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Zedler: Unterweisung der Jugend HIS-Data
5028-49-2309-1
Titel: Unterweisung der Jugend
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 49 Sp. 2309-2315
Jahr: 1746
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 49 S. 1170-1173
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Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text   Quellenangaben
  Unterweisung der Jugend, oder Unterricht der Jugend, Lat. Informatio oder Insti-  
  {Sp. 2310}  
  tutio puerorum vel adolescentium.  
  Die Kinder stecken von Natur in der Unwissenheit und Thorheit, also können sie sich selbst nicht unterrichten, noch viel weniger selbst zur Tugend anführen. Dannenhero haben hierbey so wohl die Eltern und Lehrer, oder Hofmeister, als auch die Kinder selbst, das ihrige zu verrichten.  
  Die Pflicht der Unterweisung erstrecket sich fürnemlich auf dreyerley Dinge: Auf die Religion, auf alle gesellschafftliche Tugenden, und endlich auf die Erlernung einer nahrhafften Kunst; Dieweil zu einem geselligen Leben, zu welchem durch die Auferziehung junge Leute anzuführen sind, diese drey unentbehrlich erfordert werden. Dahero entspringen folgende drey Pflichten der Eltern und Lehrer;  
 
  • Erstlich die Pflicht, in den ächten Lehren von GOtt, und der wahren Gottseligkeit die Kinder zu unterweisen, wegen des zu befördernden theils geistlichen und ewigen, theils zeitlichen Heils der Kinder;
  • Zum andern die Pflicht, zu allen gesellschafftlichen Tugenden, zur Gefälligkeit, Bescheidenheit, Friedfertigkeit und Gedult, die Kinder anzuführen, und denen hervorblickenden entgegengesetzten Neigungen der bösen Affecten in Zeiten zu steuren;
  • Drittens die Pflicht, eine ehrliche Kunst, dadurch sie der Welt nützliche Dienste leisten, mithin dereinst sich selbst auf eine gesellige Art erhalten mögen, sie lernen zu lassen;
 
  da denn alle natürliche Gesetze hiervon vernünfftig zu beobachten. Wobey wiederum zu mercken, daß die Eltern diesen Pflichten entweder unmittelbar, oder mittelbar durch andere, nach Maaßgebung der Geselligkeit, Genüge thun können, ja nach Befinden sollen.  
  Was insonderheit die Pflicht der Eltern gegen die Kinder, in Ansehung der Religion, anlanget, so ist allerdings viel daran gelegen, daß die Kinder von erster Kindheit an zum Guten und zur Gottesfurcht gewöhnet werden. Daher den Eltern, und die an derselben statt sind, Christlicher Pflicht halben oblieget, dafür zu sorgen, daß solches geschehe. Weil aber bey solchem zarten Alter wohl zu ersehen seyn will, daß mit der Art und Weise der Anführung die Mittel-Strasse gegangen, und den Sachen nicht zu wenig, noch zu viel gethan werde, daß nemlich die jungen Kinder nicht gar ohne Unterweisung gelassen, gleichwohl aber ihre noch schwache Häupterlein auch nicht überladen, und dergestalt ermüdet und geschwächet werden mögen; so ist unter andern in der Hochfürstlichen Sachsen-Gothaischen Landes-Ordnung … gar heilsam verordnet zu befinden, wie absonderlich die reine Evangelisch-Lutherische Lehre und wahre Gottseligkeit auch schon denen kleinen und unerzogenen Kindern, ehe sie noch zur Schule geschickt werden, eingepflantzet werden könne und solle.  
  Und soll ihnen demnach für allen Dingen, wenn sie anfangen zu reden, eines und das andere kurtze, besonders auf das Erkenntniß unsers HErrn und Heylandes JEsu Christi deutlich führende Sprüchlein, als  
 
  • Joh. 1. Siehe, das ist GOttes Lamm, etc.
  • 1. Joh. 1. Das Blut JEsu Christi, etc.
 
  damit sie es recht fassen mögen,  
  {Sp. 2311|S. 1171}  
  offtermahls vorgesagt, und wie wir allein um dessen theuren Verdienstes willen Vergebung der Sünden erlangen und selig werden, auch um desselben willen allein bey ihm, und GOtt dem Vater und dem Heiligen Geiste, in allen Nöthen, sonderlich aber in der letzten und Todes-Noth, mit gantzem Vertrauen des Hertzens auf GOttes Güte, Liebe und Barmhertzigkeit, Hülffe und Rettung suchen sollen, aufs deutlichste, und wie es die Kinder am besten begreiffen können, erkläret werden, zu welchem Ende denn etwan bey ihnen etliche Kupffer-Stiche und Figuren, welche den Kindern anmuthig zu seyn pflegen, auch auf die Lehre der Heiligen Schrifft und unserer Symbolischen Bücher fein nachweisen, zu gebrauchen wären. Darauf kan ferner, wenn sie reden können, zu dem Catechismo Lutheri geschritten, und in demselben ein Hauptstück nach dem andern, den blossen Worten nach, ohne Auslegung, durch öffters Vorsagen, ihnen allmählich beygebracht, ingleichen auch kurtze andächtige Gebetlein und Psalmen Davids zu lernen vorgesagt werden.  
  Dieweil auch hiernächst hochnöthig, daß die zarte Jugend bald, wenn sie zur Schulen kommet, sonderlich zur wahren Gottesfurcht, und deren Ubung von den Präceptoren und Schulmeistern, wohl fortgeführet werde, welches denn durch Lehren der Worte des Catechismi, der Sprüche und Psalmen, und Erklärung des einfältigen Verstandes der Hauptstücke des Catechismi, sodenn auch würckliche Anleitung zu einem gottseligen Leben und Wandel geschiehet; so soll, laut der vorerwehnten Landes-Ordnung  
 
  • die etwas heran wachsende Jugend so wohl bey den Dorff-Schulen, als auch in denen niedrigen und teutschen Classen der Stadt-Schulen,
    • fürnemlich in dem Catechismo Lutheri, wie hiervon in dem auf ausdrückliche Hochfürstlichen Verordnung anderweitig publicirten Schul-Methodo, was massen die Jugend in den Schulen des Fürstenthums Gotha kurtz und nützlich zu unterrichten, mit mehrerm enthalten, samt denen kurtzen Fragen und Antworten, welche in dem gleichermassen publicirten kurtzen Begriff der Christlichen, aus gedachtem Catechismo gezogenen Lehre für die Einfältigsten beygefüget, und mit einem * bemercket sind, sodenn auch ferner die Biblischen, in dem für die Jugend des gedachten Fürstenthums in Druck gegebenen Lese-Büchlein, den Glaubens-Artickeln nach zusammengesetzte Sprüche, etliche der fürnehmsten Psalmen, wie dieselben zu diesem Ende in jetzo erwehntem Schul-Methodo verzeichnet, theils durch das Herumlesen, theils durch Aufgebung zum Auswendig-Lernen, den Worten nach gelehret,
    • hiernächst ihnen der Verstand des Catechismi aus gedachtem kurtzen Begriff und dem darauf folgenden nützlichen Unterricht von etlichen sonderbaren göttlichen Wohlthaten, und andern Christlichen Lehr-Puncten, nach Gelegenheit ihrer Fähigkeit, erkläret, erläutert, und wohl eingebildet,
  • die heranwachsende
    • zur Aufmerckung der Predigten in etwas gewöhnet,
    • und jedem derer, wie sie darin-

      {Sp. 2312}

      nen auf den Text, Eingang, Abtheilung und Nutzen, als Lehre, Trost, Vermahnung, Warnung, fleißig Acht haben sollen, gezeiget,
    • dieselbe, was sie jedesmahl gefasset, examiniret,
    • und sodenn je mehr und mehr die Sprüche, samt dem Verstande, ingleichen Christliche Gesänge, Gebetlein, Evangelien und Episteln, samt den Fest-Fragen, ihnen bekannt gemachet,
    • endlich auch sie
      • bey allen Gelegenheiten dasjenige, was sie gelernet, in der That zu Werck setzen,
      • sich für Sünden zu hüten,
      • und nebst hertzlichem Vertrauen auf das heilige Verdienst Christi, zu Erlangung der Vergebung der Sünden durch wahren Glauben,
      • eines stetigen bußfertigen Lebens und Christlicher Tugenden, sonderlich
        • der Liebe und Furcht GOttes,
        • inbrünstigen Gebets,
        • andächtiger Anhör- und Betrachtung göttlichen Wortes,
        • Fleisses im Lernen,
        • Zucht, Ehrbar- und Schamhafftigkeit in Gebehrden und Reden,
        • gehorsamer und schuldiger Ehrerbietung gegen die Fürgesetzten in den dreyen Haupt-Ständen, als Obrigkeiten, Prediger, Eltern, und andere, so an deren statt sind, sonderlich auch gegen ihre Präceptores und Schulmeister,
          sich zu befleißigen ermahnet,
    • und über das die Lehre
      • von der Allgegenwart GOttes,
      • von dem Schutz der heiligen Engel,
      • und von der Freude des ewigen Lebens, welche die Gläubigen und Gerechten nach diesem Gnaden-Reiche zu gewarten,
      • und hingegen von der Hölle, darinnen die Ungläubigen und Bösen gerathen,
        ihnen wohl fürgebildet werden.
 
  Und dieweil nicht allein einen ziemlichen Anfang der Christlichen Wissenschafft und der Ubung zu machen, sondern auch darinnen je mehr und mehr fortzufahren, höchstnöthig ist; so sollen ferner, nach Maßgebung des 4ten Tituls der mehrerwehnten Sachsen-Gothaischen Landes- Ordnung,  
 
  • nicht allein bey den Classen der Schulen, so auf die niedrigen folgen,
    • der Catechismus Lutheri, und die zu dessen Erklärung gehörige mehrere Fragen wiederholet, und der Jugend allda, ihrem weiter zunehmendem Verstande gemäß, und nach Einleitung des Christlichen Hauskirch-Büchleins und Unterrichts vor die Christlichen Haus-Väter, so beyde auf Hochfürstliche Verordnung abgefasset, und in Druck gegeben worden, gelehret,
    • die etwas längern Psalmen, und die an den beym nächst vorhergehenden Capitel gemeldeten Orte zusammengesetzten auch längere Sprüche, nebst fleißiger Wiederholung deren, so sie allbereits gefasset, nachgeholet,
    • und zu mehrer und eigentlicher Aufmerck- und Behaltung der Predigten gute Anleitung gegeben,
  • sondern auch endlich bey den obern Classen, ingleichen in dem Gothaischen Gymnasio
    • das hierzu verordnete Compendium Theologiae einfältig und deutlich erkläret,
    • die fürnehmsten Stücke daraus auswendig zu lernen aufgegeben,
    • und ermeldte Jugend allda in wahrer Gottseligkeit nachmals möglichst geübet werden.
 
  Und weil die Unterweisung der Kinder in der Religion, wie gedacht, ein Hauptstück der Erziehung derselben ist; diese aber ein unstreitiges Recht zuförderst der Eltern ist: so folget hieraus unfehlbar, daß die Eltern das Recht haben, ihre Kinder in  
  {Sp. 2313|S. 1172}  
  ihrer, nehmlich der Eltern, Religion zu erziehen, oder erziehen zu lassen, und daß also niemand berechtiget sey, denen Eltern ihre Kinder, um sie in einer andern Religion erziehen zu lassen, hinweg zu nehmen, oder durch listige Beredungen die Kinder, als die davon noch nicht urtheilen können, wider den Willen ihrer Eltern zu einer andern Religion zu verführen. Sind die Eltern selbst ungleicher Religion; so kommt es zuförderst darauf an, wie sie sich dieserwegen durch Pacte verglichen; dieweil ihnen von Natur das Recht der Erziehung der Kinder in gleichem Grade zukommt, und also die daher entstehende Ungewißheit natürlicher Weise durch Pacte zu heben ist.  
  Man darff sich auch daher nicht etwa einen Scrupel machen, daß die Religion kein Object der Pacte sey, denn von der Wahrheit der Religion, von welcher nur obgedachte Regel zu verstehen, ist in dergleichen Pacten die Frage nicht, sondern von der moralischen That der Erziehung der Kinder, da jedes von beyden Eltern das natürliche Recht hat, seinen Uberzeugungen in der Religion zu folgen, folglich auch das Recht, da das Kind in einer von beyden Religionen zu erziehen ist, in beyden aber zugleich nicht erzogen werden kan, in das Gewissen des andern Ehegatten durch Pacte zu condescendiren, so lange bis das Kind zu eigener Uberlegung, und hierdurch, seinem eigenen Gewissen hierinnen zu folgen, fähig wird. Haben die Eltern, diesen Punct durch Pacte auszumachen, unterlassen; so gehet es billig, wie in andern, also auch in diesem Stücke, nach dem Ausspruche dessen, der in der Familie die Ober-Hand hat.  
  Alle Unterweisung nun in denen obgedachten dreyen Stücken erfordert eine Disciplin oder Zucht, die man insonderheit die Kinder-Zucht nennet. Es haben aber die Eltern das Recht, die Kinder-Zucht oder Unterweisung ihrer Kinder entweder unmittelbar selbst auszuüben, oder sie andern, in der Klugheit, junge Leute zu ziehen, erfahrnen Personen, welche Lehr- oder Hoff-Meister oder Lehrmeisterinnen genennet werden, aufzutragen. Da denn ein Lehrmeister und besonders Hoffmeister bey Unterweisung eines jungen Herrn folgende Cautelen in acht zu nehmen hat:  
 
1) Vor allen Dingen muß derselbe das Naturell und Ingenium seines Untergebenen gründlich untersuchen, und durch vielfältigen Versuch erforschen, worinn sein natürliches Talent bestehe, wie es vermehret, oder wozu es angewendet werden könne; ingleichen woran es ihm eigentlich fehle, und ob es möglich, durch Fleiß und Übung solches zu verbessern;
 
 
2) Hat er nun das Ingenium und die Fähigkeiten des Untergebenen erforschet, so muß er sich so wohl in der Lehre, als in der Art solche vorzutragen, darnach richten, damit er ihm dasjenige, was er am leichtesten begreiffen kan, am ersten vortrage. Wobey die Regel: daß diejenigen Dinge, die am meisten in die Sinne fallen, am leichtesten zu begreiffen seyn: daher durch Bilder bey den Kindern am meisten auszurichten.
 
 
3) Er muß sich auch nach den Neigungen und zukünff-
 
  {Sp. 2314}  
 
tigen Zweck des Untergebenen richten, und allezeit von solchen Sachen Gelegenheit nehmen zu reden, wozu er am meisten Lust hat. Z.E. hat der Untergebene Lust zum Kriege, so rede er viel von Kriegs-Sachen; hat er Lust zum Hofleben, so nehme er daher die Exempel; hat er Lust zur Jägerey, so mische er zum öfftern davon in seinen Reden etwas ein;
 
 
4) Er soll nicht immer allein discouriren, noch viel weniger die Zeit mit blossem Herlesen aus dem Buche, oder Dictiren zubringen; sondern mit seinem Untergebenen durch Frage und Antwort raisonniren, und also selbigen über eine vorhabende Materie Gespräch zu führen gewöhnen. Denn solches wird verursachen, daß er nicht nur die Regeln leichter fassen und behalten könne, sondern auch die Wissenschafften hochzuhalten anfange, wenn er siehet, daß sie ihn geschickt machen, in Conversation das seine beyzutragen;
 
 
5) Wenn der Untergebene in solchem Gespräch etwan stecken bleibet, und doch gerne fort wolte, soll er ihm alsbald über die Schwierigkeit hinüber helffen, ohn allen Verweiß und Schelten, zumahln im Anfang; weil des Lehrers vornehmste Kunst darinn bestehet, daß er ihm alles so leicht und angenehm mache, als immer möglich;
 
 
6) Er soll von allen Wissenschafften dem Untergebenen zwar eine generale Idee und die vornehmsten Fundamente beybringen, aber nicht bey allen gar zu lange hin aufhalten, und allzutieff hineinführen. Weil von einem Edelmann nicht erfordert wird, daß er unter seinem Hofmeister ein ausbündiger Criticus oder Logicus werde, oder die Tieffen der Metaphysic, Physic und Mathematic durchdringe, und in der Historie und Chronologie meisterliche Gelehrsamkeit erlange;
 
 
7) Daher hat ein Hofmeister einen guten Unterscheid unter denen nothwendigen, nützlichen und curiösen Studien zu machen;
 
 
8) Er muß dem Untergebenen nicht zu viel auf einmahl aufgeben, noch zu was neues schreiten, bis er dasjenige, womit er noch zu thun hat, vollkommen gelernet;
 
 
9) Er muß in der Unterrichtung nicht bloß auf das Gedächtniß sehen, noch vielweniger den Untergebenen mit vielen auswendig lernen plagen, sondern vornehmlich auf die Besserung des Willens und Schärffung des Judicii in seinen Discoursen bedacht seyn;
 
 
10) Wenn der Untergebene curieux ist nach allen zu fragen, soll er ihn niemahls höhnisch abweisen, sondern vielmehr diese rühmliche Curiosität in ihnen zu erhalten, und zu erwecken suchen; seine Fragen soll er, wenn sie gleich einfältig, mit Glimpff beantworten, und was er zu wissen begehret, nach seiner Fähigkeit erklären; niemahlen aber mit einer falschen Antwort betrügen, noch mit Erklärungen und Beschreibungen, die ihm zu hoch, und mit gar zu vielen Sachen, die zu seinem Zweck nicht dienen, seinen Verstand verwirren.
 
  Die Haupt-Kunst aber eines Unterweisers bestehet hauptsächlich darinne, daß er nehmlich seines Untergebenen Aufmercksamkeit und Lust zu lernen wisse zu erwecken und zu erhalten. So lange er diese hat, wird er den Lernenden so weit fortbringen, als dessen Fähigkeit  
  {Sp. 2315|S. 1173}  
  verstattet; ohne Aufmercksamkeit aber wird alle seine Mühe vergebens seyn. Diese nun zu erwecken, ist folgendes zu observiren:  
 
1) Er muß so viel, als sich thun läst, dem Untergebenen den Nutzen des Dinges, so er ihm lehren will, begreifflich machen; und durch das, was er schon gelernet hat, ihn sehen lassen, daß er nun etwas thun kan, so er vorhin nicht thun konte, und daß er dadurch würcklich einen Vorzug vor andern, die solches nicht wissen, erlanget;
 
 
2) Dabey muß er in allen seinen Unterweisungen sich befleißigen, daß dieselbe mit einer Lieblichkeit und Anmuthigkeit gewürtzet seyn; und alle seine Minen und Geberden müssen so freundlich gegen den Untergebenen seyn, daß er eine Zuversicht zu ihm gewinne, und überzeuget werde, er habe ihn lieb, und meyne es in allen Dingen gut mit ihm;
 
 
3) Muß er den Untergebenen dasjenige, was er lernen soll, nimmer als eine Last oder Tagewerck auflegen; Denn was einem also auferleget wird, wenn es auch schon sonst angenehm, bringet gleich einen Eckel und Widerwillen.
 
 
4) Daraus folgt, daß er zur Erlernung dessen, dazu er eine Lust und Zuneigung bey dem Untergebenen erreget, nicht leicht eine andere Zeit nehmen müste, als wenn der Untergebene munter und aufgereimt ist;
 
 
5) Zu dem Ende hat er die Abwechselung der Gemüths-Hurtigkeit an dem Untergebenen fleißig zu beobachten; damit, wenn er sich munter, fähig, lustig und wohl aufgeräumt erzeiget, er ihn alsdenn würcklich vornehme, und solche gute Stunden nicht lasse verlohren gehen; wo er aber nicht offt genung sich von selbst hurtig anmeldet, so muß man ihm durch Zureden eine Lust und Begierde erwecken;
 
 
6) Dabey denn viel auf das Ingenium eines verschlagenen Unterweisers ankommt, der geschickliche und denen Kindern lebhafft in das Gemüthe fallende Inventionen hat, durch welche er dasjenige, was etwa ihre Achtsamkeit aufhält, mit denen ernsthafften Dingen, so sie tractiren sollen, anmuthig verbindet, bisß nach und nach aus dem Spielen so zu reden ein Ernst werde;
 
 
7) Unachtsamkeit, Vergessenheit, Unflätigkeit und Flüchtigkeit der Gedancken sind den Kindern natürlich eigen; deswegen müssen diese Fehler, wenn keine Vorsetzlichkeit dabey zu spühren, nur gelinde berühret, und mit der Zeit gewonnen werden;
 
 
8) Nichts aber ist weniger geschickt, die verstreuten Gedancken in Ordnung zu bringen, und auf die vorhabende Lection feste zu setzen, als: Schelten und Straffen; indem es den Kindern unmöglich aufmercksam zu seyn, und etwas zu lernen, solange ihre Gedancken von einiger Gemüths-Bewegung, und zumahlen von Furcht zerstöhret seyn; so wenig als man auf schütternden Pappier saubere Buchstaben schreiben kan;
 
 
9) Man erhalte also vielmehr das Gemüthe in einem ruhigen, stillen und wohl besänfftigten Zustande, woferne man will, daß es des Unterrichts fähig seyn soll.
  • Kemmerichs Academie der Wissenschafften 1. Eröffnung …
  • Müllers Philosophie …
     

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Stand: 29. März 2013 © Hans-Walter Pries