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Zedler: Seele [5] HIS-Data
5028-36-1051-4-05
Titel: Seele [5]
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 36 Sp. 1087
Jahr: 1743
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 36 S. 557
Vorheriger Artikel: Seele [4]
Folgender Artikel: Seele [6]
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Übersicht
Ursprung der Seele
  Präexistenz
 
  älteste Zeiten
 
  Juden
  Heiden
  Christen
  neuere Zeit
  Schöpfung
 
  Kirchen-Lehrer
  Mittelalter
  Luther
  nach Luther
  Reformierte
  Fortpflanzung
 
  Überführung
  Vereinigung
  andere
  Literatur
  Beste Wahl: Fortpflanzung
 
  Erb-Sünde
  Grenzen der Erkenntnis
  Herkunft von den Eltern

Stichworte Text Quellenangaben
  Ursprung der Seele:  
  Wenn man bey dieser Materie die Heil. Schrifft zu Hülffe nimmt, so müssen zwey Fragen aus einander gesetzet werden, davon die eine den Ursprung der Seele bey dem ersten Menschen betrifft, den Moses im 1 Buch Cap. II, 7. deutlich beschreibet; die andere aber gehet auf den Ursprung der Seele bey seinen Nachkommen, davon ietzo soll die Rede seyn.  
  Die Meinungen, welche hiervon entstanden, sind unterschiedlich, deren Fortunius Licetus de ortu animae hum. lib. I. zehen; Jacob Thomasius in der Disput. de origine animae hum. eilfe erzehlet, die sich aber füglich in drey Classen bringen lassen.  
  Denn einige haben die Präexistentz der Seelen statuiret, daß alle und jede Seelen von Anfang der Welt vor ihre Leiber zugleich wären erschaffen worden; die nachgehends mit denselbigen vereiniget würden. Andere haben es mit der Schöpffung der Seelen gehalten, daß GOtt allezeit eine Seele von neuen erschaffe, wenn ein Mensch solte gebohren werden. So sind auch einige, welche die Fortpflantzung der Seelen behaupten, daß eine Seele von der andern gezeuget und fortgepflantzet würde.  
  Einige bringen die verschiedenen Meinungen davon in folgende Ordnung, daß die Seelen entweder von GOtt; oder von den Eltern her kämen, und die ihren Ursprung von GOtt leiteten, meynten, daß sie entweder durch eine Ausfliessung aus seinem Wesen, oder durch die Schöpffung entstünden. Elswich recentiores de anima controvers. §. 29. p. 46. u.ff.
Präexistenz Die erste Meinung gehet also auf die Präexistentz der Seelen, das, wie schon gedacht, GOtt vor der Welt alle und jede Seelen zugleich erschaffen, welche, wenn die Menschen sollten gezeuget und gebohren werden, mit den Leibern vereiniget würden. Solche Meinung haben viele gehabt, sonderlich zu den ältern Zeiten, und ob sie wohl in der Haupt-Sache übereinkommen, so sind sie doch in den Neben-Umständen von einander abgegangen.  
älteste Zeiten Von den ältesten Zeiten kommen erstlich die Juden und Cabbalisten vor, von denen es eine ausgemachte Sache ist, daß sie  
  {Sp. 1088}  
Juden die Präexistentz der Seelen geglaubet haben, wie Paul Slevogt in Disputt. academ. p. 500 u.ff. u. Buddeus in introduct. ad histor. philosophiae ebraeorum §. 45. p. 431. gewiesen,
  ja Manasse Ben Israel lib. 1. de creat. problemat. 15. p. 61. saget, es sey dieses die gemeine Meinung aller Hebräer, von denen solche die Heyden bekommen hätten; wobey aber andere noch verschiedenes zu erinnern haben. Man könne nicht sagen, daß alle Ebräer dieser Meinung beypflichten, obschon die meisten derselbigen zugethan gewesen, wie denn auch nicht glaublich, daß die Heyden solche von ihnen bekommen, und man die Sache vielmehr umkehren und sagen müste, daß die Hebräer durch die Heyden dazu verführet worden. Man bemercket auch einigen Unterscheid unter der Präexistentz der Hebräer und der heiligen. Denn die Heyden hätten dafür gehalten, daß die Seelen, ehe sie in den Leib kämen, gesündiget hätten, welches die Juden nicht geglaubet. Von jenen haben sich unter andern die Platonicker eingebildet, daß die Seelen aus dem göttlichen Wesen geflossen; da hingegen die Juden eine Schöpffung zugelassen, wie wohl gewiß ist, daß auch einige Cabbalisten einen Ausfluß aller Dinge aus dem Wesen GOttes statuiret, und was andere Umstände mehr sind, die man berühret.  
Heiden Von den Heydnischen Philosophen haben die Egyptier nach dem Zeugniß des Jamblichs de myster. Aegypt. Sect. 4. cap. 5. und die Chaldäer, wie Stanley in hist. philos. oriental. lib. 1. cap. 10. zeiget, dergleichen gelehret; und wenn man von diesen auf die Griechen kommt, so sind Pythagoras und Plato als zwey Haupt-Personen hierinnen anzusehen, da denn der letzte meynte, es wären die menschlichen Seelen rein und ohne Sünde aus den Seelen der Welt, die er aber auch vor eine göttliche Hypostasin hielt, geflossen; wie sie sich aber versündiget, so wären sie wieder auf Erden gekommen, und zur Straffe in den Leib gestecket worden, auf welche Meinung ein grosser Theil seiner Philosophie beruhte.  
  Dieses war die Ursach, warum er den Leib ein Gefängniß, ein Grab, darinnen die Seele gleichsam begraben wäre, genennet, und den Philosophischen Tod recommendiret, welcher darinnen bestehen sollte, wenn das Gemüth sich je mehr und mehr von dem Leibe und allen cörperlichen Dingen losreisset, und gantz ausser sich gesetzet, GOtt betrachtet.  
Christen In der Christlichen Kirche hat diese Meinung auch ihre Vertheidiger gefunden, wiewohl man nicht in allen Umständen mit einander übereinstimmte. Denn Priscillian mit seinen Anhängern behauptete nicht nur die Präexistentz der Seelen; sondern meynte auch, daß sie aus dem göttlichen Wesen geflossen wäre, wie Augustin de haeresibus c. 70. bezeuget.
  Es gehört auch dahin Origines, ob man wohl nicht einig ist, wie weit sich seine Meinung erstrecket habe. So viel ist gewiß, daß er der Meinung von der Präexistentz der Seele beygepflichtet, wie nicht nur aus dem Hieronymus, Augustin, Epiphanius; sondern auch aus seinen Stellen, die Huetius in den Originian. l. 2. c. 2. quaest. 6. §. 4. p. 92. 93. angeführet, zu ersehen ist. So kam er auch darinnen mit den Platonickern überein, daß die Seelen vorher gesündiget hätten, ehe sie in  
  {Sp. 1089|S. 558}  
  die Leiber gekommen, mit welchen sie eben deswegen wären vereiniget worden, daß sie dadurch ihre Strafen ausstünden. Ob er aber auch mit den Platonickern geglaubet, daß die Seelen Theile des göttlichen Wesens wären, solches halten zwar einige dafür, denen hingegen andere widersprechen, wie aus dem Huetius in dem angeführten Ort §. 3. p. 91. 92. erhellet.
neuere Zeit Zu den neuern Zeiten hat sich durch die Cabbalistische und Platonische Philosophie Heinrich Morus bewegen lassen, die Präexistentz der Seelen in den operibus philosophicis tom. 2. p. 365 zu vertheidigen, welchem Christoph Sand sowohl in seiner Dissertation de logō, die seinen interpretationibus paradoxis evangelior. beygefüget, als auch in einem besondern Werck de origine animae, so zu Cosmopel, oder vielmehr zu Amsterdam 1671 herausgekommen, gefolget; wie denn auch ein ungenannter Autor 1672 eine Schrifft unter dem Titel: Dissertatio singularis de existentia animarum antequam in adspectabili hujus vitae theatro compareant, jam pridem e tenebris eruta et doctorum virorum judicio exposita, edirte, welche beyde letztern widerleget worden von dem Jacob Thomasius in der Oratione adversus adserentes praeexistentiam animarum, die sich unter seinen herausgegebenen Oratt. n. 26. p. 484. befindet, und von Balthasar Bebeln in exercit. theolog. adversus praeexistentiam animar. errorem Christophori Sandii et anonymi cujusdam novorum Origenistarum, Straßburg 1675.  
  Es scheinet auch Edmund Dickinson in seiner physica veteri et vera cap. 11. §. 17. von dieser Meynung nicht abgeneigt zu seyn. Mehrere Scribenten, welche zu dieser Materie von der Präexistentz der Seelen gehören, führt Fabricius in dem delectu argumentor. et syllabo scriptor. qui veritatem religionis christ. asseruerunt, cap. 18. p. 445. an.
  Die Meynung selbst kan nicht wohl aus der Vernunfft widerleget werden; man wolte denn den Umstand dawider einführen, daß, wenn die Seelen alle schon in der Welt gewesen, so würde doch zuweilen, nachdem sie mit den Leibern vereiniget worden, einer Änderung ihres vorigen Zustandes, darinnen sie vor der Vereinigung mit den Cörpern gewesen, entstehen, zumahl wir wissen, daß die von den Leibern abgesonderte Seelen sich dessen erinnern, was in dem Leben vorgegangen ist, welches aber nicht geschiehet.  
  Aus der Schrifft kan man mehr Umstände entgegen setzen. Denn der Ursprung der Seelen bey dem ersten Menschen, wie ihn Moses im 1 Buch Cap. II, 7. beschreibet, stimmt mit dieser Meynung gar nicht zusammen, indem wir daraus sehen, daß GOtt erst, nachdem er den Leib Adams aus einem Erden-Kloß gebildet, ihm den lebendigen Odem eingeblasen, folglich kan die Seele nicht vorher schon seyn erschaffen gewesen.  
  Man lieset auch von Esau und Jacob, daß sie vor ihrer Geburt weder Gutes noch Böses gethan hätten, und daher müsten ihre Seelen nicht vor der Geburt ihrer Existenz gehabt haben; und in der Lehre von der Erb-Sünde kan man damit nicht auskommen. Denn es sagt ja die Schrifft, daß selbige von den Eltern auf die Kinder fortgepflantzet werde, Ps. LI, 7. Joh. III, 6.
  {Sp. 1090}  
  welches nicht wäre, wenn die Seelen zusammen geschaffen worden, und vor der Vereinigung mit den Cörpern gesündiget hätten, wohin auch gehört, wenn Paulus Röm. V, 12. sagt: Wie durch einen Menschen die Sünde gekommen sey in die Welt, welches mit der Präexistentz der Seelen nicht zusammen zu reimen, wenn selbige vorher, ehe sie in die Leiber gekommen, gesündiget hätten.  
  Dergleichen Theologische Argumente werden noch mehr von denen angeführet, welche diese Lehren in ihren Schrifften widerlegt haben, als
  • Schomer in collegio controvers. novissimar. cap. 5. §. 7.
  • Grap in theolog. recens controvers. part. 2. cap. 4. quaest. 3. p. 122 u.ff.
  Daß die Heyden auf solche Gedancken verfallen, darüber hat man sich nicht so sehr zu verwundern; als daß Christen, welche die heil. Schrifft vor sich haben, wo sie mit der Vernunfft nicht können zurecht kommen, sich dergleichen Dinge können belieben lassen.  
Schöpfung Die andere Meynung vertheidiget die Schöpfung der Seelen, so, daß GOtt allezeit eine Seele von neuen schaffe, wenn ein Mensch solte gebohren werden. Sie ist zu allen Zeiten von vielen vertheidigt worden.  
Kirchen-Lehrer Bellarminus de amiss. grat. lib. 4. p. 389. führt einen grossen Catalogum von den Kirchen-Lehrern an, welche dafür gehalten, daß die Seelen von GOtt erschaffen, oder aus nichts herfür gebracht; aber nicht von den Seelen der Eltern fortgepflantzet würden. Jacob Thomasius in der Disput. de origine animae Sect. 3. §. 25. erinnert, daß, wenn man die Stellen derer, darauf er sich berufte, genau ansähe, und die wichtigen Scribenten von den geringeren unterscheidete, die grosse Anzahl davon wegfallen, und von den Lateinischen nur Hilarius und Hieronymus; und von den Griechischen Cyrillus Alexandrinus und Theodoretus übrig bleiben würden.  
  Die Pelagianer haben sie sehr heftig vertheidiget, und wie dieses Augustin sahe, ließ er davon ab, ob er sie gleich sonst vor wahrscheinlich gehalten; daher er einst an den Hieronymus schrieb: unde de animarum novarum creatione sententia, si hanc fidem fundatissimam (womit er auf die Lehre von der Erb-Sünde zielet) non oppugnat, sit et mea; si oppugnat, non sit et tua, epist. 28.
Mittelalter In den mittlern Zeiten ist fast der gantze Haufe der Scholasticker dabey geblieben, welches seine verschiedene Ursachen hatte. Denn man vermeynte dabey ein gutes Mittel zu finden, wie man den Aristoteles erklären könnte, wenn er von dem Gemüth oder von dem intellectu agente sage, daß derselbige von aussen in den Menschen käme, welches ihrer Meynung nach gar wohl auf die Schöpfung könnte applicirt werden. Es waren auch die Scholasticker Pelagianisch gesinnet, und weil sie sahen, daß die Lehre von der Schöpffung der Seelen dem Pelagianismo wohl zu statten kam, indem man dabey Gelegenheit hat, die Erb-Sünde zu schwächen, und gering zu machen, so trugen sie desto weniger Bedencken, derselben beyzupflichten. Und deswegen ists kein Wunder, wenn noch heut zu Tage die Papisten so eifrig darauf bestehen.  
Luther Zu den Zeiten Luthers hielten viele vor rathsam, in der Sache nichts zu entscheiden, wie es Luther selbst that, dem andere folg-  
  {Sp. 1091|S. 559}  
  ten.  
nach Luther Nach der Zeit liessen sich zwar viele die Meynung von der Fortpflantzung der Seelen gefallen; nichts destoweniger kam auch die andere von der Schöpffung wieder herfür, und fand bey verschiedenen Beyfall. Denn auf der Universität Jena haben für dieselbe gestritten Daniel Stahl in Orat. de ortu mentis hum. in naturali hominis generatione, so part. 2. disput. publicar. de regulis philosoph. zu finden; absonderlich Johann Zeisold, welcher deswegen mit Sperlingen einen weitläufftigen Streit gehabt, und viele Schrifften gewechselt, in denen er seine Meynung von der Schöpffung der Seelen mit aller Gewalt zu vertheidigen, und die andere von der Fortpflantzung per traducem umzustossen gesucht, davon nur einige anzuführen, genug ist, als  
 
  • die Dissertation de animae rational. propagatione et product.
  • eine Schrifft unter dem Titel: Tradux non tradux,
  • ingleichen Diatrib. historico-elenctic. de sententiae creationem animae rationalis statuentis antiquitate et veritate, nec non de Sententiae propagationem animae rational. per traducem statuentis novitate et absurditate. Jena 1662.
  • Diatrib. bipartit. in qua ostenditur, Sententiam de creatione animae rat. neque cum Sacr. Scripturis, neque cum Libris Symbol. pugnare. Jena 1662, in welchem Jahre er auch herausgegeben:
  • Processum disputandi Sperlingianum,
 
  und noch viel andere dahin gehörige Schrifften verfertiget, welche Zeumer in vitis Professor. Jenens. class. 4. p. 92. angeführet hat.  
 
  • Zu Helmstädt erklärten sich für diese Meynung George Calixtus in einer besondern Oration de animae creatione, und Conrad Hornejus Disput. 5. Sect. 2. thes. 58.
  • zu Wittenberg Philipp Melanchthon, wiewohl er hierinnen wanckte;
  • zu Königsberg Christian Dreier und Zeidler nebst mehrern, welche die Aristotelische Philosophie wieder hervor suchten. Denn diesen gefiel diese Hypothesis deswegen, weil sie meynten, dadurch die Lehre des Aristoteles von dem intellectu agente, daß er von aussen komme, vernünfftig zu machen, und sie auf die Schöpffung zu deuten.
 
  Was den gedachten Zeidler anlangt, so hat er 1671 zu Königsberg eine Dissertation de origine animae rational. in generatione hominis gehalten, dawider zu Wittenberg 1676 eine andere von Frenzeln herausgekommen.  
Reformierte Die Reformirten halten es auch sehr mit dieser Meynung. Doch ist hierinnen zwischen den alten und neuen ein Unterscheid zu machen. Jene sagen, daß GOtt die Seelen ausser dem Cörper erschaffe, welche er nachgehends in den Leib einschliessen liesse; diese aber meynen, daß sie GOtt unmittelbar in den Leib würcke, indem man keine Ursach sehe, warum die Seelen, da sie doch an einem Ort müsten erschaffen werden, nicht an demjenigen Ort, da sie sich nachgehends aufhalten sollten, ihr Wesen bekommen möchten. Diese Meynung ist in der That sehr gefährlich, woraus insonderheit die bedencklichsten Folgerungen fliessen, die man nicht wohl ablehnen kan.  
  Denn erstlich lieset man 1 Mos. II, 2. GOtt habe am siebenten Tage von allen seinen Wercken, die er gemacht, geruhet, daß also nach Verfliessung der sechs Tagen das Werck der Schöpffung vollendet war, und alle Creatu-  
  {Sp. 1092}  
  ren, unter denen auch der Mensch, sofern er aus Leib und Seele bestehet, sich befand, ihr Wesen bekommen, und ihre Würcklichkeit erlangt hatten. Hierauf gieng die Fortpflantzung der natürlichen Dinge nach ihren Arten an, mit der sich die göttliche Erhaltung verknüpffte, daß auf solche Weise nunmehro GOtt nichts mehr ohne die Natur, es sey denn ein Wunderwerck, noch die Natur ohne GOtt würcket. Dieses ist der Hypothesi von der Schöpffung der Seelen gantz zuwider. Denn nach derselbigen muß GOtt täglich ja stündlich noch etwas neues schaffen.  
  Doch die gröste Schwierigkeit bestehet darinnen, daß man dabey mit der Erb-Sünde nicht auskommen kan, indem entweder keine Erb-Sünde; oder GOtt Urheber der Sünde seyn muß. Denn er muß sie entweder rein, oder unrein erschaffen. Rein muß er sie erschaffen vermöge seiner Heiligkeit, und also ist keine Erb-Sünde, welches wider die Schrifft, tägliche Erfahrung, und eigene Empfindung ist. Wolte man sagen, sie würden wohl von GOtt rein erschaffen; aber sie verlöhren durch die Vereinigung mit dem Cörper ihre Reinigkeit, so würde man nur Anlaß zwey neuen Schwierigkeiten geben. Denn da würde man behaupten, daß das Böse von dem Cörper herkomme, welches nicht zu erweisen; und wenn man auch darauf nicht sehen wolte, so müste dennoch daher fliessen, daß GOtt ungerecht, weil er die Seele, die doch nichts verschuldet habe, in den Cörper, als ein unreines Behältniß und Gefängniß stecke. Solte er sie unrein erschaffen, so wäre er Urheber der Sünde, welches ohne Gotteslästerung nicht kan gedacht, geschweige gesagt werden.  
  Aus diesem kan man die Ursach sehen, warum die Pelagianer, die Scholasticker und Papisten für diese Hypothesin so sehr eingenommen. Denn wie angemercket worden, so kan man dabey die Erb-Sünde gering machen, und die Freyheit eines natürlichen Menschen im Geistlichen erheben, daß also darunter ein Interesse der Irrthümer stecket. Es hat zwar Sturm gemeynet, es könne die Meynung von der Schöpffung der Seelen doch wohl stattfinden, ohne daß die Lehre von der Erb-Sünde dabey Schaden leide. Denn die Erb-Sünde bestünde in einem Mangel der übernatürlichen Gaben, welche GOtt den ersten Menschen über ihr natürliches Wesen verliehen, und die auch ihre Nachkommen haben solten. Nun sey genug, wenn GOtt die Seelen solcher Nachkommen erschaffe, daß er ihnen nur ihr natürliches Wesen mittheile; er sey aber nicht verbunden, ihnen auch die übernatürlichen Gnaden-Gaben anzuerschaffen, und da er ihnen solches versage, so habe er keine Schuld.  
  Allein, das ist nicht hinlänglich, den Stein des Anstosses zu heben. Man setzet ohne Ursach zum Grunde, daß die Erb-Sünde bloß in einem Mangel der übernatürlichen Gaben bestehen soll, indem sie auch ein würckliches Übel unter sich begreifft. Es fehlet einem natürlichen Menschen wegen der Erb-Sünde nicht nur das Licht und die Weisheit; sondern es ist auch eine würckliche Finsterniß und geistliche Narrheit da; es fehlt nicht nur die Heiligkeit und Gerechtigkeit, sondern er hat auch eine würckliche und habituelle Neigung zum Bösen. Solte GOtt keinen Antheil an dem Bösen nehmen, so hätte  
  {Sp. 1093|S. 560}  
  Sturm vielmehr sagen müssen, Gott theile der Seele von Natur Kräffte mit, welche sich gegen das Gute und Böse indifferent verhielten, und daher zum Guten oder Bösen könten angewöhnt werden. Wenn aber dieses wäre, wo bliebe die Erb-Sünde? Man könne nicht sagen, daß der Mensch in Sünden empfangen und gebohren werde, daß ihm mit Recht die Sünde Adams zugerechnet worden; daß er von Natur ein Kind des Zorns und der ewigen Verdammniß sey.  
  In Wahrheit, wenn man behauptet, daß GOtt aller Menschen Seelen, die gebohren werden, erschaffe, so hat man immer unaufhörliche Vorwürffe vor sich. Einige erinnern noch dieses dawider, es werde aus dieser Hypothesi folgen, daß man sich von der menschlichen Zeugung einen gantz andern Concept machen müste, als ihre eigentliche Beschaffenheit erfordere, nach welcher sie eine Mittheilung des Wesens in sich begreiffe. Denn auf solche Weise zeuge ein Mensch nicht den andern Menschen; sondern nur einen Theil, und zwar den Leib, zum völligen Wesen aber eines Menschen werde Leib und Seel erfordert, und hätten also die unvernünftigen Thiere vor den Menschen hierinnen was zum voraus.  
  Es scheinet aber dieser Einwurff so wichtig nicht. Denn nach demselbigen müste die andere Meynung von der Fortpflantzung der Seelen ihre völlige Richtigkeit haben. Man hat auch nicht nöthig, in Widerlegung einer Hypothesis so viele Gründe zusammen zu lesen, womit man zuweilen den Streit weitläuftig machet, und gar leicht auf Abwege darüber geräth. Es ist hier genug, daß dasjenige, was wegen der Erb-Sünde entgegen gesetzt wird, unbeantwortlich ist.  
Fortpflanzung Die dritte Meynung gehet auf die Fortpflantzung, daß die Seelen der Kinder von den Eltern fortgepflantzet würden, welche sich wieder in zwey Classen eintheilen.  
Überführung Denn einige sagen, daß die Seelen der Kinder der Kraft nach in den Eltern lägen, und kämen von ihnen per traducem oder durch eine Überführung her, daher man diejenigen, die solches behaupten, Traducianos zu nennen pfleget. Jacob Thomasius in Disp. de Origine animae Sect. 3. §. 36 u.ff. führt viele Kirchen-Lehrer an, welche dieser Meynung zugethan gewesen, und Hieronymus in epist. ad Marcellin. et Anapsychiam oper. tom. 4. part. 2. p. 642. rechnet dahin den Tertullian, Apollinar, und wie er sagt, maximam partem Occidentalium.  
  Was den Tertullian betrifft, so bezeuget dieses auch Augustin epist. 190. tom. 2. oper. Er selbst aber sagt in seinem Buch de anima cap. 36. wenn er von der Eva redet: Ceterum et ipsam Dei adflatus animasset, si non ut carnis, ita et animae ex Adam tradux fuisset in femina, und meynet also, die Seele des ersten Weibes sey nicht von GOtt erschaffen worden, weil sie aus der Seele Adams durch eine Überführung fortgesetzt sey, woraus zu schlüssen, daß er dergleichen auch von dem Ursprung der Seelen bey den Nachkommen Adams dafür gehalten. Doch hilfft denen, die es auch mit dieser Meynung halten, solches Zeugniß nicht viel. Denn Tertullian legte der Seele sowohl als GOtt selbst einen Cörper bey, welches aber die andern nicht sagen werden.  
  Übrigens konte er auf solche Weise leicht behaupten, daß die Seelen der Kinder von den Seelen der Eltern  
  {Sp. 1094}  
  durch eine Überführung herkämen. Apollinaris hat zwar gemeint, daß die Seele ihren Ursprung von einer Überführung nehme; wie er aber auf Aristotelische Art einen Unterscheid gemacht unter dem Gemüth und der Seele, also hielt er dafür, daß nur die letztere von den Eltern herkäme.  
  Zu den neuern Zeiten, sondern sich nach der Reformation hat diese Hypothesis nicht nur bey den Philosophen und Medicinern, sondern auch Theologen unserer Kirche mehr Beyfall gefunden. Denn ob sich wohl Luther niemahls deutlich heraus lassen wollen, wohin eigentlich seine Meynung gienge, so hat er doch zu verstehen gegeben, daß er von dieser Hypothesi nicht abgeneigt sey, indem er sie für wahrscheinlicher, und nicht für so anstößig, als die mit der Schöpfung gehalten, wie man aus seiner Disputation de Distinctione personarum in divinitate tom. 1. oper. Jenens. pag. 471. siehet.  
  Nach seinem Tode erklärten sich andere dafür öffentlich, so gar, daß man in der Form. Conc. und deren solida declarat. art. 1. ausdrücklich bekennet, es werde die gantze menschliche Natur dem Leibe und der Seele nach auf eine natürliche Art von den Eltern fortgepflantzet; es scheinet aber, daß man sich mit Fleiß des Wortes traducis enthalten.  
  Von den Theologen haben sie auch gebilliget
  • Theodor Thummius, in einer besondern Schrifft de traduce.
  • Johann Darnovius in exercitationib. Isagog. disp. 22. cap. 9. thes. 13.
  • Dorschäus in pendecad. auctar. Diss. 4.
  • Calov in harmon. Calixt. p. 461.
  • Hildebrand Instit. Sacr. Disp. 8. §. 26. 27.
  • Meißner in Philosophia Sobria Part. 1. Sect. 3. cap. 6. quaest. 1.
  • nebst vielen andern.
  Von den Medicinern sind anzuführen Daniel Sennert in epitom. Scient. natural. lib. 1. cap. 3. und in hypomnematib. physic. num. 5.
  Von den Philosophen aber sonderlich
  • Jo. Sperling
    • in Synops. phys. part. general. cap. 3. quaest. 1
    • in defensione Synopseos physicae lib. 1. cap. 3. quaest. 1
    • in Instit. phys. lib. 1. cap. 3. quaest. 1.
    • in exercitationib. physic. lib. 1. exerc. 3. propos. 4.
    • und in andern Schrifften, die er mit Zeisolden über diese Materie gewechselt;
  • ingleichen Jacob Thomasius in der schon angezogenen Disp. de orig. animae Sect. 4.
  • vieler andern nicht zu gedencken.
  Denn unter allen Meynungen hält man diese noch für die beste. Andere haben gemeynet, daß die Seelen der Kinder nicht blos der Kraft nach; sondern würcklich als wahrhaftige entia in den Eltern wären, und wenn die Zeugung geschähe, von denselben fortgepflantzet würden. Sand in seinem Tract. de orig. animae gedencket eines, der mit ihm hierüber disputirt, und solche Meynung gehabt hätte, indem er pag. 167 schreibet: Si ex me quaesiverint adversarii, annon ego quoque praeexistentiam aliquam animarum nostrarum statuam? Resp. me omnino cum Scriptura statuere dicereque, animas nostras in parentibus nostris jam praeextitisse.  
  Man rechnet dahin auch den Herrn von Leibnitz, welcher in essais de Theodicée part. 1. §. 91. schreibet:  
  Also wolte ich fast glauben, daß die Seelen, die einst menschliche Seelen seyn werden, wie die Seelen anderer Arten in dem Saamen und in den Voreltern bis auf Adam gewesen, und folglich vom Anfang der Dinge in einer  
  {Sp. 1095|S. 561}  
  Art eines organischen Cörpers beständig existiret haben, worinn Schwammerdamm, Malebranche, Bayle, Pitcarne, Hartsöcker und viele andere sehr geschickte Männer scheinen meiner Meynung zu seyn, und diese Lehre wird durch die observationes microscopicas des Herrn Leewenhöck und anderer guten Observatorum zur Gnüge bestätigt.  
  Er setzet aber hinzu:  
  Allein es scheinet mir noch aus vielen Gründen zu erfordern, daß sie alsdenn nur als animae sensitivae oder animales zwar mit Perceptionen und Empfindungen; aber ohne Vernunft existiret, und in diesem Stand bis auf die Zeit der Geburt derjenigen Menschen geblieben sind, denen sie zu gehören solten; aber damahls die Vernunft empfangen; es mag nun entweder ein natürliches Mittel vorhanden seyn, eine animam sensitivam in den Grad einer vernünftigen Seele zu setzen, welches ich doch schwer begreiffen kan; oder es mag GOtt dieser Seele durch eine besondere Würckung, oder durch eine Art einer Transcreation die Vernunft gegeben haben, welches umso viel leichter zu admittiren, weil die Offenbarung noch viele andere mittelbare Würckungen GOttes in unserer Seele lehret, wobey man Herrn Cantzens tr. de usu philosophiae Leibnitzianae et Wolfianae in theologia pag. 287 lesen kan.  
  In den Unsch. Nachr. 1714 pag. 673 stehen anonymi cogitata de media Sententia circa animae ortum darinnen die Fortpflantzung der menschlichen Seelen fast auf eben die Art, wie Leibnitz gethan, ausgeführet wird.  
Vereinigung Im Jahr 1712 kam zu Wittenberg von Johann Andreas Planern eine Dissert. heraus, welche den Titel hat: Nova de animae hum. propagationis sententia, welche neue Meynung darinnen bestehet, daß nemlich die Seelen durch eine Vereinigung fortgepflantzet würden, indem GOtt in unsern ersten Eltern nicht nur den Saamen der Cörper, sondern auch die Seelen aller Menschen erschaffen, welche denn mit den Saamen fortgepflantzet würden, daß wenn sich der männliche und weibliche Saamen vermischten, so folgte darauf die Bildung des Leibes, mit welcher Materie sich nachgehends die Seele vereinige, daß ein Mensch daraus würde. Er führet an, daß zwar schon vor ihm einige fast auf gleiche Gedancken gekommen wären; sie hätten sich aber niemahls deutlich darüber erkläret. Wider diese Meynung erinnert George Detharding in Scrutinio physico-medico intellectus animae insiti pag. 147 verschiedenes.  
andere Man kan noch hinzu setzen, daß einige die Fortpflantzung der Seelen aus einem cörperlichen Wesen herleiten wollen, wie Fernelius in der Schrifft de abditis rer. caussis und Rattray in adit. et sympath. et antipath. selbige von einer himmlischen Substantz herführen; die aber in zweyen Umständen voneinander unterschieden. Denn Rattray will dieses allein von der Seele verstanden haben; Fernelius aber legt solchen Ursprung allen Formen der Cörper auf Erden bey; und da Fernelius meynet, daß dieses durch eine natürliche Ausflüssung oder Emanation geschähe, ohne, daß GOtt etwas dabey thäte so statuiret hingegen Rattray eine dazu kommende göttliche Würckung.  
Literatur Zu dieser bisher ausgeführten Histo-  
  {Sp. 1096}  
  rie dienen des Jacob Thomasius Dissert. de orig. animae hum. Leipz. 1669 und Gotthards Günthers Schediasma historico-dogmat. de anima, qua ortum concernit, agens, ubi aliorum Sententiis historice recensitis, nova, quae media dicitur, exhibetur. Leipzig 1720, worinnen der Autor in der ersten Section die Meynungen der Kirchen-Lehrer; in der andern der Scholasticker, und in der dritten seine eigene vorträgt. Er will den Ursprung der Seelen weder bloß vom traduce; noch von einer unmittelbaren Schöpffung herleiten; sondern meynet, der gantze Mensch werde aus den Saamen erzeuget; aber die Seele nicht gleich mit dem Leibe; sondern zu ihrer Zeit erst, durch Hülffe des göttlichen Segen des, welcher den edelsten Saamen erhöhe, hervorgebracht. Es haben vieles von dieser Materie aus der Historie angemerckt,
  • Caspar Posner in Disput. physica de animae in generatione hominis origine, Jena 1694.
  • Buddeus in instit. theol. dogm. p. 490 u.ff.
  • Syrbius in philos. prima pag. 421 u.ff.
  • Elswich in den Controversiis recentioribus de anima p. 46 u.ff.
Verschiedene Schrifften aber, die noch hieher gehören, erzehlen Fabricius in delectu argumentor. et Syllabo Scriptor. qui veritatem religionis Christ. asseruerunt, cap. 18. pag. 443. und Pfaff in introduct. in hist. theologiae litterariam part. 1. pag. 32 u.ff.
Beste Wahl: Fortpflanzung Es wäre besser gewesen, wenn man die Frage vom Ursprung der Seelen gantz bey Seite gesetzet hätte. Denn die Erkenntniß derselbigen hat eben keine Verwandtschafft mit vielen andern Wahrheiten, um derentwegen man sie etwa wissen müste. Sie hat zwar einen Einfluß in die Lehre von der Erb-Sünde; wie aber ein natürlicher Mensch nach der Vernunfft ohnedem nichts davon weiß, also hat man aus der Schrifft so viele gewisse Nachricht davon, als einem zu wissen nöthig ist. Doch, wenn man ja eine von den unterschiedenen Meynungen erwählen soll; so hält man es am sichersten mit derjenigen, welche auf die Fortpflantzung der Seelen gehet.  
  Ehe die Ursachen davon gezeiget werden, so müssen noch zwey Umstände berührt werden.  
Erb-Sünde Einmahl hat man bey der gantzen Sache auf die Lehre von der Erb-Sünde zu sehen, daß man eine solche Hypothesin annehme, aus welcher am besten und leichtesten kan erkläret werden, wie die Erb-Sünde fortgepflantzet werde, und wie wir von Natur Kinder des Zorns und der ewigen Verdammniß sind. Denn zu andern Wahrheiten wäre dieser Punct nicht nöthig, in dem die Beschaffenheit, die Unsterblichkeit und andere Umstände der Seelen erkläret werden können, ohne zu wissen, wie sie entstehe und entspringe.  
Grenzen der Erkenntnis Vors andere muß man auch die Grentzen der Erkenntniß, wie weit sie sich hierinnen erstrecken, wohl bemercken. Denn es kan hier keine Gewißheit erlangt werden, sondern es muß bloß bey der Wahrscheinlichkeit zu bleiben, genug seyn. Dasjenige, was hier zu untersuchen und zu erkennen, ist die Sache selbst, ob die Seele wahrscheinlich fortgepflantzet werde? Die Art und Weise aber, wie die Fortpflantzung geschehe, bleibt was unbekanntes. Um deswegen hat man diesen Punct unter die Philosophische Geheimnisse zu rechnen, da man zwar die Existentz, aber nicht die Beschaffenheit der Sache weiß, und wenn man  
  {Sp. 1097|S. 562}  
  daher von der Fortpflantzung der Seelen redet, ist es am rathsamsten, daß man von der Art und Weise, wie solches geschehe, gäntzlich abstrahire; sich auch des Worts traducis, wenn es anstössig seyn sollte, enthalte.  
Herkunft von den Eltern Dieses vorausgesetzt, hält man für wahrscheinlich, daß die Seelen der Kinder von den Seelen der Eltern herkommen, und zwar wegen dreyer Umständen.  
  Der eine ist, daß man bey dieser Hypothesi die Lehre von der Erb-Sünde am besten erklären kan. Denn da kan man sagen, daß in der Seele der ersten Eltern aller Nachkommen Seelen der Kraft nach gelegen, und indem jene verderbt, unrein und sündlich worden, so müssen diese nothwendig solches Verderben auch an sich haben, woraus zu verstehen, wenn die Schrift sagt: Wir würden in Sünden empfangen und gebohren; wir wären von Natur Kinder des Zorns und der Verdammniß; durch einen Menschen wäre die Sünde kommen in die Welt, und was andere Redensarten mehr sind.  
  Vors andere ist auch diese Hypothesis, wenn man sie gegen die beyden andern hält, den wenigsten Einwürffen unterworffen. Es hat zwar an solchen nicht gefehlt, die sich derselbigen hefftig widersetzet, wie unter andern aus dem Streit zwischen Zeisolden und Sperlingen zu ersehen; und als sie sonderlich von dem Sennert und gedachten Sperling aufs Tapet gebracht wurde, so gab. Joh. Freytag ein Buch unter dem Titel: Novae Sectae Sennerto-Paracelsicae detectio et solida refutatio, Amsterdam 1637 heraus.  
  Das vornehmste, was man einwendet, ist, daß man nicht begreiffen könne, wie eine Zeugung oder Fortpflantzung ohne einer Extension geschehen könne; aus dieser aber fliesse die Materialität der Seelen. Nun kan man mit Rüdigern in physica div. lib. 1. cap. 1 sect. 5. §. 45. dem Geist keine Extension beylegen, womit, wenn sonst kein Bedencken dabey wäre, die Schwierigkeit zwar am leichtesten zu heben; man erweget aber nur soviel, daß dieser Zweiffel da hinaus lauffe; Man könne sich nicht einbilden, wie ein Geist den andern ohne Extension und Materialität zeugen und fortpflantzen könne? Doch dieses soll man sich auch nicht einbilden.  
  Eben deswegen wird die Sache vor ein Geheimniß der Natur ausgegeben, da man die Art und Weise, wie sie zugehet, nicht begreiffen kan. Aus solcher Unwissenheit aber läst sich die Sache selbst nicht leugnen, indem man sonst alle Geheimnisse im Reich der Gnaden sowohl, als der Natur aufheben müste; ja, wenn man vorgeben wollte, es gienge diese Zeugung nicht an, weil sie mit dem Wesen eines Geistes stritte, so müste man solches Wesen genau kennen, daß man sagen könnte, was demselbigen gemäß und zuwider sey, welches sich niemand rühmen wird.  
  Es wäre weiter zu erweisen, daß man keine andere, als eine Cörperliche Zeugung und Fortpflantzung habe. Ist es in Ansehung der Art und Weise ein Geheimníß, so hat man sich auch wegen der besondern Umstände, z.E. ob die Seele des Kindes von der Seele des Vaters, oder der Mutter komme? zu welcher Zeit diese Fortpflantzung geschehe? nicht einzulassen.  
  Drittens wird diese Hypothesis dadurch erläutert, daß die Kinder in ihrem Naturell mehrentheils nach den Eltern gerathen, wie man aus der Erfahrung weiß, daß unter andern hochmüthige und vernünftige Eltern  
  {Sp. 1098}  
  wieder hochmüthige und vernünftige Kinder haben, oder wenn die Eltern dumm sind, so sind auch die Kinder dumm. Den Einwurff, daß man auch das Gegentheil sähe, wie z.E. verständige Eltern dumme und einfältige Kinder hätten, hat Walch in den Gedancken von dem Philosophischen Naturell cap. 1. §. 9. p. 20. also beantwortet:  
  Einmahl muß man die gegenseitigen Exempel derjenigen Kinder, die nicht nach der Eltern Art gerathen seyn sollen, genauer betrachten, da man finden wird, wie vielmal die angewohnte Liederlichkeit solcher Kinder, die vernünfftige und kluge Eltern haben, mit einem schlechten Naturell, sonderlich in Ansehung des Verstandes vermischet wird. Mancher vornehmer und berühmter Mann hat einen liederlichen Sohn, der nichts studiret, deswegen fehlt es ihm an einem herrlichen Ingenio nicht. Es ist auch die Beschaffenheit der Zeit, da der Beyschlaff geschiehet, und ob die Eltern nüchtern oder truncken gewesen, diesen oder jenen Affect eben gehabt, ingleichen der Zustand der Mutter, währender Schwangerschafft nicht aus der Acht zu lassen, daß, wenn sich hierbey ausserordentliche Ursachen finden, auch ausserordentliche Würckungen erfolgen.  
  Und bald darauf:  
  Gesetzt, welches wir nicht in Abrede seyn, man findet dumme und einfältige Kinder geschickter und kluger Eltern, da sich zur Zeit der Conception und der Schwangerschafft alles in einem ordentlichen Zustand befunden habe; so wird doch die andere Erfahrung, darauf wir uns beruffen, vor der gegenseitigen einen Vorzug haben, und also bey der Wahrscheinlichkeit ihre Kraft behalten, weil auf ihrer Seite noch mehr Phänomena und Proben der Natur vorhanden.  
  Doch gestehet er §. 11. p. 24. das noch einige Zweifel übrig bleiben, als wenn Zwillinge gebohren würden, welche gantz unterschiedene Naturelle hätten. Goclenius hat einen besondern Tractat de ortu animae heraus gegeben, darinnen er verschiedene Dissertationen von dieser Materie zusammen gelesen hat.
     

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Stand: 20. Februar 2013 © Hans-Walter Pries