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Text | 
  
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				Philosophische Abhandlung der Weisheit im 
engerm oder eigentlichem 				
				
				Verstande,¶ | 
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da sie nemlich, wie oben schon 
				erinnert 
worden, derjenige 				
				Zustand der  
				menschl. 
				Seele ist, 
da ein Mensch nicht nur das 
				Gute u. 
				Böse von 
einander 
				unterscheiden kan, sondern auch eine 
					Begierde zum Guten, und einen Abscheu vor das 
Böse hat. Hier haben wir zwey Stücke zu 
				untersuchen, erstlich was eigentlich zu der 
Weisheit gehöret? und wie selbige von andern 
				Geschicklichkeiten der Seelen unterschieden sey? 
Was nun die erstere 
				Frage:¶ | 
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Was eigentlich zu der Weisheit gehöret?¶ | 
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anlanget, so ist sie weder eine 
Geschicklichkeit des 				
				Verstandes, noch des 				
				
				Willens 
allein; sondern es wird dazu ein gantzes 
				
				Gemüth, 
das durch sie gebessert sey, erfordert. | 
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Wir wollen die 
Wahrheit dieses Satzes aus 
ihren 
				Gründen herleiten. Wir finden, durch die 
				Erfahrung, an dem 
Menschen, als einem 
				vernünftigen Geschöpffe, diese merckwürdige 
				Eigenschafft, daß ein grosser Theil der 
Fähigkeiten, die 
				
				GOtt u. 
Natur ihm 
verliehen, 
seinem vernünfftigen Gutbefinden und 
willkührlichen Gebrauche anheim gegeben ist: 
dergleichen wir hingegen an andern 				
				
				Vernunfft- u. 
leblosen Geschöpffen, wenn wir sie mit rechter 
Aufmercksamkeit betrachten, keinesweges gewahr 
werden. An den leblosen Geschöpffen ist gewiß, 
daß wir gar keine 
Freyheit, sondern lauter 
natürliche 
				Nothwendigkeit in allen ihren 
	Bewegungen, 
gewahr werden.  | 
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Die belebten Vernunftlosen Geschöpffe hingegen, nemlich die Bestien, haben 
zwar eine 
Freyheit, 
aber eine blos natürliche, welche darinnen bestehet, daß sie das, was sie thun, 
zwar auch lassen, um was sie lassen, auch thun können, nachdem die mit Em- | 
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{Sp. 1125|S. 576} | 
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pfindung der Objecte verbundene Lust, oder 
Unlust, oder die davon in dem Gedächtniß 
überbliebene 
				Idee, das eine, oder das andere, 
nach sich ziehet; aber doch beydes durch eine 
natürliche Nothwendigkeit, also nemlich, daß aus 
der 
				Empfindung des einen Objects das 
				Thun, aus 
der Empfindung des andern das Lassen, 
nothwendig erfolget: Indem die Bestien der 
				
				Vernunfft beraubet sind, in deren Ermangelung 
keine 
				
				Grund-Ursache vorhanden ist, warum sie 
denen durch die 
Annehmlichkeit, eines Objects in 
ihnen erweckten Regungen nicht nachgehen 
sollten. Sie gehen also solchen Regungen allezeit 
durch eine natürliche Nothwendigkeit nach, 
dergestalt, daß, ob sie gleich, nach dem 
Unterschiede der Empfindungen der ihnen 
vorkommenden 
				Dinge, das, was sie thun, auch 
lassen können, dennoch aus der einen 
Empfindung das Thun, aus der andern das Lassen, 
durch eine natürliche Nothwendigkeit unausbleiblich erfolget. | 
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Der Mensch hat diese natürliche Freyheit 
auch; er kann das, was er thut, auch lassen, und 
was er lässet, auch thun: Aber keines von beyden, 
nemlich wieder das 
				Thun, noch das Lassen muß in 
ihm, bey 
				Empfindung je eines Objects, durch eine 
natürliche Nothwendigkeit, wie in den Bestien, 
geschehen. Denn der Mensch ist mit 				
				
				Vernunfft 
begabet: Und diese empfindet, und stellet sich vor, 
nicht allein das Gegenwärtige, sondern auch, was, 
durch eine offt lange Reyhe der Folgerungen, aus 
dem Gegenwärtigen erfolgen werde. Also kan, 
auch bey einerley Gegenstande, ein Mensch, nach 
dem Unterschiede seiner Vernunfft-Schlüsse, die 
seinem freyen 				
			
			Urtheile anheim gegeben sind, 
etwas eben so leicht zu thun, als zu lassen, 				
				Ursach 
zu haben glauben, ohne, daß er zu einem von 
beyden, durch die Empfindung und Vorstellung des 
Gegenwärtigen, nothwendig getrieben werden 
solte. Und dieses also ist eine gantz andere 
				Art der 
Freyheit, als jene blos natürlichen, die auch den 
Bestien gegeben ist, und ungeachtet welcher 
dennoch alles, was die Bestien thun, oder lassen, 
durch eine natürliche Nothwendigkeit in ihnen 
geschiehet. | 
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Die Freyheit der 
Menschen ist eine nicht blos 
natürliche, sondern eine 
moralische, welche 
allererst eine wahrhaffte Freyheit ist, die 
demjenigen, was durch natürliche Nothwendigkeit 
geschiehet, entgegen gesetzet ist, vermöge deren 
der Mensch seines eigenen 
				Thuns und Lassens 
wahrhafftig
				Meister zu seyn fähig ist, welches man 
weder von den leblosen, noch von den lebendigen 
Vernunfftlosen Geschöpffen, sagen kann. Weil nun 
solchergestalt 				
				vernünfftig ermessene und 
wahrhafftig freye und willkührlich erlesene 
	Thaten 
dem Menschen eigen sind: Alle dergleichen Thaten 
aber nothwendig auf einen zuvor, offt nach einer 
langen Reyhe der Folgerungen, bedachten 				
				Zweck 
gerichtet sind, als wodurch sie eben zu 
menschlichen Thaten werden: So ist folglich die 
wesentlichste 
				Eigenschafft des Menschen, als 
eines vernünfftig freyen Geschöpffes, die 
Fähigkeit, seine willkührlichen Thaten auf einen 
zuvor bedachten Zweck zu richten. | 
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Aller 				
				Zweck der  
Menschen läuffet, wo nicht 
unmittelbar, dennoch endlich in seinen 
Folgerungen, auf einen Genuß des Guten hinaus. 
Das Gute geniessen; heisset nichts anders, als 
daß Gute mit Anmuth empfinden, | 
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{Sp. 1126} | 
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dergestalt, daß man dabey des Guten so wohl, 
als der Annehmlichkeit der 
				Empfindung desselben, 
sich bewust, und das 
				
				Gemüth in sich selbst 
darüber fröhlich und zufrieden sey. Es ist also eine 
nicht weniger wesentliche 
				Eigenschafft des 
Menschen, daß er einen 				
				Zweck seiner 
	Thaten nicht 
allein willkührlich bestimmen und suchen, sondern 
auch, wenn er ihn nun erhalten hat, geniessen 
kan. | 
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Die würckliche Erlangung und der Genuß alles 
desjenigen Guten, dessen der   
Mensch in diesem 
				Leben fähig ist, heisset seine Glückseligkeit. Ja, wir 
wissen nicht allein aus der Göttlichen 
Offenbahrung, sondern wir können auch aus nicht 
zu verachtenden 
				Gründen der 				
				
				Vernunfft 
schliessen, daß die menschlichen 
				Seelen 
unsterblich sind, und daß in solchem 				
				Zustande 
ihrer Unsterblichkeit ihnen eine ewige Seeligkeit 
bevorstehe. Derowegen ist der allgemeine und 
letzte 				
				Zweck, den alle Menschen begierig suchen, 
die Glückseligkeit dieses, und die Seligkeit des 
Zukünfftigen Lebens. Dieser Zweck ist denen 
Menschen so wesentlich, als ihnen die 
				Sinne sind. 
Es wäre in Ansehung der sinnlichen 
				Empfindung 
widernatürlich, daß der Mensch das 
Angenehme, 
in sofern es angenehm, nicht mit Lust, und das 
Unangenehme, in so fern es unangenehm ist, nicht 
mit Unlust empfinden solte, ferner, daß er Lust 
nicht suchen, Unlust nicht fliehen solte. | 
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Zwar kan der   
Mensch auch bey 
				Empfindung 
des Angenehmen unvergnügt, und bey 
Empfindung deß Unangenehmen vergnügt seyn: 
Allein jenes Unvergnügen entstehet nicht über das 
Annehmliche, in sofern es annehmlich, und dieses 
Vergnügen nicht über das Unannehmliche, in 
sofern es unannehmlich ist; sondern man ist bey 
dem Annehmlichen traurig und unvergnügt, in 
Ansehung des damit verbundenen, oder daraus 
besorgten Unannehmlichen; und bey dem 
Unannehmlichen ist man gutes Muthes und 
vergnügt, wegen der daraus zu 
hoffenden grössern 
Annehmlichkeit, wie etwa Jacob, bey seiner 
14jährigen schwehren 
Dienstbarkeit, um seiner 
Rahel willen, vergnügt war. | 
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Da nun alle willkührliche 
	Thaten des 
Menschen natürlicher Weise auf einem 				
				Zweck 
gerichtet sind, aller Zweck aber zuletzt auf den 
Genuß eines Guten, und folglich auf eine sinnliche 
				Empfindung hinaus läufft; und in den 
Empfindungen der 
				Sinne ein jeder natürlicher 
Weise Lust suchet, und Unlust fliehet; so ist folglich 
der wesentlichste und letzte Zweck der Menschen, 
daß sie, soviel möglich, lauter Lust, das ist, in 
diesem 
				Leben ihre Glückseligkeit in jenem ihre 
Seligkeit suchen. | 
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Ein 				
				Zweck kan natürlicher Weise ohne Mittel 
nicht erlanget werden; nemlich eben so wenig, als 
natürlicher Weise ein 
				Effect ohne vorhergehende 
würckende Ursache entstehen kan; inmaßen ein 
Zweck nichts anders, als eine in dem 
				
				Gemüthe 
vorherbestimmte 				
				Würckung des Mittels ist: Folglich 
ist auch dieses der 
Natur des 
Menschen gemäß, 
daß er den Zweck seiner Glückseligkeit nicht 
unmittelbar erhalten kan, sondern durch Mittel 
selbigen suchen und erhalten muß. Denn ein Mittel 
ist nichts anders, als eine würckende Ursache, in 
sofern der Mensch sich deren willkührlich bedienet: 
Und der | 
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{Sp. 1127|S. 577} | 
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Zweck ist der Effect, oder die Würckung, die 
solche willkührlich gebrauchte und gerichtete 
würckende Ursache, nach des Menschen Absicht, 
hervorbringen soll. | 
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Nun kan, weil natürlicher Weise aus nichts 
nichts werden kan, kein  
				Effect ohne seine 
				
				Grund-Ursache werden, oder entstehen: Also kan 
natürlicher Weise auch kein  				
				Zweck ohne seine 
Mittel erlanget werden. Diese wesentliche 
Beschaffenheit der 
Menschen, vermöge deren sie, 
als wahrhafftig freye Geschöpffe, einen 
bestimmten Zweck, durch willkührlichen Gebrauch 
dienlicher Mittel, zu verlangen, und wenn sie ihn 
nun erhalten haben, von 
Natur tüchtig und geneigt 
sind, wird das moralische Wesen, oder die 
moralische Natur des Menschen, genennet. 
Derowegen ist das moralische Wesen des 
Menschen nicht anders, als das 				
	Wesen, oder die 
Kräffte des Menschen, soweit deren Gebrauch 
dem freyen Ermessen und den willkührlichen 
Entschliessungen des Menschen anheim gegeben 
ist, damit er sich in Ansehung derselben gewisse 
Zwecke vorsetzen, durch freye Erlesung der Mittel 
solche Zwecke zu erlangen sich bemühen, und 
endlich die erlangten mit Vergnügen genüssen 
möge. | 
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Dieses moralische Wesen ist dem 
physicalischen Wesen des Menschen entgegen 
gesetzet, welches in denen sich selbst gelassenen 
Kräfften desselben bestehet, insofern sie seinem 
freyen Gebrauche nicht unterworffen sind, sondern 
ihre 				
				Würckungen durch sich selbst , ohne 
willkührliches Zuthun des Menschen, 
hervorbringen: Da hingegen das moralische 
Wesen desselben in einer Fähigkeit beruhet, 
diejenigen natürlichen Kräffte, die seinem freyen 
Gebrauche unterworffen sind, willkührlich 
anzuwenden, und sie solchergestalt zu Mitteln, die 
Würckungen aber derselben, insofern er sie 
ebenfalls willkührlich vorher bestimmet und hervor 
zu bringen suchet, zu seinem Zwecke zu 
machen. | 
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Demnach, gleichwie das natürliche Wesen 
des Menschen auf sich selbst gelassenen 
natürlichen Würckungen und ihren 
				
				Grund-Ursachen beruhet: Also beruhet hingegen 
das moralische Wesen desselben auf einer 
Fähigkeit, die würckenden Kräffte der Natur als 
Mittel willkührlich anzuwenden, und deren 
Würckungen als einen abgezielten 				
				Zweck zu 
erlangen. Es ist dahero der Mensch von andern 
				
				Vernunfft- und Leblosen Geschöpffen fürnehmlich 
hierinnen wesentlich unterschieden, daß er mit 
einer zweyfachen 
Natur, nemlich einer 
physicalischen und moralischen, begabet ist: Da 
hingegen die Natur anderer Geschöpffe blos 
physicalisch ist. | 
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Dieses ist der 
				Grund, aus welchem der 
Mensch allein, und nicht auch das Vieh, oder ein 
lebloses Geschöpffe, einer Richtschnur seiner 
	Thaten, nemlich eines 
				Gesetzes und der 
				Regeln 
der 
				Klugheit, fähig ist. Denn so wohl Gesetze, als 
Regeln der Klugheit, setzen ein Subject von 
wahrhafftig freyem moralischen Wesen voraus, 
das, bey einerley empfundenem Gegenstande, 
das, was es thut, auch lassen, und was es lässet, 
auch thun könne. Es ist | 
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{Sp. 1128} | 
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vergeblich, einem 
				Dinge Regeln, wie es 
handeln, oder würcken, und nicht würcken solle, 
vorschreiben, das so, wie es würcket, durch eine 
Nothwendigkeit seiner Natur würcket, und 
ohnmöglich anders kan.  | 
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Das gantze  
				menschliche				
	Wesen, das 
moralische so wohl, als das natürliche, hat von 
				
				GOtt seinen 				
				Ursprung. Folglich ist es der 
				Ordnung 
GOttes gemäß, daß der Mensch, seiner 
moralischen Natur nach, daß Gute mit Lust, das 
				Böse mit Unlust empfinde; jenes also, als seinen 
				Zweck, nebst denen darzu dienlichen Mitteln, 
begehre, dieses, als das Gegentheil seines 
Zweckes, fliehe; und endlich, daß er das Gute und 
Böse, nebst denen Mitteln, das Gute zu erlangen, 
das Böse zu vermeiden, wisse und 
				erkenne: Indem 
der Mensch natürlicher Weise weder einen Zweck 
willkührlich begehren noch ein Mittel willkührlich 
anwenden kan, wenn er es nicht vorher 
erkennet. | 
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Auf diese drey Stücke, nemlich  | 
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	- erstlich, auf die
				Erkänntniß 
	der
				Dinge,
	
 
	- zweytens, aus dem
				Grunde 
	solcher Erkänntniß auf die Einrichtung unserer				
				Zwecke, 
	und derer darzu dienlichen Mittel, und also auf die				
				vernünfftige
					Begierde 
	des wahren Guten, 
 
	- drittens, auf den Genuß des nun erlangten Guten, 
 
 
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kommt alle Beschäfftigung eines jeden
Menschen 
in seinem gantzen
				Leben 
an: Und dieses vermöge der moralischen Natur des Menschen, folglich nach
				
				GOttes
				Ordnung. | 
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Und zwar ist, in einer richtig an einander 
hangenden 
				Ordnung, immer eines dieser dreyen 
Stücke um des andern willen. Die Erkänntniß der 
Dinge ist um der Zwecke willen, die wir uns in 
Ansehung derselben vorzusetzen haben, und also 
um des zu begehrenden Guten willen. Die 
Begierde aber des Guten, und die deshalber mit 
den Mitteln unternommene Bemühung, ist um der 
Erlangung und des Genusses willen, mit dessen 
Annehmlichkeit der Mensch vollkommen vergnügt, 
oder doch zu frieden seyn soll. | 
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				GOtt hat derowegen den Menschen zu der 
Freude und Zufriedenheit, und nicht zu der 
Traurigkeit und Unzufriedenheit, erschaffen: Und 
das verdummende melancholische Wesen und 
traurige Kopffhängen, welches die Heuchler 
affectiren, ist wider die
Natur, und wider die 
Göttliche 
				Ordnung in derselben. Zwar ist auch aus 
dem 
				Grunde der 
				Empfindung des 
				Bösen, eine 
				vernünfftige Traurigkeit: Allein, gleichwie GOtt kein 
Böses in der 				
				Welt um des Bösen, sondern allezeit 
um eines grössern Guten willen, zulässet: Also ist 
alle wahrhafftig vernünfftige Traurigkeit um der 
Abwendung des Bösen, und also um der Freude 
willen. Derjenige dahero ist ein Narr, der in dem 
Bösen verzaget, das ist, dergestalt traurig ist, daß 
er bey der Traurigkeit, gleich als ob sie das Ende 
aller Dinge wäre, bewenden lässet. | 
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Ein Weiser ist zuweilen traurig: Aber um des 
nur jetzo angeführten 				
				Zweckes willen, und also nur 
auf eine 				
				Zeit lang. Leichtsinnigen Leuten, als 
			Kindern und bösen Buben, die dieser weisen 
Traurigkeit von sich selbst nicht fähig sind, pfleget 
man sie zu ihrer Besserung, durch 
Zucht und 
				Straffe beyzubringen, 
deren es bey einem 
Weisen nicht bedarff. 
				
				GOtt hat also das 
				menschliche
				
				Gemüth, damit es die 
Natur | 
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{Sp. 1129|S. 578} | 
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der 
				Dinge, und daraus den ihm vorgesetzten 
Zweck, 
				erkennen, und die zu dessen Erlangung 
dienlichen Mittel erfinden könne, mit einem 
				vernünfftigen				
				Verstande; Ferner, damit es solchen 
Zweck und dessen Mittel begehren, das 
Gegentheil aber fliehen und verhüten könne, mit 
einem der 				
				
				Vernunfft unterworffenen 				
				
				Willen; Und 
endlich, daß es das nun erlangte Gute mit Anmuth 
und Lust empfinden und geniessen könne, mit 
				Sinnen, (welche also allhier in moralischem 
				
				Verstande genommen werden) begabet. | 
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				Verstand und 				
				
				Wille nun sind, wie 
				
				GOtt und 
Natur sie dem 
Menschen mittheilet, Fähigkeiten, 
welche dem freyen und willkührlichen Gebrauche 
desselben überlassen sind. Alle natürliche 
Fähigkeiten, die unserm freyen, oder willkührlichen 
Gebrauche, anheim gegeben sind, können wir, 
(eben deswegen, weil sie unserm freyen 
Gebrauche unterworffen sind) nicht allein wohl, 
sondern auch übel gebrauchen. Ja der übele, oder 
unrechte Gebrauch derselben, ist uns nach dem 
Sünden-Falle 
von der Natur weit leichter und geläuffiger, als der gute.  | 
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|   | 
Dahero müssen wir die
Kräffte unsers Verstandes, unsers Willens, und 
unserer 
				Sinne, keinesweges in ihrem blos 
natürlichen Zustande lassen. Denn von Natur sind 
alle obgedachte Kräffte, wie gedacht, blosse 
Fähigkeiten, die wir, vermöge unserer moralischen 
Natur, so wohl gut, als übel, ja weit leichter übel, als 
gut und recht, gebrauchen können. In diesem 
				Zustande aber können sie kein zulängliches Mittel 
zu dem uns vorgesetzten 				
				Zwecke seyn, als 
welcher unsre Glückseligkeit ist, welche ihre 
eigene und besondere Mittel erfordert, und also 
keinesweges auf alle Art und Weise, wie wir etwa 
die Fähigkeiten unserer Natur brauchen möchten, 
oder mißbrauchen wollen, zu erlangen ist.  | 
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Die 
				Sinne gebrauchen wir recht und wohl, 
wenn wir sie angewöhnen, sich nur an den wahren 
Guten zu belustigen: Denn daß wir unsere Sinne, 
in Ansehung ihrer Belustigungen, unterschiedlich 
gewöhnen können, lehret die 
				Erfahrung. Den 
				
				Willen brauchen wir recht, wenn wir ihn zu der 
					Begierde des wahren Guten, und Verabscheuung 
des 
				Bösen, gewöhnen. Den 				
				Verstand gebrauchen 
wir recht, wenn wir eine Fertigkeit, die 
Wahrheit zu 
				erkennen, erlangen. Wir 
			sagen, auf Seiten des 
Verstandes müsse man sich in dem 
			Stande 
befinden, das Gute von dem Bösen zu 
unterscheiden, und also, krafft des Judicii, wie weit 
eine 
				Sache entweder zu unserer Glückseligkeit 
oder Unglückseligkeit etwas beytrage.  | 
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Doch diese 
				Erkenntniß allein macht die 
Weisheit nicht aus, indem man dergleichen auch 
bey Leuten findet, welche gleichwohl in ihren 
Handlungen thöricht und unweislich sich aufführen. 
Um deswegen muß auch eine gewisse 
Beschaffenheit des 				
				
				menschlichen Willens hinzu 
kommen, daß man an der wahren Erkänntniß des 
Guten und  
				Bösen einen moralischen Geschmack 
habe, welcher darauf ankommt, wenn man nach 
dem Guten eine  
					Begierde und vor dem Bösen 
einen | 
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{Sp. 1130} | 
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|   | 
Abscheu hat. Ist beydes beysammen, so 
entsteht daraus die Weisheit, welche an sich 
selbst als eine innerliche Beschaffenheit der 
				Seelen anzusehen, die sich aber äusserlich durch 
die würckliche Handlungen zu 
				erkennen giebt, daß 
man zum Exempel sagt: man habe weislich daran 
gethan, man habe sich sehr weislich dabey 
aufgeführet: Zum Exempel, wenn ein 
Mensch 
erkennet, daß die Trunckenheit ein überaus 
schädliches Laster, wodurch man seine 
Gesundheit so wohl, als 
Ehre in grosse Gefahr 
setzet; die Nüchternheit hingegen etwas Gutes, 
dadurch man seine Gesundheit und Ehre erhalten 
kan; auch dabey in seinem 				
				
				Willen einen solchen 
Abscheu vor der Trunckenheit, und eine Neigung 
vor die Nüchternheit hat, daß wenn man ihm gleich, 
sich truncken zu trincken Gelegenheit giebt, er sich 
dennoch davor hütet, so  
				
				beweiset er dadurch eine 
Weisheit, und man siehet seine Aufführung für 
weislich an. | 
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|   | 
Aus dieser gegebenen Erklärung können wir 
sehen, daß nicht eine jede wahre 
				Erkänntniß zur 
Weisheit gehöre; sondern nur diejenige, welche mit 
Moralischen Dingen, die entweder gut, oder 
böse 
seyn müssen, beschäfftiget ist: weil sie aber 
gleichwohl wahr seyn muß, so erhellet weiter 
hieraus, daß derjenige, der den Ruhm eines 
weisen Mannes erlangen will, den Unterscheid 
unter den wahren und Schein-Gütern wohl 
			verstehen müsse. Weisheit suchet das Gute; aber 
nur dasjenige, welches einen wahrhafftig glücklich 
machet. Die Thorheit strebt auch allezeit nach 
einem Gut; weil man aber das wahrhafftige nicht 
erwählet, und aus Irrthum und aus 				
			Affecten etwas 
vor gut hält, so in der 
	That nicht gut ist, so macht 
man sich dadurch unglücklich, und legt eine Probe 
der Narrheit ab. | 
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|   | 
Nicht weniger sehen wir daraus, wie sich bey 
der Weisheit der 				
				
				Wille von einem gesunden 
				Verstande muß 
				
				regieren lassen, und weil sich 
sonsten derselbige durch die Heftigkeit der 
Neigungen, oder 				
			Affecten dessen Vorstellungen 
widersetzet, so können bey einem weisen Manne 
solche hefftige 
Bewegungen die
				Herrschafft nicht 
haben. Es ist also nöthig, daß wir die 
Kräffte des 
Verstandes, des Willens, und der 
				Sinne, durch 
				Regeln und Übung dergestalt auszuarbeiten uns 
bemühen, daß daher eine fertige 
				Geschicklichkeit, 
jede der gedachten Fähigkeiten des 
				
				Gemüths, 
soviel möglich, allezeit recht zu gebrauchen, 
erwachsen möge. | 
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|   | 
Der Mensch ist also, weil er, vermöge seiner 
moralischen Natur, seine natürlichen Kräffte nicht 
in ihrem natürlichen Zustande lassen soll, darzu 
gebohren, daß er sie 				
				vernünfftig ausarbeiten, sich 
also theils selber ziehen, theils von andern 
verständigern und schon wohlgezogenen Leuten 
wohl gezogen werden soll. Denn da, wie gedacht, 
alle obbemeldete Fähigkeiten von uns wohl, oder 
übel, gebrauchet werden können; Das 
menschliche 
				
				Gemüth aber mit einem vernünfftigen 
				Verstande, krafft dessen es das, was gut und recht 
ist, zu 
				erkennen vermag, von 
				
				GOtt begabet ist; So 
muß nothwendig, durch gewisse Vernunfftmäßige 
				Regeln bestimmet wer- | 
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{Sp. 1131|S. 579} | 
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|   | 
den können, welcher Gebrauch unserer Fähigkeiten recht, oder unrecht sey. Es 
muß auch nothwendig dem				
				
				Willen GOttes gemäß seyn, daß der Mensch in
würcklicher
Erforschung solcher Regeln sorgfältig sey. Die fleißige Übung aber solcher 
Regeln muß deswegen darzu kommen, damit man den rechten Gebrauch einer jeden 
Fähigkeit, welcher eben durch die Regeln angezeiget wird, sich sattsam 
angewöhnen, und also eine fertige
				Geschicklichkeit 
erlangen möge. Solchergestalt werden drey Haupt-Geschicklichkeiten, mit welchen 
das menschliche Gemüth auszurüsten ist, erwachsen:  | 
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|   | 
	- Erstlich, in Ansehung der Sinne, ein guter Geschmack in moralischem				
				
				Verstande, (Sensus boni) das ist, eine fertige 
	Geschicklichkeit, sich nur an dem wahren Guten zu belustigen, und nur vor 
	dem wahren
				Bösen 
	sich eckeln zu lassen. 
 
	- Zweytens, in Ansehung des				
				
				Willens, die Tugend, oder Geschicklichkeit, daß Gute zu 
	begehren. 
 
	- Drittens, in Ansehung des				
				Verstandes, 
	die Geschicklichkeit, 
	Wahrheit zu 
				erkennen, (Sensus veri.)
 
 
	 | 
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|   | 
Wer den guten Geschmack in moralischem 
				
				Verstande mit zu der Tugend rechnen, und also nur 
zwey Haupt-Geschicklichkeiten des menschlichen 
Gemüthes zulassen will, dem wollen wir eben nicht 
viel widersprechen. Die 				
				Ursache aber, warum wir 
sie von einander unterschieden haben, ist, weil der 
gute Geschmack eine den 
				Sinnen, die Tugend 
aber eine dem 				
				
				Willen, angewöhnete 
				Geschicklichkeit ist: Gleichwie, aus gleichmäßigen 
Ursachen, auch die Geschicklichkeiten des 
Verstandes und Willens einander entgegen 
gesetzet werden. Die Verbindung dieser drey 
Haupt-Geschicklichkeiten des 
				
				Gemüths, als 
welche alle übrigen unter dem 
Bezirck ihrer 
Allgemeinheit begreiffen, wird, mit einem 				
				Worte, 
Weisheit, und ein Gemüth; das mit selbigen 
ausgerüstet ist, ein weises Gemüth, 
genennet.¶ | 
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