HIS-Data
Home | Suche
Zedler: Wahrheit [1] HIS-Data
5028-52-896-4-01
Titel: Wahrheit [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 52 Sp. 896
Jahr: 1747
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 52 S. 461
Vorheriger Artikel: Wahrheit [Übersicht]
Folgender Artikel: Wahrheit [2]
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden

vorhergehender Text  Artikelübersicht   Teil 2  Fortsetzung

Übersicht
I. Die Metaphysicalische oder Transcendental-Wahrheit
II. Die Ethische oder Moralische Wahrheit
III. Die Logicalische Wahrheit
  Theoretische Betrachtung
 
  I. Erklärung

  Text   Quellenangaben
  Wahrheit, Lat. Veritas, Gr. hē Alētheia, Fr. Verité, ist ein generelles Wort, welches gantz verschiedene Arten unter sich begreiffet, folglich gantz verschiedene Bedeutungen hat, und mithin auch gantz verschiedentlich erkläret werden muß. Wir bekümmern uns daher zuförderst um die verschiedene Gattungen der Wahrheit.  
  Die Wahrheit wird von denen Philosophen auf eine dreyfache Art betrachtet, und in die metaphysicalische, logicalische und ethische oder moralische eingetheilet. Wir werden von diesen drey Arten in besondern Abschnitten reden:  
  I. Die Metaphysicalische oder Transcendental-Wahrheit,  
  Solche wird Lateinischen auch genennet Veritas rei entitativa, radicalis, fundamentalis, transcendentalis, und stehet unter den Eigenschafften der Entium, oder der Dinge, die man affectiones unitas, simplices zu nennen pfleget. Sie wird von den Metaphysicis auf verschiedene Art beschrieben.  
  Einige verstehen darunter das eigentliche Wesen (Entitas) der Dinge, oder diejenige Beschaffenheit einer Sache, nach welcher selbige in der That dasjenige ist, was sie ihrem Wesen nach seyn soll, z.E. das ist Gold, und hat also das wirckliche und wahrhafftige Wesen, so dergleichen Metall haben muß, an sich.  
  Andere nennen Sie eine Übereinstimmung der Sache mit sich selbst; Wieder andere eine Übereinstimmung der Sache mit dem Verstande; Ingleichen eine unmittelbare Übereinstimmung mit dem Verstande; Ferner eine Übereinstimmung der Dinge mit der Erkänntniß derselben, die in GOtt ist.  
  Clauberg in ontosoph. … beschreibt das Metaphysische Wahre durch das, was nicht erdichtet. Eigentlich steht ihr keine Falschheit entgegen, weil eine jede Sache, wenn sie dasjenige seyn soll, was sie ist, auch das ihr zukommende Wesen an sich haben muß, weswegen man ihr nur das erdichtete entgegen stellt, z.E. wenn man Meßing vor Gold ausgeben wolte. Man kan davon Donati metaphys. usual. … Hebenstreits philos. prim. … und andere Metaphysische Bücher lesen.
  Die Scholasticker eigneten einem jeden Dinge Wahrheit und Vollkommenheit zu, worunter sie denn diese metaphysicalische Wahrheit verstanden haben müssen.  
  Nach Wolffens Meynung, soll die Wahrheit die Ordnung in den Veränderungen der Dinge seyn. So sagt er, ein jedes Ding sey wahr, insofern alles bey ihm in einander gegründet sey, daß dadurch eine Ordnung entstehe. Zu dem Verstande dieser Lehre ist nöthig zu wissen, was die Ordnung ist, und was sie zu sagen hat. Wolf giebt dieses Exempel:  
  Man setze, es sey eine Gesellschafft in guter Vergnügung bey einander, und gehe, nach einiger Zeit wieder aus einander. Wenn dieses Wahrheit ist, so wird man sagen können, warum jede Person zugegen ist,  
  {Sp. 897|S. 462}  
  und wie sie dahin kommen; Warum in der Vergnügung, so man sich machet, dieses oder jenes geschiehet; Warum man itzt wieder aus einander gehet. Mit einem Worte, es wird sich nicht das geringste Veränderliche in der Gesellschafft zutragen, da man nicht sagen könnte, warum es geschehe.  
  Dieses soll also die Transcendental-Wahrheit seyn, die Wolf als eine Eigenschafft des Dinges, überhaupt betrachtet, angiebt. Man sagt, diese Wahrheit werde deswegen Transcendental genennet, weil man auf den Grund dieser Wahrheit vor diesem nicht Acht gehabt; Daher es auch kein Wunder sey, daß man keinen deutlichen Begriff von der Wahrheit herausgebracht habe.  
  Wolf hat diese Art der Wahrheit dem Traume entgegen gesetzet, den Cartesius gesuchet, aber nicht gefunden, weil er den Satz des zureichenden Grundes nicht deutlich eingesehen, darinnen aber derselbe Wolffen gute Dienste gethan. Ingleichen, da dieser Begriff so eingerichtet ist, daß er bloß auf die Creaturen alleine, nicht aber auf Gott, als das unendliche Wesen, in welchem keine Veränderung Statt hat, gehet, so müsse derjenige, der von Gott erkennen will, daß in ihm lauter Wahrheit ist, die Wahrheit durch die Ordnung erklären, die zwischen dem Mannigfaltigen, so sich in einem Dinge zugleich unterscheiden lässet, anzutreffen ist.  
  Unsere wahre Meynung von der metaphysicalischen Wahrheit zu bekennen, glauben wir, das sey wohl die beste Beschreibung der metaphysicalischen, oder Transcendental-Wahrheit welche Gott, der nothwendig die Wahrheit selber seyn muß, in dem allerhöchsten Verstande beygeleget werden kan. Setzen wir dieses voraus, so behält wohl die erste Beschreibung dieser Wahrheit, zumahl, wenn sie durch die andere erkläret wird, den Vorzug; Und nach dieser können wir auch sagen, daß die metaphysicalische Wahrheit bey Gott in dem allervollkommensten Grade anzutreffen sey, indem bey ihm alles dasjenige zu finden ist, was zu einem höchsten und vollkommensten Wesen gehöret, und indem alle seine wesentlichen Eigenschafften auf das lieblichste mit einander übereinstimmen.  
     
  II. Die Ethische oder Moralische Wahrheit.  
  De Ethische Wahrheit, Lat. Veritas ethica oder moralis, ist eine Tugend, nach welcher der Mensch äusserlich redet und thut, wie er es innerlich und in dem Hertzen gedencket und meynet. Oder kürtzer: Sie ist eine Übereinstimmung der Rede mit sich selbst. Sie äussert sich in Worten, Wercken, Geberden, Verheissungen, und andern Zeichen, wodurch wir unsere Gedancken zu erkennen geben. Sie ist die Richtschnur und Meisterin aller unserer Handlungen, und begreifft die Wahrhafftigkeit des Mundes, die Einfalt und Lauterkeit des Hertzens, und die Ehrlichkeit und Redlichkeit des Thuns und Wandels unter sich.  
  Ihre unzertrennliche Gefährten sind die Aufrichtigkeit und die Treue. Sie wird von der Gerechtigkeit begleitet, in sofern sie auf den Nächsten siehet, und eine Gleichheit zwischen der Rede und den Gedancken, den Worten und den Wercken beobachtet.  
  Ihre Verbindlichkeit beruhet nicht auf einem vorgeschriebenen Gesetze, sondern auf der Überzeugung der Vernunfft und des Gewissens, die der Grund aller Tugenden ist.  
  Diese Wahrheit wird als ein nacketes schönes Weibsbild abgebildet, ihre Ein-  
  {Sp.898}  
  falt und Aufrichtigkeit, anzuzeigen, die von keiner Verstellung, oder Verheelung, wisse, in der rechten Hand eine Sonne haltend, ihre Klarheit, oder den Ursprung der Wahrheit aus Gott, als der Quelle des Lichts und der Erkänntniß, anzuzeigen; In der Lincken ein Buch, nebst einem Palm-Zweige abzubilden, daß die Wahrheit aus guten Büchern erlernet werde, und der Lügen widerstehe, wie der Palm-Baum sich wider eine ihm aufgelegte Last streubet.  
  Andere stellen sie vor, mit einem Spiegel in der Rechten, ihre Aufrichtigkeit, und mit einer Waage in der Lincken, ihre Redlichkeit und Richtigkeit vorzubilden.  
  Da wir von dieser Wahrheit in dem vorhergehenden Wahrhafftigkeit ausführlich gehandelt haben, wollen wir uns bey derselben allhier nicht länger aufhalten.  
     
  III. Die Logicalische Wahrheit.  
  Lat. Veritas logica, braucht eine weitere Ausführung, und damit wir die Sache ordentlich vortragen, wollen wir eine Theoretische oder Practische Betrachtung anstellen.  
  Bey der Theoretischen haben wir uns um die Beschaffenheit dieser Wahrheit zu bekümmern, und so wohl zu sehen: Was dieselbige sey? als auch: Was für Gattung sie unter sich begreift?  
  I. Erklärung:  
  Erstlich fragt sichs: Was die Logische Wahrheit sey, oder wie man selbige definiren solle? Die gewöhnliche Beschreibung davon ist, daß sie sey eine convenientia rei cum intellectu, oder eine Übereinstimmung der Sache mit dem Verstande; wenn man nehmlich von etwas solche Gedancken habe, die damit selbst übereinkämen: Wie denn auch Thomasius in der Vernunft-Lehre, … selbige eine Übereinstimmung der menschlichen Gedancken und der Beschaffenheit der Dinge ausser den Gedancken nennet, wobey auch seine introductio in philos. aulic. … zu lesen.  
  Doch so gemein auch solche Erklärung ist, so hat sie doch Rüdigern nicht anstehen wollen, welcher nicht nur in seinem sensu veri et falsi …; sondern auch in den institut. erudit. … verschiedenes darwider erinnert hat. Er meynet, es wäre dieselbige deßwegen falsch, weil uns Gott durch willkührliche Zeichen das Wesen der Dinge entdecket, die wir also wohl erkennen; die Substantzen aber nicht begreiffen könnten, und dahero ließ sich nicht sagen, daß man solche Gedancken hätte, die mit der Sache selbst überein kämen.  
  Er setzt hinzu, daß man durch diese Definition die Metaphysische und Logische Wahrheit mit einander vermische. Denn man könnte von der Wahrheit überhaupt zwey Fragen anstellen: Einmahl, ob dasjenige, was man untersuche, mit der Empfindung übereinstimme, und denn, ob die Empfindung mit der Sache selbst übereinkäme? welches eben dasjenige wäre, was man insgemein fragte: Ob die Sinnen betrüglich wären oder nicht? welche Frage eigentlich die Metaphysische und Logische Wahrheit angienge. Und deßwegen hält er dafür, man müsse die Logische Wahrheit vielmehr durch einen Zusammenhang der Gedancken mit der Empfindung beschreiben. Eben dahin gehet auch die Erklärung des D. Müllers in seiner Logic ...
  Walch im Philosophischen Lexico meynet, man könnte so wohl die gemeine Beschreibung einigermassen, und dasjenige, was Rüdiger vornehmlich wegen der Empfin-  
  {Sp. 899|S. 463}  
  dung mit angemercket, zusammen nehmen, und folgende Definition machen: Die Logische Wahrheit ist eine Übereinstimmung der Gedancken mit der Sache selbst, vermittelst der Empfindung. Es sey nun, daß solcher Begriff in einer blossen Anzeige, als wenn ein Ding mit seinem rechten Nahmen genennet wird, oder in einer richtigen Gegeneinanderhaltung zweyer Sachen, wenn sie mit einander verbunden, oder von einander gesondert, (bejahet oder verneinet) werden, nachdem es ihre Eigenschafft erfordert, oder endlich in einer richtigen Folge, oder Schluß-Rede bestehe.  
  Ehe wir diese Beschreibung weiter ausführen, müssen wir vorher erinnern, daß diese Wahrheit auf eine zweyfache Art könne betrachtet werden, entweder an sich selbst, und da kommt die Frage vor: Was machts, daß dieses wahr, jenes aber falsch? oder in Ansehung unseres Verstandes, da ebenfalls ein Grund vorhanden seyn muß, warum wir einen Gedancken vor wahr halten.  
  Nach jener Absicht gründet sich die Wahrheit auf die Übereinstimmung der Gedancken mit der Beschaffenheit der Sache selbst, welche das Object der Gedancken ist, z.E. Dencke ich: Gott ist gerecht, so ist solches eine Wahrheit, welche an sich selbst darinnen gegründet, daß ich mir eine solche Gedancke hier mache, wie die Sache selbst an sich beschaffen. Denn Gott ist an sich gerecht, da ich nun eine solche Gedancke habe, die der Sache selbst gemäß, so ist sie dadurch wahr, und hat ihren Grund in der Übereinstimmung mit der Sache selbst.  
  In so weit halten wir die gemeine Definition vor richtig, und wenn man gleich meynen wolte, es würde auf solche Art die Logische Wahrheit mit der Metaphysischen vermischet, so bleibt doch noch ein grosser Unterscheid übrig, wenn man die Sache nur genau betrachten will. Denn die Logische hat zum Object die Gedancken; die Metaphysische die Sache selbst, und wenn man auch diese gleich eine Übereinstimmung der Empfindung mit der Sache selbst nennet, so bleibet sie dennoch von der Logischen gar sehr unterschieden.  
  Sehen wir aber auf den Grund, worauf der Verstand von der Übereinstimmung der Gedancken mit der Beschaffenheit der Sache selbst versichert wird, so ist selbiger die Empfindung. Denn wie sich von derselbigen alle unsere Erkenntniß anfängt, indem wir daher alle Ideen, als die Materialien unserer Gedancken haben, also gründet sich darauf auch eine jede wahre Erkenntniß, sie mag sinnlich, oder Philosophisch, oder Theologisch seyn, daß also diese Empfindung das letzte Criterium aller Wahrheit ist.  
  Andere nehmen zwar davor die Deutlichkeit an; es scheint aber, daß auch diese ihr Kennzeichen haben müsse, so nichts anders, als die Empfindung ist.  
  Dieses ist nun die Ursache warum wir in der gegebenen Erklärung von der Logischen Wahrheit den Concept von der Übereinstimmung der Gedancken mit der Sache selbst, und von der Empfindung zusammen genommen haben. Aus diesem Ist leichte zu begreiffen, daß nur eine Wahrheit sey, und unmöglich etwas zugleich wahr und falsch seyn könne; oder zwey wider einander laufende Sätze zugleich als wahr anzunehmen sind. Daran wird kein vernünftiger Mensch zweiffeln und gleichwohl wird den Juden, die Meynung, als könnten zwey einander widersprechende Meynungen zugleich wahr seyn, beygeleget, wovon Frischmuth eine besondere  
  {Sp. 900}  
  Disput. unter dem Titel: An hebraei statuant, idem simul posse esse et non esse 1658. gehalten.  
  In dem Pabstthume hat man auch bisweilen dergleichen ungereimte Dinge behauptet, wie denn Paul Sarpius hist. interdict. Venet. gedencket, daß man zu Padua viele Exemplarien von einer gewissen Schrifft gefunden, worinnen die 13. Regel geheissen habe: credendum est ecclesiae hierarchicae et si nigrum esse dixerit, quod oculis album videtur, und Eduard Pocokius in spec. hist. Arab. meldet, daß die Araber lehrten, es sey möglich daß wenn sich in unterschiedenen Landen zwey Vorsteher oder Aufseher befänden, davon einer das Gegentheil von dem, was der andere meyne, behaupte, gleichwohl beyde Recht haben könnten, wovon weiter nachzulesen Caurellus in triumph. phil. und Jac. Thomasius in praefat. …  
  Die Wahrheit ist schnurstracks der Unwahrheit entgegen, das unerkannte aber kan gleichsam zwischen dem wahren und dem falschen in der Mitte stehen, wenn man nehmlich von einer Sache gar nichts weiß, indem man alsdenn weder was bejahen, noch verneinen kan, ja es gehet auch nicht an, daß man sich davon eine blosse Vorstellung machen wolte.  
     

vorhergehender Text  Artikelübersicht   Teil 2  Fortsetzung

HIS-Data 5028-52-896-4-01: Zedler: Wahrheit [1] HIS-Data Home
Stand: 24. Februar 2013 © Hans-Walter Pries