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Wissenschafft,
Lat.
Scientia,
Fr.
Science, It. Scienza. |
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Es ist dieses
Wort in einer zweyfachen Absicht
gewöhnlich, in dem es
entweder auf unserer Erkenntniß,
oder auf die Lehre, die wir erkennen, gehet. Wir bleiben
gegenwärtig nur bey der
erstern
Bedeutung, und von der andern Bedeutung handelt der
Artickel:
Wissenschafften.¶ |
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Gedancken der Alten von der Wissenschafft, in so fern
dieses
Wort vor die Erkenntniß genommen wird.
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Aristoteles hat unsere
Erkenntniß in 5 Classen
eingetheilet, nehmlich in Ansehung des allgemeinsten Unterscheides der
Gegenstände, in denen die
Geschicklichkeiten des
Verstandes insonderheit der Beurtheilungs-Krafft und des
Witzes sich zeigen; wenn er Analyt. Poster. L. I. c. 27. am Ende, ingleichen
Ethic. Nicomach. L. VI. c. 3. sie eingetheilet in technēn, epistēmen, phronēsin,
sophian, noun
Kunst, Wissenschafft,
Klugheit,
Weißheit und
Verstand. |
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Nemlich der
menschliche Verstand hat entweder mit theoretischen oder mit practischen
Wissenschafften zu schaffen: in den theoretischen wiederum entweder mit den
Grund- oder Schluß-Sätzen. Die
Geschicklichkeiten oder die Fertigkeit in
Ansehung der Schluß-Sätze und ihrem
Beweise nennet er
epistēmēn
Wissenschafft: Dahero |
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{Sp. 1347|S. 687} |
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er Ethic. L. VI. c. 3.
spricht: [ein Satz griechisch], scientia
est habitus demonstrandi, die Wissenschafft ist eine Fertigkeit zu
demonstriren, und zwar, wie er L. VI. hinzuthut, [ein Satz griechisch],
de universalibus ac necessariis, von allgemeinen u. nothwendigen. |
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Die
Geschicklichkeit in Ansehung der
unmittelbaren Grund-Sätze der
Wissenschafften die durch sich selber wahr, und ohne
Beweiß anzunehmen sind,
nennet er noun, intelligentiam,
Verstand indem er Analyt. Poster. L. I. c. 27.
spricht: [zwey Zeilen
griechisch], Voco autem intelligentiam principium scientiae: Ipsa enim
scientia, cum indemonstrabilis haud sit, intelligentia e contrario est perceptio
propositionum immediatarum. Ich nenne aber den Anfang der
Wissenschafft Verstand. Denn die Wissenschafft geht jederzeit mit Beweisen um,
da hingegen der Verstand nur eine Empfindung der unmittelbaren Sätze ist.
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Die
Geschicklichkeit in Ansehung der ersten oder obersten
Grund-Ursachen der
Dinge, die wir nur metaphysicalisch, das ist bloß nach ihrer
Existentz zu
erkennen fähig sind, nennet er sophian,
Weisheit, [sechs Wörter griechisch], primorum principiorum causarumque
speculatricem, eine
Erforscherinn der ersten
Gründe und
Ursachen. |
Metaphys. L. I. c. 2.
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Kunst |
In den Practischen Wissenschafften aber machet er einen Unterscheid, daß
einige derselben zum Gegenstand haben ein poieton,
factibile oder arte factum, was da soll gemacht oder
durch
Kunst zubereitet werden; einige hingegen ein
prakton,
agibile, oder was da soll gethan werden: Welcher Unterscheid darinnen
beruhet, daß to poieton, factibile,
ein Kunst-Stück ist, das durch
menschliche
Arbeit
in einem natürlichen
Cörper hervorzubringen ist; To prakton,
agibile, hingegen, eine nach den
Regeln der
Sitten-Lehre zu prüfende
That des
menschlichen Willens. |
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Die
Geschicklichkeit demnach in Ansehung der poieton
nennet er techne,
artem,
Kunst;
die Geschicklichkeiten hingegen in Ansehung der prakton,
phronēsin,
prudentiam,
Klugheit. Seine
Worte sind: [ein Satz griechisch]: i.e.
Ars est habitus cum ratione veri effectivus: Die Kunst ist eine
Geschicklichkeit etwas nach einer wahren und richtigen Regel hervorzubringen.
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[Ein Satz griechisch]; Prudentia est habitus cum ratione veri recte
agendi circa ea, quae homini bona sunt vel mala; Die Klugheit ist
eine Geschicklichkeit sich nach einer gewissen und festen Regel wohl zu
verhalten in Dingen, welche dem Menschen entweder gut oder
schädlich sind.
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Ethic. L. VI. c. 4. 5. |
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Diesen 5
Geschicklichkeiten, die seiner
Meynung nach in gäntzlicher
Gewißheit beruhen, setzet er Analytic. Poster. L. I. c. 27,
tēn
doxan, die
Meynung, das ist die
Geschicklichkeit der Wahrscheinlichkeit
entgegen. |
Müllers Philosophische Wissenschafften I
Th. c. 20. p. 601. seq.
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Die Schulweisen pflegten, nach Anleitung des Aristoteles,
die Wissenschafft durch eine Geschicklichkeit des
Verstandes zu erklären, welche
man erlangt, indem man mit Gewißheit aus richtigen und |
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{Sp.1348} |
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wahren
Ursachen einen Schluß-Satz einer
Sache herleitet. (Scientia est
virtus intellecualis, comparata ex conclusione certae rei per proprias et
proximas causas). Sie behaupteten, daß die Wissenschafft (scientia)
nur in Ansehung des Schluß-Satzes uns zukomme, und hingegen die
Erkenntniß
(intelligentia) in Ansehung der Förder-Sätze. Sie erfordern drey
Dinge
zur Wissenschafft: |
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1) |
Einen Gegenstand welcher episteton,
scibile, heißt, oder das, von dem man eine Wissenschafft
erlangen will. |
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2) |
Eigenschafften, welche davon erwiesen werden. |
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3) |
Ursachen oder antion,
um welcher willen die Eigenschafften von dem Gegenstande
gesagt werden.¶ |
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In aller Wissenschafft war nach ihrer
Meynung zweyerley: |
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1) |
Gewißheit, daß man etwas ohne Zweifel
erkennt:
Und daher wird die Wissenschafft bey den Griechen ametaptōtos
genennet, weil sie sich keines andern bereden läst. |
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2) |
Deutlichkeit und Klarheit, daß man etwas in
seinem gantzen Licht einsehe. |
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Sie theilten ferner die Wissenschafft |
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- in die beschauliche (SCIENTIAM SPECULATIVAM);
- in die thätige (SCIENTIAM PRACTICAM)
- und in die Poetische (SCIENTIAM POETICAM)
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ein: Desgleichen |
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- in diejenige, von welcher eine andere abhanget und deren Sätze in keiner
vorhergehenden Wissenschafft erwiesen werden, welche sie SUBALTERNANTEM
nennten;
- und in diejenige, bey welcher das Gegentheil von der vorigen statt hat,
und die SUBALTERNATA heißt.
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Sie machten folgende Stuffen der Wissenschafften: |
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- Der erste Grad, da man die
Würcklichkeit eines
Dinges (hoti) eben so gut
einsieht, als ob man durch einen
Beweiß davon wäre überzeugt worden;
- Der andere Grad, da man vollkommen durch einen
Beweiß von
etwas überführt wird;
- Der dritte Grad, da man selbst von der
Materie des
Beweises
eines Satzes neue
Beweise führen kan, welches sie die
Weißheit
nennten oder anypothetos epistemen.
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Johannis Micrälii Lexicon philosophicum
unter d. W. Scientia, p. 1242. seq.¶ |
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Verschiedene Bedeutungen des
Worts: Wissenschafft, so
fern es vor die Erkenntniß genommen wird, zu unsern Zeiten.
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In unsern Tagen hat man dem
Worte: Wissenschafft, in so fern es vor unsere
Erkenntniß
genommen wird, eine dreyfache Bedeutung beygeleget, als:¶ |
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I. |
Braucht man selbiges in weiterm
Sinn vor eine
jede Erkenntniß überhaupt, es mag selbige eine gemeine, oder gelehrte,
eine gantz gewisse, oder wahrscheinliche seyn, daher, wenn man anzeigen
will, man wisse von einer
Sache nichts, so pflegt man auch zu
sagen, man
habe keine Wissenschafft davon.¶ |
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II. |
Im engern
Verstande vor eine solche Erkenntniß, die gantz gewiß, daß
der
Verstand dergestalt von etwas überzeuget, daß er nicht den
geringsten Zweifel hat, und also zwischen ja und nein nicht mitten inne
stehet. Eine solche Gewißheit hat einen dreyfachen
Grund, als die
Erfahrung,
die
Vernunfft und die
H. Schrifft,
die sich alle auf den |
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{Sp. 1349|S. 688} |
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General-Grund, welches die
Empfindung ist,
stützen. Denn weiß man etwas aus der Erfahrung, so beruhet hier die
Gewißheit darauf, daß man es empfindet; gleichwie man auch bey den
Wahrheiten, die durch die Vernunft gewiß gemacht werden, das
Verhältniß
der
Ideen; bey denen aber, die durch die Heilige Schrifft gewiß sind,
das deutliche Zeugniß
empfinden muß. |
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Die
Erfahrung macht eine Gewißheit, soferne wir
empfinden, daß sich die
Sache auf diese oder jene Art verhalte, welches
aber nur an eintzeln
Dingen geschicht, sie mögen nun ausser, oder in uns
selbst (dergleichen die
Würckungen der
Seelen
sind) geschehen, z.E. wir wissen gewiß, daß die Magnet-Nadel sich
allezeit nach einem der
Welt-Angel
wendet; das eine lebendige Vorstellung den
Willen
in eine
Bewegung bringen kan, indem wir dieses aus der Erfahrung haben,
das ist, wir haben solches an eintzeln Sachen wahrgenommen. Indem aber
bey solchen
Dingen, die äusserlich empfunden werden, alles auf die
äusserlichen
Sinnen ankommt, so setzt man voraus, daß man sich auf
selbige verlassen kan. |
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Wie nun die
Erfahrung
mit eintzeln Sachen zu thun hat, die man
unmittelbar
empfindet; also ist
die
Vernunft mit
Ideen beschäftiget, die sie betrachtet, und aus
ihrer
Natur
einen
Grund der Gewißheit an die Hand giebt. Denn sie machet Erklärungen
der
Dinge, und stellt sich deren
Wesen und Beschaffenheit vor, daß, wenn
sie weiß, wie sich eine Idee gegen die andere verhält, so urtheilet sie,
und macht Sätze, welche sie wieder dazu brauchet, daß sie andere
Wahrheiten daraus folgert, z.E. wenn ich sage, es ist gewiß, daß ein
unvernünftiges Vieh nicht kan gestraft werden; so kan man solche
Gewißheit nicht aus der Erfahrung, wohl aber aus der Vernunft, und zwar
auf folgende Art leiten: Die Vernunft überführet davon einen
Menschen,
weil sie einen andern Satz: Die
Strafen
sind ein Übel wegen begangener Sünden, als eine
Ursach vorstellet,
zwischen welchen beyden man einen nothwendigen Zusammenhang empfindet.
Daß sie aber so urtheilet, die Straffen sind ein Übel wegen begangener
Sünde, oder Übertretung des
Gesetzes, darzu hat sie diese Ursach, weil
solches das
Wesen der Straffe mit sich bringt. |
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Auf solche Weise kommen bey der gewissen
Erkenntniß durch die Vernunft vor die Definitio, das
Principium und die
Conclusio. So giebt auch die
Heilige Schrifft,
oder das göttliche Zeugniß einen
Grund der Gewißheit ab, deren Ausspruch
schlechterdings wahr, weil er von
GOtt kommt, der nicht kan, noch will betrügen. Doch weil
dieses Zeugniß schrifftlich abgefasset, so entsteht diese Gewißheit
nicht ehe, bis man den richtigen
Verstand von einem Spruche hat, z.E.
das Christus wahrer GOtt und
Mensch, ist gewiß war, nicht aus der
Erfahrung, noch aus der Vernunfft; sondern aus der Heiligen Schrifft,
aus welchem erhellet, daß die Theologie völlige Gewißheit hat. Eine
solche gewisse Erkenntniß hat also ihre Gründlichkeit, indem dasjenige,
was man behauptet, seinen gewissen
Grund hat, darauf man sich verlassen
kan. |
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Walchs philosophisches Lexicon.¶
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III. |
Braucht man das
Wort: Wissenschafft, in
gantz engern
Verstande, vor eine solche ge- |
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{Sp. 1350} |
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wisse
Erkenntniß,
deren Gewißheit auf die
Natur
einer
Sache gegründet, welches man sonst auch die DEMONSTRATIONEM A
PRIORI zu nennen pfleget. |
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Walchs philosophisches Lexicon. |
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Überhaupt ist die Wissenschafft in diesem
Verstande eine Erkenntniß der
Dinge, so wir durch die
Demonstration aus gewissen
Gründen erlangen; oder: es ist die
Wissenschafft eine Fertigkeit, alles, was man behauptet, aus
gewissen Gründen unumstößlich darzuthun. Also werden theils
gewisse Gründe (principia certa) erfordert,
aus welchen wir das bekannte herleiten, theils eine
Demonstration, oder eine zusammengekettete Reihe der
Schlüsse,
woraus erhellet, daß das, was soll
erkennet werden, auf den Gründen
richtig bestehe. Weil die Dinge in der Wissenschafft nicht dürffen
zugegen seyn, so können die Dinge ein Gegenstand der Wissenschafften
seyn, welche niemahls durch die
Erfahrungen
können vorgestellet werden. Die Gewißheit der Demonstration beruhet auf
der Gewißheit der Gründe und auf der richtigen Ableitung. |
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Siehe D. Sigismund Jacob Baumgartens
Exercit. Theol. de scientiae, fidei et experientiae discrimine et nexu in
theologia necessario, Halle 1742, und die Gründliche Auszüge aus
denen Disputationibus XI Band,
I St. p. 27. |
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Es giebt Leute in der
Welt, die wollen nicht Wissenschafft in denen Stücken
leiden, wo sie nur eine
Meynung haben. Die gehören unter die Zahl der Hartnäckigen,
und sind die gefährlichsten in der gelehrten Welt. Denn sie hindern theils durch
Schmähen und Lästern, theils, wenn sie
Macht gewinnen, mit Verfolgungen die
Aufnahme der Wissenschafften. Ihr Hochmuth leidet es nicht, daß andere etwas
besser
verstehen sollen, als sie. Und da sie hartnäckigt sind, ist nichts mit
ihnen auszurichten. Man darf sich nicht wundern, daß dergleichen Leute so
thörigt handeln, weil sie sich niemahls um die Wissenschafft bekümmert. Denn
diese ist aus der Zahl der Fertigkeiten: nun wird aber alle Fertigkeit durch die
Übung erlanget, welches die tägliche
Erfahrung bestärcket, so muß nothwendig
auch die Wissenschafft durch die Übung erlangt werden. |
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Weil auch die Beschaffenheit des
Beweises deutlich in der Vernunft-Lehre
erörtert wird, und diese Beschaffenheit ohne die
Erkenntniß der Logick nicht kan
erkannt werden; so muß derjenige, der nach Wissenschafft strebt, sich die
Logicalischen Regeln wohl bekannt machen, die Beschaffenheit des Beweises
deutlich einsehen und eine Logicalische Auflösung der
Sache anstellen können.
Weil die
Philosophische Lehr-Art mit der Mathematischen einerley ist, und also
auch die Philosophischen Sätze einerley Auflösung zulassen, als der
Mathematicus: so ist, ohne vieles Erinnern, offenbar, daß man durch eine genaue
und fleißige Übung in der
Philosophie nach angeführter
Methode zu der
Wissenschafft gelange. Weil ferner der
Beweis die Wissenschafft hervor bringt:
so wissen wir dasjenige, was wir
beweisen können; was aber von uns nicht kan
bewiesen werden, von dem haben wir auch keine Wissenschafft. |
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Daher ist klar, daß man denenjenigen nicht die Wissenschafft eines Mathematici
zueignen könne, die nur einige Lehr-Sätze und Aufgaben ins Gedächt- |
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{Sp. 1351|S. 689} |
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niß gefasst und sich derselben bey dem Feldmessen oder andern Vorfallenheiten
bedienen. Denn sie besitzen alsdenn erst Wissenschafft, wenn sie sowohl die
Lehr-Sätze, welche sie gemerckt, als auch die Aufgaben, die sie in die Ausübung
setzen,
beweisen können. Gleichergestalt ist der noch kein Logicus, der nur die
Sätze der Vernunft-Lehre dem Gedächtniß eingeprägt, und dieselben öffters nicht
unglücklich anwendet: sondern derjenige vielmehr wird diesen
Nahmen
verdienen,
der die
Regeln der
Vernunft zu erweisen im
Stande ist. Dahero diejenigen, die
sich bemühen, die Logicalischen Regeln, die in der Ausübung grossen
Nutzen
schaffen, zu beweisen; die machen dadurch, daß man eine völlige Wissenschafft
der Vernunfft-Lehre erlange. |
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Man hat die Einwendung derer nicht groß zu achten, die da glauben, daß die
menschliche Wissenschafft in gar zu engen
Schrancken eingeschlossen sey. Man muß
hier wohl den Unterschied einer gewissen
Erkenntniß der
Sachen, welche der
Wissenschafft zukömmt, von einer ungewissen in Acht nehmen. Was hat man also vor
Schaden zu besorgen, daß wir die Wissenschafft denenjenigen absagen, die keine
gewisse Erkenntniß der Sachen in den Wissenschafften haben? Es bleibt einem
jeden seine Erkenntniß, die er besitzt, man mag sie nun wollen mit dem
Titul der
Wissenschafft beehren, oder mit einem andern
Nahmen. Übrigens erkennet man
daraus, warum man eine Demonstration einen scientifischen
Beweis (probationem
scientificam) nennet. |
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Hiernächst gilt auch bey der Wissenschafft, was von aller unserer
Erkenntniß
gesagt wird: wir wissen so viel, so groß unser Gedächtniß reichet. (Tantum
scimus, quantum memoria tenemus). Denn gesetzt, wir haben etwas nicht im
Gedächtnisse behalten: so sind wir auch nicht im
Stande, eine
Idee in unserm
Gemüthe
wieder hervorzubringen, und, nachdem sie hervorgebracht, davor zu
erkennen.
Dahero, weil wir dasjenige wissen, was wir
beweisen können; dasjenige aber,
dessen
Begriff wir nicht bey uns wieder hervorbringen und erkennen können, daß
wir ihn ehemahls gehabt, werden wir noch viel weniger beweisen können, weil man
hier gantz besonders auf den Gegenstand der Erkenntniß sein Absehen richten muß:
wir wissen also diejenigen
Sachen keinesweges, deren Begriff wir nicht bey uns
wieder hervorzubringen im
Stande sind, und davon wir folglich keinen Begriff
mehr haben. |
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Daraus ist klar, daß wir nur das wissen, was wir ins Gedächtniß gefasset,
oder, welches einerley ist: Unsere Wissenschafft richtet sich nach unserm
Gedächtniß. Weil auch derjenige, der eine
Sache vergessen hat, derselben
Begriff
nicht wieder bey sich, vermöge seiner
Einbildungs-Krafft, hervorbringen kan, und
sie also nicht weiter im Gedächtnisse behält: so ist ausgemacht, daß wer etwas,
was er gewust hat, vergißt, desselben Wissenschafft nicht weiter hat. |
-
Wolfs Logica Latina Disc. Praelim. §. 30.
p. 14. Part. II. Sect. I. c. IV. §. 594-598. p. 444.
seq.
- Ebend. Gedancken von den Kräfften des
menschlichen Verstandes, Vorber. §. 2 p.1. und Cap.
VII p. 144 u.f.
- Ebend. Psychol. Empyrica P. I. Sec t.
III. c. IV. §. 451. 452. p. 354. seq.
- Ebend. Gedancken von GOtt der Welt, der
Seele des Menschen, etc. Th. II. §. 124. p.
198 seq.
- Baumeisters
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|
{Sp. 1352} |
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Institutiones Philosoph. Rationalis, Cap. Praelim. §. 27. p. 17.
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- Reuschens Systema Metaphys. c. III.
§. 419. p. 292 §. 920 p. 658 seq.
- Ebend. Systema Logicum c. I. §.
50. p. 30. c. XI. §. 658. 659 p. 751
seq.
- Johann Jacob Syrbii kurtze Anweisung zur
Weisheit p. 5.
- Johann Christoph Gottscheds Gründe der
Weltweisheit, Theoret. Th. §. 4 p. 4 seq. §.
159 p. 98.
- Meißners Philosophisches Lexicon.
- M. Johannis Andreä Fabricii Logick §. 9 p.
5. §. 328. p. 102 seq.
- Johann Friedrich Rübels Recht der Natur §.
31 p. 13.¶
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Unterscheid der Wissenschafft von der Erfahrung.
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Weil die
Empfindung der
Sinnen und die daher entstehende
Gedächtniß-Wissenschafft nur der erste
Grund vernünftiger Einsicht ist, als
welche letztere durch die
Würckungen des Witzes
und die Beurtheilungs-Kraft aus
jener allererst erwachsen muß; so folget, daß das
Gemüth
bey der erlangten
Erfahrung der
Dinge nicht stille stehen,
und dieselbe etwa vor
die scharffsinnige
Erkenntniß selbst, die wir in der
Gelehrsamkeit suchen,
ansehen, sondern selbige nur als einen Grund, aus welchem durch scharfsinniges
Nachdencken eine rechtschaffene Wissenschafft entstehen solle, betrachten müsse. |
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Wissenschafft oder Einsicht erfodert zwar
Erfahrung,
und setzet sie zum Theil voraus, so weit nehmlich die Erfahrung der
Grund der
Erfindung und Erkenntniß aller menschlichen Wissenschafften ist: Sie ist aber
ein weit mehrers als blosse Erfahrung, nemlich eine scharffsinnige Erkenntniß
der
Wahrheiten, die aus dem Grunde der sinnlichen
Empfindungen und also dessen,
was die Erfahrung lehret, in einer an einander hangenden
Ordnung aus einander zu
schliessen sind. |
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In dessen Erwegung theilet man auch die
Erfahrung in eine bloß Empyrische
oder gemeine, und in eine gelehrte Erfahrung. Jene ist eine blosse Erfahrung
ohne gründliche Wissenschafft: diese ist eine mit gründlicher Einsicht in die
Wissenschafften verbundene Erfahrung. Die erstere lässet sich nicht leicht
anders, als sehr unvollkommen, und offt an statt des gesuchten
Nutzens mit
Schaden anwenden und gebrauchen. Die andere ist weit reichlicher, auch weit
klüger und vorsichtiger anzuwenden und zu nutzen. |
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Zu Erlangung solcher
Geschicklichkeiten zwar, deren
Regeln und Kunstgriffe
auf blosser
unmittelbar sinnlicher
Erkenntniß beruhen,
und die sich also bloß
durch Zusehen und fleißige Übung erlangen lassen, ist die erstere der beyden
angeführten
Arten
der Erfahrung genug, wie wir an der Art spinnen, weben[1],
kochen oder ein
Handwerck
treiben zu lernen
wahrnehmen: nicht aber auch zur Erlangung gelehrter Geschicklichkeiten, z.E. in
der Theologie, Rechts-Gelehrsamkeit, Medicin, als deren
Regeln und Kunstgriffe
auf einer Einsicht in diejenigen
Wahrheiten, die aus dem
Grunde der Erfahrung in
einer an einander hangenden
Ordnung aus einander
zu schliessen, und scharfsinnig
zu begreiffen sind, und also nebst der Erfahrung auf gründlicher Wissenschafft
beruhen. |
Müllers Philosophische Wissenschafften Th. I Cap.
V. §. 21. p. 158 u.f.¶ |
[1] |
HIS-Data: korrigiert aus: neben |
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