, so hat man die Frage aufgeworffen, ob nicht, da freye Völcker im Stande der Natur sich gegen einander befinden, unter ihnen auch die Rechte  
  {Sp. 113|S. 70}  
  des Eigenthums hinweg fallen müssen? Bynckershoeck de dominio maris, c. 1 hat die Frage bejahet, indem er der Meynung ist, daß das Eigenthum allererst im Stande der weltlichen Reiche durch bürgerliche Gesetze eingeführet worden, an welche freye Völcker nicht gebunden wären: Dahero nicht allein kein Volck das andere vor einen Eigenthums-Herrn des von ihm bewohnten Landes zu erkennen schuldig sey; sondern auch ein Bürger oder Unterthan eines Reiches das Eigenthum über seine Güter nur unter seinen Mitbürgern, vermöge der bürgerlichen Gesetze seines Landes, habe, welches hingegen ihm zuzugestehen andere Völcker, die besagten bürgerlichen Gesetzen nicht unterthan wären, nicht gehalten seyn könnten; es wäre dann, daß zwey oder mehrere Völcker deshalber mit einander ein Bündniß hätten.  
  Andere sind noch weiter gegangen, und haben aus diesem Grunde schliessen wollen, daß die bekannten latrocinia gentium, oder Räubereyen, die die Völcker gegen einander verübet, dem Völcker-Rechte nicht zuwider gewesen, wie Hobbes de Cive, c. 5 §. 2 davor hält: Priscis temporibus [folgen 10 Zeilen lateinischer Text].  
Kolonien Sie haben ferner daher geschlossen, daß die Weise der Griechen und Römer, Colonien in fremde Länder zu schicken, um nach Vertreibung der vorigen Innwohner sich allda niederzulassen, ingleichen die aus den neuern Geschichten bekannten Migrationen der Völcker, sich nach dem Völcker-Rechte noch wohl rechtfertigen liessen: Daß also die Spanier, als ihnen Columbus West-Indien entdecket, nicht von nöthen gehabt, eine Schenckung von dem Pabste sich auszuwürcken, damit sie die Americanischen Völcker mit Recht zu vertreiben, und ihre Länder und Reichthümer mit Recht sich zuzueignen scheinen möchten; ja daß überhaupt ein Volck dem andern, mit dem es wegen der besessenen Länder in keinem Pacte noch Bündniß stünde, alles, was es nur könne, bey aller Gelegenheit abzuzwacken berechtiget sey.  
  Allein da die ursprüngliche Gemeinschafft aller Dinge zwar im Anfange, nicht aber auch im Fortgange des menschlichen Geschlechts möglich gewesen; und also das Recht der Natur die Menschen verbunden hat, mit Aufhebung der Gemeinschafft aller Dinge das Eigenthum einzuführen; so folgert, daß, da also ein Mensch dem andern sein Eigenthum zuzugestehen nach dem Rechte der Natur verbunden ist, auch ein Volck dem andern das Seinige zu lassen nach dem Völcker-Rechte schuldig seyn müsse, Griebner Princip. Jurispr. ...
  Zumahl da der Stand des Eigenthums sonder Zweiffel weit älter ist, als der Stand der Völcker; indem die Mensch vorher in gewissen Landes-Gegenden, die sie eigenthümlich inne gehabt, sich in weltliche Reiche haben vereinigen, und also erst in unterschiedene Völcker  
  {Sp. 114}  
  sich haben zertheilen müssen, ehe der Stand der Völcker hat entstehen können. Dahero, wenn man saget, daß freye Völcker sich gegen einander im Stande der Natur befinden, der Stand der Natur nicht in weitem Verstande zu verstehen ist, sondern in engern und besonderm Verstande, in welchem er blos dem Civil-Stande entgegen gesetzet wird, einen Stand bedeute, in welchem man blos und allein von der Unterwürffigkeit unter eine weltliche Herrschafft abstrahiret.  
     

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Stand: 4. Oktober 2016 © Hans-Walter Pries