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Zedler: Völcker-Recht [1] HIS-Data
5028-50-98-4-01
Titel: Völcker-Recht [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 50 Sp. 98
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 50 S. 62
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Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

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Übersicht
Wortbedeutung
Definition
  Hobbes
natürliches und willkürliches Völker-Recht
  willkürliches
innerliches und äußerliches Völker-Recht

Stichworte Text Quellenangaben
  Völcker-Recht, Lat. Jus Gentium, es wird dieses Wort auf mancherley Art genommen.  
  Denn man braucht dasselbige  
 
  • erstlich entweder vor eine Eigenschafft der Person; oder vor ein Vermögen, so alle Völcker aus Zulassung der Natur ausüben;
  • vors andere vor die Sitten vieler Völcker, wenn sie nehmlich ihr Recht einmüthig und auf einerley Art brauchen, als wenn man sagt, das Eigenthum der Güter, der Krieg, die Dienstbarkeit, der Handel und Wandel u.d.g. gehören zum Völcker-Rechte;
  • Drittens vor das natürliche Recht, weil solches alle Völcker verbindet;
  • Viertens vor das bürgerliche Recht vie-

    {Sp. 99|S. 63}

    ler Völcker, dahin die Arten etwas zu gewinnen der Privat-Personen gehören, die man auch zum Völcker-Rechte rechnet, und
  • fünftens vor das Völcker-Recht in eigentlicherer Bedeutung, welches die Pflichten der Völcker gegen einander; so ferne sie als Völcker anzusehen sind, unter sich fasset,
welche Bedeutungen Thomasius in Juris prudent. ... und Buddeus in Elem. phil. ... angeführet haben.
Wortbedeutung Wir bleiben hier bey der eigentlichen Bedeutung; ehe wir aber die Sache selbst erklären, müssen wir vorher das Wort erwegen. Die Völcker bedeuten hielt die Republicen, oder freye Staaten, welche wenn sie gegen einander gehalten werden, als eintzelne Personen, denen gewisse Rechte und Pflichten anhängen, betrachtet werden, und weil in der Republic die hohe Obrigkeit, oder der Regente der vornehmste ist und die gantze Republic vorstellet, so wird durch die Rechte und Pflichten der Völcker insgemein dasjenige verstanden, was souveraine Herren von einander zu fodern oder gegen einander zu behaupten haben.  
  Denn obzwar in einem jeden Reiche die Unterthanen sich der Majestät unterworffen, und hierdurch der natürlichen Freyheit sich begeben haben; So ist doch die Majestät selber, als welche keinen Obern als GOtt erkennet, in natürlicher Freyheit verblieben; dahero weil alles, was die Majestät will, oder thut, der Wille und die That aller ist; so muß ein jeder Staat, in soferne er als eine einige moralische Person betrachtet, und in solcher Betrachtung gegen andere Staaten gehalten wird, in natürlicher Freyheit seyn, dergestalt, daß er vermittelst seiner Majestät, als deren einiger Wille der Wille des gantzen Staates ist, in Beurtheilung seiner Rechte seinen eigenen Überlegungen, und in würcklicher Beobachtung derselben seinen eigenen Entschliessungen zu folgen berechtiget, und kein Staat denen Urtheilen und der Vorschrifft des andern nachzugehen gehalten ist.  
  Ein jeder Staat demnach, in sofern er solchergestalt als eine einige moralische Person betrachtet wird, und gegen alle andere Staaten im Stande der natürl. Freyheit sich befindet, wird ein freyes Volck genennet.  
  Der Stand der natürlichen Freyheit erlaubet nicht allen Menschen alles wieder alle, sondern er hat sein natürliches Recht. Denn ob man wohl in diesem Stande von allen willkührlichen Ständen der Menschen und insonderheit von aller menschlichen Herrschafft abstrahiret, folglich im Stande der natürlichen Freyheit keine menschliche Gesetze seyn können, so kan man doch in solchem Stande nicht auch von der menschlichen Natur selber abstrahiren, welche an sich selbst gesellig, und also an die Gesetze der Geselligkeit, als an ein Recht der menschlichen Natur, das GOtt selbst als der Schöpffer derselben ihr vorgeschrieben, gebunden ist.  
  Nun befänden sich alle Völcker im Stande der natürlichen Freyheit gegen einander, und so billig und vernünfftig es also ist, daß wir in unserm Begriffe von solchem ihren Stande, von allen willkührlichen menschlichen Ordnungen und Gesetzen abstrahiren, so bleiben sie doch noch dem ungeachtet Gesellschafften vernünfftiger Menschen. Also, davon der  
  {Sp. 100}  
  menschlichen Natur die Geselligkeit, und von dieser das natürliche Recht, unzertrennlich ist; so müssen auch alle freye Völcker, Krafft der auch unter ihnen fest stehenden Geselligkeit, an das Recht der Natur, als an ein Göttliches, auch gantzen freyen Völckern von Natur vorgeschriebenes Recht, gebunden seyn.  
  Dieses aus der geselligen Natur aller Menschen entspringende Recht, gleichwie es überhaupt das Recht der Natur, nehmlich der menschlichen, genennet wird, auch solchen gemeinen Nahmen behält, in soferne nach demselben die natürliche Gerechtigkeit der Thaten einzelner Menschen beurtheilet werden; also in soferne hingegen solches allgemeine natürliche Recht auf die Handlungen freyer Völcker unter einander, als eben so vieler moralischer Personen, appliciret wird, so ist es eben dasjenige Recht, das man insgemein das Völcker-Recht nennet.  
  Es kan auch unmöglich ein anderes Recht seyn, das diesen Nahmen mit Recht behaupten könnte; denn wer solte sonst Recht und Macht haben, freyen Völckern, die nehmlich keinen Obern als GOtt erkennen, Gesetze vorzuschreiben, als GOtt allein? und dieses entweder durch Vernunfft und Natur, oder durch die Offenbahrung.  
Definition Da nun aber kein geoffenbartes Völcker-Recht vorhanden ist; so kan kein anderes, als das obgedachte natürliche seyn. Solchergestalt kan das Völcker-Recht nichts anders seyn, als das göttliche natürliche Recht, und  
  zwar des Standes der natürlichen Freyheit, insofern: solches natürliche Recht, gleichwie alle Menschen überhaupt, also auch insonderheit freye Völcker, als ebenso viele moralische Personen, aus dem Grunde ihrer geselligen Natur, einander zu den Pflichten der Geselligkeit verbindet, und ihnen gewisse Befugnüsse gegen einander giebt, zu gemeinschafftlicher Beförderung des gemeinen Besten ihrer aller."  
Hobbes Der erste, der diese Definition des Völcker-Rechts in Schrifften behauptet, ist Hobbes de Cive, c. 14 §. 4.da er sagt: Lex naturalis [folgen 12 Zeilen lateinischer Text]. Diesem ist hernach Pufendorf, J.N.A.C. l. 2. C. 3. §. 22. nachgefolget, und andere mehr.  
  Nur mögte man sich wundern, wie Hobbes doch ein Völcker-Recht behaupten könne, da er den Stand der Natur, in welchem freye Völcker sich befinden, vor einen Stand des Krieges aller wieder alle hält, in welchem alles allen wieder alle vergönnt sey: massen das gewiß ein seltsames Recht wäre, nach welchem alles allen gegen alle erlaubet wäre; welches doch auch Hobbes selbst nicht will, indem er durch das Recht der Natur, welches,  
  {Sp. 101|S. 64}  
  wenn es auf freye Völcker appliciret werde, das Völcker-Recht sey, weil ein anderes, nehmlich die Rechte der Geselligkeit und des Friedens verstehet, die er C. II. und III. lehret, nachdem er vorher das vermeinte natürliche Recht des Krieges aller wieder alle, daß er Cap. I. behauptet, C. I. §. 13.selber wiederum über den Hauffen geworffen.  
  Vielleicht würde man nicht irren, wenn man sagte, daß dieser Punct mit unter die Wiedersprechungen gehöre, mit welchen die Hobbesianischen Lehren häuffig angefüllet sind. Doch spricht Hobbes C. 3. §. 27. daß im würcklichen Stande des Krieges die Menschen wenigstens zu dem Willen, oder der guten Absicht, die natürlichen Gesetze des Friedens zu beobachten, verbunden wären, obgleich nicht zur würcklichen That. Non est [folgen sechs Zeilen lateinischer Text]: welches daher sonder Zweifel auch von dem Völcker-Rechte zu verstehen, so, daß, obwohl der natürliche Stand der Völcker, wie er an vielen Orten ausdrücklich behauptet, ein immerwährender Stand des Krieges aller wieder alle sey, de Cive ... demnach jedes Volck von Natur verbunden sey, zum wenigsten die gute Absicht zu haben, Friede zu halten, und die dahin gehörigen natürlichen Pflichten zu beobachten. Er spricht selbst de Cive C. 5. §. 2. Tritum [folgen drei Zeilen lateinischer Text].  
  Allein eben daher hätte Hobbes schliessen sollen, daß, da solchergestalt alles wahrhaffte Recht des Krieges sich auf eine That des Menschen gründet, nehmlich auf einen von ihnen willkührlich veranlasseten Stand, quo leges naturales non exercentur ab aliis, welche leges naturales also schon vorher, ehe sie nicht von andern gehalten wurden, und ehe dadurch der Stand des Krieges veranlasset ward, in der menschlichen Natur vorhanden gewesen seyn müssen, daß der Stand des Krieges, und zwar noch darzu aller wieder alle, keinesweges der wahrhaffte Stand der menschlichen Natur, sondern vielmehr aller Krieg ein gantz ausserordentlicher status adventitius, oder durch das willkührliche Thun der Menschen hervorgebrachter Stand seyn muste, in welchem eben aus dem, was Hobbes einräumet, (daß nehmlich die kriegenden Völcker zum wenigsten ihre Absicht immerfort auf die Wiederherstellung des Friedes zu richten verbunden sind,) folget, daß also auch im Stande des Krieges selbst ein Völcker-Recht seyn müsse, nach welchem nicht so gar alles allen wieder alle erlaubet sey; und daß dahero Grotius in Prolegom. mit recht sage: Tantum abest [folgen vier Zeilen lateinischer Text].  
  Unter allen, die von dem Völcker-Rechte geschrieben haben, hat zwar niemand geleugnet, daß das natür-  
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  liche Recht nicht nur eintzelne Personen, sondern auch freye Völcker, in soferne sie als moralische Personen gegen einander betrachtet werden, verbinde. Aber ihrer viele haben nicht vermeynet, daß das Recht der Natur in dieser Betrachtung, oder doch dieses Recht allein, und kein anderes, eben dasjenige sey, was man das Völcker-Recht nennet: nachdem nehmlich Grotius ein Völcker-Recht, das nicht als ein göttliches natürliches die Völcker von Natur verbinde, sondern dass von einer willkührlichen Einführung der Völcker unter einander selbst herstamme, behauptet, da er in Prolegom. spricht: Sicut cujusvis [folgen sechs Zeilen lateinischer Text].  
natürliches und willkürliches V. Von diesem willkührlichen Völcker-Rechte demnach ist ein grosser Streit entstanden, ob eines sey oder nicht. Diejenigen, die es bejahen, leugnen doch auch nicht, daß das Recht der Natur, in soferne es auch freye Völcker verbinde, ein wahrhafftes Völcker-Recht sey, und wollen nur beyde Bedeutungen unter dem Nahmen des Völcker-Rechts mit einander verknüpffet haben, als welches sie aus diesem Grunde in jus gentium primaevum, nehmlich das natürliche, und secundarium, nehmlich das willkührliche Völcker-Recht eintheilen.  
  JCti naturale jus appellant ta prota kata physin [folgen sechs Zeilen lateinischer Text]. Huber. L. I. ...
  Auf eben diesem Grunde beruhen die Eintheilungen des Völcker-Rechts in das göttliche und menschliche: in das allgemeine und besondere: in das alte und neue, u.s.w.  
willkürliches V. Der fürnehmste Grund, dessen die Vertheidiger dieses willkührlichen Völcker-Rechts sich bedienen, ist das Recht der stillschweigenden Pacte, vermöge deren die Völcker gewisse Rechte, z.E. in Ansehung der Kriegsraison, der Gesandtschafften, des Ceremoniells, unter sich ausgemacht. Allein, ob man wohl nicht leugnen kan, daß, wenn freye Völcker dergleichen Pacte, entweder ausdrücklich oder stillschweigend, unter sich geschlossen, sie selbige zu halten verbunden sind, wenn nur in denen vorgegebenen stillschweigenden Pacten die verbindliche Einwilligung aus derjenigen That, aus welcher sie gefolgert wird, nicht richtig, und nicht (wie in diesem Stücke zum öfftern geschiehet) blos durch gezwungene sophistische Deutungen, folget, so ist doch auch gewiß, daß man solches aus denen Pacten der Völcker entstehende Recht dem göttlichen natürlichen Völcker-Rechte keinesweges als ein besonderes, menschliches und willkührliches Recht entgegen setzen könne; da vielmehr alle Schuldigkeit, die Pacte zu halten, als in welcher dieses sogenannte will-  
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  kührliche Völcker-Recht lediglich beruhet, zu dem göttlichen natürlichen Rechte gehöret.  
  Also, da nach dem allgemeinen Rechte nicht allein freye Völcker, sondern auch Privat-Personen Pacte schliessen können; soll man nicht etwa auch aus diesen Pacten eine besondere Art eines willkührlichen natürlichen Rechts machen, und also das Recht der Natur, in das allgemeine und besondere, in das alte und neue, eintheilen; Zudem getrauet sich auch Grotius L. I. C. I. §. 14.selber nicht, einen allgemeinen Pact aller Völcker zu beweisen: Jus gentium [folgen sechs Zeilen lateinischer Text].  
  Er hält also in der That sein willkührliches Völcker-Recht nicht vor ein allgemeines Recht aller, sondern vielmehr vor ein besonderes nur etlicher Völcker; Nun soll man aber das allgemeine Staats-Recht nicht mit dem besondern verwirren, und zwar das äusserliche oder das Völcker-Recht eben so wenig als das innerliche, als welche Verwirrung zu nichts weiter dienen kan, als daß ein Volck etwas, das etwa zwischen ihm, und etlichen andern Völckern, willkührlich durch Pacte hergebracht ist, auch andern Völckern unter dem allgemeinem Titul eines Völcker-Rechts aufzudringen sich heraus nimmet.  
  Dahero ist in dem Begriffe eines willkührlichen Völcker-Rechts wenig Gründlichkeit zu finden. Andere haben sich in Behauptung des willkührlichen Völcker-Rechts auf das Gewohnheits-Recht beruffen, in deren Classe Kulpis gehöret, da er ad Grot. Exerc. 1. §. 9. sagt: Datur jus gentium voluntarium, a jure naturae specie distinctum quale gentes obligat non solum ut pactum, sed ut lex etiam.  
  Allein hierauf ist schon von andern gründlich geantwortet worden, daß das Gewohnheits-Recht eine Art des Privat- oder Civil-Rechts der Unterthanen eines Reiches sey, nicht aber freyer Völcker, als die sich wieder ihren Willen an Sitten und Gewohnheiten binden zu lassen nicht gehalten sind.  
  Im übrigen muß man sich den gantz besondern Verstand, in welchem das Völcker-Recht im Römischen Rechte gebrauchet wird, allhier nicht irren lassen, da nehmlich solches Wort so gar vor ein Recht der Privat-Leute und Unterthanen eines Staats genommen wird, immassen a Felde ad Grot. L. II. C. 2. §. 20. sehr wohl erinnert: Jus gentium [folgen sieben Zeilen lateinischer Text]. Und C. 8. §. 1. Itaque jus gentium [folgen drei Zeilen lateinischer Text]  
  {Sp. 104}  
  [10 Zeilen lateinischer Text].  
innerliches und äußerliches V. Das Völcker-Recht kan eigentlich in das innerliche und äusserliche eingetheilet werden. Das innerliche ist das göttliche natürliche Recht, in sofern es freye Völcker so gut als eintzelne Personen, im Gewissen verbindet. Das äusserliche hingegen gründet sich auf den Stand der natürlichen Freyheit, in welchem die Völcker gegen einander sich befinden. Denn da ein jedes Volck, vermöge dieses Standes, in Beurtheilung dessen, was nach jenem innerlichen Völcker-Rechte recht oder unrecht sey, seinen eigenen Urtheilen und Entschliessungen zu folgen mit höchstem Rechte befugt ist; so muß, wenn ein freyes Volck solches wircklich thut, z.E. einen Krieg anfänget, ein jedes anderes freyes Volck ihnen das Recht, solches thun zu können, allerdings zuzugestehen verbunden, und kein Volck also berechtiget seyn, sein Urtheil, z.E. daß solcher Krieg ungerecht sey, dem andern als einen verbindlichen rechtlichen Ausspruch aufzudringen.  
  Dahero ist das äusserliche Völcker-Recht nichts anders, als das Recht der natürlichen Freyheit selbst, in welcher die Völcker bey allen natürlichen Verbindlichkeiten des innerlichen Völcker-Rechts sich befinden, da nehmlich einem jeden freyen Volcke das unläugbare Recht zukommt, und von allen andern freyen Völckern zugestanden werden muß, alles, was es nach seinem eigenen Urtheile vor recht erkennet, und wircklich thut, nach seinem eigenen Urtheile vor recht zu erkennen, und zu thun, ohne daß es im geringsten gehalten seyn solte, in solchen Urtheilen und Thun dem Ausspruche je eines andern Volcks unterworffen zu seyn.  
  Das äusserliche Völcker-Recht demnach verhält sich gegen das innerliche nicht anders, als im Civil-Stande das äusserliche bürgerliche Recht sich gegen das Recht der Natur und dessen innerliche Gewissens-Verbindlichkeit verhält; immassen im Stande freyer Völcker an statt des Rechts der Unterwürffigkeit unter die Gesetze und richterlichen Aussprüche der Majestät, die im Civil-Stande das äusserliche Recht ausmachen, das Recht der natürlichen Freyheit ist.  
  Dahero, gleichwie im Civil-Stande ein gerichtliches Urtheil äusserlich vor recht paßiren muß, wenn es auch gleich an sich selbst, und in Ansehung der innerlichen natürlichen Billigkeit, ungerecht seyn solte; also muß hingegen unter freyen Völckern, deren keines das andere vor seinen Richter erkennet, ein jedes dem andern das Recht, sich selber Recht zu sprechen und zu schaffen, einräumen, und, wenn ein Volck solches nach sei-  
  {Sp. 105|S. 66}  
  nem eigenen Urtheil thut, ihm wenigstens äusserlich, daß es mit allem Rechte, nehmlich vermöge des Rechts der natürlichen Freyheit, geschehe, billig zugestehen; wenn solches eigene Urtheil und Verfahren gleich ebenfalls an sich selbst, und in Ansehung der innerlichen natürlichen Billigkeit, höchst ungerecht seyn solte.  
  Gleichwie aber ferner im Stande der Unterthanen die äusserliche bürgerliche Gerechtigkeit die innerliche natürliche nicht verdringen oder aufheben muß, sondern ein rechtschaffener Bürger, auch die nach den weltlichen Gesetzen der Billigkeit zu gebrauchen, im Gewissen verbunden ist: Also kan auch das Recht freyer Völcker, dass jedes dem andern äusserlich zugestehen muß, in Beurtheilung seiner Rechte seinen eigenen Urtheilen und Entschliessungen zu folgen, das innerliche natürliche Völcker-Recht, welches sie im Gewissen verbindet, nicht aufheben; da vielmehr das eine das andere nothwendig voraussetzet; indem das äusserliche Völcker-Recht ein Recht ist, in seinen Überlegungen dessen, was Recht, d.i. dem innerlichen natürlichen Völcker-Rechte gemäß sey, seinen eigenen Urtheilen zu folgen; nicht aber im Recht, ohne alle Überlegung und Absicht, ob etwas recht sey oder nicht, nach seinen Lüsten alles zu thun was man nur wolle.  
  Ist je etwas, dadurch, obwohl nicht alle, dennoch viele Lehren des Hobbesii, sich noch in einem guten Verstande erklären lassen, so ist es gewiß diese Eintheilung des Völcker-Rechts in das innerliche und äusserliche. Denn von den äußerlichen Rechten der Völcker gegen einander ist es wahr, daß, da ein jedes freyes Volck in Beurtheilung seiner Rechte sein eigener Richter ist, de Cive, c.1 §. 9, und jedes dem andern solches Recht, sein eigener Richter zu seyn, lassen muß; also ein jedes freyes Volck in soweit ein Recht zu allem wieder alle, (was nehmlich ihm wieder ein jedes anderes freyes Volck nach dem innerlichen natürlichen Völcker-Rechte, nach seinem eigenen Urtheil, recht zu seyn düncken möchte;) haben müsse, daß aber auch ein jedes anderes freyes Volck, sich solches Urtheil aufdringen zu lassen, nicht gehalten sey, sondern mit ebenso hohem Rechte, ebenfalls nach seinem eigenen Urtheil das Gegentheil darvor zu halten befugt seyn müsse:  
  Daß ferner hieraus natürlicher Weise leicht ein Stand des Krieges entstehen könne; ja daß, wenn auch solchergestalt ein Krieg aller Völcker wieder alle, (immassen sie alle einerley Rechte gegen einander haben,) entstehen solte, sie zu solchem Kriege von allen Seiten gleiches Recht haben würden, nehmlich gleiches Recht einer allerseitigen natürlichen Freyheit gegen einander, welches man das äusserliche Völcker-Recht nennet; indem, so billig das eine freye Volck in Überlegung und Treibung seiner Rechte seinem eigenen Urtheile folget, ebenso billig auch alle andere Völcker desgleichen thun; da denn also mit eben dem Rechte, mit welchem das eine Volck das andere anfällt, das andere sich zur Wehre stellet, und in soweit also, was nur ein jedes Volck in solchem Kriege vor Recht hält, das andere, daß jedes es vor Recht halte, sich gefallen lassen muß, und keines sein entgegen gesetztes Urtheil von der innerlichen Ungerechtigkeit des  
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  Verfahrens des andern aufdringen kan.  
  Es mangelt auch unter freyen Völckern bis auf den heutigen Tag nicht an gantz deutlichen Würckungen dieses einander zugestandenen äusserlichen Rechts, die hingegen andern, die man nicht vor freye Völcker erkennet, versaget werden. Einen überwundenen See-Räuber z.E. tractiret man billig gantz anders, als einen ordentlichen Schiff-Hauptmann; einen Strassen-Räuber gantz anders, als einen ordentlichen Partheygänger. Jenen stellet man als einen Verbrecher vor Gerichte, und bestraffet ihn an Leib und Leben; diesen aber kan man keines Verbrechens beschuldigen, und, vor so ungerecht nach dem innerlichen Völcker-Rechte man auch die Sache des Feindes hält, so muß man ihm doch einräumen, daß zu dem, was er gethan, er ein Recht gehabt; wohl aber tractiret man ihn als einen überwundenen Feind, als einen Kriegsgefangenen.  
  Allein obgleich dieses äusserliche Völcker-Recht Hobbesio allem Ansehen nach mag vor Augen geschwebet haben; so hat es doch fast durchgehends (etliche wenige Orte, z.E. de Cive c. 3 §. 27 u.ff. ausgenommen) mit dem innerlichen verwirret, durch welche Verwirrung das letztere unstreitig hinwegfällt. Er spricht Leviath. c. 13. Bello omnium [folgen fünf Zeilen lateinischer Text].  
  Allein sofern der Mensch, ausser der Bürgerlichen Gesellschafft, bloß als ein Mensch betrachtet wird, so ist zwar wahr, daß kein anderer Mensch sein Urtheil, daß das, was jener thut, ungerecht sey, ihm Befehlsweise aufdringen könne, und daß dieses nur ein Bürger oder Unterthan sich gefallen lassen müsse; aber daher folget nicht, daß im Stande der Natur, ja im Kriege selbst, kein Recht oder Unrecht sey, und diese beyden Eigenschafften nothwendig einen Bürger oder Unterthanen voraussetzen.  
  Eben dieses ist zu sagen, wenn er de Cive, c. 1 §. 10.in der Anmerck. spricht: Quod quis fecerit in statu mere naturali, id injurium homini quidem nemini est; non quod in tali statu peccare in Deum, aut leges naturales violare, impossibile sit. Nam injustitia erga homines supponit leges humanas, quales in statu naturali nullae sunt. Wie er es aber verstehe, wenn er zugiebt, peccari tali in statu in Deum, et leges naturales violari posse, erkläret er also: Quodsi quis ad sui conservationem pertinere praetendit, quod ne ipse quidem pertinere putat, peccare potest contra leges naturales.  
  Zwar lehret er auch gar reichlich die natürlichen Gesetze der Geselligkeit, de Cive ... aber solche natürliche Gesetze, und die auf selbige sich gründende innerliche Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit des Verfahrens der Menschen gegen einander, haben nach Hobbesi Meynung im Stande der Natur, als einem Stande des Krieges aller wieder alle, keine statt; indem sie nur Gesetze des Friedens sind, der auf den Stand der Natur oder des Krieges allererst nachhero erfolget.  
  Nun solte man zwar meynen, daß auf solche Art unter freyen Völckern, zum wenigsten in sofern sie miteinander im Stande des Friedens leben, ein Recht der Natur, und  
  {Sp. 107|S. 67}  
  folglich eine daher entspringende innerliche Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit der Handlungen der Völcker seyn müsse: Allein es ist Hobbesii Meynung gar nicht, daß freye Völcker wahrhafftig im Stande des Friedens leben. Quamquam enim [folgen neun Zeilen lateinischer Text].  
  Wie kan also nach Hobbesii Meynung unter freyen Völckern, ausser dem äusserlichen Rechte der natürlichen Freyheit, ein anderes seyn? Zumahl da Hobbesius auch nicht einmahl die Pacte im Stande der Natur vor verbindlich hält, de Cive, c. 2 §. 11.
     

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Stand: 23. September 2013 © Hans-Walter Pries