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Zedler: Weisheit [1] HIS-Data
5028-54-1114-8-01
Titel: Weisheit [1]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 54 Sp. 1114
Jahr: 1747
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 54 S. 570
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Übersicht
Historie der Lehre von der Weisheit

  Text   Quellenangaben
  Weisheit, Lat. Sapientia, Griech. Sophia.  
  Es wird das Wort Weisheit, theils in weiterm, theils in engerm Verstande genommen. In jenem ist es so viel als eine Wissenschafft, oder Erkenntniß einer Sache, wie unter andern Clemens von Alexandrien L. I. Stromat. … schreibet: Die Weisheit ist eine Wissenschafft von göttlichen und menschlichen Dingen.  
  Auf gleiche Weise hat dieses Wort auch Lactantius genommen, wenn er Institut. Divinar. L. VIII von der falschen, und von der wahren Weisheit handelt, da er denn durch die falsche die Welt-Weisheit der Heyden; durch die wahre hingegen die  
  {Sp. 1115|S. 571}  
  Christliche Lehre verstehet. Nach dem Lactantius haben viele andere das Wort eben in solcher weitläufftigen Bedeutung genommen, wovon Buddeus in Theol. Morali … nachzulesen.
  In solchem weitern Sinne ist auch das Griechische Wort Sophia üblich gewesen, wie Heumann in den Actis Philosoph. … gewiesen.
  In engerm und eigentlichem Verstande ist die Weisheit derjenige Zustand der menschlichen Seele, da ein Mensch nicht nur das Gute und Böse von einander unterscheiden kan, sondern auch eine Begierde zum Guten, und einen Abscheu vor das Böse hat.  
  Es wird alles dieses, was bisher gesaget worden, aus der  
  Historie der Lehre von der Weisheit  
  deutlicher werden, als die wir der dogmatischen Abhandlung nothwendig voran setzen müssen.  
  Das Wort: Sophia, oder philosophia, hieß bey den Griechen so viel, als Gelehrsamkeit; Und Weisheit, Gelehrsamkeit, Philosophie, war also bey ihnen einerley. Doch, weil vor des Socrates Zeiten die Gelehrten sich meistens nur auf die theoretischen Wissenschafften, sonderlich auf die Physick und Mathematick, legeten: So nennete man damahls Weisheit, oder Philosophie, nur fürnehmlich theoretische Gelehrsamkeit; Bis Socrates gewahr wurde, daß mit dieser der Glückseligkeit des menschlichen Lebens wenig geholffen wäre, wenn sie nicht zu vernünfftige Einrichtung der Sitten angewendet würde.  
  Dieser Socrates ruffete also die Philosophen, oder Gelehrten, von den theoretischen Betrachtungen, in welche allein sie sich bisher vertieffet hatten, ein wenig ab, und erinnerte, daß es nun Zeit sey, mit mehrerm Ernste auch auf die Sittenlehre zu gedencken. Des Cicero Worte hievon sind (Quaest. Tuscul. Lib. V) diese:  
  Von der alten Philosophie, bis auf den Socrates, wurden die Zahlen und Bewegungen (die Mathesis und Physick) getrieben, woher so wohl alle Dinge ihren Ursprung hätten, als wohin sie wieder zurück giengen, (die Ursachen der Dinge). Es ward auch fleißig von ihnen die Grösse, der Zwischen-Raum, der Lauff der Gestirne, und alles, was die Himmels-Kugel betrifft, untersuchet. Socrates aber hat zuerst die Philosophie aus dem Himmel herunter geruffen, und in die Städte einlogiret, (er hat die Politic gelehret) und auch in die Häuser eingeführet, (er hat die Öconomie gelehret) und hat sie gezwungen, nach dem Leben und Sitten, und nach den guten und bösen Dingen zu fragen.  
  Von derselben Zeit an bekam das Wort: Weisheit einen viel weitern Verstand, da es in den Schulen des Plato, der Stoicker, und der Epicurer, nebst den theoretischen Wissenschafften, fürnehmlich auf die Sitten-Lehre, als den Zweck aller theoretischen Wissenschafften, gezogen ward. Der eintzige Aristoteles blieb, vielleicht aus Eyffersucht gegen den Plato und Socrates, bey der alten Bedeutung des Wortes: Weisheit, und verstund die theoretische Gelehrsamkeit, ja nur fürnehmlich den höchsten Gipfel derselben, nehmlich die Metaphysick, die er gar sonderlich trieb, darunter.  
  In der angeführten Bedeutung ist nun das Wort: Weisheit, unter den Heydnischen, Griechischen und Lateinischen Philosophen geblieben, als welche unter  
  {Sp. 1116}  
  einem Weisen, oder Philosophen, nie etwas anders, als einen gründlichen Gelehrten, verstanden haben, und zwar entweder nur einen Theoretischen Gelehrten, oder hauptsächlich einen Sitten-Lehrer, nachdem sie es entweder mit dem Socrates, und die meisten von ihm abstammenden Secten, oder, wie Aristoteles, mit den Philosophen vor dem Socrates, gehalten haben. Wir wollen die vornehmsten Meynungen derselben etwas genauer erwegen.  
  Wenn Socrates lehrete, daß einige Gute sey die Wissenschafft, oder Weisheit, das einige Böse die Unwissenheit, oder Thorheit; So verwirfft Stolle, in der Historie der Heydnischen Moral … diesen Haupt-Satz der Socratischen Moral. Wenn man aber erweget, das Socrates durch die Wissenschafft eine practische Weisheit verstanden habe, die nicht nur das Gute von dem Bösen zu unterscheiden weiß, sondern auch das Gute erwählt und das Böse verwirfft, folglich die Tugend und Weisheit ihm einerley bedeutet, so wird man milder von dem Socrates urtheilen, zumahl, da richtig ist, daß die gründliche Erkänntniß des Guten der Grund der Erwählung desselbigen und der daraus fliessenden Glückseligkeit sey.  
  Die Stoicker gaben diese Beschreibung von der Weisheit, daß sie eine Wissenschafft Göttlicher und menschlicher Dingen sey. Plutarch. de plac. Phil.
  Es hat aber Zeno diese Beschreibung der Weisheit von dem Plato entlehnet; Siehe Histor. de ideis …;
  Wiewohl sie Plato in einem etwas andern Verstande genommen hat. Die höchste Weisheit bestund, nach dem Bedüncken der Stoicker, in der Unterscheidung des Guten von dem Bösen. Seneca, Ep. 71.
  Es ist aber wohl zu mercken, daß die Stoicker davor hielten, den eigentlichen Gipffel der Weisheit könne kein Mensch erlangen. Es war auch gantz natürlich, daß sie so lehren musten; Massen sie sich von einem weisen Manne eine solche Vorstellung machten, daß derselbige nirgends, als in ihren Gehirne, anzutreffen war. Sie machten einen Unterschied, unter einem vollkommenen und zunehmenden Weisen, (inter sapientem perfectum et proficentem) wovon Lipsius in Manuduct. ad phil. Stoic. … nachzusehen ist.
  Es kommt aber auch dieses aus der Schule des Plato, der es von dem Pythagoras entlehnet hat. Siehe Hist. de ideis
  Unter andern verlangten die Stoicker von einem Weisen, es müsse sein Gemüth von allen Affecten gäntzlich befreyet seyn, und meynten, er könnte bey den grössesten Schmertzen ruhig in dem Gemüthe und glücklich seyn, wäre auch bey seiner Weisheit allein reich, und stünde in der Freyheit, und was andere Aussprüche mehr waren, die Lipsius in manuduct. ad philos. stoic. … erkläret.  
  Sie räumeten zwar ein, daß ein Weiser, wenn er die Wahl habe, neben der Tugend die zeitlichen Güter lieber haben, als daran Mangel leiden wolle: Sie läugneten aber, daß solches deswegen geschehe, weil sie Güter wären: Sie sagten, ein Weiser verlange sie, nicht, weil sie Güter, sondern, weil sie der Natur gemäß wären: Welches eine elende Wort-Sophisterey war. Sie wusten sich freylich nicht anders heraus zu wickeln. Denn  
  {Sp. 1117|S. 572}  
  da sie wohl sahen, daß ein Weiser in diesem Leben vor widrigem Glück nicht sicher seyn könne, welches auch Cicero erkennet, wenn er, Tuscul. Quaest. Libr. V. schreibet:  
  Denn es wird eine Menge der Übel (wenn wir es übel nennen wollen) vorhanden seyn, Armuth, Verachtung, Niedrigkeit, Einsamkeit, Verlust des Seinigen, grosse Leibes-Schmertzen, verlohrne Gesundheit, Schwachheit, Blindheit, Untergang des Vaterlandes, Verjagung aus demselben, Knechtschafft:  
  So musten sie entweder sagen, daß solchenfalls auch der Weiseste dennoch unglückselig seyn, und alle seine Weisheit nichts darwider helfen werde, wenn nehmlich, wie Cicero zu dem Grunde setzet, die Glückseligkeit dieses Lebens ein Stand von lauter Lust, ohne Unlust, ist; Oder sie musten behaupten, daß alle obgedachte Unglücksfälle keine Übel wären, welches letztere sie auch würcklich thaten, worinnen ihnen auch Cicero, der jedoch in diesem Puncte nicht allezeit mit sich selbst recht einig ist, beypflichtet, da er, nach den nur angeführten Worten, also fortfähret:  
  Wenn aber dieses Übel sind, wer kan verschaffen, daß ein Weiser allezeit glückselig sey, da er sogar in allen diesen Umständen sich zu einer Zeit befinden kan? Ich räume daher nicht leicht, weder meinem Brutus, noch den gewöhnlichen Lehrern, noch jenen alten, dem Aristoteles, Speusippus, Xenocrates, Polemon, ein, daß, da sie dasjenige, was ich zuvor erzählet habe, unter die Übel rechnen, eben dieselbigen sagen, daß ein Weiser allezeit glückselig sey: Wenn sie dieser vortrefliche und schöne Titel, welcher dem Pythagoras, Socrates und Plato, höchst gemäß ist, vergnüget, so mögen sie das Gemüthe dahin lencken, daß es dasjenige, durch dessen Glantz sie eingenommen werden, Kräffte, Gesundheit, Schönheit, Reichthümer, Ehre, Güter, verachte, und dasjenige, was diesen entgegen stehet, für nichts halte.  
  Er verstehet aber unter einem weisen Manne nicht einen Theoretisch-Gelehrten, sondern einen Practischen. Denn so spricht er selbst:  
  Denn wir sagen, daß so wohl die redlichen Männer, als die Weisen, mit allen Tugenden versehen und gezieret seyn müssen.  
  Wenn einige Weltweise damahliger Zeiten, wie man hin und wieder bey den Plato findet, gesagt haben, die Weisheit sey das höchste Gut, so haben sie die Weisheit sonder Zweifel in eben demselbigen Verstande genommen; Als welches aus dem Inhalte fast aller Gespräche des Plato von dieser Meynung, z.E. des Philebus, Euthydemus, deutlich erhellet, da unter dem Worte: Weisheit, nebst der Erkenntniß des Verstandes, die Tugend, und der Geschmack, oder die Belustigung an dem Guten, ausdrücklich mit begriffen wird. Denn nicht allein die Stoicker, sondern fast alle berühmte Philosophen, ausser dem Aristoteles, als Plato selbst und Epicurus, sind hierinnen dem Socrates nachgefolget, daß sie die Weisheit nicht mehr in blossem Speculiren, sondern hauptsächlich in einem vernünftigen Leben, welches jedoch ebenfalls sein Nachsinnen erfordert, gesuchet haben; So, daß man guten  
  {Sp. 1118}  
  Grund hat, zu sagen, daß die moralische Bedeutung des Wortes: Weisheit, von dem Socrates an, beynahe unter allen Gelehrten die ordentliche Haupt-Bedeutung gewesen, und noch sey; Welches jedoch nicht hindert, daß besagtes Wort in der Metaphysick nicht in besonderem Verstande genommen werden könne.  
  Von dem Epicurus bezeugen dieses alle seine bey dem Gassendus ad Laert. befindlichen Sprüche von einem weisen Manne. Und Plato in dem Euthydemus, da er erweisen will, daß die Glückseligkeit des Menschen in der Weisheit bestehe, führet solchen Beweiß daher, daß uns alle Güter dieses Lebens nichts helffen, wenn sie uns nicht zu Nutze kommen: Daß also, wer glückselig leben wolle, solche Güter nicht allein besitzen, sondern auch brauchen müsse: Daß aber nicht aller Gebrauch der Güter uns glückselig mache, sondern nur der rechte und vernünftige: Daß dahero eine Kunst seyn müsse, die Güter des Lebens vernünftig zu gebrauchen, welche die Weisheit heisse, folglich nicht die Menge der Güter, sondern vielmehr solche Kunst, auch wenige recht zu gebrauchen, das ist, die Weisheit, glückselig mache: Daher er endlich den Schluß machet; [zwei Zeilen griechischer Text] Das ist: Daß nichts von dem übrigen allen entweder gut, oder Böse, sondern daß aus diesen beyden, die Weisheit nur gut, die Thorheit böse sey.  
  Hier siehet man gar deutlich, daß auch Plato, so gut, als alle Stoicker und Epicureer, das Wort Weisheit in moralischem Verstande genommen, und hierinnen also, unter den vier Haupt-Secten, die Academische, Stoische und Epicureische, wider die eintzige Aristotelische, übereingestimmet haben. Vielleicht meynet auch eben dieser Plato die Weisheit in eben diesem Verstande, wenn er, de Republ. L. V. und VII. die Idee des Guten vor das höchste Gut ausgiebt: Wider welche Idee des Guten Aristoteles, Nicom. … disputiret.  
  Die Italienische, oder Pythagoräische Secte beschrieb die Weisheit also: Die Weisheit ist eine gründliche Wissenschafft derjenigen Dinge, welche wesentlich sind, (Entium.)
  Cicero schreibent, de petit. Consc. c. 10. Nicht in den Tag hinein glauben, ist die Seele der Weisheit.  
  Seneca lässet sich von der Weisheit, in seiner XIV Epistel, also vernehmen:  
  Ein Weiser wird die Gewaltigen nie zum Zorne reitzen, sondern dem Zorne derselben vielmehr, wie ein Schiffer dem Ungewitter, ausweichen. Eben daselbst: Ein Weiser richtet sich nach denen öffentlichen Sitten, und macht durch keine neue Lebens-Art bey dem Volcke ein Aufsehen. Desgleichen in der XX Epistel: Niemand setzet sich recht vor, was er will: Ja, wenn er es sich auch vorgesetzt hat, so bleibet er doch nicht dabey, sondern überschreitet (das von ihm selbst gesetzte Ziel): Ja, er ändert nicht nur dasselbe, sondern kehrt wieder um, und läst sich das belieben, was er doch zuvor verlassen und verworffen hat.  
  Bald darauf aber giebet er folgende Beschreibung der Weisheit:  
  Was ist Weisheit? Allezeit einer-  
  {Sp. 1119|S. 573}  
  ley wollen und nicht wollen.  
  Die Jüden, welche ebenfalls in den Philosophischen Studien etwas leisten wolten, hatten vornehmlich folgende Sätze von der Weisheit:  
 
1). Wo keine Furcht GOttes ist, da ist auch keine Weisheit; Weisheit, Wissenschafft und Klugheit aber, sind beysammen.
 
 
2) Wo die Wissenschafft grösser ist, als das Werck und die Ausübung, da ist keine gründliche Weisheit.
 
 
3) Ein weiser Mann lernet von einem jeden Menschen.
 
 
4) Ein weiser Mann hat sieben Eigenschaften:
 
 
 
  • Er redet vor niemand, der ihm an Weisheit und Ansehen vorgehet;
  • Er fället seinem Nächsten nicht in die Rede;
  • Er antwortet nicht unbesonnen und übereylt;
  • Er fragt geschickt und wohl;
  • Und giebt auch geschickte Antwort;
  • Was er nicht gehöret hat, bekennet er nicht gehöret zu haben;
  • Und endlich bekennet er auch die Wahrheit.
 
 
5) Wer die Weisheit lernen will, von dem werden folgende Stücke erfordert:
 
 
 
  • Das Lernen,
  • das Aufmercken des Ohres,
  • die geschickte Bewegung und Rede der Lippen,
  • die Aufmercksamkeit des Gemüths,
  • der Verstand des Hertzens,
  • Furcht,
  • Scheu,
  • Sanftmuth,
  • Freudigkeit,
  • Umgang mit weisen und geschickten Leuten,
  • genaue und fleißige Widerholung mit seinen Cameraden,
  • Fleiß,
  • Lesung der Heiligen Schrifft und der Schrifften der Weisen,
  • Abbruch von andern Geschäfften und vom Schlaf, von den Wollüsten, Spielen und Gewohnheit des Pöbels;
  • Langmuth,
  • Munterkeit des Gemüthes,
  • Credit für die Weise,
  • Gedult in der Trübsal,
  • mäßiger Schlaf,
  • mäßige Übung in Geschäfften,
  • mäßiges Reden,
  • mäßige Wollust,
  • mäßiges Lachen,
  • mäßiger Umgang mit den Leuten,
  • sich selbst und seinen Stand erkennen,
  • mit seinem Theil zufrieden seyn,
  • seine Worte nur mit einem Ja bewahren,
  • nichts Gutes sich selbst zuschreiben,
  • GOtt und den Nächsten und die Gerechtigkeit lieben,
  • Bestraffungen und Erinnerungen leiden können,
  • die Billigkeit lieben,
  • vor der Ehre fliehen,
  • sich wegen seiner Gelehrsamkeit nicht erheben,
  • über seinen Unterricht sich nicht unmäßig freuen,
  • mit seinen Neben-Schülern gleiches Joch der Zucht ertragen,
  • seinen Cameraden nach der Waage der Unschuld beurtheilen,
  • ihn zur Wahrheit führen, und zum Frieden ermahnen;
  • Seine Wissenschafft wohl gründen, fragen und antworten, hören und zunehmen;
  • Lernen deswegen, daß man so wohl andere lehren könne, als auch es selbst thun möge;
  • Seines Lehrmeisters Weisheit loben und vertheidigen,
  • einem jeden Dinge seinen Urheber beylegen,
  • u.s.w.
 
 
6) Ein Schamhafttiger lernet nicht wohl, und ein Zorniger lehrt nicht wohl und wer viel handelt kommt nicht leicht zur Weisheit.
 
 
7) Ein weiser Mann suchet nicht mehr Ruhm, als seine Gelehrsamkeit oder Weisheit, verdienet.
 
 
8) Nichts ist einem weisen Manne vortheilhaffter als Stillschweigen; Dann wer viele Worte macht, sündiget oft,
 
  {Sp. 1120}  
 
hingegen das Stillschweigen ist eine Vormauer der Weisheit.
 
 
9) Ein weiser Mann ist vorsichtig in seinen Worten, daß er nicht sich und andern schade.
 
 
10) Mit einem Weibe, wann es auch unser eigen ist, soll man nicht viel reden, weil daraus viele Hindernisse in der Weisheit entstehen.
 
 
11) Ein weiser Mann ist gegen jedermann demüthig, und trachtet nicht nach der Regenten Stelle und nach Tittuln noch nach der Freundschafft der Grossen.
 
 
12) Er vermeidet auch alle Processe und Streit-Händel, und läst sich nicht zum Advocaten, oder Richter, gebrauchen.
 
  Wenn die alten Christen behaupteten, daß alle Weisheit von den Ungriechen (Barbaris) auf die Griechen gekommen sey, so glaubten, sie, daß die Heydnischen Philosophen vieles von den Hebräischen Lehrern erschnappet hätten. Denn gleichwie Aristobulus, Philo, und andere nach Griechischer Art in Egypten philosophirende Juden, die Anführer gewesen sind, die Jüdischen und Heydnischen Lehren in eines zu mischen, also haben sie den Vätern sonderlich Gelegenheit gegeben, auf dergleichen Gedancken zu fallen.  
  Clemens Alexandrinus gehet, Stromat. L. I. … gantz deutlich mit der Sprache heraus, daß er durch den Aristobulus, Philo, und andere dergleichen Leute, auf diese Meynung gerathen sey. Das geschah aber durch ein doppeltes Vorurtheil, zu welchem diese syncretistischen Juden die leichtgläubigen und nicht genug vorsichtigen Väter verleiteten.  
  Denn einmahl machten sie ihnen weiß, alle Weisheit komme von den Jüden her, in welchem aus dem Jüdischen Hochmuthe entstandenen Vorurtheile sodann die Väter gestärcket worden, wann sie von den Griechischen und andern Heydnischen Geschicht-Schreibern selbst hörten, daß die Philosophie von den Barbarischen Völckern auf die Griechen gekommen sey. Denn weil man die Jüden ebenfalls unter die Barbarischen Völcker rechnete, und die Väter voraus setzten, sie wären, der Göttlichen Offenbarung wegen, die erleuchteste Nation gewesen, und folglich müsten sie auch die besten Philosophen gehabt haben, so schlossen sie daraus, die Heydnischen Scribenten schrieben selbst, indem sie die Philosophischen Anfangs-Gründe den Barbaren beylegen, den Jüden den Ursprung der Philosophie zu; Wie übel aber solches aus einander folge und schliesse, kan ein jeder leicht begreiffen.  
  Hernach so verführten diese Jüden auch die Kirchen-Lehrer auf das Vorurtheil, daß die Platonische Philosophie mit den Mosaischen Büchern und der darinnen enthaltenen Lehre übereinkomme. Denn weil sie, Krafft ihrer syncretistischen Absichten, durch Hülffe der allegorischen Lehr-Art, denen Platonischen Lehrern so-  
  {Sp. 1121|S. 574}  
  wohl, als den Mosaischen, einen solchen Verstand anzudichten wusten, der sich endlich reimen muste, er mochte wollen, oder nicht, wann er nur nicht allzu Heydnisch heraus kam; so wurden die Väter, welche das Gold unter der Heydnischen Philosophie aufsuchten, und zu Befestigung der Christlichen Religion, derselbigen vornehmste Lehren unter den Heyden finden und erweisen wolten, dadurch in ihrem Vorsatz und Meynung desto mehr bestärcket, da sie in den Schrifften dieser Platonisirenden Juden, oder, wie wir sie auch mit Recht nennen können, dieser Platonicorum Mosaizantium, eine mehrere Gleichheit der Platonischen Lehrsätze mit den Mosaischen Schrifften vorgestellet fanden, wie hiervon die Apologien der Väter offenbar zeugen.  
  Indem nun aber zu diesen Zeiten die Christen der Gelehrsamkeit mit immer mehr Eyfer obzuliegen anfiengen, funden sie in den Büchern der H. Schrifft, sonderlich Salomons und Syrachs, das Wort Weisheit in einem Verstande gebrauchet, in welchem es nicht den Gelehrten allein, sondern auch den Ungelehrten, zukommt; da nemlich die Weisheit allen Menschen angepriesen wird.  
  Man hat sich dahero nach der Zeit, bey dieser so sehr eingerissenen Zweydeutigkeit des Wortes: Weisheit, genöthiget gesehen, zwischen der Weisheit und Gelehrsamkeit einen Unterschied zu machen, und durch die erste, eine angewöhnte Fertigkeit eines vernünfftigen, tugendhafften und klugen Lebens, man mag der darzu nöthigen Erkänntniß durch eigenes Nachdencken mächtig seyn, oder nicht; durch die letzte aber, eine Fertigkeit, solcher Erkänntniß durch eigenes Nachdencken mächtig zu seyn, und sie aus ihren tieffsten Gründen heraus zu holen, zu verstehen.  
  Ob also wohl sophia, oder philosphia, und Weisheit, dem Worte nach einerley ist, so sind die Gelehrten doch immer geneiget gewesen, auf Veranlassung der Griechischen und Lateinischen Gelehrten, das Wort sophia nicht wie Salomo und Syrach, sondern lieber wie Aristoteles und andere Heyden, vor Gelehrsamkeit zu nehmen. Und da hernach die Universitäten gestifftet, und in denselben die Theologie, die Rechts-Gelehrsamkeit, und die Medicin, als drey so genannte Haupt-Facultäten, öffentlich zu lehren angeordnet worden sind, hat man denen übrigen gelehrten Wissenschafften, durch einen allgemeinen bis auf den heutigen Tag dauernden Gebrauch, den sonst allen Gelehrten Wissenschafften gemeinen Nahmen der Philosophie gelassen.  
  Der zu unsern Zeiten berühmte Wolff beschreibet die Weisheit durch eine Wissenschafft, die Absichten dergestalt einzurichten, daß eine ein Mittel der andern wird, und hinwiederum dergleichen Mittel zu erwehlen, die uns zu unsern Absichten führen. Er suchet dieses also zu beweisen: daß diese Erklärung der Gewohnheit zu reden gemäß sey, gäben die Exempel. Denn wenn wir sähen, daß einer seine Sachen so angegriffen, daß er seine Absichten erreichet, so pflegten wir zu sagen: Er habe weislich gehandelt. Hingegen wenn einer seine Absichten dergestalt einrichte, daß eine der andern zuwider sey, und zu Mitteln erwehle, was ihm in seiner Absicht hinderlich sey, so sage man: Er handele thöricht. Und heraus verstehe man, was ein Thor und was Thorheit sey.  
  Insgemein erkläre man die Weisheit durch eine Wissenschafft hoher Dinge: (per scientiam rerum sublimium). Allein, es sey darnach  
  {Sp. 1122}  
  erst die Frage, was hohe Dinge sind? Und daher komme es, daß Leute, die subtile Sachen verstehen, sich weise zu seyn düncken, und doch bey ihrer grossen Weisheit thöricht handeln: Allein er lasse sich bedüncken, daß der Begriff, den er von der Weisheit gegeben, dem Gebrauche zu reden gemässer sey. Und zu seinem Begriffe schicke sich auch das Exempel, wodurch in der Schrifft die Weisheit des Königes Salomo erwiesen werde. Denn in dem Urtheile wegen des Kindes, darüber sich die beyden Huren zancketen, habe er ein Mittel erwählet, wodurch er die rechte Mutter herausgebracht. Es sey aber freylich nicht zu läugnen, daß Erkänntniß solcher Wahrheiten, die dem Menschen in seinem Wandel und Amte nöthig sind, erfordert werde: allein deswegen bestehe doch nicht die Weisheit selbst darinnen.  
  Wenn der Mensch zu der letzten Absicht seines Lebens die Vollkommenheit seines innerlichen und äusserlichen Zustandes mache, und nichts vornehme, als was ihn darzu führet, auch deswegen alle besondere Absichten dergestalt mit einander verbinde, daß eine ein Mittel zu der andern, und endlich alle insgesamt ein Mittel zu der Haupt-Absicht seyn, so schreite er ungehindert von einer Vollkommenheit zu der andern fort; und also habe er ein fortdaurendes Vergnügen, und genieße eine beständige Freude, folgends erlange er die Glückseligkeit, deren man in diesem Leben fähig sey. Weil nun die Wissenschafft von dieser Einrichtung unseres Wandels, dadurch wir unsere Glückseligkeit erlangen, die Weisheit sey, so sey die Weisheit eine Wissenschafft der Glückseligkeit, (Scientia felicitatis) Und dieses sey die Erklärung, welche der Herr von Leibnitz von der Weisheit gegeben.  
  Man sehe demnach, daß sein Begriff von der Weisheit dem seinigen nicht zuwider sey: jedoch sey er lieber bey dem seinigen verblieben, als daß er jenen angenommen hätte, weil der seinige mehr Deutlichkeit habe, und daher ein geschickterer Grund sey, dasjenige zu erweisen, was er von der Weisheit lehre: so habe er ihn in solchen Fällen bequemer gefunden, wo man etwas von der Weisheit zu erweisen habe, als wenn wir GOttes Weisheit aus den Wercken der Natur erweisen sollen.  
  Die Grade der Weisheit werden von ihm also beschrieben: Je mehrere Absichten dergestalt mit einander verknüpfft werden, daß immer eine ein Mittel der andern werde: je mehr stimmeten von den Absichten mit einander überein, und je grösser und vollkommener sey die Weisheit. Wiederum, je mehr, oder in je mehreren Fällen, man Mittel zu erwählen wisse, die einem zu dem Zwecke führen, und je weniger man in Erwählung der Mittel verfehle, je mehr stimme alles mit einander überein. Und sey demnach auch um deswillen die Weisheit grösser und vollkommener.  
  Ferner, je mehr man durch die erwählten Mittel seine Absicht erreiche, je mehr stimmeten sie mit ihr überein: denn in so weit man seine Absicht nicht erreiche, in so weit stimme das Mittel nicht mit ihr überein, sondern sey entweder gar hinderlich, oder thue nichts zur Sache. Derowegen sey auch die Weisheit vollkommener, je mehr man durch die erwählten Mittel seine Absichten erreiche. Wiederum gehöre zu der Vollkommenheit der Weisheit, daß man nicht durch Umwege zu erhalten suche, wozu man auf einem kürtzeren Wege kommen könne. Denn indem man einen kürtzeren  
  {Sp. 1123|S. 575}  
  Weg habe, so erwähle man die Umwege ohne Noth, und handele demnach in so weit, als man dieses thue, ohne Absicht. Ein Weiser aber handele niemahls ohne Absicht. Derowegen, in so weit man ohne Noth Umwege erwähle, in so weit sey man nicht weise. Die Weisheit sey demnach vollkommener, wenn man kürtzere Mittel erwähle, und den weitläufftigern vorziehe.  
  Man könne es auch noch auf diese Art erweisen: Wenn wir Mittel erkenneten, die uns kürtzer zu unserem Zwecke verhelffen, als andere, so finden wir keinen Grund, warum wir die andern den ersten vorziehen solten: und daher könne es auch nicht geschehen. Wenn wir demnach Umwege erwähleten, so geschähe es, weil wir den kürtzern Weg nicht erkenneten. Und also komme es aus Mangel der Erkänntniß, folgends aus Unvollkommenheit des Verstandes her. Was aber aus Unvollkommenheit des Verstandes herkomme, könne nicht zu der Vollkommenheit der Weisheit gerechnet werden.  
  Hieraus sehe man zugleich, daß es der Weisheit nicht zuwider sey einen weitern Weg einem näheren vorzuziehen, wenn man genugsamen Grund dazu habe. Denn in solchem Falle habe man nebst der Haupt Absicht noch andere Neben-Absichten, die man wohl durch den weiteren, aber nicht durch den nähern zugleich mit, erhalten könne. Und in diesem Falle handele man demnach nicht ohne Absicht, in so weit man den weiteren Weg dem nähern vorziehet: ja eigentlich von der Sache zu reden, so sey es in der That nicht ein weiterer Weg, indem kein kürtzerer vorhanden, wenn man alle Absichten zugleich ein Genügen thun wolle.  
  Z.E. Es wolle einer aus einem Orte in den andern reisen und unterwegens einen guten Freund sprechen, der ausser der ordentlichen Strasse wohne. Wenn er nun seine Reise so einrichte, daß er mit auf den Ort zukomme, wo der gute Freund wohnet, den er zu sprechen verlanget; so könne er wohl durch Umwege an den Ort kommen, wo er hinreiset; allein es könne dessen ohngeachtet der Weg, den er genommen, doch der kürtzeste seyn, welchen er habe erwählen können, woferne er nicht allein die Absicht gehabt, an gedachten Ort zu kommen, sondern auch unterwegens seinen guten Freund zu sprechen.  
  Aus dem, was bisher von den Graden der Vollkommenheit der Weisheit gesaget worden, erhelle, worinnen die vollkommenste Weisheit bestehe. Siehe Weisheit (vollkommenste).  
  Die Kennzeichen der Weisheit beschreibet er also: Er setzet voraus, zu der Weisheit werde Richtigkeit der Absichten erfordert: nemlich, ein Weiser thue nichts ohne Absichten, u. seine Absichten haben jederzeit die Vollkommenheit seines äusserlichen und innerlichen Zustandes zu dem Grunde. Wenn man demnach finde, daß der Mensch nichts vornehme, oder unterlasse, wo er nicht vorhero überlege, warum er es thun, oder unterlassen solle; so sey dieses ein Kennzeichen der Weisheit, oder wenigstens eines nach Weisheit strebenden Gemüthes. Denn man sehe hieraus, daß er nichts für die lange Weile vornehmen wolle, sondern allezeit durch sein Thun und Lassen etwas zu erreichen gedencke, und also beständig eine Absicht seines Thuns u. Lassens haben wolle.  
  Jedoch müsse man auch die Beschaffenheit seiner Absicht untersuchen, ehe man daraus ein sicheres Urtheil fällen könne: welches geschehe, wenn man untersuche, ob die Absicht die einer habe, zu der Vollkommenheit seines äusseren u. inneren Zustandes etwas beytrage, und ob  
  {Sp. 1124}  
  er auch dieses sich würcklich vorstelle, auch in Ansehung dessen die Absicht erwehle. Und da die Weisheit eine Wissenschafft der Glückseligkeit sey; so erkenne man daraus ein Weisheit liebendes Gemüthe, wenn man höre, das einer nichts thun, oder lassen wolle, ehe ihm bekannt sey, ob es seiner Glückseligkeit zuwider, oder dieselbe befördere.  
  Weil ferner auch zu der Weisheit eine geschickte Wahl der Mittel erfordert werde: die Mittel aber dasjenige seyn, welches den Grund in sich enthalte, warum die Absicht ihre Würcklichkeit erreiche; so könne man aus der Aufführung der Menschen sehen, ob sie weise seyn, oder nicht. Denn wenn sie so beschaffen sey daß sie dadurch ihre Absicht nicht erreichen können, sondern vielmehr gar sich selbst hindern; so erkenne man auch daraus den Mangel der Weisheit u. ihre Thorheit. Z. E. Wer sich einen Patron zum Feinde mache, handele thöricht. Denn da er Beförderung suche, so sey sie als seine Absicht anzusehen. Da nun aber zu der Beförderung Gunst des Patrons erfodert werde; so sey sie ein Mittel zu der Beförderung. Wer demnach sich einen Patron zum Feinde mache, der hindere seine Beförderung. Und also handele er thöricht.  
  Es ward dieser Philosoph unserer Zeiten von dem sel. D. Joachim Langen beschuldiget, daß er auch gar die Weisheit zu dem fato ziehe u. daher leite. Die Ursach, die er angab, war diese, daß die Weisheit erfodere, daß geschickte Mittel zu den Endzwecken erwehlet werden; das Wolfische Systema aber das Fatum allein zu dem Gesetze, das die Absichten regulire, habe. Auf diesen Einwurff hat Hr. Carpzov, in seiner Erläuterung der Wolfischen Sitten-Lehre, … geantwortet.  
     

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Stand: 20. Februar 2013 © Hans-Walter Pries