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Völcker-Recht,
Lat. Jus Gentium,
es wird dieses
Wort auf mancherley Art genommen. |
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Denn man braucht dasselbige |
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- erstlich entweder vor eine
Eigenschafft der
Person; oder vor ein
Vermögen, so alle
Völcker aus Zulassung der
Natur ausüben;
- vors andere vor die
Sitten vieler Völcker, wenn sie nehmlich ihr
Recht
einmüthig und auf einerley Art brauchen, als wenn man
sagt, das
Eigenthum
der Güter, der
Krieg, die
Dienstbarkeit, der
Handel und Wandel u.d.g.
gehören zum Völcker-Rechte;
- Drittens vor das
natürliche Recht, weil solches alle Völcker verbindet;
- Viertens vor das
bürgerliche Recht vie-
{Sp. 99|S. 63}
ler Völcker, dahin die Arten etwas zu gewinnen der Privat-Personen gehören,
die man auch zum Völcker-Rechte rechnet, und
- fünftens vor das Völcker-Recht in eigentlicherer
Bedeutung, welches die
Pflichten der
Völcker gegen einander; so ferne sie als Völcker anzusehen
sind, unter sich fasset,
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welche Bedeutungen
Thomasius in Juris prudent. ...
und Buddeus in Elem. phil. ... angeführet haben. |
Wortbedeutung |
Wir bleiben hier bey der eigentlichen Bedeutung; ehe wir aber die
Sache
selbst erklären, müssen wir vorher das
Wort erwegen. Die
Völcker bedeuten hielt
die Republicen, oder freye
Staaten, welche wenn sie gegen einander gehalten
werden, als eintzelne
Personen, denen gewisse
Rechte und
Pflichten anhängen,
betrachtet werden, und weil in der
Republic die hohe
Obrigkeit, oder der
Regente
der vornehmste ist und die gantze Republic vorstellet, so wird durch die Rechte
und Pflichten der Völcker insgemein dasjenige verstanden, was
souveraine
Herren
von einander zu fodern oder gegen einander zu behaupten haben. |
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Denn obzwar in einem jeden
Reiche die
Unterthanen sich der
Majestät
unterworffen, und hierdurch der natürlichen
Freyheit sich begeben haben; So ist
doch die Majestät selber, als welche keinen Obern als
GOtt
erkennet, in
natürlicher Freyheit verblieben; dahero weil alles, was die Majestät will, oder
thut, der
Wille und die
That aller ist; so muß ein jeder
Staat, in soferne er
als eine einige
moralische
Person betrachtet, und in solcher Betrachtung gegen
andere Staaten gehalten wird, in natürlicher Freyheit seyn, dergestalt, daß er
vermittelst seiner Majestät, als deren einiger Wille der Wille des gantzen
Staates ist, in Beurtheilung seiner
Rechte seinen eigenen Überlegungen, und in
würcklicher Beobachtung derselben seinen eigenen Entschliessungen zu folgen
berechtiget, und kein Staat denen
Urtheilen und der Vorschrifft des andern
nachzugehen gehalten ist. |
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Ein jeder Staat demnach, in sofern er solchergestalt als eine einige
moralische Person betrachtet wird, und gegen alle andere Staaten im
Stande der
natürl. Freyheit sich befindet, wird ein freyes Volck genennet. |
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Der Stand der natürlichen Freyheit erlaubet nicht allen
Menschen alles
wieder alle, sondern er hat sein
natürliches Recht. Denn ob man wohl in diesem
Stande von allen willkührlichen Ständen der
Menschen und insonderheit von aller
menschlichen
Herrschafft
abstrahiret, folglich im Stande der natürlichen
Freyheit keine menschliche
Gesetze seyn können, so kan man doch in solchem
Stande nicht auch von der menschlichen
Natur selber abstrahiren, welche an sich
selbst gesellig, und also an die Gesetze der
Geselligkeit, als an ein
Recht der
menschlichen Natur, das
GOtt selbst als der Schöpffer derselben ihr
vorgeschrieben, gebunden ist. |
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Nun befänden sich alle
Völcker im
Stande der natürlichen Freyheit gegen
einander, und so
billig und
vernünfftig es also ist, daß wir in unserm
Begriffe
von solchem ihren Stande, von allen willkührlichen menschlichen
Ordnungen und
Gesetzen abstrahiren, so bleiben sie doch noch dem ungeachtet
Gesellschafften
vernünfftiger
Menschen. Also, davon der |
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{Sp. 100} |
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menschlichen Natur die
Geselligkeit, und von dieser das
natürliche Recht,
unzertrennlich ist; so müssen auch alle freye
Völcker,
Krafft der auch unter
ihnen fest stehenden Geselligkeit, an das
Recht der Natur, als an ein
Göttliches, auch gantzen freyen Völckern von
Natur vorgeschriebenes Recht,
gebunden seyn. |
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Dieses aus der geselligen Natur aller Menschen entspringende Recht,
gleichwie es überhaupt das Recht der Natur, nehmlich der menschlichen, genennet
wird, auch solchen gemeinen
Nahmen behält, in soferne nach demselben die
natürliche Gerechtigkeit der
Thaten einzelner Menschen beurtheilet werden; also
in soferne hingegen solches allgemeine natürliche Recht auf die Handlungen
freyer Völcker unter einander, als eben so vieler
moralischer Personen,
appliciret wird, so ist es eben dasjenige Recht, das man insgemein das
Völcker-Recht nennet. |
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Es kan auch unmöglich ein anderes
Recht seyn, das diesen
Nahmen mit Recht
behaupten könnte; denn wer solte sonst Recht und
Macht haben, freyen Völckern,
die nehmlich keinen Obern als
GOtt
erkennen, Gesetze vorzuschreiben, als GOtt
allein? und dieses entweder durch
Vernunfft und Natur, oder durch die
Offenbahrung. |
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Definition |
Da nun aber kein geoffenbartes Völcker-Recht vorhanden ist; so kan kein
anderes, als das obgedachte natürliche seyn. Solchergestalt kan das
Völcker-Recht nichts anders seyn, als das
göttliche natürliche Recht, und
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„zwar des Standes der natürlichen Freyheit,
insofern: solches natürliche Recht, gleichwie alle
Menschen überhaupt, also auch
insonderheit freye Völcker, als ebenso viele moralische Personen, aus dem
Grunde
ihrer geselligen Natur, einander zu den
Pflichten der Geselligkeit verbindet,
und ihnen gewisse Befugnüsse gegen einander giebt, zu gemeinschafftlicher
Beförderung des
gemeinen Besten ihrer aller." |
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Hobbes |
Der erste, der diese Definition des Völcker-Rechts in
Schrifften behauptet,
ist Hobbes de Cive, c. 14 §. 4.da er
sagt: Lex
naturalis [folgen 12 Zeilen lateinischer Text]. Diesem ist hernach
Pufendorf, J.N.A.C. l. 2. C. 3. §. 22. nachgefolget, und
andere mehr. |
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Nur mögte man sich wundern, wie Hobbes doch ein
Völcker-Recht behaupten könne, da er den Stand der
Natur, in welchem freye
Völcker sich befinden, vor einen
Stand des Krieges aller wieder alle hält, in
welchem alles allen wieder alle vergönnt sey: massen das gewiß ein seltsames
Recht wäre, nach welchem alles allen gegen alle erlaubet wäre; welches doch auch
Hobbes selbst nicht will, indem er durch das
Recht der Natur,
welches, |
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{Sp. 101|S. 64} |
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wenn es auf freye Völcker appliciret werde, das Völcker-Recht sey, weil ein
anderes, nehmlich die Rechte der
Geselligkeit und des
Friedens
verstehet, die er
C. II. und III. lehret, nachdem er vorher das vermeinte
natürliche Recht des Krieges aller wieder alle, daß er Cap. I.
behauptet, C. I. §. 13.selber wiederum über den Hauffen geworffen. |
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Vielleicht würde man nicht irren, wenn man
sagte,
daß dieser Punct mit unter die Wiedersprechungen gehöre, mit welchen die
Hobbesianischen Lehren häuffig angefüllet sind. Doch
spricht Hobbes C. 3. §. 27. daß
im würcklichen Stande des Krieges die Menschen wenigstens zu dem
Willen, oder
der guten Absicht, die natürlichen Gesetze des Friedens zu beobachten,
verbunden
wären, obgleich nicht zur würcklichen
That. Non est [folgen sechs
Zeilen lateinischer Text]: welches daher sonder Zweifel auch von dem
Völcker-Rechte zu verstehen, so, daß, obwohl der natürliche Stand der
Völcker,
wie er an vielen Orten ausdrücklich behauptet, ein immerwährender Stand des
Krieges aller wieder alle sey, de Cive ... demnach jedes Volck von
Natur
verbunden sey, zum wenigsten die gute Absicht zu haben, Friede zu halten, und
die dahin gehörigen natürlichen
Pflichten zu beobachten. Er spricht selbst
de Cive C. 5. §. 2. Tritum [folgen drei Zeilen lateinischer Text]. |
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Allein eben daher hätte Hobbes schliessen sollen, daß, da
solchergestalt alles wahrhaffte Recht des Krieges sich auf eine
That des
Menschen gründet, nehmlich auf einen von ihnen willkührlich veranlasseten
Stand,
quo leges naturales non exercentur ab aliis, welche leges naturales
also schon vorher, ehe sie nicht von andern gehalten wurden, und ehe
dadurch der Stand des Krieges veranlasset ward, in der menschlichen Natur
vorhanden gewesen seyn müssen, daß der Stand des Krieges, und zwar noch darzu
aller wieder alle, keinesweges der wahrhaffte Stand der menschlichen Natur,
sondern vielmehr aller Krieg ein gantz ausserordentlicher status
adventitius, oder durch das willkührliche
Thun der Menschen
hervorgebrachter Stand seyn muste, in welchem eben aus dem, was Hobbes
einräumet, (daß nehmlich die kriegenden Völcker zum wenigsten ihre Absicht
immerfort auf die Wiederherstellung des
Friedes zu richten
verbunden sind,)
folget, daß also auch im Stande des Krieges selbst ein Völcker-Recht seyn müsse,
nach welchem nicht so gar alles allen wieder alle erlaubet sey; und daß dahero
Grotius in Prolegom. mit recht sage: Tantum abest
[folgen vier Zeilen lateinischer Text]. |
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Unter allen, die von dem Völcker-Rechte geschrieben haben, hat zwar niemand
geleugnet, daß das natür- |
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{Sp. 102} |
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liche Recht nicht nur eintzelne
Personen, sondern auch freye
Völcker, in
soferne sie als
moralische Personen gegen einander betrachtet werden, verbinde.
Aber ihrer viele haben nicht vermeynet, daß das
Recht der Natur in dieser
Betrachtung, oder doch dieses Recht allein, und kein anderes, eben dasjenige
sey, was man das Völcker-Recht nennet: nachdem nehmlich Grotius
ein Völcker-Recht, das nicht als ein
göttliches natürliches die
Völcker von
Natur verbinde, sondern dass von einer willkührlichen Einführung der Völcker
unter einander selbst herstamme, behauptet, da er in Prolegom.
spricht:
Sicut cujusvis [folgen sechs Zeilen lateinischer Text]. |
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natürliches und willkürliches V. |
Von diesem willkührlichen Völcker-Rechte demnach ist ein grosser Streit
entstanden, ob eines sey oder nicht. Diejenigen, die es bejahen, leugnen doch
auch nicht, daß das
Recht der Natur, in soferne es auch freye Völcker verbinde,
ein wahrhafftes Völcker-Recht sey, und wollen nur beyde Bedeutungen unter dem
Nahmen des Völcker-Rechts mit einander
verknüpffet haben, als welches sie aus
diesem
Grunde in jus gentium primaevum, nehmlich das natürliche, und
secundarium, nehmlich das willkührliche Völcker-Recht eintheilen. |
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JCti naturale jus appellant ta prota kata physin
[folgen sechs Zeilen lateinischer Text]. |
Huber. L. I. ...
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Auf eben diesem
Grunde beruhen die Eintheilungen des Völcker-Rechts in das
göttliche und menschliche: in das allgemeine und besondere: in das alte und
neue, u.s.w. |
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willkürliches V. |
Der fürnehmste
Grund, dessen die Vertheidiger dieses willkührlichen
Völcker-Rechts sich bedienen, ist das Recht der stillschweigenden Pacte, vermöge
deren die
Völcker gewisse
Rechte, z.E. in Ansehung der Kriegsraison, der
Gesandtschafften, des Ceremoniells, unter sich ausgemacht. Allein, ob man wohl
nicht leugnen kan, daß, wenn freye Völcker dergleichen Pacte, entweder
ausdrücklich oder stillschweigend, unter sich geschlossen, sie selbige zu halten
verbunden sind, wenn nur in denen vorgegebenen stillschweigenden Pacten die
verbindliche Einwilligung aus derjenigen
That, aus welcher sie gefolgert wird,
nicht richtig, und nicht (wie in diesem Stücke zum öfftern geschiehet) blos
durch gezwungene sophistische Deutungen, folget, so ist doch auch gewiß, daß man
solches aus denen Pacten der Völcker entstehende Recht dem göttlichen
natürlichen Völcker-Rechte keinesweges als ein besonderes, menschliches und
willkührliches Recht entgegen setzen könne; da vielmehr alle Schuldigkeit, die
Pacte zu halten, als in welcher dieses sogenannte will- |
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{Sp. 103|S. 65} |
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kührliche Völcker-Recht lediglich beruhet, zu dem göttlichen natürlichen
Rechte gehöret. |
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Also, da nach dem
allgemeinen Rechte nicht allein freye Völcker, sondern
auch Privat-Personen Pacte schliessen können; soll man nicht etwa auch aus
diesen Pacten eine besondere
Art eines willkührlichen natürlichen Rechts machen,
und also das
Recht der Natur, in das allgemeine und besondere, in das alte und
neue, eintheilen; Zudem getrauet sich auch Grotius L. I. C.
I. §. 14.selber nicht, einen allgemeinen Pact aller
Völcker zu
beweisen:
Jus gentium [folgen sechs Zeilen lateinischer Text]. |
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Er hält also in der That sein willkührliches Völcker-Recht nicht vor ein
allgemeines Recht aller, sondern vielmehr vor ein besonderes nur etlicher
Völcker; Nun soll man aber das
allgemeine Staats-Recht nicht mit dem
besondern
verwirren, und zwar das äusserliche oder das Völcker-Recht eben so wenig als das
innerliche, als welche Verwirrung zu nichts weiter dienen kan, als daß ein
Volck
etwas, das etwa zwischen ihm, und etlichen andern Völckern, willkührlich durch
Pacte hergebracht ist, auch andern Völckern unter dem allgemeinem
Titul eines
Völcker-Rechts aufzudringen sich heraus nimmet. |
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Dahero ist in dem
Begriffe eines willkührlichen Völcker-Rechts wenig
Gründlichkeit zu finden. Andere haben sich in Behauptung des willkührlichen
Völcker-Rechts auf das
Gewohnheits-Recht beruffen, in deren Classe
Kulpis gehöret, da er ad Grot. Exerc. 1. §. 9.
sagt: Datur
jus gentium voluntarium, a jure naturae specie distinctum quale gentes obligat
non solum ut pactum, sed ut lex etiam. |
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Allein hierauf ist schon von andern gründlich geantwortet worden, daß das
Gewohnheits-Recht eine
Art des Privat- oder
Civil-Rechts der
Unterthanen eines
Reiches sey, nicht aber freyer
Völcker, als die sich wieder ihren
Willen an
Sitten und
Gewohnheiten binden zu lassen nicht gehalten sind. |
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Im übrigen muß man sich den gantz besondern
Verstand, in welchem das
Völcker-Recht im
Römischen Rechte gebrauchet wird, allhier nicht irren lassen,
da nehmlich solches
Wort so gar vor ein Recht der Privat-Leute und
Unterthanen
eines
Staats genommen wird, immassen a Felde ad Grot. L.
II. C. 2. §. 20. sehr wohl erinnert: Jus gentium [folgen sieben
Zeilen lateinischer Text]. Und C. 8. §. 1. Itaque jus gentium
[folgen drei Zeilen lateinischer Text] |
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{Sp. 104} |
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[10 Zeilen lateinischer Text]. |
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innerliches und äußerliches V. |
Das Völcker-Recht kan eigentlich in das innerliche und
äusserliche eingetheilet werden. Das innerliche ist das
göttliche natürliche Recht, in sofern es freye
Völcker so gut als eintzelne
Personen, im Gewissen verbindet. Das äusserliche hingegen gründet sich auf den
Stand der natürlichen Freyheit, in welchem die
Völcker gegen einander sich
befinden. Denn da ein jedes
Volck, vermöge dieses Standes, in Beurtheilung
dessen, was nach jenem innerlichen Völcker-Rechte recht oder unrecht sey, seinen
eigenen
Urtheilen und Entschliessungen zu folgen mit höchstem
Rechte befugt ist;
so muß, wenn ein freyes Volck solches wircklich thut, z.E. einen Krieg anfänget,
ein jedes anderes freyes Volck ihnen das Recht, solches thun zu können,
allerdings zuzugestehen
verbunden, und kein Volck also berechtiget seyn, sein
Urtheil, z.E. daß solcher Krieg ungerecht sey, dem andern als einen
verbindlichen rechtlichen Ausspruch aufzudringen. |
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Dahero ist das äusserliche Völcker-Recht nichts anders, als das Recht der
natürlichen Freyheit selbst, in welcher die Völcker bey allen natürlichen
Verbindlichkeiten des innerlichen Völcker-Rechts sich befinden, da nehmlich
einem jeden freyen Volcke das unläugbare Recht zukommt, und von allen andern
freyen Völckern zugestanden werden muß, alles, was es nach seinem eigenen
Urtheile vor recht
erkennet, und wircklich thut, nach seinem eigenen Urtheile
vor recht zu erkennen, und zu thun, ohne daß es im geringsten gehalten seyn
solte, in solchen Urtheilen und
Thun dem Ausspruche je eines andern Volcks
unterworffen zu seyn. |
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Das äusserliche Völcker-Recht demnach verhält sich gegen das innerliche
nicht anders, als im Civil-Stande das äusserliche
bürgerliche Recht sich gegen
das Recht der Natur und dessen innerliche Gewissens-Verbindlichkeit verhält;
immassen im Stande freyer Völcker an statt des
Rechts der Unterwürffigkeit unter
die
Gesetze und
richterlichen Aussprüche der
Majestät, die im Civil-Stande das
äusserliche Recht ausmachen, das Recht der natürlichen Freyheit ist. |
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Dahero, gleichwie im Civil-Stande ein gerichtliches
Urtheil äusserlich vor
recht paßiren muß, wenn es auch gleich an sich selbst, und in Ansehung der
innerlichen natürlichen
Billigkeit, ungerecht seyn solte; also muß hingegen
unter freyen Völckern, deren keines das andere vor seinen
Richter
erkennet, ein
jedes dem andern das Recht, sich selber
Recht zu sprechen und zu schaffen,
einräumen, und, wenn ein
Volck solches nach sei- |
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{Sp. 105|S. 66} |
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nem eigenen
Urtheil thut, ihm wenigstens äusserlich, daß es mit allem
Rechte, nehmlich vermöge des Rechts der natürlichen Freyheit, geschehe,
billig
zugestehen; wenn solches eigene Urtheil und Verfahren gleich ebenfalls an sich
selbst, und in Ansehung der innerlichen natürlichen Billigkeit, höchst ungerecht
seyn solte. |
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Gleichwie aber ferner im
Stande der
Unterthanen die äusserliche bürgerliche
Gerechtigkeit die innerliche natürliche nicht verdringen oder aufheben muß,
sondern ein rechtschaffener
Bürger, auch die nach den
weltlichen
Gesetzen der
Billigkeit zu gebrauchen, im Gewissen
verbunden ist: Also kan auch das
Recht
freyer Völcker, dass jedes dem andern äusserlich zugestehen muß, in Beurtheilung
seiner Rechte seinen eigenen
Urtheilen und Entschliessungen zu folgen, das
innerliche natürliche Völcker-Recht, welches sie im Gewissen verbindet, nicht
aufheben; da vielmehr das eine das andere nothwendig voraussetzet; indem das
äusserliche Völcker-Recht ein Recht ist, in seinen Überlegungen dessen, was
Recht, d.i. dem innerlichen natürlichen Völcker-Rechte gemäß sey, seinen eigenen
Urtheilen zu folgen; nicht aber im Recht, ohne alle Überlegung und Absicht, ob
etwas recht sey oder nicht, nach seinen Lüsten alles zu thun was man nur wolle. |
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Ist je etwas, dadurch, obwohl nicht alle, dennoch viele Lehren des
Hobbesii, sich noch in einem guten
Verstande erklären lassen, so ist es
gewiß diese Eintheilung des Völcker-Rechts in das innerliche und äusserliche.
Denn von den äußerlichen Rechten der
Völcker gegen einander ist es wahr, daß, da
ein jedes freyes Volck in Beurtheilung seiner Rechte sein eigener
Richter ist,
de Cive, c.1 §. 9, und jedes dem andern solches
Recht, sein eigener
Richter zu seyn, lassen muß; also ein jedes freyes Volck in soweit ein Recht zu
allem wieder alle, (was nehmlich ihm wieder ein jedes anderes freyes Volck nach
dem innerlichen natürlichen Völcker-Rechte, nach seinem eigenen
Urtheil, recht
zu seyn düncken möchte;) haben müsse, daß aber auch ein jedes anderes freyes
Volck, sich solches Urtheil aufdringen zu lassen, nicht gehalten sey, sondern
mit ebenso hohem Rechte, ebenfalls nach seinem eigenen Urtheil das Gegentheil
darvor zu halten befugt seyn müsse: |
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Daß ferner hieraus natürlicher Weise leicht ein
Stand des Krieges entstehen
könne; ja daß, wenn auch solchergestalt ein Krieg aller
Völcker wieder alle,
(immassen sie alle einerley
Rechte gegen einander haben,) entstehen solte, sie
zu solchem Kriege von allen Seiten gleiches Recht haben würden, nehmlich
gleiches Recht einer allerseitigen natürlichen Freyheit gegen einander, welches
man das äusserliche Völcker-Recht nennet; indem, so
billig das eine freye Volck
in Überlegung und Treibung seiner Rechte seinem eigenen
Urtheile folget, ebenso
billig auch alle andere Völcker desgleichen thun; da denn also mit eben dem
Rechte, mit welchem das eine
Volck das andere anfällt, das andere sich zur Wehre
stellet, und in soweit also, was nur ein jedes Volck in solchem Kriege vor Recht
hält, das andere, daß jedes es vor Recht halte, sich gefallen lassen muß, und
keines sein entgegen gesetztes
Urtheil von der innerlichen Ungerechtigkeit des |
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{Sp. 106} |
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Verfahrens des andern aufdringen kan. |
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Es mangelt auch unter freyen Völckern bis auf den heutigen Tag nicht an
gantz deutlichen
Würckungen dieses einander zugestandenen äusserlichen Rechts,
die hingegen andern, die man nicht vor freye Völcker
erkennet, versaget werden.
Einen überwundenen See-Räuber z.E. tractiret man
billig gantz anders, als einen
ordentlichen Schiff-Hauptmann; einen Strassen-Räuber gantz anders, als einen
ordentlichen Partheygänger. Jenen stellet man als einen Verbrecher vor
Gerichte, und
bestraffet ihn an
Leib und Leben; diesen aber kan man keines
Verbrechens beschuldigen, und, vor so ungerecht nach dem innerlichen
Völcker-Rechte man auch die
Sache des Feindes hält, so muß man ihm doch
einräumen, daß zu dem, was er gethan, er ein
Recht gehabt; wohl aber tractiret
man ihn als einen überwundenen Feind, als einen Kriegsgefangenen. |
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Allein obgleich dieses äusserliche Völcker-Recht Hobbesio
allem Ansehen nach mag vor Augen geschwebet haben; so hat es doch fast
durchgehends (etliche wenige Orte, z.E. de Cive c. 3 §. 27 u.ff.
ausgenommen) mit dem innerlichen verwirret, durch welche Verwirrung das letztere
unstreitig hinwegfällt. Er
spricht Leviath. c. 13. Bello omnium
[folgen fünf Zeilen lateinischer Text]. |
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Allein sofern der
Mensch, ausser der Bürgerlichen
Gesellschafft, bloß als
ein Mensch betrachtet wird, so ist zwar wahr, daß kein anderer Mensch sein
Urtheil, daß das, was jener thut, ungerecht sey, ihm
Befehlsweise
aufdringen
könne, und daß dieses nur ein
Bürger oder
Unterthan sich gefallen lassen müsse;
aber daher folget nicht, daß im Stande der Natur, ja im Kriege selbst, kein
Recht oder Unrecht sey, und diese beyden
Eigenschafften nothwendig einen Bürger
oder Unterthanen voraussetzen. |
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Eben dieses ist zu
sagen, wenn er de Cive, c. 1 §. 10.in der
Anmerck.
spricht: Quod quis fecerit in statu mere naturali, id injurium
homini quidem nemini est; non quod in tali statu peccare in Deum, aut leges
naturales violare, impossibile sit. Nam injustitia erga homines supponit leges
humanas, quales in statu naturali nullae sunt. Wie er es aber verstehe,
wenn er zugiebt, peccari tali in statu in Deum, et leges naturales violari
posse, erkläret er also: Quodsi quis ad sui conservationem pertinere
praetendit, quod ne ipse quidem pertinere putat, peccare potest contra leges
naturales. |
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Zwar lehret er auch gar reichlich die natürlichen Gesetze der
Geselligkeit,
de Cive ... aber solche natürliche Gesetze, und die auf selbige sich
gründende innerliche Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit des Verfahrens der
Menschen gegen einander, haben nach Hobbesi
Meynung im Stande
der Natur, als einem
Stande des Krieges aller wieder alle, keine statt; indem
sie nur
Gesetze des
Friedens sind, der auf den Stand der Natur oder des Krieges
allererst nachhero erfolget. |
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Nun solte man zwar meynen, daß auf solche Art unter freyen
Völckern, zum
wenigsten in sofern sie miteinander im
Stande des
Friedens
leben, ein
Recht der
Natur, und |
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{Sp. 107|S. 67} |
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folglich eine daher entspringende innerliche Gerechtigkeit und
Ungerechtigkeit der Handlungen der
Völcker seyn müsse: Allein es ist
Hobbesii
Meynung gar nicht, daß freye Völcker
wahrhafftig im Stande des
Friedens leben. Quamquam enim [folgen neun Zeilen lateinischer Text]. |
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Wie kan also nach Hobbesii Meynung unter freyen Völckern,
ausser dem äusserlichen Rechte der natürlichen Freyheit, ein anderes seyn?
Zumahl da Hobbesius auch nicht einmahl die Pacte im Stande der
Natur vor
verbindlich hält, |
de Cive, c. 2 §. 11. |
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