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Zedler: Menschlichen Erkänntnis (Gründe der) HIS-Data
5028-20-801-2
Titel: Menschlichen Erkänntnis (Gründe der)
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 20 Sp. 801
Jahr: 1739
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 20 S. 410
Vorheriger Artikel: Menschliche Erkänntniß
Folgender Artikel: Menschliche Erzeugung
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text Quellenangaben
  Menschliche Erkänntniß (Gründe der) Principia cognitionis humanae, Principia cognoscendi.  
  Durch den Erkänntniß-Grund verstehet man alles dasienige, was den Grund zu der Erkänntniß einer Sache darreichet. Es ist aber solcher entweder ein einfacher oder zusammengesetzter.  
  Der einfache Erkänntniß-Grund (Principium cognoscendi incomplexum) wird von den Alten durch eine unvollständige Rede erkläret, welche den Grund von der Erkänntniß einer Sache in sich fasset, indem sie durch eine unvollständige Rede (orationem imperfectam) diejenige verstanden, welche bey dem Hörenden keinen vollkommenen  
  {Sp. 802}  
  Verstand erreget. Deutlicher: der einfache Erkänntniß-Grund ist, der nur mit einem einzelnen Worte ausgedrucket wird, als da z.E. die Erfahrung ist.  
  Gehen wir in die philosophische Historie zurücke, so bemercken wir, wie die Philosophen so gar sehr in Ausmachung der einfachen Erkänntniß- Gründe von einander unterschieden seyn. Unter den alten nennen wir den Plato zuförderst, welcher bloß lediglich die Seele dafür ausgab. Walchs Parerg. Acad. …
  Allein wer siehet nicht, daß dieser Welt-Weise den Sitz (Subjectum) der menschlichen Erkänntniß mit deren Principio vermenget habe? Denn die Seele erkennet, und hierzu gebrauchet sie gewisse Principia.  
  Einige Peripateticker und die Stoicker nahmen nebst der Seele und ihren Ideen annoch die Sinne zu den einfachen Erkänntniß-Gründen an. Epicurus, der besondere Mühe auf die Ausfindigmachung der einfachen Erkänntniß-Gründe angewendet, gab dafür die Sension, Anticipation und Paßion aus.
  • Gassend. in Syntagm. Philos. Epicuri
  • Walch in Parerg. Acad. …
  Diese Gedancken des Epicurus sind in den Obs. Hallens. … von einem neuen Philosophen wieder aufgewärmet worden, der aber deßwegen von Johann Gottfried Hering in Diss. de criterio veritatis etc. seine Abfertigung bekommen. Andreas Rüdiger hat ebenfalls in Philos. Synth. … die Epicureische Meynung vertheidiget; sie aber anbey so erkläret, daß sie sonder Zweiffel mit den Gedancken des Epicurs nicht mehr einstimmig. Walch l.c.
  Unter den neuern Welt-Weisen haben einige die Klarheit (evidentiam) oder die klare und deutliche Empfindung zum einfachen Erkänntniß- Grunde gemachet. David Holzhalbs Diss. de evidentia veri indicio.
  Noch andere, als z.E. Joachim Lange in Medic. Ment. haben, indem sie einen Zweykampff der Offenbarung und Vernunfft gesuchet, und ertappet zu haben geglaubet, die Heilige Schrifft, und ins besondere das Mosaische Gesetze, als den einfachen Erkänntniß-Grund aller geoffenbarten und natürlichen Wahrheit vertheidiget, und daher den Namen der Scripturariorum erhalten; wider welche Heinrich Klausing in Prodr. Philos Sobr. … disputiret hat.  
  Johann Frantz Buddeus in Hist. Philos. … nennet die Vernunfft als den einfachen Erkänntniß-Grund, und es scheinet aus dessen Philos. Instrum. … daß er die Vernunfft hier nicht subjective, sondern objective nehme, mithin also wäre wider ihn weiter nichts zu erinnern, als nur, daß die Vernunfft nicht der eintzige Erkänntniß-Grund sey.  
  Buffier macht hingegen in Tr. des premieres veritez … zwar zwey, aber gantz andere. Er nennet die eigene innere sinnliche Empfindung (sensum internum perceptionis propriae) und die allgemeine sinnliche Empfindung (sensum communem) das ist, den Beyfall des gantzen menschlichen Geschlechteses. P. von Crosa in System. Log. Latin.
  Andreas Rüdiger sowol in Diss. quod omnes ideae oriantur a sensione, als in Sensu Veri et FalsiFriedrich Gentzken in Ratiocinandi scientia, und  
  {Sp. 803|S. 411}  
  andere mehr nehmen wiederum nur einen einfachen Erkänntniß-Grund an, und zwar die Sensation.  
  Hingegen Johann Jacob Lehmann in der Vernunfft-Lehre hat dreye festgesetzet, nemlich  
  1) die Offenbarung,  
  2) die Relation der Menschen (relationem humanam) und  
  3) die Sache selbst.  
  Carl Günther Ludovici in Diss. de veris et falsis cognitionis humanae principiis theilet den einfachen Erkänntniß-Grund in den historischen und philosophischen. Der historische Erkänntniß-Grund ist ihm, welcher den Grund von der Erkänntniß solcher Sachen in sich fasset, so da von der Vernunfft an und vor sich und aus eignen Kräfften nicht erkannt werden können, und nennet es die Tradition, welche entweder eine Göttliche oder menschliche ist. Krafft jener werden diejenigen Dinge erkannt, die da auf das ewige Wohl abzielen: gleichwie krafft dieser man hinter solche Sachen kommt, die das zeitliche Wohl angehen. Die Göttliche Tradition ist nichts anders als das Licht der Offenbarung oder der Gnade, welches wiederum entweder innerlich oder äusserlich, und das äusserliche abermals entweder mittelbar oder unmittelbar ist. Das mittelbare ist die Heilige Schrifft.  
  Durch den philosophischen Erkänntniß-Grund verstehet Ludovici den, welcher den Grund zur Erkänntniß von solchen Dingen darreichet, so die menschliche Vernunfft vor sich und aus eigenen Kräfften zu erkennen vermag. Dergleichen sind ihm dreye: die Sensation, die Erfahrung, und die Vernunfft, in so ferne sie als ein Vermögen der menschlichen Seele angesehen wird (ratio subjective talis.)  
  So viel von dem einfachen Erkänntniß-Grunde.  
  Der zusammengesetzte Erkänntniß-Grund (principium cognoscendi complexum) ist nichts anders, als ein gantzer Satz, welcher den Grund darreichet zur Erkänntniß der Dinge. Aber auch die zusammengesetzten Erkänntniß-Gründe sind mancherley Art. Denn sie sind entweder historisch oder philosophisch. Die historischen sind Sätze, welche den Grund zu der Erkänntniß eine geschehenen Sache in sich fassen. Dergleichen Sätze werden mit einem Worte Zeugnisse genennet. Die philosophischen sind Sätze, welche den Grund von der Erkänntniß philosophischer Sachen in sich fassen; es werden aber die philosophischen Sachen hier in weitläufftiger Bedeutung genommen, daß sie alles unter sich fassen, was nicht historisch ist.  
  Wollen wir noch weiter gehen, so kommt eine neue Eintheilung der Grund-Sätze (denn so werden die philosophischen Erkänntniß-Gründe mit einem Worte genennet) zu  
  {Sp. 804}  
  bemercken vor, indem sie sind entweder bittweise angenommene (precaria) oder gewisse. Jene werden genennet, welche zwar eines Beweises bedürffen; aber ohne Beweis angenommen werden, und solche sind  
  1) die Erklärungen, deren Wahrheit nicht ist erwiesen worden, und  
  2) willkührliche Sätze (hypotheses) die gewissen Grund-Sätze, das ist, welche keines Beweises bedürffen, sondern vor sich klar und ausgemacht sind, sind entweder angebohrne oder erlangte, und die letztern entweder erwegende (theoretica) oder ausübende (practica.)  
  Die ausübenden bejahen entweder, daß etwas geschehen könne, oder fordern, daß etwas geschehen solle, und sind entweder zu erweisende (demonstrativa) oder nicht zu erweisende (indemonstrativa.) Jene werden Aufgaben, Problemata, und diese Heische-Sätze, Postulata, genennet.  
  Die nicht zu erweisenden ausübenden Grund-Sätze sind entweder die allerersten, dergleichen ist: Man soll nichts ohne zureichenden Grund thun; oder in dem allerersten gegründete, dergleichen in der Moral ist: Liebe GOtt, ingleichen: Lebe gesellschafftlich; wie auch: Verletze niemanden.  
  Die erwegenden Grund-Sätze sind, krafft deren etwas, was in einer Sache ist oder ihr zukommet, von derselben bejahet, oder im Gegentheil verneinet wird. Auch diese sind entweder zu erweisende oder nicht zu erweisende. Zu jenen werden gezehlet  
  1) Erklärungen, deren Wahrheit ist erwiesen worden, und  
  2) erwiesene Sätze (theoremata) in sofern sie zum Beweis anderer dienen.  
  Zu diesen rechnet man  
  1) ungezweiffelte Erfahrungen, und  
  2) die schlechterdings sogenannten Grund-Sätze (Axiomata.)  
  Die schlechterdings sogenannten Grund-Sätze sind entweder die allerersten, und die aus diesen fliessenden. Jener sind zwey, nemlich  
  1) der Satz des Widerspruches, und  
  2) der Satz des zureichenden Grundes, von welchen beyden besondere Artickel handeln. Damit wir hier nicht all zu weitläufftig seyn, verweisen wir den Leser zu der obgedachten von Ludovici zu Leipzig 1731 gehaltenen Dissertation de veris et falsis cognitionis humanae principiis, in welcher alles ausführlich ist abgehandelt, auch die vornehmsten zu dieser Materie gehörige Schrifften sind namhafft gemachet worden.
     
  Um aber die vielen Eintheilungen auf einmahl desto besser übersehen zu können, wollen wir folgende Tabelle mittheilen, und zwar in Lateinischer Sprache, weil die hier vorkommenden Kunst-Wörter iedem in der Lateinischen Sprache geläuffiger und bekannter sind:  
  {Sp. 805/806|S. 412}  
  [Grafik]  
     

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Stand: 24. Februar 2013 © Hans-Walter Pries