HIS-Data
Home | Suche
Zedler: Seele [6] HIS-Data
5028-36-1051-4-06
Titel: Seele [6]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 36 Sp. 1098
Jahr: 1743
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 36 S. 562
Vorheriger Artikel: Seele [5]
Folgender Artikel: Seele [7]
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen
  • : Absatz in der Vorlage vorhanden
  • Transkribierter griechischer Text der Vorlage

vorhergehender Text  Teil 5 Artikelübersicht Teil 7  Fortsetzung

Übersicht
Vereinigung der Seele mit dem Cörper
  Drei Systeme
 
  System des natürlichen Einflusses
  System der Gelegenheits-Ursachen

Stichworte Text Quellenangaben
  Vereinigung der Seele mit dem Cörper:  
  Wegen der Übereinstimmung und Gemeinschafft der Bewegungen des Leibes und der Seele unter einander pfleget man zu sagen, daß die Seele mit dem Leibe vereiniget sey; wiewohl eigentlicher zu reden solche Übereinstimmung nicht sowohl die Vereinigung zwischen dem Leib und der Seele ausmachet, als vielmehr eine Würckung derselbigen ist.  
  In den alten Zeiten trugen sich viele Philosophen mit der Meynung, daß die Vereinigung selbst vermittelst eines gewissen sehr subtilen und ätherischen Cörpergens, so ochēma genennet werde, geschehe, welches seiner Natur nach rund; sich aber, wenn es in den menschlichen Leib komme, in die Gestalt desselbigen verwandele, bis es endlich von dem Leibe abgesondert werde, und seine erste runde Figur wieder annehme.  
  Einige Platonicker sagten, die Seele wäre mit einem dreyfachen vinculo umgeben, vermittelst dessen sie mit dem Leibe verknüpffet würde: das eine sey ein himmlisches, so nichts von der Materie an sich habe; das andere bestünde aus einem aerischen Wesen, und das dritte sey aus den vier Elementen zusammen gesetzt, wovon Marsilius Ficinus in theolog. Platonic. lib. 18. cap.
  {Sp. 1099|S. 563}  
    4. zu lesen.
  Andere, welche drey Theile der Menschen gesetzet, als Geist, Seele und Leib, haben gemeynet, daß die Seele, als der mittlere Theil, diejenigen Substanz sey, welche den Geist mit dem Leibe vereinige. Ist die Frage von dem Grund dieser Vereinigung, worauf sie beruhe, und wie sie geschehe, ob eine mittlere Substanz, oder sonst ein natürliches Band, das Leib und Seele mit einander verbinde, vorhanden sey? oder ob alles nur auf den unmittelbaren Willen GOttes ankomme? oder, ob sie durch eine gewisse Würckung der Seele gegen den Leib geschiehet? solches läst sich nicht ausmachen. Daher muß man nur bey der Übereinstimmung der beyderseitigen Bewegungen bleiben.  
  So viel ist aus der Erfahrung und eigener Empfindung ausgemacht, daß auf gewisse Bewegungen des Leibes gewisse Bewegungen der Seele, und auf gewisse Bewegungen der Seele gewisse Bewegungen des Leibes erfolgen. Mit der Vernunft untersuchet man den Grund und die Ursache solcher Gemeinschaft und Übereinstimmung, vorher dieselbige komme. Man hat lange Zeit die Meynung gehabt, daß der Grund davon in der Seele läge, welche in den Leib würcke, und die Bewegungen in demselbigen verursachte, welches man als eine ausgemachte Sache angenommen, daß darüber gar kein Streit entstanden. Als aber nicht nur Cartesius; sondern auch Leibnitz solchen Einfluss der Seele in den Cörper nicht zugeben wollten, und die Sache aus einem andern Grund zu erklären suchten, so sind hierüber die Streitigkeiten angegangen, und man hat nunmehro drey Systemata, wodurch die Philosophen die Übereinstimmung der Seele und des Leibes in ihren Bewegungen zu erklären, sich bemühet.  
Drei Systeme Das eine ist das Systema influxus physici; das andere das Systema caussarum occasionalium, und das dritte das Systema harmoniae praestabilitae, welche also zusammen hängen. Der Grund dieser Harmonie lieget entweder in der Seele, oder in GOtt. Leitet man ihn von der Seele her, daß dieselbige in den Cörper würcke, so ist dieses das systema influxus physici: Soll GOtt aber die Ursache seyn, so kan dieses auf zweyerley Art geschehen. Denn entweder würcket GOtt die Bewegungen des Leibes unmittelbar, so oft dergleichen geschehen soll, welches das Systema caussarum occasionalium; oder er hat einmahl vor allemahl eine gewisse Ordnung gesetzet, so daß systema harmoniae praestabilitae.  
System des natürlichen Einflusses Das erste, nemlich das SYSTEMA INFLUXUS PHYSICI, oder das Systema des natürlichen Einflusses, ist das älteste und gemeinste. Es kommt dasselbige eigentlich darauf an, daß nach demselbigen die Seele eine Kraft in den Cörper habe, so daß nach ihrem Belieben in ihm den Vorstellungen und Begierden gleichförmige Bewegungen erreget würden, dergleichen wieder von ihm vermittelst der Bewegungen in dem Beleben, den Geistergen in die Seele geschähe, und auf solche Art die Seele in den Cörper; und der Cörper in die Seele einen Einfluß thäte.  
  Es geschiehet also dieser Einfluß Wechselsweise; von der Seele in den Cörper, und von dem Cörper in die Seele. Denn die Seele könne nach ihrem Belieben den Leib und dessen Gliedmassen bewegen, vermöge der ihr zukommenden Bewegungs-Krafft;  
  {Sp. 1100}  
  würden aber die Werckzeuge der Empfindung unseres Leibes von äusserlichen Dingen berühret, so verursachte dieses in unserer Seele die Empfindung, oder die Idee und die daher dependirenden Gedancken, mithin geschähe hier ein Einfluß des Cörpers in unsere Seele. Man nennet dieses Systema das Aristotelische, weil Aristoteles Urheber ist. Denn wie oben gezeiget worden, so hat er die Seele vor nichts anders, als vor den Grund der Bewegung, die in dem Physischen Cörper geschehe, gehalten; wobey nur dieses zu gedencken ist, daß sich zwar Aristoteles einen gantz falschen Begriff von der Seele gemacht, welchen die neuern fahren lassen, und dennoch das systema influxus physici behauptet.  
  Sie lassen es auch in der Sache selbst auf des Aristoteles Ansehen nicht ankommen; sondern beruffen sich auf die Erfahrung. Denn man wüsste und empfinde bey sich selbst, daß, wenn man wolte, so könte man reden, gehen, greiffen, die Rede selbst, die Bewegung der Hände, Füsse, der andern Gliedmassen nach seinem Belieben einrichten, und dabey allerhand Veränderungen vornehmen; und daß die äusserliche Dinge, welche in unsere Sinnen fielen, so viele Empfindungen, folglich auch Ideen veranlaßten, so nicht weniger bekannt. Doch setzen sie dabey voraus, daß sich der Leib in einem ordentlichen und gesunden Zustand befinden müsse, mithin fiel der Einwurf weg, wenn man sagte, ein Lahmer, oder einer, der vom Schlag gerühret worden, wollte gern gehen, oder sonst ein Glied bewegen, daß also der Wille der Seele vorhanden, er könnte es aber nicht thun, mithin da die Bewegung unterbliebe, so geschähe kein Einfluß der Seele in den Leib.  
  Man hält auch diese Hypothesin nicht nur vor gegründet und ausgemacht, sondern auch vor nothwendig, weil man ohne derselbigen in vielen Stücken des Christenthums und der Moral nicht könnte zurecht kommen. Denn hätte die Seele keine Herrschafft über den Leib, so hätte GOtt von einem Christen nicht verlangen können, daß man Fleisch und Blut creutzige; seinen Leib darstelle zu einem Opfer, das da lebendig, heilig, und GOtt wohlgefällig sey; daß man seine Glieder sollte begeben zu Gliedern der Gerechtigkeit. Und wie wollte man einem Menschen die äusserlichen Sünden, die mit dem Leibe begangen würden, als Mord, Diebstahl, Gotteslästerung, u.d.g. zurechnen, und ihn deswegen bestraffen, wenn die Seele mit dem Leibe keine Gemeinschaft haben, noch in denselben einen Einfluß thun; oder über ihn keine Herrschafft führen sollte? Hierauf kommt nun das meiste an, was man für das systema influxus physici vorbringt.  
  Inzwischen aber ist auch vieles dawider eingewendet worden. Ein gemeiner Zweifel ist, daß der Einfluß der Seele in den Cörper ohne einer Extension nicht zu begreiffen sey; gleichwohl aber könnte man der Seele, als einem Geist, keine Ausdehnung beylegen. Denn der Einfluß könte ohne Berührung nicht geschehen, und wenn die Seele den Leib berühren sollte, so müste sie Theile haben, und also was Ausgespanntes, oder Ausgedehntes seyn, und diese Schwierigkeit äusserte sich auch auf Seiten des Leibes, daß man sich nicht einbilden könnte, wie er als ein ausgedehnter Cörper in die Seele würcken sollte.  
  Doch ist dieser Zweifel so erheblich  
  {Sp. 1101|S. 564}  
  nicht, daß man deswegen das Systema selbst solte fahren lassen. Denn er betrifft die Art und Weise, wie man nicht wissen kan; daher aber läst sich noch nicht schlüssen, weil man nicht begreiffen kan, wie es zugehet, daß ein Geist in einen Cörper würcket, folglich würcke er auch nicht in einen Leib. Diejenigen, die solches leugnen wolten, müsten das Wesen eines Geistes vollkommen verstehen, und aus demselbigen einen Grund angeben, daß der Geist in den Cörper nicht würcken könne, welches sich nicht thun lässet, weil man, das Wesen eines Geistes zu ergründen, nicht im Stande.  
  Wenn ein Cörper in den andern einen Einfluß hat, so geschicht dieses zwar durch eine Berührung, welcher eine Extension mit sich bringet; von solchem Einfluß aber lässet sich nicht auf den Einfluß eines Geistes in einen Cörper schlüssen, daß man dencken wolte, wie jener geschiehet, müste auch dieser geschehen. Diejenigen, welche gleichwohl solchen Einfluß der Seele behaupten, gründen sich auf die Proben, daß Geister in Cörper gewürckt, und wie sie daraus die Sache selbst erkennen; also benimmt dieser Erkenntniß nichts, wenn sie gleich nicht begreiffen, auf was Art und Weise dieses geschehen möge.  
  Besondere Einwürffe haben diejenigen gemacht, welche dieses Systema fahren lassen und die Sache aus einem andern Grund zu erklären gesuchet.  
  Die Cartesianer setzen ihre Regel von der Bewegung entgegen, daß nehmlich in der Welt einerley Qvantität der Bewegung müsse erhalten werden, und schlüssen daraus, daß nach dem Systemate influxus physici diese Quantität der Bewegung bald vermehret, bald verringert werde. Denn wenn die Seele nach ihrem Willen in den Cörper eine Bewegung hervor bringe, die vorher in dem Cörper keinen Grund, oder Ursach gehabt, oder keine Bewegung in demselbigen vorhergegangen, so entstünde dadurch in der Welt eine neue Bewegung, welches die Quantität der Bewegung vermehre; gleichwie sie hingegen verringert werde, wenn durch eine Bewegung des Cörpers die Gedancken erreget würden.  
  Man hat aber diese Cartesianische Regel von der Quantität der Bewegung nicht wollen gelten lassen, wie Leibnitz, Newton und andere, derer Schrifften und Stellen Bülfinger in der commentatione de harmonia praestabilita p. 28. 29. angeführet gewiesen. Indem der jetztgedachte Herr Leibnitz das Systema harmoniae praestabilitae angenommen, so hat er sich bey den gemeinen Systemate, das auf einen influxum physicum ankommt, diese Schwierigkeit eingebildet, daß solches der Ordnung der Natur, und den darinnen fest gestellten Gesetzen zuwider wäre. Denn nach den Gesetzen der Bewegung, worauf die Ordnung der Natur ankommen sollte, werde allezeit einerley Bewegungs-Krafft in der Welt erhalten, wie aus derTheodicée §. 344. u.f. zu ersehen.  
  Dieses ist auch die Haupt-Ursach, warum Herr Wolff in der Metaphysick das systema influxus physici nicht zugeben will, wiewohl er noch ein und andere Umstände dawider eingewendet. Denn  
 
1) sagt er §. 761. daß die Seele in den Leib, und der Leib in die Seele einen Einfluß habe, ließ sich weder be-
 
  {Sp. 1102}  
 
  greifen; noch auf eine verständliche Art erklären:
 
 
2) saget er an eben demselbigen Ort, daß man keine Erfahrung habe, daß der Leib in die Seele, und die Seele wiederum in den Leib einen Einfluß habe, und meynet, daß solches wider die Erfahrung sey; daher man nichts anders sagen könte, als daß der natürliche Einfluß der Seele in den Leib und des Leibes in die Seele ohne allen Grund nur vor die lange Weile angenommen werde. Dieses hat er schon vorher, ehe er solchen Ausspruch gethan, beweisen wollen, wenn er §. 529 saget:
 
 
  Man muß sich aber wohl in Acht nehmen, daß man diese Erfahrung der Wahrheit zum Nachtheil nicht weiter bedeutet, als sichs gebühret. Wir nehmen weiter nichts wahr, als daß zwey Dinge zugleich sind, nehmlich eine Veränderung, die in den Gliedmassen der Sinnen vorgehet, und eine Gedancke, dadurch sich die Seele der äusserlichen Dinge bewust ist, welche die Veränderung verursachen. Keinesweges aber erfahren wir eine Würckung des Leibes in die Seele. Denn wenn dieses seyn solte, müsten wir von ihr einen, ob zwar nicht deutlichen, doch wenigstens klaren Begriff haben. Wer aber auf sich selbst genau acht hat, der wird finden, daß er von einer dergleichen Würckung nicht den allergeringsten Begriff hat. Und demnach können wir nicht sagen, es sey die Würckung des Leibes in die Seele in der Erfahrung gegründet. Wer genau reden will, kan nicht mehr der Erfahrung zuschreiben, als daß zwey Dinge zugleich sind. Daraus aber lässet sich nicht einmahl schlüssen, daß eines des andern Ursache sey, oder eines aus dem andern komme.
 
 
  Im 778 §. suchet er gegenseitige Proben dieser Erfahrung entgegen zu setzen in dem wir öfters fänden, daß nicht allein ohne; sondern gar wider den Willen der Seele hin und wieder Bewegungen in unserem Leibe erfolgten, wenn wir etwas sähen oder höreten, z.E.
 
 
  es ist einer gewohnet, für dem Schiessen zu erschrecken, er steht hinter dem Stücke, und bedenckt, daß die Kugel, die vornen heraus gehet, ihn nicht treffen kan. Er begreiffet, daß, wenn auch leicht durch einen unvermutheten Unglücks-Fall das Stücke zerspringen solte, er doch soweit davon weg sey, daß es ihm keinen Schaden thun kan. Er lacht sich selber aus, daß er sich vor dem Schüsse gefürchtet, und nimmt ihm vor, jetzund dergleichen nicht zu thun. Allein, kaum höret er den Schoß, so fähret er auf, hebet die Hände in die Höhe, und setzet die Füsse zurücke. Hier ist klar, daß, ohne Zuthun der Seele (welches auch diejenigen erkennen müssen, die einen natürlichen Einfluß behaupten) die Bewegungen in dem Leibe erfolgen, und durch den Schuß erreget werden.
 
 
  Doch aus diesen beyden ersten Gründen will er selber nicht viel machen, indem er §. 762 schreibet:
 
 
  Weil die Würckung der Seele in den Leib, und des Leibes in die Seele sich weder verständlich erklären, noch durch die Erfahrung erweisen lässet; so hat man zwar Grund genug, sie nicht zuzugeben, massen man so lange eine Sache ausgesetzt läst, bis sie erwiesen worden; allein man hat nicht gnugsamen Grund, sie zu verwerffen. Denn es kan deswegen doch wohl etwas seyn, ob wir gleich nicht begreiffen, wie es seyn kan, noch durch
 
  {Sp. 1103|S. 565}  
 
  die Erfahrung erlernen, das es sey.
 
 
3) Sein Haupt-Argument ist aus der Leibnitzischen Philosophie genommen. Die Regeln der Bewegung wolten haben, daß immer einerley bewegende Krafft in der Welt erhalten werde. Die Würckung aber der Seele in den Leib, und des Leibes in die Seele erfordere, daß nicht immer einerley Krafft in der Natur erhalten; sondern sie vielmehr der Seele zu Gefallen bald vermehret, bald vermindert werde. Weil demnach die Würckung des Leibes und der Seele in einander der Natur zuwider sey, so habe man genugsamen Grund, sie zu verwerffen. Seine eigene Worte lauten §. 761. also:
 
 
  Ich habe oben erinnert, daß vermöge der Regeln der Bewegung, darinnen die Ordnung der Natur gegründet ist, immer eine bewegende Krafft in der Welt erhalten werde. Wenn der Leib in die Seele, und die Seele in den Leib würcket, so kan nicht einerley bewegende Krafft in der Welt erhalten werden. Denn wenn die Seele in den Leib würcket, so wird eine Bewegung hervor gebracht, ohne einer vorhergehenden Bewegung, massen man setzet, daß die Seele die Bewegung im Leibe bloß durch ihren Willen hervor bringt. Da nun diese Bewegung ihre abgemessene Krafft bey sich hat; so entsteht eine neue Krafft, die vorher nicht in der Welt war. Und also wird wider das Gesetz der Natur die Krafft in der Natur vermehret. Gleicher Gestalt, wenn der Leib in die Seele würcket, so bringet eine Bewegung einen Gedancken hervor. Da nun nach diesem die Bewegung aufhöret, ohne daß daraus eine neue Bewegung in einem andern Theile der Materie entstünde; so höret eine Krafft auf, die vorher in der Welt war. Und also wird wider das Gesetz der Natur die Krafft in der Welt vermindert.
 
 
  Hieraus ist klar, daß die Regel der Bewegung, nach welcher die Veränderungen in der Natur geschehen haben wollen, es solle immer einerley Krafft in der Natur erhalten werden: hingegen die Würckung der Seele in den Leib und des Leibes in die Seele erfordert, daß nicht immer einerley Krafft in der Natur erhalten, sondern sie vielmehr der Seele zu Gefallen, bald vermehrt bald vermindert wird. Weil demnach die Würckung des Leibes und der Seele in einander der Natur zuwider ist, so hat man genugsamen Grund sie zu verwerffen.
 
  Bey den bisherigen Streitigkeiten hat man ihm auf solche Einwürffe geantwortet. Denn was den ersten anlanget, es liesse sich der Einfluß der Seele in den Leib, und des Leibes in die Seele weder begreiffen, noch auf eine verständliche Art erklären, so haben andere eingewendet, daß dieses Bedencken nichts auf sich habe. Denn es wäre wohl niemand unter denen, welche dieses Systema annehmen, der die Art und Weise solchen Einflusses begreiffen und verständlich erklären wolte. Es sagten ja alle, welche es damit hielten, es ließ sich nicht begreiffen, noch erklären wie es zugehe, wenn dieser Einfluß geschähe.  
  Wider den andern Einwurff, da er die Erfahrung, welche das Systema influxus physici befestigen soll, umstossen will, sprechen die Gegner, daß es auch damit nichts zu bedeuten habe. Er bestehet aus zwey Stücken: das eine  
  {Sp. 1104}  
  ist, es hätten die Vertheidiger dieses Systematis keine Erfahrung vor sich, indem er sagt §. 761. Man kan durch die Erfahrung nicht erweisen, daß der Leib in die Seele, und die Seele wiederum in den Leib würcket; worauf in dem Beweis, daß das Buddeische Bedencken noch fest stehe, p. 197. geantwortet worden, wenn man sich bey dem Systemate influxus physici auf die Erfahrung beruffe, so gehe solche nicht auf eine sinnliche Empfindung des Einflusses selber, als fühleten wir, wie derselbige geschehe; sondern man leitet aus der Erfahrung weiter nichts, als daß die Bewegungen des Leibes auf vorhergegangene Bewegungen in der Seele, und die Empfindungen der Seele auf vorhergegangene Bewegungen der Gliedmassen erfolgten, worauf man durch ein Systema die Ursache davon zu erklären suche.  
  Der Herr D. Lange behauptet auch diese Erfahrung in der Entdeckung der falschen und schädlichen Philosophie in dem Wolffianischen Systemate metaphysico, wenn er p. 152 sagt, es sey nichts gewissers, als daß wir erfahren, daß nicht allein gewisse Bewegungen im Leibe erfolgten, wenn die Seele solche verlanget; sondern auch, daß sie von dem Verlangen dependirten, und daß ihre Art und Weise und mancherley Veränderung von dem regimine der Seele herrühreten; erinnert auch dabey, wenn solches Herr Wolff leugne, so könne man weiter mit ihm nicht disputiren, indem er sogar die Empfindung aufhebe. Herr Wolff leugnet auch, daß die beyderseitigen Bewegungen auf einander folgten, und saget, sie geschehen zugleich in einem Augenblicke. Daß er solches saget, geschicht aus der angenommenen Hypothesi, daß der Leib sowohl, als die Seele ihr Geschäfft vor sich thue, und ein jedes von dem andern independent sey.  
  Der andere Umstand bey diesem Einwurff, der die Erfahrung betrifft, ist, daß er Proben einer gegenseitigen Erfahrung aufführet, indem man wüste, daß nicht allein ohne, sondern gar wider den Willen der Seele hin und wieder Bewegungen in unserm Leibe erfolgten. Der Herr D. Lange erinnert in seiner Entdeckung p. 158. dawider, daß man hier unrichtig schlösse, und zwar a particulari ad universale, daß, weil die Seele bey einem Schluß die Bewegung des Leibes nicht zuwege brächte, so brächte sie auch keine andere Bewegungen zuwege. In der Sache selbst vermische er die motus violentos, und also involuntarios mit den voluntariis. Denn es sey ja was anders, eine Bewegung, die man nicht verhindern kan, leyden; ein anders, eine Bewegung wollen und hervorbringen. Und ob er gleich das Hervorbringen wider alle Erfahrung leugne, so könne er doch das Wollen nicht leugnen und also müste er doch den Unterscheid unter den motibus voluntariis und violentis zulassen.  
  Wider den dritten Einwurff, daß das Systema influxus physici der Ordnung der Natur zuwider sey, weil immer einerley bewegende Krafft erhalten werde, ist auch verschiedenes erinnert worden. In dem Beweis, daß das Buddeische Bedencken noch fest stehe, p. 199. wird gewiesen, daß dieser Einwurff soviel heissen soll: das Systema influxus physici sey dem Mechanismo nicht  
  {Sp. 1105|S. 566}  
  gemäß; die Welt könne keine Machine bleiben, und daher könne es keinen Platz finden, nemlich nach der mechanischen Philosophie. Denn eben, weil er die Welt zu einer Machine gemacht, und nach deren Structur die Kräfte wolle abgemessen haben, so nehme er daher einen Beweis wider das Systema influxus physici, und gründe ihn auf ein Suppositum, daß noch auszumachen: ob die Welt, dazu auch die Seele gehöret, eine Machine sey? Es heist weiter: Wenn auch in einer Machine die Krafft zu einer Zeit vermehret; zur andern verringert wird, zu einer Zeit würcket; zur andern ruht, so kan sie doch ihre gleiche Bewegung erhalten. Man lese auch, was der Herr D. Lange in seiner Entdeckung p. 155. und der Herr Professor Wucherer in der ersten Dissertation de harmonia praestabilita stabilimento orbata §. 9. seqq. erinnert.
System der Gelegenheits-Ursachen Das andere ist das SYSTEMA CAUSSARUM OCCASIONALIUM, oder das Systema der Gelegenheits-Ursachen, daß GOtt die eigentliche und unmittelbare Ursach der Bewegungen sey, dem die Kräffte der Seele und des Cörpers nur Gelegenheit dazu gäben. Man hält dafür daß weder der Leib durch seine Bewegungen die Empfindungen in der Seele; noch die Seele durch ihren Willen Bewegungen in dem Leibe hervor bringen könte; sondern es thäte dieses GOtt, daß er auf Veranlassung der Bewegungen in dem Cörper Gedancken in der Seele, und wieder auf Veranlassung des Willens in der Seele Bewegungen in dem Leibe hervor bringe. Denn er habe einmal das Gesetz gemacht, daß, wenn äusserliche Cörper in die Sinne fielen, und die subtile Materie in den Nerven bewegt würde, so solte in der Seele eine Empfindung entstehen. Würde aber die Seele verlangen, daß gewisse Gliedmassen des Leibes sich bewegen solten, so solte auch diese Bewegung erfolgen. Wenn sich nun diese Fälle ereigneten, so sey solcher Wille Gottes  so kräftig, daß in der Seele sowol als im Leibe die Bewegungen erfolgen müsten.  
  Auf solche Weise würcket GOtt alles in der Seele und in dem Leibe, und sie geben nur Anlaß oder Gelegenheit darzu, woraus zugleich zu verstehen, warum dieses Systema genennet worden Systema caussarum occasionalium, welches man auch SYSTEMA ADSISTENTIAE heisset.  
Urheber Vor den Urheber desselbigen wird insgemein Cartesius gehalten, welcher zwar das Systema selbst nicht in seiner Gestalt vorgetragen; soviel aber ist gewiß, daß er das Systema influxus physici verworffen, und zu diesem Anlaß gegeben. Denn er satzte das Wesen der Seele in dem Dencken, und leugnete daher, daß sie in den Cörper würckte. Er nahm als eine Regel an, daß in der Welt einerley Quantität der Bewegung erhalten werde, und schloß daraus wider das Systema influxus physici, daß dadurch eine Unordnung in der Natur entstünde, indem solche Quantität bald vermehret, bald verringert werde. Weil nun keine Ursach der Bewegung vorhanden, so war nichts mehr übrig, als daß man GOtt als die Ursach angeben müste.  
  Seine Anhänger haben die Sache weiter untersuchen und in eine Ordnung bringen wollen; sind auch zum Theil in einigen Stücken weiter gegangen. Den Cartesius überließ der Seele die Direction der Bewegung, und sprach  
  {Sp. 1106}  
  ihr nur die bewegende Kraft ab, wiewohl Leibnitz in der Theodiceé §. 60. angemercket, daß ihr solche Direction nicht zukommen könte, wenn sie keine Bewegungs-Kraft haben sollte. Er machte part. 2. princip. §. 36. GOtt zur allgemeinen Ursach der Bewegung, welcher gleich im Anfang eine gewisse quantitatem motus zugleich mit der Materie erschaffen, die er beständig erhalte, das, wie er die caussa primaria sey: also wären die von ihm verordneten Gesetze der Bewegung die caussa secundaria.  
  Hierinnen sind einige seiner Anhänger von ihm abgegangen, daß sie GOtt zur eintzigen Ursach aller Bewegung gemacht und behauptet, daß die Kräfte der Seele und des Cörpers nur Gelegenheit zu den Bewegungen gäben, woraus das Systema caussarum occasionalium entstanden. Doch sind einige, die ächte Schüler des Cartesius seyn wollen, damit nicht zufrieden, und geben für, man thäte dem Cartesius Unrecht, wenn man ihn als den Urheber davon angäbe; man wird aber der Sache nicht zu viel thun, wenn man sagt, daß er, wenn er gleich das Systema nicht selbst abgefasset, doch Anlaß dazu gegeben, wie schon vorher erinnert worden.  
Vertreter Unter diejenigen, die solches angenommen, und verteidiget, gehören Ludewig de la Forge, von welchem Jacob Gusset in caussarum primae et secundarum reali operatione p. 6. u.f. weiset, daß er zuerst auf diese Gedancken gekommen sey, welcher auch der Seele das Vermögen, Gedancken hervor zu bringen, abgesprochen hat.  
  Ihm folgte Malebranche, so der vornehmste gewesen, der sich dieser Sache mit allem Eifer angenommen. Er behauptet ausdrücklich, es sey keine eintzige Ursach, welche eine wahre Ursach sey, ausser einer eintzigen, die GOtt sey, welchen Satz er zum Grunde leget, und soweit gehet, daß er diejenigen, die anderer Gedancken sind, gewisser Irrthümer beschuldiget. Hiervon zeugen sein Tractat de inquirenda veritate tom. 2. p. 336. und die eclaircissemens tom. 3. p. 178. dessen Meynung auch Gusset in dem angeführten Orte pag. 45 berühret.  
  Eben dieser Autor, welcher nicht zugeben will, daß Cartesius Urheber dieses Systematis sey, setzet auch hinzu den Peter Sylvan Regis, der zwar in einigen Umständen von dem Malebranche abgehe; in der Haupt-Sache aber doch mit ihm einstimmig sey. Und ob er wohl die Benennung caussa occasionalis verwerfe, und dafür caussa sine qua non brauche, so käme doch die Sache auf eines hinaus.  
  Von den Cartesianischen Theologen hat Christoph Wittich in theol. pacific. cap. 16. §. 237. nicht undeutlich zu verstehen gegeben, daß ihm dieses Systema wohl anstehe.  
  Es wird hier vor andern des Ruard Andala, eines berühmten Cartesianers, zu gedencken seyn. Dieser gab zu Franecker 1724. eine Dissertation de unione mentis et corporis physica, neutiquam metaphysica, heraus, welche bald darauf in Halle nachgedruckt worden. Die Gelegenheit war diese: Es hatte Herr Wolff, als seine Streitigkeiten angiengen, sich ins besondere auf den Andala beruffen, daß er die vornehmsten Hypotheses seines Systematis vertheidige, welches er sehr übel aufnahm, und in gegenwärtiger Dissertation nicht nur bezeuget, wie er dem Systemati influxus physici zugethan sey; sondern auch  
  {Sp. 1107|S. 567}  
  das Leibnitzische, als schädlich und gefährlich verworfen. Indem er nun ein Cartesianer und das Systema influxus physici vertheidigen will, so giebt er vor, daß Cartesius eben diese Meynung gehabt, aus dessen Schriften er verschiedene Stellen angeführet, und daraus beweisen wollen, daß er so wohl den Einfluß des Leibes in die Seele; als der Seele in den Leib geglaubet, welches er auch von seinen wahren Schülern und Anhängern, als von dem Clauberg, de la Forge, Wittichen, behauptet. Es wäre also das Systema caussarum occasionalium keinesweges den wahren Cartesianern beyzulegen, sondern die es angenommen und vertheidiget hätten, wären keine rechte Schüler des Cartesius, wie Malebranche, Geuling, Volder und andere, die in der That viel mehr dem Spinoza gefolget.  
  Soviel siehet man, daß Andala das Systema influxus physici im Ernst mit grossem Eifer vertheidiget, und sind auch andere Cartesianer mit dem Systemate caussarum occasionalium, wie es zumahl Malebranche erkläret, nicht zufrieden. Das aber Cartesius diesem Systemati zuwider gewesen, und das Systema influxus physici gebilliget, kan mit Grund der Wahrheit nicht erwiesen werden. Denn wie die Stellen, darauf sich Andala berufet, solches noch nicht sagen; also stehen vielmehr die Principien, die wir oben von ihm angeführet haben, demselbigen gantz entgegen.  
  Unter die übrigen Vertheidiger des Systematis caussarum occasionalium gehören noch Bayle und Sturm, welche zwar in einigen Umständen von dem Malebranche abgehen. Denn Bayle will einem Geist überhaupt die Ursach der Bewegung zuschreiben, und meynet, daß die mechanischen Gesetze nicht hinlänglich wären, die Phänomena in der Natur zu erklären, wenn nicht ein wirckendes Principium hinzu käme, welches eigentlich wider die Lehre des Cartesius von der Bewegung, darinnen man die Gesetze der Bewegung als die caussam secundariam ansiehet, wie man hin und wieder aus seinem Dictionario sehen kan. Sonst gestehet er in der  resp. ad quaestion. homin. ex provinc. tom. 3. selbst, man sehe nicht, wie man dabey mit der Freyheit des menschlichen Willens auskommen wolte, und gleichwol ist er so geneigt vor dasselbige, worüber sich aber niemand verwundern wird, wer da weiß, daß Bayle von dieser Freyheit nicht viel gehalten.  
  Was den Sturm anlangt, so hat er behauptet, daß GOtt nicht nur die allgemeine; sondern auch die eintzige und völlige Ursache aller Bewegungen sey; darinnen aber war er mit Malebranche und andern seines gleichen nicht einstimmig, daß er der Seele eine würckende Krafft beylegte, wodurch sie selbst die Gedancken und Begierden in sich erregen könte. Die meisten haben dasselbige als irrig und gefährlich verworffen, wiewol Herr Wolff in seiner Metaphysick §. 764. saget, das heut zu Tage die meisten der Meynung des Cartesius beypflichten, welches einige befremdet. Denn, sagen sie, man hätte angemercket, wenn GOtt die eintzige Ursache aller Bewegungen der Seele und des Leibes seyn solte, so würde man dem Menschen nichts zurechnen können, und GOTT würde die Ursache aller Sünde, welches gantz natürlich daraus fliesse. Der Mensch verliere dabey  
  {Sp. 1108}  
  alle Freyheit, und müsse geschehen lassen, was GOtt in ihm für Bewegungen herfür bringe, daß, wenn welche darunter sündlich, so habe der Mensch deswegen keine Schuld auf sich, welche Folgerung schon hinlänglich wäre, daß man Ursach hätte, dieses Systema als was Gottloses zu verwerffen.  
  Der Herr Leibnitz hat andere Einwürffe dawider gemacht. Denn in der Theodicée §. 61. meynet er, es müsten immer Wunderwercke hervor kommen, wenn nach diesem Systemate GOtt die Ursache der Bewegungen wäre, wofern der Leib mit der Seele eine Gemeinschaft haben solte, wie denn auch die natürlichen Gesetze dabey verwirret würden. Dieses berühret auch der Herr Wolff dawider, wenn er in der Metaph. §. 764 saget:  
  Unerachtet heut zu Tage die meisten der Meynung des Cartesius beypflichten; so finden wir doch sehr viel dagegen zu erinnern. Wenn GOtt durch seine unmittelbare Kraft die Bewegungen in den Cörpern und die Gedancken in der Seele hervor bringet, und man den Cörpern und der Seele ihre Kraft benimmet; so bleiben die Würckungen der Cörper und der Seelen von der Würckung GOttes, ja sowohl die Natur der Welt als der Seele von GOtt nicht genug unterschieden; und da dasjenige ein Wunderwerck ist, was nicht in dem Wesen und der Natur der Seele und der Cörper gegründet; so würden immerwährende Wunderwercke dazu nöthig seyn, daß der Leib mit der Seele eine Gemeinschafft hätte.  
  Ja, wenn man die Sache genau untersuchet, so streitet des Cartesius Meynung nicht weniger, als der natürliche Einfluß mit den Gesetzen der Bewegung. Es ist wohl wahr, daß Cartesius annimmt, die subtile flüßige Materie in dem Gehirn sey in steter Bewegung, und werde dannenhero nur von GOtt ihre Richtung der Seele zuliebe geändert. Auf solche Weise wird keine neue Kraft hervor gebracht, und bleibt dannenhero das Gesetz der Natur, welches allezeit einerley Kraft  will erhalten haben, ohne allen Anstoß.  
  Allein es hat mit der Richtung eben die Beschaffenheit, wie mit der Kraft. Wenn man die Regeln der Bewegung genau untersuchet, wird man finden, daß nicht weniger einerley Richtungen als einerley Krafft erhalten wird, ob zwar nicht einerley Materie, gleichwie auch die Kraft nicht beständig einerley in einerley Materie, sondern zusammen in der gantzen Natur erhalten wird;  
  welches noch weiter Bülffinger in der Commentar. de harmonia praestabil. p. 78. ausgeführet hat; dawider aber Wucherer in der ersten Disputation de harmon. praestabil. stabilimento orbata §. 15. u.ff. verschiedenes eingewendet hat. Man lese auch, was Herr D. Buddeus in den institutionib. Theologiae dogmat. lib. 2. cap. 2. §. 48. p. 566. von diesem Systemate der Occasionalisten angemercket hat.
     

vorhergehender Text  Teil 5 Artikelübersicht Teil 7  Fortsetzung

HIS-Data 5028-36-1051-4-06: Zedler: Seele [6] HIS-Data Home
Stand: 19. Mai 2024 © Hans-Walter Pries