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Text |
Quellenangaben |
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Weisheit,
Lat.
Sapientia,
Griech. Sophia. |
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Es wird das
Wort Weisheit, theils in weiterm,
theils in engerm
Verstande genommen. In jenem
ist es so viel als eine
Wissenschafft, oder
Erkenntniß einer
Sache, wie unter andern
Clemens
von Alexandrien L. I. Stromat. … schreibet: „Die
Weisheit ist eine Wissenschafft von göttlichen und
menschlichen Dingen.„ |
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Auf gleiche Weise hat dieses Wort auch
Lactantius genommen, wenn er Institut. Divinar. L.
VIII von der falschen, und von der wahren Weisheit
handelt, da er denn durch die falsche die
Welt-Weisheit der Heyden; durch die wahre
hingegen die |
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{Sp. 1115|S. 571} |
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Christliche Lehre
verstehet. Nach dem
Lactantius haben viele andere das
Wort
eben in solcher weitläufftigen Bedeutung genommen, |
wovon
Buddeus in Theol. Morali
… nachzulesen. |
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In solchem weitern
Sinne ist auch das
Griechische
Wort Sophia üblich gewesen, |
wie Heumann in den
Actis Philosoph. … gewiesen. |
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In engerm und eigentlichem
Verstande ist die
Weisheit derjenige
Zustand der
menschlichen
Seele,
da ein Mensch nicht nur das Gute und
Böse
von einander unterscheiden kan, sondern auch
eine
Begierde zum Guten, und einen Abscheu vor
das Böse hat. |
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Es wird alles dieses, was bisher gesaget
worden, aus der¶ |
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Historie der Lehre von der Weisheit¶ |
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deutlicher werden, als die wir der
dogmatischen Abhandlung nothwendig voran
setzen müssen. |
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Das
Wort:
Sophia, oder philosophia, hieß bey
den Griechen so viel, als
Gelehrsamkeit; Und
Weisheit, Gelehrsamkeit,
Philosophie, war also
bey ihnen einerley. Doch, weil vor des Socrates
Zeiten die
Gelehrten sich meistens nur auf die
theoretischen
Wissenschafften, sonderlich auf die
Physick und Mathematick, legeten: So nennete
man damahls Weisheit, oder Philosophie, nur fürnehmlich theoretische Gelehrsamkeit; Bis
Socrates
gewahr wurde, daß mit dieser der Glückseligkeit
des
menschlichen
Lebens wenig geholffen wäre,
wenn sie nicht zu vernünfftige Einrichtung der
Sitten angewendet würde. |
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Dieser Socrates ruffete also die
Philosophen,
oder
Gelehrten, von den theoretischen
Betrachtungen, in welche allein sie sich bisher
vertieffet hatten, ein wenig ab, und erinnerte, daß
es nun
Zeit sey, mit mehrerm Ernste auch auf die
Sittenlehre zu gedencken. Des Cicero
Worte
hievon sind (Quaest. Tuscul. Lib. V) diese: |
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„Von der alten Philosophie, bis auf den
Socrates, wurden die Zahlen und Bewegungen (die
Mathesis und Physick) getrieben, woher so wohl
alle Dinge ihren Ursprung hätten, als wohin sie
wieder zurück giengen, (die
Ursachen der
Dinge).
„Es ward auch fleißig von ihnen die Grösse, der
Zwischen-Raum, der Lauff der Gestirne, und alles,
was die Himmels-Kugel betrifft, untersuchet.
Socrates aber hat zuerst die Philosophie aus dem
Himmel herunter geruffen, und in die Städte
einlogiret, (er hat die Politic gelehret) „und auch in
die Häuser eingeführet, (er hat die Öconomie
gelehret) „und hat sie gezwungen, nach dem Leben
und Sitten, und nach den guten und bösen Dingen
zu fragen.„ |
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Von derselben Zeit an bekam das
Wort:
Weisheit einen viel weitern
Verstand, da es in den
Schulen des Plato, der Stoicker, und der Epicurer,
nebst den theoretischen
Wissenschafften,
fürnehmlich auf die
Sitten-Lehre, als den Zweck
aller theoretischen Wissenschafften, gezogen
ward. Der eintzige Aristoteles blieb, vielleicht aus
Eyffersucht gegen den Plato und Socrates, bey der
alten Bedeutung des Wortes: Weisheit, und
verstund die theoretische
Gelehrsamkeit, ja nur
fürnehmlich den höchsten Gipfel derselben,
nehmlich die Metaphysick, die er gar sonderlich
trieb, darunter. |
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In der angeführten Bedeutung ist nun das
Wort: Weisheit, unter den Heydnischen,
Griechischen und Lateinischen
Philosophen
geblieben, als welche unter |
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{Sp. 1116} |
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einem Weisen, oder Philosophen, nie etwas
anders, als einen gründlichen
Gelehrten,
verstanden haben, und zwar entweder nur einen
Theoretischen Gelehrten, oder hauptsächlich
einen Sitten-Lehrer, nachdem sie es entweder mit
dem Socrates, und die meisten von ihm
abstammenden Secten, oder, wie Aristoteles, mit
den Philosophen vor dem Socrates, gehalten
haben. Wir wollen die vornehmsten
Meynungen
derselben etwas genauer erwegen. |
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Wenn Socrates lehrete, daß einige Gute sey
die
Wissenschafft, oder Weisheit, das einige
Böse
die Unwissenheit, oder Thorheit; So verwirfft
Stolle,
in der Historie der Heydnischen Moral … diesen
Haupt-Satz der Socratischen Moral. Wenn man
aber erweget, das Socrates durch die
Wissenschafft eine practische Weisheit verstanden
habe, die nicht nur das Gute von dem Bösen zu
unterscheiden weiß, sondern auch das Gute
erwählt und das Böse verwirfft, folglich die Tugend
und Weisheit ihm einerley bedeutet, so wird man
milder von dem Socrates urtheilen, zumahl, da
richtig ist, daß die gründliche
Erkänntniß des Guten
der
Grund der Erwählung desselbigen und der
daraus fliessenden Glückseligkeit sey. |
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Die Stoicker gaben diese Beschreibung von
der Weisheit, daß sie eine
Wissenschafft
Göttlicher
und
menschlicher
Dingen sey. |
Plutarch. de plac. Phil.
… |
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Es hat aber Zeno diese Beschreibung der
Weisheit von dem Plato entlehnet; |
Siehe Histor. de ideis …;
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Wiewohl sie Plato in einem etwas andern
Verstande genommen hat. Die höchste Weisheit
bestund, nach dem Bedüncken der Stoicker, in der
Unterscheidung des Guten von dem
Bösen. |
Seneca, Ep. 71. |
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Es ist aber wohl zu mercken, daß die Stoicker
davor hielten, den eigentlichen Gipffel der Weisheit
könne kein Mensch erlangen. Es war auch gantz
natürlich, daß sie so lehren musten; Massen sie
sich von einem weisen
Manne eine solche
Vorstellung machten, daß derselbige nirgends, als
in ihren Gehirne, anzutreffen war. Sie machten
einen Unterschied, unter einem vollkommenen und
zunehmenden Weisen, (inter sapientem perfectum
et proficentem) |
wovon Lipsius in Manuduct. ad phil.
Stoic. … nachzusehen ist. |
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Es kommt aber auch dieses aus der
Schule
des Plato, der es von dem Pythagoras entlehnet
hat. |
Siehe Hist. de ideis … |
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Unter andern verlangten die Stoicker von
einem Weisen, es müsse sein
Gemüth von allen
Affecten gäntzlich befreyet seyn, und meynten, er
könnte bey den grössesten Schmertzen ruhig in
dem Gemüthe und glücklich seyn, wäre auch bey
seiner Weisheit allein
reich, und stünde in der
Freyheit, und was andere Aussprüche mehr waren,
die Lipsius in manuduct. ad philos. stoic. …
erkläret. |
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Sie räumeten zwar ein, daß ein Weiser, wenn
er die Wahl habe, neben der Tugend die zeitlichen
Güter lieber haben, als daran Mangel leiden wolle:
Sie läugneten aber, daß solches deswegen
geschehe, weil sie
Güter wären: Sie
sagten, ein
Weiser verlange sie, nicht, weil sie Güter, sondern,
weil sie der
Natur gemäß wären: Welches eine
elende Wort-Sophisterey war. Sie wusten sich
freylich nicht anders heraus zu wickeln. Denn |
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{Sp. 1117|S. 572} |
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da sie wohl sahen, daß ein Weiser in diesem
Leben vor widrigem Glück nicht sicher seyn könne,
welches auch Cicero
erkennet, wenn er, Tuscul.
Quaest. Libr. V.
schreibet: |
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„Denn es wird eine Menge der Übel (wenn wir
es übel nennen wollen) vorhanden seyn, Armuth,
Verachtung, Niedrigkeit, Einsamkeit, Verlust des
Seinigen, grosse Leibes-Schmertzen, verlohrne
Gesundheit, Schwachheit, Blindheit, Untergang
des Vaterlandes, Verjagung aus demselben,
Knechtschafft:„ |
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So musten sie entweder sagen, daß
solchenfalls auch der Weiseste dennoch
unglückselig seyn, und alle seine Weisheit nichts
darwider helfen werde, wenn nehmlich, wie Cicero
zu dem
Grunde setzet, die Glückseligkeit dieses
Lebens ein
Stand von lauter Lust, ohne Unlust, ist;
Oder sie musten behaupten, daß alle obgedachte
Unglücksfälle keine Übel wären, welches letztere
sie auch würcklich thaten, worinnen ihnen auch
Cicero, der jedoch in diesem Puncte nicht allezeit
mit sich selbst recht einig ist, beypflichtet, da er,
nach den nur angeführten
Worten, also
fortfähret: |
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„Wenn aber dieses Übel sind, wer kan
verschaffen, daß ein Weiser allezeit glückselig sey,
da er sogar in allen diesen Umständen sich zu
einer Zeit befinden kan? Ich räume daher nicht
leicht, weder meinem Brutus, noch den
gewöhnlichen Lehrern, noch jenen alten, dem
Aristoteles, Speusippus, Xenocrates, Polemon,
ein, daß, da sie dasjenige, was ich zuvor erzählet
habe, unter die Übel rechnen, eben dieselbigen
sagen, daß ein Weiser allezeit glückselig sey:
Wenn sie dieser vortrefliche und schöne Titel,
welcher dem Pythagoras, Socrates und Plato, höchst gemäß ist, vergnüget, so mögen sie das
Gemüthe dahin lencken, daß es dasjenige, durch
dessen Glantz sie eingenommen werden, Kräffte,
Gesundheit, Schönheit, Reichthümer, Ehre, Güter,
verachte, und dasjenige, was diesen entgegen
stehet, für nichts halte.„ |
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Er
verstehet aber unter einem weisen
Manne
nicht einen Theoretisch-Gelehrten, sondern einen
Practischen. Denn so
spricht er selbst: |
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„Denn wir sagen, daß so wohl die redlichen
Männer, als die Weisen, mit allen Tugenden
versehen und gezieret seyn müssen.„ |
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Wenn einige
Weltweise damahliger
Zeiten,
wie man hin und wieder bey den Plato findet,
gesagt haben, die Weisheit sey das höchste Gut,
so haben sie die Weisheit sonder Zweifel in eben
demselbigen
Verstande genommen; Als welches
aus dem Inhalte fast aller Gespräche des Plato von
dieser
Meynung, z.E. des Philebus, Euthydemus,
deutlich erhellet, da unter dem
Worte: Weisheit,
nebst der
Erkenntniß des
Verstandes, die Tugend,
und der Geschmack, oder die Belustigung an dem
Guten, ausdrücklich mit begriffen wird. Denn nicht
allein die Stoicker, sondern fast alle berühmte
Philosophen, ausser dem
Aristoteles, als Plato
selbst und Epicurus, sind hierinnen dem Socrates
nachgefolget, daß sie die Weisheit nicht mehr in
blossem Speculiren, sondern hauptsächlich in
einem
vernünftigen
Leben, welches jedoch
ebenfalls sein Nachsinnen erfordert, gesuchet
haben; So, daß man guten |
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{Sp. 1118} |
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Grund hat, zu
sagen, daß die
moralische
Bedeutung des Wortes: Weisheit, von dem
Socrates an, beynahe unter allen
Gelehrten die
ordentliche Haupt-Bedeutung gewesen, und noch
sey; Welches jedoch nicht hindert, daß besagtes
Wort in der Metaphysick nicht in besonderem
Verstande genommen werden könne. |
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Von dem Epicurus bezeugen dieses alle seine
bey dem Gassendus ad Laert. befindlichen
Sprüche von einem weisen
Manne. Und
Plato in
dem Euthydemus, da er erweisen will, daß die
Glückseligkeit des
Menschen in der Weisheit
bestehe, führet solchen
Beweiß daher, daß uns
alle
Güter dieses
Lebens nichts helffen, wenn sie
uns nicht zu
Nutze kommen: Daß also, wer
glückselig leben wolle, solche Güter nicht allein
besitzen, sondern auch brauchen müsse: Daß aber
nicht aller Gebrauch der Güter uns glückselig
mache, sondern nur der rechte und
vernünftige:
Daß dahero eine
Kunst seyn müsse, die Güter des
Lebens vernünftig zu gebrauchen, welche die
Weisheit heisse, folglich nicht die Menge der Güter,
sondern vielmehr solche Kunst, auch wenige recht
zu gebrauchen, das ist, die Weisheit, glückselig
mache: Daher er endlich den
Schluß machet; [zwei
Zeilen griechischer Text] Das ist: Daß nichts von
dem übrigen allen entweder gut, oder
Böse,
sondern daß aus diesen beyden, die Weisheit nur
gut, die Thorheit böse sey. |
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Hier siehet man gar deutlich, daß auch Plato,
so gut, als alle Stoicker und Epicureer, das
Wort
Weisheit in
moralischem
Verstande genommen,
und hierinnen also, unter den vier Haupt-Secten,
die Academische, Stoische und Epicureische,
wider die eintzige Aristotelische, übereingestimmet
haben. Vielleicht meynet auch eben dieser Plato
die Weisheit in eben diesem Verstande, wenn er,
de Republ. L. V. und VII. die
Idee des Guten vor
das höchste Gut ausgiebt: Wider welche Idee des
Guten Aristoteles, Nicom. …
disputiret. |
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Die Italienische, oder Pythagoräische Secte
beschrieb die Weisheit also: Die Weisheit ist eine
gründliche
Wissenschafft derjenigen
Dinge, welche
wesentlich sind, (Entium.) |
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Cicero
schreibent,
de petit. Consc. c. 10. Nicht
in den Tag hinein glauben, ist die
Seele der
Weisheit. |
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Seneca lässet sich von der Weisheit, in seiner
XIV Epistel, also vernehmen: |
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„Ein Weiser wird die Gewaltigen nie zum Zorne
reitzen, sondern dem Zorne derselben vielmehr,
wie ein Schiffer dem Ungewitter, ausweichen.„
Eben daselbst: „Ein Weiser richtet sich nach denen
öffentlichen Sitten, und macht durch keine neue
Lebens-Art bey dem Volcke ein Aufsehen.„
Desgleichen in der XX Epistel: „Niemand setzet sich
recht vor, was er will: Ja, wenn er es sich auch
vorgesetzt hat, so bleibet er doch nicht dabey,
sondern überschreitet (das von ihm selbst gesetzte
Ziel): Ja, er ändert nicht nur dasselbe, sondern
kehrt wieder um, und läst sich das belieben, was er
doch zuvor verlassen und verworffen hat.„ |
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Bald darauf aber giebet er folgende
Beschreibung der Weisheit: |
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„Was ist Weisheit? Allezeit einer- |
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{Sp. 1119|S. 573} |
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ley wollen und nicht wollen.„ |
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Die Jüden, welche ebenfalls in den
Philosophischen
Studien etwas leisten wolten,
hatten vornehmlich folgende Sätze von der
Weisheit: |
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1). |
Wo keine Furcht GOttes
ist, da ist auch keine Weisheit; Weisheit,
Wissenschafft und Klugheit aber, sind
beysammen. |
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2) |
Wo die Wissenschafft
grösser ist, als das Werck und die Ausübung, da ist
keine gründliche Weisheit. |
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3) |
Ein weiser Mann lernet
von einem jeden Menschen. |
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4) |
Ein weiser Mann hat sieben Eigenschaften: |
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- Er redet vor niemand, der ihm an Weisheit und Ansehen vorgehet;
- Er fället seinem Nächsten nicht in die Rede;
- Er antwortet nicht unbesonnen und übereylt;
- Er fragt geschickt und wohl;
- Und giebt auch geschickte Antwort;
- Was er nicht gehöret hat, bekennet er nicht gehöret zu haben;
- Und endlich bekennet er auch die Wahrheit.
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5) |
Wer die Weisheit lernen will, von dem werden folgende
Stücke erfordert: |
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- Das Lernen,
- das Aufmercken des Ohres,
- die geschickte Bewegung und Rede der Lippen,
- die Aufmercksamkeit des Gemüths,
- der Verstand des Hertzens,
- Furcht,
- Scheu,
- Sanftmuth,
- Freudigkeit,
- Umgang mit weisen und geschickten Leuten,
- genaue und fleißige Widerholung mit seinen Cameraden,
- Fleiß,
- Lesung der Heiligen Schrifft und der Schrifften der Weisen,
- Abbruch von andern Geschäfften und vom Schlaf, von den
Wollüsten, Spielen und Gewohnheit des Pöbels;
- Langmuth,
- Munterkeit des Gemüthes,
- Credit für die Weise,
- Gedult in der Trübsal,
- mäßiger Schlaf,
- mäßige Übung in Geschäfften,
- mäßiges Reden,
- mäßige Wollust,
- mäßiges Lachen,
- mäßiger Umgang mit den Leuten,
- sich selbst und seinen Stand erkennen,
- mit seinem Theil zufrieden seyn,
- seine Worte nur mit einem Ja bewahren,
- nichts Gutes sich selbst zuschreiben,
- GOtt und den Nächsten und die Gerechtigkeit lieben,
- Bestraffungen und Erinnerungen leiden können,
- die Billigkeit lieben,
- vor der Ehre fliehen,
- sich wegen seiner Gelehrsamkeit nicht erheben,
- über seinen Unterricht sich nicht unmäßig freuen,
- mit seinen Neben-Schülern gleiches Joch der Zucht ertragen,
- seinen Cameraden nach der Waage der Unschuld beurtheilen,
- ihn zur Wahrheit führen, und zum Frieden ermahnen;
- Seine Wissenschafft wohl gründen, fragen und antworten, hören
und zunehmen;
- Lernen deswegen, daß man so wohl andere lehren könne, als auch
es selbst thun möge;
- Seines Lehrmeisters Weisheit loben und vertheidigen,
- einem jeden Dinge seinen Urheber beylegen,
- u.s.w.
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6) |
Ein Schamhafttiger lernet
nicht wohl, und ein Zorniger lehrt nicht wohl und
wer viel handelt kommt nicht leicht zur
Weisheit. |
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7) |
Ein weiser Mann suchet
nicht mehr Ruhm, als seine Gelehrsamkeit oder
Weisheit, verdienet. |
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8) |
Nichts ist einem weisen
Manne vortheilhaffter als Stillschweigen; Dann wer
viele Worte macht, sündiget oft, |
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{Sp. 1120} |
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hingegen das
Stillschweigen ist eine Vormauer der
Weisheit. |
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9) |
Ein weiser Mann ist
vorsichtig in seinen Worten, daß er nicht sich und
andern schade. |
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10) |
Mit einem Weibe, wann es
auch unser eigen ist, soll man nicht viel reden, weil
daraus viele Hindernisse in der Weisheit
entstehen. |
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11) |
Ein weiser Mann ist gegen
jedermann demüthig, und trachtet nicht nach der
Regenten Stelle und nach Tittuln noch nach der
Freundschafft der Grossen. |
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12) |
Er vermeidet auch alle
Processe und Streit-Händel, und läst sich nicht
zum Advocaten, oder Richter, gebrauchen.„ |
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Wenn die alten Christen behaupteten, daß alle
Weisheit von den Ungriechen (Barbaris) auf die
Griechen gekommen sey, so glaubten, sie, daß die
Heydnischen Philosophen vieles von den
Hebräischen
Lehrern erschnappet hätten. Denn
gleichwie Aristobulus, Philo, und andere nach
Griechischer Art in Egypten philosophirende
Juden, die Anführer gewesen sind, die Jüdischen
und Heydnischen Lehren in eines zu mischen, also
haben sie den Vätern sonderlich Gelegenheit
gegeben, auf dergleichen
Gedancken zu
fallen. |
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Clemens Alexandrinus gehet, Stromat. L. I. …
gantz deutlich mit der
Sprache heraus, daß er
durch den Aristobulus, Philo, und andere
dergleichen Leute, auf diese
Meynung gerathen sey. Das geschah aber durch ein doppeltes
Vorurtheil, zu welchem diese syncretistischen Juden die leichtgläubigen und
nicht genug vorsichtigen Väter verleiteten. |
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Denn einmahl machten sie ihnen weiß, alle Weisheit komme von den Jüden her,
in welchem aus dem Jüdischen Hochmuthe entstandenen Vorurtheile sodann die Väter
gestärcket worden, wann sie von den Griechischen und andern Heydnischen
Geschicht-Schreibern selbst hörten, daß die
Philosophie von den Barbarischen
Völckern
auf die Griechen gekommen sey. Denn weil man die Jüden ebenfalls unter die
Barbarischen Völcker rechnete, und die Väter voraus setzten, sie wären, der
Göttlichen Offenbarung wegen, die erleuchteste Nation gewesen, und folglich
müsten sie auch die besten
Philosophen
gehabt haben, so schlossen sie daraus, die Heydnischen
Scribenten
schrieben selbst, indem sie die Philosophischen Anfangs-Gründe
den Barbaren beylegen, den Jüden den
Ursprung
der Philosophie zu; Wie übel aber solches aus einander folge und schliesse, kan
ein jeder leicht begreiffen. |
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Hernach so verführten diese Jüden auch die
Kirchen-Lehrer auf das Vorurtheil, daß die
Platonische Philosophie mit den Mosaischen
Büchern und der darinnen enthaltenen Lehre
übereinkomme. Denn weil sie,
Krafft ihrer
syncretistischen Absichten, durch Hülffe der
allegorischen
Lehr-Art, denen Platonischen
Lehrern so- |
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{Sp. 1121|S. 574} |
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|
wohl, als den Mosaischen, einen solchen
Verstand anzudichten wusten, der sich endlich
reimen muste, er mochte wollen, oder nicht, wann
er nur nicht allzu Heydnisch heraus kam; so
wurden die Väter, welche das Gold unter der
Heydnischen Philosophie aufsuchten, und zu
Befestigung der Christlichen Religion, derselbigen
vornehmste Lehren unter den Heyden finden und
erweisen wolten, dadurch in ihrem Vorsatz und
Meynung desto mehr bestärcket, da sie in den
Schrifften dieser Platonisirenden Juden, oder, wie
wir sie auch mit
Recht nennen können, dieser
Platonicorum Mosaizantium, eine mehrere
Gleichheit der Platonischen Lehrsätze mit den
Mosaischen Schrifften vorgestellet fanden, wie
hiervon die Apologien der Väter offenbar
zeugen. |
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|
Indem nun aber zu diesen
Zeiten die Christen
der
Gelehrsamkeit mit immer mehr Eyfer
obzuliegen anfiengen, funden sie in den
Büchern
der
H. Schrifft, sonderlich
Salomons und Syrachs,
das
Wort Weisheit in einem
Verstande gebrauchet,
in welchem es nicht den
Gelehrten allein, sondern
auch den Ungelehrten, zukommt; da nemlich die
Weisheit allen
Menschen angepriesen wird. |
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Man hat sich dahero nach der
Zeit, bey dieser
so sehr eingerissenen Zweydeutigkeit des
Wortes:
Weisheit, genöthiget gesehen, zwischen der
Weisheit und
Gelehrsamkeit einen Unterschied zu
machen, und durch die erste, eine angewöhnte
Fertigkeit eines
vernünfftigen, tugendhafften und
klugen Lebens, man mag der darzu nöthigen
Erkänntniß durch eigenes Nachdencken mächtig
seyn, oder nicht; durch die letzte aber, eine
Fertigkeit, solcher Erkänntniß durch eigenes
Nachdencken mächtig zu seyn, und sie aus ihren
tieffsten
Gründen heraus zu holen, zu
verstehen. |
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Ob also wohl sophia, oder
philosphia, und
Weisheit, dem
Worte nach einerley ist, so sind die
Gelehrten doch immer geneiget gewesen, auf
Veranlassung der
Griechischen und
Lateinischen
Gelehrten, das Wort sophia nicht wie Salomo und
Syrach, sondern lieber wie Aristoteles und andere
Heyden, vor
Gelehrsamkeit zu nehmen. Und da
hernach die
Universitäten gestifftet, und in
denselben die Theologie, die
Rechts-Gelehrsamkeit, und die Medicin, als drey
so genannte Haupt-Facultäten, öffentlich zu lehren
angeordnet worden sind, hat man denen übrigen
gelehrten
Wissenschafften, durch einen
allgemeinen bis auf den heutigen Tag dauernden
Gebrauch, den sonst allen Gelehrten
Wissenschafften gemeinen
Nahmen der
Philosophie gelassen. |
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|
Der zu unsern
Zeiten berühmte
Wolff
beschreibet die Weisheit durch eine
Wissenschafft,
die Absichten dergestalt einzurichten, daß eine ein
Mittel der andern wird, und hinwiederum
dergleichen Mittel zu erwehlen, die uns zu unsern
Absichten führen. Er suchet dieses also zu
beweisen: daß diese Erklärung der
Gewohnheit zu
reden gemäß sey, gäben die Exempel. Denn wenn
wir sähen, daß einer seine
Sachen so angegriffen,
daß er seine Absichten erreichet, so pflegten wir zu
sagen: Er habe weislich gehandelt. Hingegen wenn
einer seine Absichten dergestalt einrichte, daß eine
der andern zuwider sey, und zu Mitteln erwehle,
was ihm in seiner Absicht hinderlich sey, so sage
man: Er handele thöricht. Und heraus verstehe
man, was ein Thor und was Thorheit sey. |
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Insgemein erkläre man die Weisheit durch
eine
Wissenschafft hoher
Dinge: (per scientiam
rerum sublimium). Allein, es sey darnach |
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{Sp. 1122} |
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erst die Frage, was hohe Dinge sind? Und
daher komme es, daß Leute, die subtile
Sachen
verstehen, sich weise zu seyn düncken, und doch
bey ihrer grossen Weisheit thöricht handeln: Allein
er lasse sich bedüncken, daß der
Begriff, den er
von der Weisheit gegeben, dem Gebrauche zu
reden gemässer sey. Und zu seinem Begriffe
schicke sich auch das Exempel, wodurch in der
Schrifft die Weisheit des
Königes
Salomo erwiesen
werde. Denn in dem
Urtheile wegen des
Kindes,
darüber sich die beyden Huren zancketen, habe er
ein Mittel erwählet, wodurch er die rechte
Mutter
herausgebracht. Es sey aber freylich nicht zu
läugnen, daß
Erkänntniß solcher
Wahrheiten, die
dem Menschen in seinem Wandel und
Amte nöthig
sind, erfordert werde: allein deswegen bestehe
doch nicht die Weisheit selbst darinnen. |
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Wenn der Mensch zu der letzten Absicht
seines
Lebens die Vollkommenheit seines
innerlichen und äusserlichen
Zustandes mache,
und nichts vornehme, als was ihn darzu führet,
auch deswegen alle besondere Absichten
dergestalt mit einander verbinde, daß eine ein
Mittel zu der andern, und endlich alle insgesamt ein
Mittel zu der Haupt-Absicht seyn, so schreite er
ungehindert von einer Vollkommenheit zu der
andern fort; und also habe er ein fortdaurendes
Vergnügen, und genieße eine beständige Freude,
folgends erlange er die Glückseligkeit, deren man
in diesem Leben fähig sey. Weil nun die
Wissenschafft von dieser Einrichtung unseres
Wandels, dadurch wir unsere Glückseligkeit
erlangen, die Weisheit sey, so sey die Weisheit
eine Wissenschafft der Glückseligkeit, (Scientia
felicitatis) Und dieses sey die Erklärung, welche
der
Herr von Leibnitz von der Weisheit
gegeben. |
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Man sehe demnach, daß sein
Begriff
von der Weisheit dem seinigen nicht zuwider sey: jedoch sey er lieber bey dem
seinigen verblieben, als daß er jenen angenommen hätte, weil der seinige mehr
Deutlichkeit habe, und daher ein
geschickterer
Grund sey, dasjenige zu erweisen, was er von der
Weisheit lehre: so habe er ihn in solchen Fällen
bequemer gefunden, wo man etwas von der
Weisheit zu erweisen habe, als wenn wir GOttes
Weisheit aus den
Wercken der
Natur erweisen
sollen. |
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Die Grade der Weisheit werden von ihm also
beschrieben: Je mehrere Absichten dergestalt mit
einander verknüpfft werden, daß immer eine ein
Mittel der andern werde: je mehr stimmeten von
den Absichten mit einander überein, und je grösser
und vollkommener sey die Weisheit. Wiederum, je
mehr, oder in je mehreren Fällen, man Mittel zu
erwählen wisse, die einem zu dem
Zwecke führen,
und je weniger man in Erwählung der Mittel
verfehle, je mehr stimme alles mit einander
überein. Und sey demnach auch um deswillen die
Weisheit grösser und vollkommener. |
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Ferner, je mehr man durch die erwählten Mittel
seine Absicht erreiche, je mehr stimmeten sie mit
ihr überein: denn in so weit man seine Absicht nicht
erreiche, in so weit stimme das Mittel nicht mit ihr
überein, sondern sey entweder gar hinderlich, oder
thue nichts zur
Sache. Derowegen sey auch die
Weisheit vollkommener, je mehr man durch die
erwählten Mittel seine Absichten erreiche.
Wiederum gehöre zu der Vollkommenheit der
Weisheit, daß man nicht durch Umwege zu
erhalten suche, wozu man auf einem kürtzeren
Wege kommen könne. Denn indem man einen
kürtzeren |
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{Sp. 1123|S. 575} |
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Weg habe, so erwähle man die Umwege ohne
Noth, und handele demnach in so weit, als man
dieses thue, ohne Absicht. Ein Weiser aber
handele niemahls ohne Absicht. Derowegen, in so
weit man ohne Noth Umwege erwähle, in so weit
sey man nicht weise. Die Weisheit sey demnach
vollkommener, wenn man kürtzere Mittel erwähle,
und den weitläufftigern vorziehe. |
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Man könne es auch noch auf diese Art
erweisen: Wenn wir Mittel
erkenneten, die uns
kürtzer zu unserem
Zwecke verhelffen, als andere,
so finden wir keinen
Grund, warum wir die andern
den ersten vorziehen solten: und daher könne es
auch nicht geschehen. Wenn wir demnach
Umwege erwähleten, so geschähe es, weil wir den
kürtzern Weg nicht erkenneten. Und also komme
es aus Mangel der
Erkänntniß, folgends aus
Unvollkommenheit des
Verstandes her. Was aber
aus Unvollkommenheit des Verstandes herkomme,
könne nicht zu der Vollkommenheit der Weisheit
gerechnet werden. |
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Hieraus sehe man zugleich, daß es der
Weisheit nicht zuwider sey einen weitern Weg
einem näheren vorzuziehen, wenn man
genugsamen
Grund dazu habe. Denn in solchem
Falle habe man nebst der Haupt Absicht noch
andere Neben-Absichten, die man wohl durch den
weiteren, aber nicht durch den nähern zugleich mit,
erhalten könne. Und in diesem Falle handele man
demnach nicht ohne Absicht, in so weit man den
weiteren Weg dem nähern vorziehet: ja eigentlich
von der
Sache zu reden, so sey es in der
That
nicht ein weiterer Weg, indem kein kürtzerer vorhanden, wenn man alle Absichten
zugleich ein Genügen thun wolle.
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Z.E. Es wolle einer aus einem
Orte in
den andern
reisen und unterwegens einen guten
Freund
sprechen, der ausser der ordentlichen
Strasse wohne. Wenn er nun seine Reise so
einrichte, daß er mit auf den Ort zukomme, wo der
gute Freund wohnet, den er zu
sprechen verlanget;
so könne er wohl durch Umwege an den Ort
kommen, wo er hinreiset; allein es könne dessen
ohngeachtet der Weg, den er genommen, doch der
kürtzeste seyn, welchen er habe erwählen können,
woferne er nicht allein die Absicht gehabt, an
gedachten Ort zu kommen, sondern auch
unterwegens seinen guten Freund zu sprechen.
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Aus dem, was bisher von den Graden der
Vollkommenheit der Weisheit
gesaget worden,
erhelle, worinnen die vollkommenste Weisheit
bestehe. Siehe Weisheit (vollkommenste). |
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Die Kennzeichen der Weisheit beschreibet er
also: Er setzet voraus, zu der Weisheit werde
Richtigkeit der Absichten erfordert: nemlich, ein
Weiser thue nichts ohne Absichten, u. seine
Absichten haben jederzeit die Vollkommenheit
seines äusserlichen und innerlichen
Zustandes zu
dem
Grunde. Wenn man demnach finde, daß der
Mensch nichts vornehme, oder unterlasse, wo er
nicht vorhero überlege, warum er es thun, oder
unterlassen solle; so sey dieses ein Kennzeichen
der Weisheit, oder wenigstens eines nach Weisheit
strebenden
Gemüthes. Denn man sehe hieraus,
daß er nichts für die lange Weile vornehmen wolle,
sondern allezeit durch sein
Thun und Lassen etwas
zu erreichen gedencke, und also beständig eine
Absicht seines Thuns u. Lassens haben
wolle. |
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Jedoch müsse man auch die Beschaffenheit
seiner Absicht untersuchen, ehe man daraus ein
sicheres
Urtheil fällen könne: welches geschehe,
wenn man untersuche, ob die Absicht die einer
habe, zu der Vollkommenheit seines äusseren u.
inneren
Zustandes etwas beytrage, und ob |
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{Sp. 1124} |
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er auch dieses sich würcklich vorstelle, auch in
Ansehung dessen die Absicht erwehle. Und da die
Weisheit eine
Wissenschafft der Glückseligkeit
sey; so
erkenne man daraus ein Weisheit
liebendes
Gemüthe, wenn man höre, das einer
nichts thun, oder lassen wolle, ehe ihm bekannt
sey, ob es seiner Glückseligkeit zuwider, oder
dieselbe befördere. |
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Weil ferner auch zu der Weisheit eine
geschickte Wahl der Mittel erfordert werde: die
Mittel aber dasjenige seyn, welches den
Grund in
sich enthalte, warum die Absicht ihre
Würcklichkeit
erreiche; so könne man aus der Aufführung der
Menschen sehen, ob sie weise seyn, oder nicht.
Denn wenn sie so beschaffen sey daß sie dadurch
ihre Absicht nicht erreichen können, sondern
vielmehr gar sich selbst hindern; so
erkenne man
auch daraus den Mangel der Weisheit u. ihre
Thorheit. Z. E. Wer sich einen Patron zum Feinde
mache, handele thöricht. Denn da er Beförderung
suche, so sey sie als seine Absicht anzusehen. Da
nun aber zu der Beförderung Gunst des Patrons
erfodert werde; so sey sie ein Mittel zu der
Beförderung. Wer demnach sich einen Patron zum
Feinde mache, der hindere seine Beförderung.
Und also handele er thöricht. |
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Es ward dieser
Philosoph unserer
Zeiten von
dem sel. D. Joachim Langen beschuldiget, daß er
auch gar die Weisheit zu dem fato ziehe u. daher
leite. Die
Ursach, die er angab, war diese, daß die
Weisheit erfodere, daß
geschickte Mittel zu den
Endzwecken erwehlet werden; das Wolfische
Systema aber das Fatum allein zu dem
Gesetze,
das die Absichten regulire, habe. Auf diesen
Einwurff hat Hr. Carpzov, in seiner Erläuterung der
Wolfischen Sitten-Lehre, … geantwortet.¶ |
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