Stichworte |
Text |
Quellenangaben |
Pflichten |
Gleichwie alle
Pflichten
des
geselligen
Lebens überhaupt theils Pflichten
gegen sich selbst, theils gegen andere
Menschen sind; also
müssen auch, nach dem
Völcker-Rechte, einem jeden
Staate zuförderst
gewisse Pflichten gegen sich
selbst, und nechst diesen auch gegen andere
Völcker, zukommen; indem, gleichwie
die Geselligkeit überhaupt, also auch die Geselligkeit der Völcker, die
gemeinschafftliche
Glückseligkeit derselben, und also eines jeden Staats selbst
eigene Glückseligkeit sowohl, als die Glückseligkeit anderer Völcker, zu ihrem
Endzwecke hat, ja eben um des
eigenen Staats-Interesse willen erfodert, daß ein
Staat auch das Interesse anderer Staaten zugleich mit, sich annehme. |
|
Staatsinteresse |
Ein jeder Staat muß demnach berechtiget seyn, zuförderst vor seine eigene
Erhaltung, Wohlfahrth und Sicherheit zu sorgen. Jedoch da vermöge der
Geselligkeit immer ein Staat zu seinem Interesse des andern beytritt und
Hülffe vonnöthen hat; dieser aber den bemeldten
Zweck seiner Erhaltung,
Wohlfahrth, und Sicherheit, darzu er nicht weniger den Beytritt anderer
vonnöthen hat, mit gleichem
Rechte suchet; so muß unstreitig ein jeder
Staat
sein Interesse mit dem andern, dessen Beytrag und Hülffe er suchet, in seinen
Anschlägen beständig zu verbinden bemühet, u. folglich die fürnehmste
Pflicht
eines jeden Staats gegen sich selbst diese seyn, vor seine eigene Erhaltung,
Wohlfahrt und Sicherheit, auf eine der Geselligkeit der
Völcker gemässe Art zu
sorgen; damit durch ihrer aller bald hier bald dort zusammen gesetzete
Bemühungen auch ihr allerseitiges Interesse gemeinschafftlich befördert werden
möge. |
|
|
Hieraus folgert also |
|
|
1) |
daß es keinesweges, wie ihrer viele davor halten, zu tadeln sey, daß
ein jeder
Staat sein Interesse zum höhesten
Grunde seiner Rathschläge,
und sogar auch der Gerechtigkeit seiner Unternehmungen setze, wenn nur
solches Interesse nicht ein falsches, sondern ein wahrhafftes ist,
welches kein anderes seyn kan, als das der Geselligkeit der
Völcker
gemäß ist. Ein jeder Staat muß derowegen |
|
|
|
2) |
berechtiget seyn, mit allem, was zur Nothdurfft und
Bequemlichkeit des menschlichen Lebens
nöthig ist, sich zu versorgen, auch, wenn dem
Lande etwas zu diesem
Zwecke ermangeln solte, Anstalt zu machen, solchen
Mangel durch den Überfluß anderer
Reiche zu ersetzen, und zwar auf das
wohlfeilste und
bequemste, als es ihm möglich ist. Daher das
natürliche Recht der Commercien erhellet, und daß ein jeder
Staat befugt sey, bey
allen Commercien mit andern
Völckern zu verhüten, daß nicht andere im
Handel und Wandel aus seinem
Schaden ihren
Nutzen ziehen mögen; in
dessen Betrachtung das Völcker-Recht eben nicht erfordert, die
Commercien, oder den Kaufhandel mit allen auswärtigen Landen sogar
frey,
und ohne alle Umschränckung zu lassen, son- |
|
|
|
{Sp. 115|S. 71] |
|
|
|
dern vielmehr erlaubet, eine
nachtheilige Handlung nach Befinden
entweder zu sperren, oder doch ihr Ziel und Maasse zu setzen. |
|
|
|
3) |
Weil ein
Volck, so gut als das andere, berechtiget ist, sich auf
alle nur persönliche
Arten guter
Künste,
Wissenschafften und nützlicher
Gewerbe, zu legen, und sie zu seinem
Nutzen zu treiben und auszuüben; so
kan kein Volck über das andere mit
Recht ein monopolium in
Ausübung einer
Kunst, oder eines Gewerbes, durch welches etwa viel zu
gewinnen ist, sich anmassen. Also kan z.E. kein
Staat, welcher
Schiffarth und Handlung zur See treibet, dem andern, welcher ebenfals an
der See gelegen ist, mit Recht verwehren, auf den grossen von keinem
Volcke occupirten Welt-Meeren, dergleichen zu thun, oder ihn zu zwingen,
die Waaren vielmehr von ihm zu nehmen, und ihm erst
Profit davon zu
geben. |
|
|
|
4) |
Da kein
Staat ein
Recht haben kan, den andern ohne gnungsame
Ursachen anzufallen, und gleichwohl ein jeder, wegen der zu besorgenden
unrichtigen Absichten des andern, als an denen es niemahls fehlet,
dergleichen immer gewärtig seyn muß; so muß ein jeder Staat das Recht
haben, nicht allein wieder alle würckliche Anfälle sich zu beschützen,
sondern auch im
Frieden selbst immerfort auf den Krieg zu dencken, zu
seiner Beschützung sich in guter Positur zu halten, u.s.w. Ja wenn auch
ein Staat dem andern
rechtmäßige Ursache zum Kriege gegeben, so ist der
Beleidiger zwar schuldig, dem
Beleidigten
billigen Abtrag zu thun, nicht
aber, unter solchem Vorwande über die Gebühr sich angreiffen, und gar
über den Hauffen werffen, und Cron und Scepter sich nehmen zu lassen. |
|
|
|
5) |
In allen diesen Stücken ist vermöge der 1
Regel, ein jeder befugt,
mit denenjenigen vor allen andern es zu halten, und mit ihnen in Bündniß
zu treten, die einerley
rechtmäßiges Interesse mit ihm haben, wieder
diejenigen, die solchem rechtmäßigen Interesse zuwieder sind. |
|
|
zweierlei Pflichten |
Die
Pflichten der
Völcker gegen einander sind, wie die Pflichten eintzelner
Personen, zweyerley: Indem ihnen einige schlechterdings und von
Natur obliegen,
andere aber nur unter der Bedingung eines gewissen willkührlichen
Standes, in
welchen die Völcker entweder durch Pacte sich eingelassen, z.E. in den Stand der
Bündnisse; oder durch ihre
Thaten verfallen sind, z.E. in den Stand des Krieges.
Die erstern werden officia absoluta, die andern hypothetica
genennet. |
|
absolute: Grundpflicht |
Jene sind wiederum theils
Pflichten der
Nothwendigkeit, theils Pflichten der
Bequemlichkeit, welche beyde zuförderst diese erste, in der
Geselligkeit der
Völcker
unmittelbar gegründete allgemeine Grundpflicht voraussetzen, daß ein
jeder
Staat alle andere Staaten, vermöge des
Standes der natürlichen
Gleichheit, dem
Wesen nach als seinesgleichen nehmlich als ebenfals freye
Staaten, anzusehen und zu tractiren
verbunden sey, welches geschiehet, wenn ein
jeder Staat allen anderen eben das
Recht, nach ihrem eigenen freien Gutbefinden
ihr rechtmäßiges Staats-Interesse sowohl innerlich als äusserlich zu befördern,
zugestehet, dessen er sich selbst anmasset; und wenn gleichergestalt ein jeder
zu eben denenjenigen natürlichen Pflichten der Geselligkeit der Völcker, zu
ihrem allgemeinen besten, sich
verstehet, zu denen er will, daß sie |
|
|
{Sp. 116} |
|
|
sich
verstehen sollen. |
|
|
Ein jedes
Volck hat also das höheste
Recht, seine eigene Staats-Verfassung,
sowohl innerlich zwischen
Regenten und
Unterthanen, als äusserlich in Ansehung
seiner Verständnisse mit andern
Staaten, einzurichten wie es will, auch nach
Gutbefinden darinnen Änderung zu treffen: Und kein Volck ist berechtiget, in je
einem dahin gehörigen Stücke dem andern etwas vorzuschreiben. |
|
Anerkennung der Majestät |
Ein jedes
Volck ist also
verbunden, die
Majestät des andern so, wie sie
durch die eigenen Grund-Gesetze eines jeden
Reichs festgesetzet ist, oder auch
von
Zeit zu Zeit durch einmüthigen
Willen einer jeden Nation sich verändert, zu
erkennen und folglich alle
Rechte der
Maiestät, ihre
Erhebung über alle
menschliche
Gesetze und
Gerichte, ihre Heiligkeit, das
Recht Gesetze zu geben,
das höheste Recht in Kirchen-Sachen, die
oberrichterliche
Gewalt, das Recht der
Straffen, das Recht Bündnisse zu schliessen, das Recht des Krieges und
Friedens,
ihr zu zugestehen. |
|
Anerkennung des eigenen Rechts |
Alle rechtliche Ansprüche und
Urtheile demnach, die der
Regent eines
Landes
in seinem Lande über seine
Unterthanen, in Ansehung ihrer
Personen,
Sachen, oder
Verbrechen, gefället, ist ein jedes anderes
Volck zum wenigsten vor äusserlich
oder bürgerlich gerecht, und zwar in besagtem Lande, zu
erkennen schuldig:
jedoch nicht eben auch nothwendig in seinem eigenen Lande; indem der Ausspruch
von der äusserlichen oder bürgerlichen Gerechtigkeit der Unterthanen sich nicht
weiter als auf den
Bezirck des
Reichs eines jeden Regenten erstrecken kan:
Dahero was unser
Landesfürst in seinen Landen vor gerecht
erkennet, zwar auch
von allen andern Völckern, daß es in unserm Lande, und nach unsern
Gesetzen
recht sey, erkennet werden muß; nicht aber auch auswärtigen
Fürsten, daß sie es
auch in ihren Reichen gelten lassen sollen, aufgedrungen werden kan; in dessen
Betrachtung es sich offt begiebt, daß eine
Person in unterschiedenen Landen, in
Ansehung ihrer äusserlichen oder bürgerlichen Gerechtigkeit in gantz
unterschiedenem
Stande sey, und in dem einen Lande vor gerecht und unschuldig,
ja ehrloß, mit gleichem Rechte gehalten werde. |
|
Kirchen-Sachen |
Aus eben dem
Grunde ist, in Ansehung des höhesten Rechts eines Fürsten in
Kirchen-Sachen, zwar ein jeder
Regent befugt, bey der so grossen Vielheit, und
Widrigkeit der Religionen den entscheidenden Ausspruch zu thun, welche Religion in seinen
Landen in öffentlichen Kirchen-Gemeinden
geübet werden solle, und zu dem Ende, damit man solche Religion von andern
widrigen recht eigentlich unterscheiden möge, durch Kirchen-Gesetze gewisse
Symbola einzuführen; daher denn eine
Art der Rechtgläubigkeit und
Irrgläubigkeit in äusserlichen juristischen
Verstande entstehet, insoferne
nehmlich eine Religion solchen symbolis gemäß ist, oder nicht. |
|
|
Doch da vermöge der natürlichen Gleichheit freyer
Völcker einem jeden
Regenten dieses
Recht in seinen
Landen zukommt; so kan keiner die
Krafft und
Gültigkeit solches seines entscheidenden Ausspruches über die
Grentzen seines
Reichs ausdehnen; sondern ein jedes Volck ist
verbunden, das Recht, das es sich
billig nimmt, seine Religion vor eine rechtgläubige zu
erkennen, auch andern
Völckern in Anse- |
|
|
{Sp. 117.|S. 72} |
|
|
hung der ihrigen zu lassen. |
|
|
Also ist die Erklärung auswärtiger
Völcker vor Ketzer auch ausser unsern
Landen, da nehmlich ihre Religionen mit unsern durch unsere besondere Kirchen
Gesetze eingeführten Symbolis nicht übereinkommen, dem
Göttlichen
natürlichen Völcker-Rechte zuwider: Immassen andere Völcker an solche unsere
Kirchen-Gesetze eben so wenig, als an andere ausländische
menschliche
Rechte,
gebunden sind; in Theologischem
Verstande aber gar kein
Mensch, sondern
GOtt
allein
Richter seyn kan, was rechtgläubig oder ketzerisch sey, und Menschen
solches nur lehren, nicht aber befehlend entscheiden können. |
|
|
Einen Ausländer demnach wegen seiner Religion zur Inquisition und
Straffe
ziehen, oder gar eine auswärtige Nation wegen ihrer Religion bekriegen, ist in
der That nichts anders, als den Ausländer deswegen
bestraffen, oder den
auswärtigen
Staate deswegen bekriegen, weil er nach seinem eigenen
Landes-Gesetzen, und nicht nach den unsrigen, gelebet hat. noch künfftig leben
will. |
|
|
Im übrigen wenn in zufälligen
Dingen, z.E. in Ansehung des
Ranges, des
Titels, des Ceremoniels, unter einigen freyen
Völckern eine Ungleichheit ist,
oder prätendiret
wird, so ist solche Ungleichheit nicht natürlich, sondern
willkührlich, und muß dahero aus ausdrücklichen oder stillschweigenden Pacten
dargethan und gerechtfertiget werden. |
|
Pflichten der Notwendigkeit |
Gleichwie die
Pflichten der
Nothwendigkeit aller
Menschen gegen einander
darinnen bestehen, daß nicht allein keiner dem andern einigen
Schaden oder Leid
zufüge, sondern auch jeder vielmehr alles, was er neben der Sorge vor seine
eigene Erhaltung und Beschützung zur nothdürfftigen Erhaltung und Beschützung
anderer beytragen kan, willig beyzutragen; mithin nicht allein zu unnöthigen
Kriegen nicht Anlaß zu geben, sondern auch die gemeine Ruhe, und ein gutes
Vernehmen der
Völcker unter einander, aus allen
Kräfften erhalten zu helffen;
auch, wenn dieser heilsame
Zweck durch unruhige und herrschsüchtige Völcker, die
da gerne kriegen, gehindert werden solte, zu Behauptung der gemeinen Sicherheit
und Ruhe nach Befinden muthige Rathschläge zu fassen, und der gemeinen Gefahr
mit vereinigten Kräfften entgegen zu gehen. |
|
Pflichten der Bequemlichkeit |
Die
Pflichten der
Bequemligkeit der
Menschen gegen einander können überhaupt
in viererley Hauptarten abgetheilet werden, nehmlich in die Pflichten der
Gefälligkeit, der Bescheidenheit, der Friedfertigkeit, der
Gedult. Zu
denenselben sind demnach auch freye
Völcker durch ihr oberstes natürliches
Grundgesetz der
Geselligkeit einander
verbunden. Auch sind solche Pflichten,
unter freyen Völckern sowohl, als unter einzelnen
Personen, wiederum zweyerley,
nehmlich theils allgemeine, theils besondere. |
|
allgemeine |
Die allgemeinen sind die
Pflichten der Gefälligkeit, Bescheidenheit,
Friedfertigkeit und Gedult, die zu den gemeinen
Zwecken, aller
Völcker
bequem
und dienlich sind, und die also alle Völcker allen andern, mit denen sie auch
nicht in besonderer
Verbindung stehen, zu erweisen
verbunden sind. |
|
besondere |
Die besondern hingegen sind die
Pflichten
der Gefälligkeit, Bescheidenheit, Friedfertigkeit und Gedult, die ein
Staat dem andern, krafft einer genauern
Verbindung, in welcher sie mit einander in beyderseiti- |
|
|
{Sp. 118} |
|
|
ger Absicht auf ihr besonderes Staats-Interesse, als besondere Freunde und
gute Alliirte stehen, zu leisten
verpflichtet ist. |
|
Gefälligkeit |
Unter den
Pflichten der Gefälligkeit der
Völcker sind die fürnehmsten, die
man insgemein mit Grotio L. II c. 2 §. 11 nicht übel
officia innoxiae utilitatis nennet, da man nehmlich denjenigen Gebrauch
seiner
Sachen, der dem andern ohne allen
Schaden des
Eigenthums-Herrn nützlich
seyn kan, ihm willig vergönnet; indem, gleichwie überhaupt ein
Mensch dem andern
zu aller Gefälligkeit nur in soweit
verbunden ist, als er sie ihm ohne seine
eigene Unbequemligkeit leisten kan, also auch die Pflichten der Gefälligkeit der
Völcker ihnen nur unter solcher Bedingung obliegen, folglich nach dem
Unterschiede der Umstände auch wohl versaget werden, und also mit keinem
Rechte
schlechterdings erzwungen werden können. |
|
|
Diejenigen Gefälligkeiten demnach, die ein
Volck dem andern,
augenscheinlich ohne allen Schaden und Unbequemligkeit erweisen kan, soll
billig
kein Volck dem andern versagen. Wenn hingegen eine gefoderte Gefälligkeit mit
einer Unbequemlichkeit des leistenden verbunden seyn solte; so können die
Völcker, sie einander zu leisten, nicht anders als unter der Bedingung verbunden
seyn, insoferne derjenige, der dergleichen Gefälligkeit fodert, den damit
verbundenen Schaden ersetzen kan und will. |
|
|
Weil nun in diesem Puncte keiner von beyden dem andern seinen Ausspruch und
Urtheil aufdringen kan: So müssen diese
Pflichten der Gefälligkeit der
Völcker
allenfalls durch Pacte ausgemachet werden, und hierdurch die
Eigenschafft
vollkommener Pflichten erlangen; ausser dem können sie, wenn man die wahrhafften
Fälle der Noth ausnimmt, nicht erzwungen, sondern nur mit Bescheidenheit von
beyderseitigem guten
Willen gesuchet und erwartet werden. |
|
Durchzug |
Hieraus können unterschiedene streitige Fragen entschieden werden. Die erste
ist, ob ein
Volck dem andern den Durchzug durch sein
Land zu gestatten
verbunden
sey? Von dem Durchreisen einzelner
Personen ist, ausser den Pest-Zeiten, wohl
wenig Zweifel; desto grösser aber von dem Durchzuge gantzer Regimenter oder
Kriegesheere, welchen einander zu verstatten, Grotius L. II
c. 2 §. 13 die Völcker vor schuldig hält; dieweil die Einführung alles
Eigenthumes mit Vorbehaltung des unschuldigen Gebrauchs, der andern nützlich,
und dem Eigenthums-Herrn unschädlich sey, geschehen. |
|
|
Ja er hält diese
Pflichten der
Völcker sogar vor eine vollkommene, die im
Fall der Verweigerung erzwungen werden könne: Postulandum prius transitum,
sed, si negetur, vindicari posse. Hingegen ist
Ziegler
ad Grot. d.I. und Strauchius de domin. ... gantz
anderer
Meynung, und zwar freylich mit mehrerm
Grunde, wegen der bey solchen
Durchzügen zu besorgenden Unsicherheit und Schäden, theils von Seiten des
durchziehenden Heeres selbst, theils von Seiten des Feindes, wieder den das Heer
ziehet, als welcher den erlaubten Durchzug entweder vor eine Feindseligkeit
aufnehmen, oder wenigstens sich gleiches
Rechts bedienen, seinem Feinde in
unserem Lande entgegen gehen, mithin den Sitz des Krieges in unser Land, zu
dessen unersetzlichen Schaden, spielen könnte: Mit welcher, und vieler andern
Ge- |
|
|
{Sp. 119.|S. 73] |
|
|
fahr und Schaden eine
Pflicht der Gefälligkeit so schlechterdings als eine
vollkommene Pflicht zu fodern, augenscheinlich
unbillig wäre. |
|
|
Zwar wendet Grotius ein: Jus meum metu tuo non
tollitur, eoque minus quia sunt rationes cavendi. Allein vors erste setzet
Grotius ohne
Grund voraus, daß dißfalls ein vollkommenes
Recht,
welches nehmlich durch die
Furcht des andern nicht hinweg fallen könne,
vorhanden sey. Zum andern zeigen eben die rationes cavendi, die
Grotius noch zulässet, an, daß alle zuverläßliche Gewißheit dieser
Pflicht auf freyen Pacten beruhe, und sie ausser denselben nicht so
schlechterdings gefodert werden könne: Es wäre denn ein Fall der äussersten Noth
vorhanden, als welche kein
Gesetze hat. |
|
Durchgang der Waren |
Die andere Frage ist, ob ein
Volck, den Durchgang der Waaren durch seine
Lande dem andern zugestatten, durch das Völcker Recht
verbunden sey ? welche
Grotius l.c. ebenfalls bejahet: Neque vero
[folgen fünf Zeilen lateinischer Text]: Welche
Meynung aber Pufendorf
J.N. ... ebenfalls nicht unbillig in Zweiffel ziehet. Denn obgleich
kein Volck dem andern verbieten kan, mit allen auch weit entlegenen Völckern
Handlung zu treiben; so kan doch auch uns gleichergestalt niemand verbieten,
dergleichen zu thun, und also, da von
Natur ein jeder sich selbst der näheste
ist, entweder eine Handlung, die von andern Völckern durch unser Land mit
Benachtbarten getrieben wird, lieber an uns zu ziehen, und den damit verbundenen
Profit lieber selbst zu suchen, als andern durch Verstattung des Durchzugs darzu
behülflich zu seyn; oder doch, wenn solches sich nicht wohl thun lässet, zum
wenigsten einiges
Nutzens von den durchgehenden Waaren durch geschickliche
Mittel uns theilhafftig zu machen. |
|
|
Was das erste betrifft, so ist Grotius §. 24 selbst nicht
in Abrede, quod lucrum alter alteri praevertere licite possit: [folgen
sechs Zeilen lateinischer Text]. |
|
Stapel-Recht |
Auf dem andern Punct, da man nehmlich von den durchgehenden Waaren doch
einigen
Nutzen zu suchen berechtiget ist, beruhet unter andern das
Stapel-Recht,
da nehmlich alle diejenigen, die ausländische Waren durch ein
Land führen, sie
auf einen gewissen Handels-Platz, der dieses
Recht hat, zuführen, allda
ausladen, und entweder eine gewisse Zeitlang zum
Verkauf darbieten, oder doch
ein gewisses darvor entrichten müssen; in welchem letzteren Falle es jus
geranii, das Grauen-Recht, genennet wird, da nehmlich die angegebenen
Waaren nur besichtiget, gezehlet, oder gewogen werden, damit den davon zu
entrichtenden Zöllen kein Eintrag geschehe. Dahero das Stapel-Recht nicht an
allen
Orten, die es haben, von einerley
Art ist. |
Strauch de domin. mar. ... |
Zölle |
Die dritte Frage, ob man auf die durchgehenden Waaren Zölle, oder ande- |
|
|
{Sp. 120} |
|
|
re
Abgaben zu legen befugt sey, ist aus dem angeführten leicht mit ja zu
beantworten, zumahl wenn der Durchgang zu
Lande, oder auf den Flüssen
geschiehet; indem zu Lande auf solchen Durchgang öffentliche Land-Strassen
gehalten werden müssen; die Flüsse aber dem Lande durch Abspühlung und
Überschwemmung zum öfftern Schaden thun, auch offt einen kostbaren Bau an Dämmen
erfodern, dahero die Ausländer, die sich derselben zu ihrem
Nutzen und
Bequemlichkeit bedienen, etwas beyzutragen
billig angehalten werden. |
|
|
Ob aber auch in denen Meer-Engen denen vor einem
Lande vorbey segelnden
Schiffen Zölle auferleget werden können, scheinet allerdings etwas
zweiffelhaffter zu seyn. Wenn zum
Nutzen der Seefahrenden etwas aufgewendet und
gethan wird, z.E. wenn gewisse
Zeichen, wo die Fahrt sicher sey, gehalten, oder
die Gegenden vor den Seeräubern beschützet werden; so ist die Frage sonder
Zweiffel zu bejahen. Wo aber nichts dergleichen geschiehet, da hält
Pufendorff L. III ... gar recht davor, daß dem ungeachtet kein
Grund vorhanden sey, warum ein
Volck des natürlichen
Vortheils seiner Landes
Gegend, und des an dieselbe stossenden von ihm occupirten Gewässers, sich nicht
zu seinem Vortheil solle bedienen, und, da es nicht gar, wie es nach
Beschaffenheit der Umstände vermöge des vorhergehenden zu thun berechtiget,
einen Stapel anleget, warum es nicht zum wenigsten von der Schiffahrth und
Handlung durch sein Gewässer so schier etwas solle fodern können, als andere
Völcker vor die Durchfart durch ihre Lande. |
|
weitere Fragen |
Die übrigen Fragen, ob und in wie weit ein
Volck denen Fremden einen
Aufenthalt im Lande zu verstatten, die Schiffahrenden anländen, und sich mit
Lebensmitteln versehen zu lassen,
verbunden sey, ferner in wie weit den Fremden,
sich bey uns, und den unsrigen sich bey ihnen wohnhafft niederzulassen, ihr
Vermögen mit sich zu nehmen, und ihre Erbschafften abzufodern, ingleichen
beyderley
Bürgern sich unter einander zu verehligen, zu verstatten sey, u.s.w.
sind ebenfalls leicht zu entscheiden, wenn man die anfangs gesetzten
Gründe
erweget; daß ein Volck alle Gefälligkeit, die es ohne seinen Schaden dem andern
erweisen kan, ihm zu erweisen schuldig sey; wenn aber Schade dabey seyn solte,
nicht anders als gegen
billige Ersetzung desselben; daß jedoch diese
Pflicht der
Völcker, als eine Pflicht der Bequemligkeit, eine unvollkommene sey, und also,
wenn man sie zu erzwingen ein
Recht haben wolle, solches Recht durch Pacte
erlanget werden, oder auf einen Augenscheinlichen Nothfall sich gründen müsse. |
|
|
Wenn ein
Volck dem andern einen
Dienst, den es nach den
Gesetzen der
Gefälligkeit nur gegen eine
billige Gegenleistung dem andern zu erweisen
schuldig wäre, entweder ohne diese letztere ihm leistet, oder nur ohne sie als
eine vollkommene
Pflicht sich zu bedingen; so ist es eine Wohlthat der
Völcker,
welche als eine vollkommene Pflicht schlechterdings erzwingen zu wollen, die
gröste Ungerechtigkeit wäre, bevorab da es einem Volcke weder möglich, noch
zuzumuthen ist, allen Völckern gleiche Wohlhaten oder Gunst-Bezeigungen zu
erweisen, und es also keine Folge ist, daß, wenn ein Volck einem andern diese
oder jene Gunst-Bezei- |
|
|
{Sp. 121|S. 74] |
|
|
gung erwiesen, andere eben dergleichen von ihnen zu erheischen berechtiget
wären. |
|
|
Ein anderes ist von den gemeinen Gefälligkeiten zu
sagen, die ein
Volck
allen andern Völckern ohne Unterschied erweiset; Denn ein Volck allein von
solchen auszuschliessen, kan nicht leicht anders als vor eine
Beleidigung
aufgenommen werden, Grot. L. II. ... wobey jedoch
Böcler nicht unrecht erinnert, daß die Zeiten und Conjuncturen
sich offt dergestalt ändern können, daß man ein Volck keiner Ungerechtigkeit
beschuldigen könne, wenn es das, was es bisher allen Ausländern ohne Unterschied
verstattet habe, hinführo nur etlichen erlaube. |
|
|
Im übrigen obgleich freye
Völcker, so gut als einzelne
Personen, in Ansehung
derer, mit denen sie eine besondere Freundschafft und Verständnis unterhalten
wollen, eine gerechte und kluge Wahl zu treffen haben; so ist doch der
Billigkeit gemäß daß in
Staats-Sachen die Betrachtung des gemeinen besten der
Betrachtung auch der genauesten Blutsfreundschafft, die sonst unter einzelnen
Personen einen billigen
Vorzug zur genauern Freundschafft vor andern giebt,
vorgezogen werde. Vor erwiesene besondere Wohlthaten sind zwar die Völcker
einander zu gebührender Danckbarkeit
verbunden; nicht aber, unter diesem
scheinbaren Vorwande von eigennützigen mächtigen Wohlthätern sich unterdrücken
zulassen |
|
Pflicht der Eingezogenheit und Friedfertigkeit |
Vermöge der
Pflicht der Eingezogenheit und Friedfertigkeit sind die
Völcker
verbunden, einander wegen ihrer unterschiedenen
Sitten nicht zu verhönen,
vielweniger gar, um alle
Geselligkeit beständig aufzuheben, einander vor
Barbarn, vor Erb-Feinde, u.s.w. zu schelten; Wegen ihrer mancherley Religionen
einander nicht zu verketzern; einander nicht ohne Noth Ombrage oder Verdacht zu
erwecken, u.s.w. |
|
Geduld |
Endlich von der Gedult der
Völcker gegen einander ist alles das, was von der
Gedult überhaupt zu
sagen ist, ebenfalls zu
verstehen. |
|
Literatur |
Die Autores welche von dem Völcker Rechte insbesondere gehandelt, sind: |
- Grotius de jure belli et pacis, ... und ...
- Rachel in Diss. de jure gentium,
- Kulpis in Collegio Grotiano p. 18.
- Huber de jure civit. ...
- Richard Zouchäus in juris et jutlicii fecialis, ...
- Textor in Synopsi juris gentium;
- Joh. Ludewig Praschius in disquisitione de jure
gentium.
-
Pufendorf in jure naturae et gentium ...
-
Buddeus in element. philos. pract. ...
- Willenberg in Siciliment. jur. gent. prudent.
... u.ff.
- Glafey in seinem Vernunfft- und Völcker-Rechte.
- Joh. Joachim Zentgravius in comment. de origine,
veritate et obligatione juris gentium,
- Gröning in Biblioth. juris gen.
- Joh. Adam Ickstätt in Element. Jur. Gent.
Wittenb. 1740. in 4.
|
|
Hieher gehöret auch |
- Leibnitzens Codex juris gentium diplomaticus
Hannover 1693. in Fol. ingl.
- Ejusd. Mantissa Codicis Jur. Gent. Diplomat. Hannover 1700. in
Fol.
- Walchs philosophisches Lexicon
- Kemmerichs Academie der Wissenschafft, 3. Eröfn.
-
Thomasius in Fundam. Jur. Nat. et Gent.
- Müllers Philos. Wissensch. III. Th. ...
|
|
Siehe auch den
Artickel:
Natur-Recht, in XXIII
Bande, p. 1192. u.ff. |
|
|
|
|