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Zedler: Unschuldige HIS-Data
5028-49-1974-7
Titel: Unschuldige
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 49 Sp. 1974
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 49 S. 1002
Vorheriger Artikel: Unschuldig
Folgender Artikel: Unschuldige Hände
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen, Bibel
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden

  Text Quellenangaben und Anmerkungen
  Unschuldige.  
  Eine Creatur, die zwar unvollkommen und unrecht thut, es ist aber doch der Grund davon nicht in ihr selbst zu finden, heißet unschuldig. Dergleichen können sich finden, wenn Gottlose und Fromme bey einander sind, daß diese von jenen durch Zwang oder auf andere Weise etwas zu thun, gedrungen werden, daß sonst wohl keines weges geschehen würde. Zimmermanns Natürliche Erkenntniß GOttes …
  {Sp. 1975|S. 1003} [1]
[1] HIS-Data: Spaltenzahl korrigiert aus: 1875
  In der Heiligen Schrifft werden etliche Menschen unschuldig genannt,
  • Hiob. XXXIII, 9.
  • Ps. XVIII, 21. 22. 25.
  • Ps. XXVI, 1. 6. 11.
  • Buch der Weisheit IV, 12. 2
  • Macc. VIII, 4.
  jedoch nicht absolute oder bloß dahin, denn also ist niemand für GOtt unschuldig, 2 B. Mos. XXXIV, 7,
  welches Spruches weitere Erklärung unten vorkommen soll; sondern  
 
1) comparate, gegen andere zu rechnen, die grosse Missethaten und Schulden auf sich haben;
 
 
2) ratione partium, non graduum, in einem oder andern Stücke, deren sie von unsern Widrigen unbilliger Weise beschuldiget[1] worden, nicht aber in allen und jeden Graden und Staffeln;
[1] HIS-Data: korrigiert aus: beschulget
 
3) ratione causae et facti, in oder wegen einer oder andern Sache, oder Falle, nicht aber ratione personae, wegen ihrer Person.
Dieteric. in Nah. …
  Was nun den vorhin angezogenen Spruch 2 B. Mos. XXXIV, 7. Vor welchem (GOtt) niemand unschuldig ist, anlanget, ist selbiger von dem Chaldäischen Dolmetscher, obgleich nicht den Worten, doch dem Verstande nach, gar wohl übersetzet: Er macht den nicht gerecht, der sich nicht zu ihm bekehret.  
  Nach dem Hebräischen heisset es: Absolvendo non absolvet, er läßt nicht loß; wen denn? Das stehet zwar nicht dabey, aber es weiset der Context, daß verstanden werde ein solcher, der in seiner Unbußfertigkeit verharret, und sich nicht will bekehren. Denn obgleich der HErr seine Gnade bis in das tausende Glied erweiset, so sollen wir doch nicht in Unbußfertigkeit leben, sondern wissen, daß auf solche Weise uns die Sünden nicht vergeben, sondern behalten werden. Das hat er nicht allein in das Gesetz mit lassen hineinrücken. 2 B. Mos. XX, 5.
  sondern es hat es auch neben andern Propheten Jeremias wiederhohlet; du vergiltest die Missethat der Väter in den Busen ihrer Kinder,
  • Jer. XXXII, 18.
  • Carpz. Harm. Ev. Bibl. …
  Es haben also die Worte, wenn Daniel VI, 22 spricht: Denn vor ihm (GOtt) bin ich unschuldig erfunden, einen gantz andern Verstand. Hier führet Daniel eine Ursache an, welche GOtt bewogen, ihn unter den grausamen Löwen zu behüten. Er redet nicht de innocentia personae, von der Unschuld seiner Person, sondern de innocentia causae von der Gerechtigkeit seiner Sache denn für seine Person wuste er wohl, daß er für GOtt nicht unschuldig und ohne Sünde wäre, sondern er bekannte vielmehr in tiefster Demuth: HErr, wir haben gesündiget, etc. Dan. X, 5. 8.
  Was aber seine Sache anbetraff, darum er angeklaget, und von Könige verurtheilet worden, so war er wegen derselben freylich vor den Augen des allwissenden GOttes unschuldig. Carpz. Frage Pred. …
  Was wollen aber diese Worte sagen: Noch sprichst du: Ich bin unschuldig. Er (der Herr) wende seinen Zorn von mir, Jer. II, 35.
  Dieses wird von dem grossen GOtt angeführet als diejenige Ausfluchts-Formel, dadurch sie sich allem Gericht zu entziehen suchen, und damit sie offenbahren, daß sie weder sich selbst, noch von andern wollen richten und beurtheilen lassen. Denn ins Gericht gehören keine andere als Schuldige; Sprüchw. XVII, 15.
  solcher Unschuld rühmte sich nun dieses Volck, durch das  
  {Sp. 1976}  
  Wort nakkethi, dessen Stamm-Wort so viel bedeutet, als von Schuld und Straffe frey seyn. Wie man es denn findet 4 B. Mos. V, 31. und hat solches sein Absehen auf die Sünde.  
  An derselben finden sich sonderlich diese Dinge: Culpa, die Schuld, Macula, die Befleckung und Verunreinigung, und Reatus, Straffwürdigkeit oder Verbindung zur Straffe. Culpa, die Schuld ist die eigentliche Beleidigung GOttes durch die Sünde; daher folgt hernach macula, eine Befleckung, der Mensch verunreiniget sich damit, daß er deshalben ein Greuel und Abscheu wird, um deswillen die Sünden den Wunden, Kranckheiten, Eyterbeulen, Unflath und dergleichen verglichen werden. Endlich ist reatus, die Verbindung zur Straffe, die da auf die Sünde folgen muß, welche theils ihrer Natur halber, als eine Abweichung von GOtt, dem höchsten Gute, theils auch wegen der Drohung des Göttlichen Gesetzes muß nothwendig gestrafft werden.  
  Wo man aber von diesen Dingen insgemein befreyet ist, so heist es, man sey unschuldig: und einer solchen Unschuld rühmte sich hier das Jüdische Volck. Dergleichen Ruhm ist nun nicht unrecht, wenn er Grund hat, und mit Bestand der Wahrheit geschiehet. Die Exempel der Heiligen bezeugen dieses:  
 
  • 1 B. Mos. XL, 15.
  • 4 B. Mos. XVI, 15.
  • Ps. XXVI, 16.
  • Ps. LXXIII, 13.
 
  Allein bey diesem Ruhm ist zu mercken, daß er wohl für Menschen, aber nicht für GOtt geschehen kan, denn für dem ist niemand unschuldig, Nah. I, 3.
  oder so man auch für GOtt sich der Unschuld rühmet, so ist das nicht auf eine durchgehende Unschuld unserer Person zu ziehen; denn da sind wir alle Sünder etc. Rom. III, 23.
  sondern in dieser und jener Sache kan man unschuldig seyn, die uns nehmlich unser Nächster zur Ungebühr zeichet; oder aber wir können das Zeugniß unsers Gewissens der Unschuld haben comparative, Vergleichungs-Weise, wenn wir unser Thun gegen anderer ihres, nehmlich der offenbahren Gottlosen halten, gegen welche wir in so ferne unschuldig seyn können, daß wir uns etwan nicht mit so groben Sünden und Lastern beflecken, als sie; durchgehends aber in allen ist niemand unschuldig.  
  Und in diesem Absehen scheinet nun auch wohl hier das Jüdische Volck sich der Unschuld zu rühmen, wenn es sagt: Ich bin unschuldig; denn sich nicht wohl einzubilden, daß es so blind seyn, und sich durchgehends für unschuldig halten wollen; Gottes Gesetz zeigte ihnen ja ein anders.  
  Allein was die groben Sünden anlanget, welcher halben sie durch die Propheten gestrafft, und die von selben vor Ursachen der grossen Trübsalen, die sie traffen, angegeben wurden, die wolten sie nicht gestehen, sondern gaben sich für unschuldig aus. Ins besondere läßt sichs gar wohl hören, was einige Ausleger, als Brentius, Schmidius, gedencken von der Vergiessung des Blutes der Armen und Unschuldigen, dessen in vorhergehenden Verse gedacht wird.  
  Das erklären sie von dem vergossenen Blut der Kinder, die sie nach heydnischen Greuel den Götzen opfferten, welches als eine grosse Sünde ihnen fürgehalten wurde; das, sagen die Ausleger, haben sie nicht für Sünde und Ursache der Göttlichen Straffe hier erkennen, sondern sich für unschuldig, oder  
  {Sp. 1977|S. 1004}  
  ohne Sünde in diesem Stücke ausgeben wollen, in Meynung, sie haben durch solch Blutvergiessen ihrer unschuldigen Kinder GOtt so gar nicht beleidiget, daß sie ihn auch damit noch geehret, einen Dienst gethan, und daher eine Gnadenreiche Belohnung verdienet. Welches alles aber eine falsche Meynung war, darum auch der Ruhm ihrer Unschuld nicht geziemend, sondern höchst straffbar. Haussens Creutz und Trost- Pred. …
  Endlich sind die Worte der keuschen Susanna hier noch in Betrachtung zu ziehen: Doch will ich lieber unschuldig in der Menschen Hände kommen, denn wider den Herrn sündigen, Hist. Susannä vers. 23.
  Hier fraget sichs: Ob man eher sterben, als wissentlich in eine Sünde einwilligen solle? Dieses hat nicht die Meynung, ob man sich selbst das Leben nehmen, und damit eine Sünde verhüten solle? Das ist und bleibet ewig verboten; sondern die Frage gehet dahin; ob man entweder von gewaltthätigen Leuten, oder auch von der Natur, lieber den Tod erwarten, als wissentlich eine Sünde begehen solle?  
  Theils Papisten nehmen kein Bedencken, es mit Nein zu beantworten. Doch der Jesuit Tirinus ist gescheider, welcher die Susanna lobet, daß sie nicht nur ihre Seele, sondern auch ihren Leib Leib unbeflecket behalten wollen. Wir sagen, daß man eher sterben, als wissentlich in eine Sünde einwilligen und sie begehen soll. So thät Susanna recht und Gottgefällig, daß sie lieber unschuldig in der Menschen Hände fallen, das ist, eines schmählichen Todes sterben, als wider den Herrn sündigen wolte. Denn die Sünde ist das Unrecht, 1 Joh. III, 4,
  wer aber unrecht thut, der ist vom Teuffel und ein Kind des Teuffels, vers. 8, 10,
  die Untugend scheidet uns und unsern GOtt von einander, Esa. LIX, 2.
  Wer nun die Untugend begehet, der fällt aus der Gnade GOttes, und ist im Stande der Verdamniß. Solte man nun, dieses zu vermeiden, nicht lieber das Leben aufopffern? In der gantzen Bibel hat GOtt nirgend eine Limitation noch Ausnahme gemacht, da man sündigen könne, sondern schlechterdings alle Sünden verboten, sein Gebot aber soll uns mehr gelten, als unser eigen Leben, denn wir sollen ihn fürchten und lieben über alle Dinge.  
  Das dürffte wohl manchen wunderlich vorkommen, und meinen, das hieß die Sayten allzu hoch gespannet; man wird vielleicht sprechen: Das Leben ist einem ja lieb, und was soll ein Mensch nicht thun, sein Leben zu erhalten? Es ist war; allein Gottes Wort und Wille soll ihm noch lieber seyn, und solche nicht vorsetzlich zu beleidigen, soll er gerne hundert Leben hinfahren lassen. So jemand zu JEsu kommt, und hasset nicht sein eigen Leben, der kan nicht sein Jünger seyn, Luc. XIV, 26,
  wie man durchaus nichts übels thun soll, daß Gutes daraus komme, Röm. III, 8,
  so soll man auch in nichts böses willigen, daß was gutes bleibe.  
  Das Leben zu erhalten, soll man alle, auch die äussersten Mittel, welche nicht sündlich sind, anwenden; wo man aber unmöglich weiter widerstehen kan, soll man auch den Tod willig leiden.  
  Allein, wenn Zwang und Gewalt da ist, so wird ja dieses zu einer Entschuldigung im Gewissen dienen? Hierauf ist jetzo bereits ge-  
  {Sp. 1978}  
  antwortet; wider GOtt in etwas einzuwilligen, darzu soll uns keine menschliche Macht zwingen. Hat man sich derselben aus den äussersten Kräfften wiedersetzet, und man wird dennoch überwältiget, es ist aber unsere Einwilligung auf keine Weise darbey, so wird uns auch die Sünde von GOtt nicht zugerechnet.  
  Aber ob man nun gleich gezwungener Weise eine Sünde thäte, man kan ja wieder Busse thun? Hierauf ist zu antworten: Auf künfftige Busse sündigen wollen, ist eine mehr, als zwiefache Sünde. Denn man frevelt wissentlich mit GOttes Gnade, und setzet die Seele muthwillig in Gefahr, ewig verlohren zu gehen. Wer kan dir sagen, daß GOtt nicht mitten in solcher Sünde dich plötzlich hinreissen, und vor Gerichte ziehen wird? Wer will dich versichern, daß du nach vollbrachter Sünde nicht in Verstockung oder in Verzweiffelung gerathen magst? Wer hierinnen leichtsinnig ist, der ist warlich kein Christ, denn es fehlet ihm an der ersten Frucht des Glaubens, da er GOtt nicht über alle Dinge fürchtet und liebet. Mithin lieget er unter dem Fluch des Gesetzes, welcher sich bis in die Hölle erstrecket.  
  Man hat aber Exempel genung derer, die sich kein Gewissen darüber gemachet haben? Man muß sich nicht nach Menschen, sondern nach dem richten, was GOttes Wort saget. Wiewohl es fehlet auch an Exempeln nicht solcher Seelen, denen Marter und Todt lieber gewesen, als das Zeitliche Leben,
  • 2. Macc. VI, 18. Cap. VII, 1.
  • Neumeister H. Wochen-Arb. …
     

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Stand: 23. August 2013 © Hans-Walter Pries