|
Text |
Quellenangaben |
|
Wahrheit,
Lat.
Veritas,
Gr. hē Alētheia,
Fr.
Verité, ist ein generelles
Wort,
welches
gantz
verschiedene
Arten unter sich begreiffet, folglich
gantz verschiedene
Bedeutungen hat, und mithin
auch gantz verschiedentlich
erkläret werden
muß.
Wir bekümmern uns daher zuförderst um die verschiedene Gattungen der Wahrheit. |
|
|
Die Wahrheit wird von denen
Philosophen auf eine
dreyfache Art betrachtet, und in die
metaphysicalische, logicalische und
ethische oder
moralische
eingetheilet. Wir werden von diesen
drey Arten in besondern Abschnitten
reden:¶ |
|
|
I. Die
Metaphysicalische oder
Transcendental-Wahrheit,¶ |
|
|
Solche wird
Lateinischen
auch
genennet
Veritas rei entitativa, radicalis,
fundamentalis,
transcendentalis, und stehet unter den
Eigenschafften der
Entium, oder der
Dinge, die
man affectiones unitas, simplices zu nennen
pfleget. Sie wird von den Metaphysicis auf
verschiedene Art beschrieben. |
|
|
Einige
verstehen darunter das eigentliche
Wesen (Entitas) der Dinge, oder diejenige
Beschaffenheit einer
Sache, nach welcher selbige
in der
That dasjenige ist, was sie ihrem
Wesen
nach seyn soll, z.E. das ist Gold, und hat also das
wirckliche und wahrhafftige Wesen, so dergleichen
Metall haben muß, an sich. |
|
|
Andere nennen Sie eine Übereinstimmung der
Sache mit sich selbst; Wieder andere eine
Übereinstimmung der Sache mit dem
Verstande;
Ingleichen eine unmittelbare Übereinstimmung mit
dem Verstande; Ferner eine Übereinstimmung der
Dinge mit der
Erkänntniß derselben, die in
GOtt
ist. |
|
|
Clauberg in ontosoph. … beschreibt das
Metaphysische Wahre durch das, was nicht
erdichtet. Eigentlich steht ihr keine Falschheit
entgegen, weil eine jede
Sache, wenn sie
dasjenige seyn soll, was sie ist, auch das ihr
zukommende
Wesen an sich haben muß,
weswegen man ihr nur das erdichtete entgegen
stellt, z.E. wenn man Meßing vor Gold ausgeben
wolte. |
Man kan davon
Donati metaphys. usual. …
Hebenstreits philos. prim. …
und andere Metaphysische
Bücher
lesen. |
|
Die Scholasticker eigneten einem jeden
Dinge
Wahrheit und Vollkommenheit zu, worunter sie
denn diese metaphysicalische Wahrheit
verstanden haben müssen. |
|
|
Nach
Wolffens
Meynung, soll die Wahrheit die
Ordnung in den
Veränderungen der
Dinge seyn.
So
sagt er, ein jedes Ding sey wahr, insofern alles
bey ihm in einander gegründet sey, daß dadurch
eine Ordnung entstehe. Zu dem
Verstande dieser
Lehre ist nöthig zu wissen, was die Ordnung ist,
und was sie zu sagen hat. Wolf giebt dieses
Exempel: |
|
|
„Man setze, es sey eine Gesellschafft in guter
Vergnügung bey einander, und gehe, nach einiger
Zeit wieder aus einander. Wenn dieses Wahrheit
ist, so wird man sagen können, warum jede Person
zugegen ist, |
|
|
{Sp. 897|S. 462} |
|
|
und wie sie dahin kommen; Warum in der
Vergnügung, so man sich machet, dieses oder
jenes geschiehet; Warum man itzt wieder aus
einander gehet. Mit einem Worte, es wird sich nicht
das geringste Veränderliche in der Gesellschafft
zutragen, da man nicht sagen könnte, warum es
geschehe.„ |
|
|
Dieses soll also die Transcendental-Wahrheit
seyn, die Wolf als eine
Eigenschafft des
Dinges,
überhaupt betrachtet, angiebt. Man
sagt, diese
Wahrheit werde deswegen Transcendental
genennet, weil man auf den
Grund dieser Wahrheit
vor diesem nicht Acht gehabt; Daher es auch kein
Wunder sey, daß man keinen deutlichen
Begriff
von der Wahrheit herausgebracht habe. |
|
|
Wolf hat diese
Art
der Wahrheit dem Traume
entgegen gesetzet, den Cartesius gesuchet, aber
nicht gefunden, weil er den Satz des zureichenden
Grundes nicht deutlich eingesehen, darinnen aber
derselbe Wolffen gute
Dienste gethan. Ingleichen,
da dieser
Begriff so eingerichtet ist, daß er bloß auf
die Creaturen alleine, nicht aber auf
Gott, als das
unendliche Wesen, in welchem keine
Veränderung
Statt hat, gehet, so müsse derjenige, der von
Gott
erkennen will, daß in ihm lauter Wahrheit ist, die
Wahrheit durch die
Ordnung erklären, die zwischen
dem Mannigfaltigen, so sich in einem Dinge
zugleich unterscheiden lässet, anzutreffen ist. |
|
|
Unsere wahre
Meynung von der
metaphysicalischen Wahrheit zu bekennen,
glauben wir, das sey wohl die beste Beschreibung
der metaphysicalischen, oder
Transcendental-Wahrheit welche
Gott, der
nothwendig die Wahrheit selber seyn muß, in dem
allerhöchsten
Verstande beygeleget werden kan.
Setzen wir dieses voraus, so behält wohl die erste
Beschreibung dieser Wahrheit, zumahl, wenn sie
durch die andere erkläret wird, den Vorzug; Und
nach dieser können wir auch sagen, daß die
metaphysicalische Wahrheit bey Gott in dem
allervollkommensten Grade anzutreffen sey, indem
bey ihm alles dasjenige zu finden ist, was zu einem
höchsten und vollkommensten Wesen gehöret,
und indem alle seine wesentlichen
Eigenschafften
auf das lieblichste mit einander
übereinstimmen.¶ |
|
|
|
|
|
II. Die Ethische oder
Moralische
Wahrheit.¶ |
|
|
De Ethische Wahrheit,
Lat.
Veritas ethica oder
moralis, ist eine Tugend, nach welcher der
Mensch
äusserlich
redet und
thut, wie er es innerlich und in
dem Hertzen gedencket und meynet. Oder kürtzer:
Sie ist eine Übereinstimmung der
Rede mit sich
selbst. Sie äussert sich in
Worten,
Wercken,
Geberden, Verheissungen, und andern
Zeichen,
wodurch wir unsere
Gedancken zu
erkennen
geben. Sie ist die Richtschnur und Meisterin aller
unserer Handlungen, und begreifft die
Wahrhafftigkeit des Mundes, die Einfalt und
Lauterkeit des Hertzens, und die Ehrlichkeit und
Redlichkeit des
Thuns und Wandels unter
sich. |
|
|
Ihre unzertrennliche Gefährten sind die
Aufrichtigkeit und die Treue. Sie wird von der
Gerechtigkeit begleitet, in sofern sie auf den
Nächsten siehet, und eine Gleichheit zwischen der
Rede und den
Gedancken, den
Worten und den
Wercken beobachtet. |
|
|
Ihre
Verbindlichkeit beruhet nicht auf einem
vorgeschriebenen
Gesetze, sondern auf der
Überzeugung der
Vernunfft und des Gewissens,
die der
Grund aller Tugenden ist. |
|
|
Diese Wahrheit wird als ein nacketes schönes
Weibsbild abgebildet, ihre Ein- |
|
|
{Sp.898} |
|
|
falt und Aufrichtigkeit, anzuzeigen, die von
keiner Verstellung, oder Verheelung, wisse, in der
rechten Hand eine Sonne haltend, ihre Klarheit,
oder den
Ursprung der Wahrheit aus
Gott, als der
Quelle des Lichts und der
Erkänntniß, anzuzeigen;
In der Lincken ein
Buch, nebst einem Palm-Zweige
abzubilden, daß die Wahrheit aus guten Büchern
erlernet werde, und der Lügen widerstehe, wie der
Palm-Baum sich wider eine ihm aufgelegte Last
streubet. |
|
|
Andere stellen sie vor, mit einem Spiegel in
der Rechten, ihre Aufrichtigkeit, und mit einer
Waage in der Lincken, ihre Redlichkeit und
Richtigkeit vorzubilden. |
|
|
Da wir von dieser Wahrheit in dem
vorhergehenden Wahrhafftigkeit ausführlich
gehandelt haben, wollen wir uns bey derselben
allhier nicht länger aufhalten.¶ |
|
|
|
|
|
III. Die Logicalische Wahrheit.¶ |
|
|
Lat.
Veritas logica, braucht eine weitere
Ausführung, und damit wir die
Sache ordentlich
vortragen, wollen wir eine Theoretische oder
Practische Betrachtung anstellen. |
|
|
Bey der Theoretischen haben wir uns um die
Beschaffenheit dieser Wahrheit zu bekümmern,
und so wohl zu sehen: Was dieselbige sey? als
auch: Was für Gattung sie unter sich begreift? |
|
|
I. Erklärung: |
|
|
Erstlich fragt sichs: Was die Logische
Wahrheit sey, oder wie man selbige definiren
solle? Die gewöhnliche Beschreibung davon ist,
daß sie sey eine convenientia rei cum intellectu, oder eine Übereinstimmung der
Sache mit dem
Verstande; wenn man nehmlich von etwas solche
Gedancken habe, die damit selbst übereinkämen:
Wie denn auch Thomasius in der Vernunft-Lehre,
… selbige eine Übereinstimmung der
menschlichen Gedancken und der Beschaffenheit
der
Dinge ausser den Gedancken nennet, wobey
auch seine introductio in philos. aulic. … zu
lesen. |
|
|
Doch so gemein auch solche Erklärung ist, so
hat sie doch
Rüdigern nicht anstehen wollen,
welcher nicht nur in seinem sensu veri et falsi …;
sondern auch in den institut. erudit. …
verschiedenes darwider erinnert hat. Er meynet, es
wäre dieselbige deßwegen falsch, weil uns
Gott
durch willkührliche
Zeichen das
Wesen der
Dinge
entdecket, die wir also wohl
erkennen; die
Substantzen aber nicht begreiffen könnten, und
dahero ließ sich nicht sagen, daß man solche
Gedancken hätte, die mit der
Sache selbst überein
kämen. |
|
|
Er setzt hinzu, daß man durch diese Definition
die Metaphysische und Logische Wahrheit mit
einander vermische. Denn man könnte von der
Wahrheit überhaupt zwey Fragen anstellen:
Einmahl, ob dasjenige, was man untersuche, mit
der
Empfindung übereinstimme, und denn, ob die
Empfindung mit der
Sache selbst übereinkäme?
welches eben dasjenige wäre, was man insgemein
fragte: Ob die
Sinnen betrüglich wären oder nicht?
welche Frage eigentlich die Metaphysische und
Logische Wahrheit angienge. Und deßwegen hält
er dafür, man müsse die Logische Wahrheit
vielmehr durch einen
Zusammenhang der Gedancken
mit der Empfindung beschreiben. |
Eben dahin gehet auch die Erklärung des D.
Müllers in
seiner Logic ... |
|
Walch im Philosophischen Lexico meynet,
man könnte so wohl die gemeine Beschreibung
einigermassen, und dasjenige, was Rüdiger
vornehmlich wegen der Empfin- |
|
|
{Sp. 899|S. 463} |
|
|
dung mit angemercket, zusammen nehmen,
und folgende Definition machen: Die Logische
Wahrheit ist eine Übereinstimmung der
Gedancken
mit der
Sache selbst, vermittelst der
Empfindung.
Es sey nun, daß solcher
Begriff in einer blossen
Anzeige, als wenn ein
Ding mit seinem rechten
Nahmen genennet wird, oder in einer richtigen
Gegeneinanderhaltung zweyer Sachen, wenn sie
mit einander verbunden, oder von einander
gesondert, (bejahet oder verneinet) werden,
nachdem es ihre
Eigenschafft erfordert, oder
endlich in einer richtigen Folge, oder Schluß-Rede
bestehe. |
|
|
Ehe wir diese Beschreibung weiter ausführen,
müssen wir vorher erinnern, daß diese Wahrheit
auf eine zweyfache Art könne betrachtet werden,
entweder an sich selbst, und da kommt die Frage
vor: Was machts, daß dieses wahr, jenes aber
falsch? oder in Ansehung unseres
Verstandes, da
ebenfalls ein
Grund vorhanden seyn muß, warum
wir einen
Gedancken vor wahr halten. |
|
|
Nach jener Absicht gründet sich die Wahrheit
auf die Übereinstimmung der Gedancken mit der
Beschaffenheit der
Sache selbst, welche das
Object der Gedancken ist, z.E. Dencke ich:
Gott ist
gerecht, so ist solches eine Wahrheit, welche an
sich selbst darinnen gegründet, daß ich mir eine
solche Gedancke hier mache, wie die Sache selbst
an sich beschaffen. Denn Gott ist an sich gerecht,
da ich nun eine solche Gedancke habe, die der
Sache selbst gemäß, so ist sie dadurch wahr, und
hat ihren
Grund in der Übereinstimmung mit der
Sache selbst. |
|
|
In so weit halten wir die gemeine Definition vor
richtig, und wenn man gleich meynen wolte, es
würde auf solche Art die Logische Wahrheit mit der
Metaphysischen vermischet, so bleibt doch noch
ein grosser Unterscheid übrig, wenn man die
Sache nur genau betrachten will. Denn die
Logische hat zum Object die
Gedancken; die
Metaphysische die Sache selbst, und wenn man
auch diese gleich eine Übereinstimmung der
Empfindung mit der Sache selbst nennet, so
bleibet sie dennoch von der Logischen gar sehr
unterschieden. |
|
|
Sehen wir aber auf den
Grund, worauf der
Verstand von der Übereinstimmung der
Gedancken mit der Beschaffenheit der
Sache
selbst versichert wird, so ist selbiger die
Empfindung. Denn wie sich von derselbigen alle
unsere
Erkenntniß anfängt, indem wir daher alle
Ideen, als die
Materialien unserer Gedancken
haben, also gründet sich darauf auch eine jede
wahre Erkenntniß, sie mag sinnlich, oder
Philosophisch, oder Theologisch seyn, daß also
diese Empfindung das letzte Criterium aller
Wahrheit ist. |
|
|
Andere nehmen zwar davor die Deutlichkeit
an; es scheint aber, daß auch diese ihr
Kennzeichen haben müsse, so nichts anders, als
die Empfindung ist. |
|
|
Dieses ist nun die
Ursache warum wir in der
gegebenen Erklärung von der Logischen Wahrheit
den Concept von der Übereinstimmung der
Gedancken mit der
Sache selbst, und von der
Empfindung zusammen genommen haben. Aus
diesem Ist leichte zu begreiffen, daß nur eine
Wahrheit sey, und unmöglich etwas zugleich wahr
und falsch seyn könne; oder zwey wider einander
laufende Sätze zugleich als wahr anzunehmen
sind. Daran wird kein
vernünftiger
Mensch
zweiffeln und gleichwohl wird den Juden, die
Meynung, als könnten zwey einander
widersprechende Meynungen zugleich wahr seyn,
beygeleget, wovon Frischmuth eine
besondere |
|
|
{Sp. 900} |
|
|
Disput. unter dem Titel: An hebraei statuant,
idem simul posse esse et non esse 1658.
gehalten. |
|
|
In dem Pabstthume hat man auch bisweilen
dergleichen ungereimte
Dinge behauptet, wie denn
Paul Sarpius … hist. interdict. Venet. gedencket,
daß man zu Padua viele Exemplarien von einer
gewissen
Schrifft gefunden, worinnen die 13.
Regel geheissen habe:
credendum est ecclesiae
hierarchicae et si nigrum esse dixerit, quod oculis
album videtur, und Eduard Pocokius … in spec.
hist. Arab. meldet, daß die Araber lehrten, es sey
möglich daß wenn sich in unterschiedenen
Landen zwey Vorsteher oder Aufseher befänden, davon
einer das Gegentheil von dem, was der andere
meyne, behaupte, gleichwohl beyde
Recht haben
könnten, wovon weiter nachzulesen Caurellus in
triumph. phil. und Jac. Thomasius in praefat.
… |
|
|
Die Wahrheit ist schnurstracks der Unwahrheit
entgegen, das unerkannte aber kan gleichsam
zwischen dem wahren und dem falschen in der
Mitte stehen, wenn man nehmlich von einer
Sache
gar nichts weiß, indem man alsdenn weder was
bejahen, noch verneinen kan, ja es gehet auch
nicht an, daß man sich davon eine blosse
Vorstellung machen wolte.¶ |
|
|
|
|