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Zedler: Tod [4] HIS-Data
5028-44-623-5-04
Titel: Tod [4]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 44 Sp. 638
Jahr: 1745
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 44 S. 332
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Hinweise:
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  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden

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Übersicht
Philosophische Abhandlung des Todes (Forts.)
  Philosophische Betrachtungen

Stichworte Text   Quellenangaben
Unerschrockenheit vor dem Tode Wir müssen hierzu noch einige Philosophische Betrachtungen hinzu setzen, wenn wir diese Abhandlung vom Tode nicht unvollständig beschliessen wollen. Demnach werden wir noch einige allgemeine Anmerckungen über die Unerschrockenheit vor dem Tode machen, wobey zugleich die Frage wird beantwortet werden: Ob man seinen Tod unerschrocken erwarten könne?  
  Es wird gemeiniglich vor etwas ausserordentliches gehalten, wenn jemand eine besondere Unerschrockenheit vor dem Tode zu erkennen giebt, weil die wenigsten Menschen darzu geschickt sind. Furcht und Hofnung sind die gewöhnlichsten Abwechselungen unsers Lebens, unter welchen uns zuletzt der Tod übereilt ehe wir noch aufgehört haben uns zu fürchten, oder angefangen recht zu hoffen. Aus diesem Zustande kan man urtheilen was es vor eine Bewandniß mit der Unerschrockenheit vor dem Tode bey dem grösten Theil der Sterblichen habe. Derjenige, welcher Tag und Nacht mit den Sorgen seines Haußwesens beschäfftiget ist, und nur auf die Vermehrung seiner Güter und des Vermö-  
  {Sp. 639|S. 333}  
  mögens gedencket, der muß den Tod nothwendig vor ein furchtbares Ungethüm halten. Und wie man dergleichen Art Leute selten von einer Sache anders, als furchtsam reden hört, so kan es nicht anders seyn, als daß sie auch eben diese Sprache in der Materie vom Sterben behalten müssen.  
  Allein es giebt doch noch viel Menschen, die das Ansehen haben wollen, als ob ihnen am Tode nichts gelegen sey. Wir wollen zwar nicht läugnen, daß immer ein Mensch dem Tode steiffer entgegen sehen könne, als der andere, weil es gewisse Lebens-Arten giebt, bey denen man ihn augenblicklich zu gewarten hat, und man also nothwendig die Furcht vor den Gelegenheiten, darinne er uns treffen kan, verliehren muß. Es ist aber hier die Frage nur, ob man nicht verzagt werden, wenn es selbst zum Abdrücken kömmt, so daß der Sterbende den Tod recht fühlen kan? und ob jemand in der Welt sich zum Voraus rühmen könne, daß er alle seine Beständigkeit beysammen behalten wolle, wenn der Tod über ihn käme?  
  Hierauf antworten wir ohne Bedencken, Nein. Denn alle Gründe, welche die vorgegebene Unerschrockenheit vor dem Tode befestigen sollen, kommen entweder aus Ungedult und Überdruß dieses mühseligen Lebens, oder darauf an, daß die Menschen die Furcht als etwas unanständiges betrachten, oder auch von Natur also geartet sind, daß sie sich durch keinerley Vorstellungen allzu sehr bewegen lassen. Allein dies alles kan sie nicht genugsam berechtigen, einen festen Schluß von ihrer Aufführung im Tode zu machen, immassen kein Mensch beständig genug ist, in Dingen die auf Empfindung ankommen, die Änderung seines Gemüths zu verreden.  
  Man wird uns hier vielleicht Schuld geben, daß wir hier die Göttlichen Gnadenwürckungen vergessen, allein wir haben sie mit Bedacht ausgelassen. Denn zu geschweigen, daß sie an den wenigsten Menschen zu spüren, so pflegen dieselben auch die natürlichen Bewegungen des menschlichen Hertzens nicht auszurotten, und ein Paulus, so sehr er auch mit der Gnade GOttes erfüllet ist, fürchtet sich doch noch so fern vor dem Tode, daß er lieber wünscht entkleidet, als überkleidet zu seyn. Die Gnade thut hierbey weiter nichts, als daß sie den Menschen auf GOtt lencket, seine Hofnung, die nach Überstehung des leiblichen Leidens soll erfüllet werden, fest machet, und ihn zu geduldiger Ertragung des, was dem Fleische wehe thut, bereitet. Daß sie aber alle Empfindung von der Bitterkeit, und Schmertzen des Todes wegnehmen solle, dieses gehöret unter die angenommenen Meynungen.  
  Was wissen wir über dieses, wie es uns der Todte vorlegen wird? Wie wollen wir sagen, daß wir den Abscheu nicht empfinden werden, den ein jegliches natürliches und fühlendes Wesen vor alle dem hat, was zu seinem Untergange oder Verderbniß gereichen kan? Wer bey dem Tode vieler Leute zugegen gewesen, wird sagen können, wie sich die Natur meistentheils wieder die Trennung des Leibes und der Seele wehre, welches zwar bey einem mehr, bey andern weniger aus meist bekannten natürlichen Ursachen geschiehet, doch niemahls gar aussen bleibt. Ja wenn man vollends öfftere Gelegenheit hätte, auf die Reden der Sterbenden, die sich sonst tapffer gegen  
  {Sp. 640}  
  den Tod gerühmet, auf den Inhalt, Art und Thon, wie sie vorgebracht werden, Achtung zu geben, würde man noch deutlicher entdecken, wie schlecht ihre Beständigkeit, ohngeachtet alles Zwanges, den sie sich anthun, und der äussersten Verstellung, die sie offt brauchen, ausgeführt werde.
  Der Kayser Adrian hielt wahrhafftig auf dem Sterbe-Bette mit seiner animula vagula, blandula nicht darum ein Gespräch, weil sein Gemüth frey, sondern weil er unruhig war wegen seines Zustandes nach dem Tode, und nicht vertragen konnte, daß seine Vergnügungen aufhören solten. Welche aus den Worten des Königs von Engelland Heinrichs VIII, da er mit einem Glase Wein in der Hand ausgeruffen: Es ist alles verlohren; einen besondern Heldenmuth schliessen wollen, irren unsers Bedünckens gewaltig. Denn wenn man die diesem Printzen natürliche Wollust und Wanckelmüthigkeit betrachtet, wenn man den Versicherungen der meisten Schrifftsteller trauen soll, daß er nicht aus eigner Bewegung sondern erst auf Veränderung eines seiner Bedienten an den Tod gedacht, und wenn man endlich den Inhalt der angezogenen Worte selbst ansiehet; so wird man viel eher auf die Gedancken gerathen, es habe ihm sein ungewisser Zustand, da er nicht gewust, wie er den Tod betrachten müste, und die Ungedult, daß er seine Gedancken auf einmahl auf eine gantz ungewohnte Materie errichten müsse, solche Rede ausgepreßt.  
  Wir glauben solcher Gestalt von der vorhabenden Materie dasjenige gesagt zu haben, was uns die gesunde Vernunfft an die Hand zu geben vermag. Wollen es aber, ja die großmüthigen Verächter des Todes nicht annehmen, und ihre Ruhmsucht, als den Deckmantel der menschlichen Schwachheit nicht fahren lassen; so nehmen wir mit den Worten des Poetens von ihnen Abschied: Vade, vale, cave ne titubes!  
plötzlicher Tod Wir kommen auf die letzte Frage welche wir bey dieser Gelegenheit zu beantworten vor nöthig geachtet haben: Ob nehmlich ein plötzlicher Tod vor ein Glück oder Unglück zu halten sey? Pierius Valerianus de Litterator. Infel. … macht bey Gelegenheit des jählingen Absterbens des George Valla viele sinnreiche Betrachtungen über die Natur des Todes, und behauptet, daß es manche Personen vor ein grosses Glück rechnen würden, wenn sie stürben, ohne kranck zu seyn. Er bemercket, daß dieser Zufall und alle andere, die nicht von uns abhängen, nach der Philosophie vor nichts Böses gehalten werden dürffen. Endlich behauptet er, daß die Art, wie Valla gestorben, ein Glück sey, weil vor seinem Tode weder Schmertzen noch Unruhen vorher gegangen.  
  Alles dieses ist, an sich betrachtet, wahr, denn die hefftigen Schmertzen einer vierzehntägigen Kranckheit versetzen den Menschen, natürlicher Weise zu reden, in einen kläglichen Zustand. Er kan weder die verbotenen noch erlaubten Ergötzlichkeiten geniessen, er leidet an seinem Leibe und an seiner Seele, seine Gliedmassen erwecken ihm viel Beschwerlichkeiten, seine Vernunfft wird dadurch niedergeschlagen; er härmet sich, er fürchtet den Tod, und kan nicht ohne Entsetzen an die Annäherung dieses Königs des Schreckens gedencken.  
  Ein plötzlicher Tod überhebt uns dieses alles, er  
  {Sp. 641|S. 334}  
  muß also vor einem Glück gehalten werden, wenn man nehmlich nicht die Lehren des Evangelii betrachtet. Dieserwegen hat Pierius Valerianus diese Ausnahme sorgfältig hinzu gefüget. Die Gottesgelahrheit lehret uns, daß der sündige Mensch ohne Bereuung seiner Fehler und den Glauben nicht ins Reich GOttes kömmt: und die Erfahrung zeiget uns, daß alle Menschen Sünder sind. Nach diesem Grund-Sätzen muß man es als ein grosses Unglück ansehen, plötzlich zu sterben: indem ein solcher Tod uns nicht Zeit lässet, sich vor GOtt zu demüthigen, und seine Barmhertzigkeit durch das Verdienst unsers Heylandes anzuflehen. Nun kan aber ein Mensch, der als ein Sünder und Unbußfertiger vor dem Throne GOttes erscheinet, nichts anders als die ewige Verdammniß erhalten. Dieses ist die Lehre des Christenthums.  
  Es ist vergeblich, wenn man anführen wollte, daß ein zur Seeligkeit Auserwehlter nicht ohne Busse sterben kan, ob sein Tod gleich plötzlich ist, und daß ein Ruchloser und Verstockter nicht bußfertig sterben wird, ob vor seinem Tode gleich eine langwierige Kranckheit vorher gehet. Man siehet indessen hieraus, daß ein plötzlicher Tod manchen Menschen schädlich, manchen aber nicht sey; ferner erkennet man, daß auch eine langwierige Kranckheit vor dem Tode einem Boßhafften nicht allezeit zur Bekehrung diene, ja daß vielmahls dieselbe seinen Verstand und Urtheilungs-Krafft so verderbe, oder zum Verdrusse und Murren reitze, daß er die nöthigen Wahrheiten nicht genugsam überlegen kan.  
  Will man also einen schnellen Tod für möglich halten, so muß man ihn nicht nach Christlichen Absichten betrachten, sondern mit Augustus Augen ansehen. Ein glücklicher Tod war nach dieses Kaysers Meynung derjenige, vor dem keine eintzige Kranckheit hergieng. Einen solchen Tod wünschte er sich, einen solchen wünschte er auch den Seinigen. Er fand dasjenige darinne, was ehrliche Männer in dem Tode der Gerechten finden, nehmlich einen Gegenstand aller Wünsche. Cäsar hatte gleiche Gedancken in diesem Stücke. Er hielt diejenige Langsamkeit verachtens würdig, mit welcher Xenophons Cyrus zum Tode gieng, und es schien ihm nichts schöner zu seyn, als unversehens aus der Welt zu gehen.  
  Hesiodus rechnet die Art, wie die Menschen in der goldenen Zeit gestorben, unter die Vorzüge derselben, nehmlich im Schlaffe, und viele andere haben gleiche Meynungen mit diesem gehabt. Das Sprüchwort: Für den Tod ist kein Kraut gewachsen, zeigt die allgemeine Nothwendigkeit an, die den Menschen oblieget, einmahl zu sterben. Todten und Abwesenden soll man anderst nichts denn Gutes nachsagen. Die Sprüchwörter:  
 
  • Es wird sobald eine Kalbs-Haut als Ochsen-Haut zu Marckte getragen;
  • der Tod schonet Niemandes;
  • der Tod hat lange Beine;
  • er steigt zu allen Fenstern ein:
 
  wollen sagen, daß der Tod weder Alter noch Stand ansehe. Es hat Nicolaus Taurellus Libellum de vita et morte, Nürnberg 1586 herausgegeben. Im Jahr 1723 ist heraus kommen Dethardingii Meditatio academica de morte, worinnen zwar die Sache vornehmlich auf eine medicinische Art vor-
  {Sp. 642}  
    getragen wird, es kommen aber auch Philosophische Gedancken dabey vor. Zu Leipzig hat Herr Treuer 1707 Meditationes mortis in artem morendi philosophiae, in Form einer Disputation an das Licht gestellet. Siehe übrigens auch
     

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Stand: 30. März 2013 © Hans-Walter Pries