HIS-Data
Home | Suche
Zedler: Bewegende Krafft HIS-Data
5028-3-1595-4
Titel: Bewegende Krafft
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 3 Sp. 1595-1603
Jahr: 1733
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 3 S. 813-817
Vorheriger Artikel: Bewegen das Volck
Folgender Artikel: Bewegende Krafft in der Mechanik bey denen Machinen
Siehe auch:
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text  
  Bewegende Krafft, vis motrix, ist diejenige Krafft, so ein Cörper hat, indem er aus einem Ort in den andern beweget wird.  
  Eine jede Bewegung ist als ein Effectus der bewegenden Krafft anzusehen, derowegen da die Effectus pleni denen causis integris proportioniret sind, wie solches alle Philosophi zugestehen, so muß auch die Bewegung der bewegenden Krafft proportioniret seyn. Da nun die Grösse der Bewegung durch das Product aus der Masse eines Cörpers in seine Geschwindigkeit aestimiret wird, wie man solches in allen Mechanischen Büchern erweiset, so ist klar, daß auch die bewegende Krafft dem gedachten Producte müsse proportioniret seyn.  
  Die Sache ist gantz natürlich: dennoch aber ist sie am ersten v. Leibnitio in Actis Erud. an. 1686. … angefochten worden. Es will nehmlich derselbige zeigen, daß zwey Kräffte zweyer Cörper einander gleich seyn können, da doch die Grössen der Bewegungen von ihne keinesweges einander gleich sind, und dadurch also darthun, daß die bewegende Kräffte keinesweges durch die Grössen derer Bewegungen könten ausgemacht werden. Um nun seinen Satz zu beweisen, setzet er zweyerley vor aus.  
 
1) daß, wenn ein Cörper aus einer gewissen Höhe herunter falle, derselbe zu Ende des Falles praecisé eine solche Krafft erlanget habe, von welcher er wiederum bis auf dieselbige Höhe, von welcher er herabgefallen, könne getrieben werden, wenn ihn anders nichts daran verhindere;
 
 
2) daß eben so viel Krafft erfordert werde, einen Cörper von einen Pfund auf eine Höhe von vier Ellen zu heben, als erfordert würde einen Cörper von 4 Pfunden durch die Höhe einer Ellen zu tragen.
 
  Aus diesen zwey Suppositionen zeiget er hernachmahls, daß nothwendig ein Cörper von einen Pfund, der durch eine Höhe von vier Elle gefallen, eben so viel Krafft erhalte habe, als ein Cörper von 4 Pfund durch den Fall in einer Höhe von  
  {Sp. 1596}  
  einer Elle, u. daß folglich dieser beyden Cörper erlangten Kräffte einander gleich seyn. Nach diesen beweiset Leibnitius aus diesen zwey Bewegungen, vi hypotheseos Galileanae de motu gravium, daß ihre Grössen einander nicht gleich seyn, sondern die Grösse der erstern Bewegung zu der Grösse der andern sich verhalte wie 2 zu 4, woraus klährlich erhellet, daß hier die Kräffte derer Cörper, die einander gleich waren, nach denen Grössen derer Bewegungen nicht können aestimiret werden.  
  Die Demonstration ist richtig, wenn wir die Supposita einräumen. Das erstere von ihnen ist wahr, daß andere gleichfalls, wenn wir bey diesem zugeben, daß die vires retardatrices, welche dem Aufsteigen gedachter Cörper entgegen gesetzet sind, einander gleich sind; denn alsdenn kan man sagen, es habe der Cörper von einem Pfund, indem er durch eine Höhe von vier Ellen steiget, praecise so viel vires retardatrices überwunden, als ein Cörper von vier Pfunden, der durch die Höhe einer Ellen beweget wird, weilen die vires retardatrices singulis corporis particulis adpliciret sind, und also, was dem Cörper von 4 Pfund an der Höhe, durch welche er getragen wird, abgehet, ebenso viel an der Menge derer Particuln wieder zuwächst, welche vier mahl so groß ist, als bey dem Cörper von einem Pfund.  
  Da nun aber Leibnitius dieses sein anderes Suppositum bey der Galileanischen Hypothesi anbringet; in selbiger aber die vires retardatrices keinesweges einander gleich sind; wie unten an gelegenen Orte mit mehrern soll gezeiget werden; so ist auch klar, daß die Demonstration des Leibnitii keinen Stand halten könne. Die Meynung desselben gehet hauptsächl. da hinaus, zu zeigen, daß die bewegende Kräfte sich nicht wie die Producte aus denen massen in die Geschwindigkeiten, sondern wie die Producte aus denen massen in die Höhen, auf welche die vorgegebene Kräffte ihre Cörper erheben können, verhalten, oder, welches nach der hypothesi Galileana einerley ist, die bewegende Krafft wird nach dem Facto aus der masse in das Quadrat der Geschwindigkeit aestimiret. Und dieses ist die beruffene thesis des Leibnitii, wodurch er zu einer grossen controvers unter denen Mechanicis Anleitung gegeben, die auch noch ietzo unter denen Mathematicis fortgesetzet wird, da einige des Leibnitii, andere des Cartesiii Parthey halten, als welcher letztere eben die bewegende Krafft und Grösse der Bewegung pro re aequivalente gehalten.  
  Der erstere, so sich der Meynung des Leibnitii widersetzet, ist der Abt Catelanus gewesen, welcher in Novellis Reipublica Litterariae an. 1686. … zwar alle beyde Supposita des Leibnitii eingeräumet, iedoch das andere mit der Restriction: wenn die tempora ascensuum derer Cörper einander gleich wären, woraus er hernachmahls gezeiget, daß in der Demonstration des Leibnitii nicht rechtmäßig wäre verfahren worden. Leibnitius aber hat in eben denen Novellen an. 1687. … dem Catelano geantwortet, man habe in Untersuchung der Kräffte derer Cörper nicht auf die Zeit zu sehen; indem aus einerley Höhe einerley Krafft v. einen Cörper erlanget wird, obgleich die Zeiten verschieden, als welche pro inclinatione descensus können vermehret u. vermindert werden, da doch die Höhe in Ansehung des Horizonts einerley verbleibt; wie denn Cartesius selbst Epist. 73. Part. I. sich dieses Principii bedienet.  
  Catelanus hat hernach  
  {Sp. 1597|S. 814}  
  diese Streitigkeit nicht weiter fortgesetzet; Ihm aber ist Papinus, ein Frantzose, gefolget, der wider den Leibnitium die Meynung des Cartesii in seinen Observationibus de caussa gravitatis et proprietatibus, so in denen Actis Erudit. an. 1689. … befindlich, zu vertheidigen sich vorgenommen. Es zeiget nemlich derselbige in angezogenen Orte, daß die Kräffte eines aufsteigenden Cörpers nicht nach denen Spatiis, sondern nach denen Zeiten verringert würden, indem die Materia gravifica wegen ihrer unendlichen Geschwindigkeit, zweyen Cörpern zu gleicher Zeit gleiche Kräffte benimmt, obgleich dieselben Cörper durch verschiedene Spatia getragen würden, und daß folglich die Kräffte nicht denen Spatiis ascensus, wie Leibnitius will, sondern denen Zeiten, in welchen das Aufsteigen geschiehet, proportioniret sind.  
  Leibnitius in Actis Erudit. an. 1693. … sucht diese Objection des Papini aufzulösen, und weiset, daß selbige nur auf einer Hypothesi, nemlich der schwermachenden Materie, beruhe, die noch darzu auf schwachen Gründen stehet; dahero selbige nicht als ein Principium anzunehmen, daraus man eine aus rechtmäßigen Grunde hergeleitete Demonstration widerlegen könte. Damit er aber den Papinum noch besser überführen möge, so füget er noch eine neue Demonstration seiner Thesis hinzu. Er setzet zum voraus, daß der motus perpetuus mechanicus unmöglich wäre, indem der Effect nicht grösser als die caussa, so ihn hervorbringet, seyn kan, folglich, daß es bey denen Mechanicis einerley sey, eine thesin ad motum perpetuum mechanicum oder ad absurdum zu reduciren.  
  Nach diesem zeiget er, daß, wenn ein Cörper von 4 Pfund durch den Fall aus einer Höhe von einem Fuß einen Grad der Geschwindigkeit erlanget hätte, und mit dieser auf einen plano horizontali sich fortbewege, und einem andern auf demselbigen plano befindlichen Cörper von einem Pfund seine gantze Krafft mittheilete, der andere Cörper nach der Cartesianer Meynung eine vierfache Geschwindigkeit erhalten würde, vermöge welcher er auf eine Höhe von 16 Fuß steigen könte. Wenn nun der andere Cörper aus dieser Höhe von 16 Fuß vermittelst seiner Schwere herunter fiele, so könnte man ihm einen Hebel dergestalt adpliciren, daß er durch denselben den ersteren noch auf dem plano horizontali befindlichen Cörper von 4 Pfund, auf eine Höhe von 4 Fuß heben könne. Es hatte aber der Cörper von 4 Pfund seine Krafft durch den Fall aus einer Höhe von einem Fuß erlanget, und selbige gantz dem andern Cörper communiciret, diese aber kan durch eben diese Krafft den erstern Cörper auf eine Höhe von 4 Fuß bringen; folglich sey allhier effectus potentior caussa, und deshalben die thesis derer Cartesianer unmöglich.  
  Wer diese Deduction Leibnitii ein wenig genauer ansiehet, wird gar leicht erkennen, daß derselbige zwey caussas und zwey effectus vor eine caussam und einen effectum ausgebe. Denn da der erste Cörper seine durch den Fall aus einer Höhe von einen Fuß erlangte Krafft dem andern gantz communiciret und dieser hierdurch bis auf eine Höhe von 16 Fuß steiget, so wird ja durch das Aufsteigen seine gantze von dem ersten Cörper erhaltene Krafft verzehret, daß also der Cörper, wenn er sich in der Höhe von 16 Fuß befindet, nichts mehr von der Krafft übrig hat, so ihm der erstere Cörper mitgetheilet. Es ist also hier ein Actus inter caussam et effectum aus. Sobald als dieses ge-  
  {Sp. 1598} 
  schehen, so fängt der andere Cörper wegen seiner eigenen Schwere wieder an zu fallen u. bringet vermittelst der in der Demonstration angegebenen Machination den ersten Cörper von 4 Pfund auf eine Höhe von 4 Fuß. Hier ist der andere actus inter caussam et effectum aus, woran die caussa die Schwere des andern Cörpers von 1 Pfund ist, keinesweges aber die Krafft, so von dem erstern Cörper in ihm ist transferiret worden. Wie kan also Leibnitius hier effectum caussa potentiorem statuiren, da würcklich zwey caussae und zwey effectus vorhanden sind, die einander nichts angehen. So wenig also die erstere Demonstration des Leibnitii seine Meynung behauptet, so wenig wird die andere solche bestärcken.  
  Es hat aber Papinus den Fehler der demonstration des Leibnitii nicht wahrgenommen, sondern nur auf die letztere ietzt angeführte demonstration desselben, in denen Actis Erud. 1691. … geantwortet, es könne der Cörper von vier Pfund seine Krafft, die er durch den Fall aus der Höhe von einem Fuß erlanget, dem Cörper von einem Pfund nicht gantz communiciren, folglich könne auch die Meynung des Cartesii durch diese Supposition des Leibnitii nicht ad absurdum gebracht werden. Diesem Einwurffe des Papini begegnet Leibnitius in Actis Erud. an. 1691. … und zeiget, daß er das nicht von Nöthen habe zu beweisen, was Papinus verlanget, indem er nur habe andeuten wollen, wie 4 Pfund mit einem Grad der Geschwindigkeit, und 1 Pfund mit 4Graden der Geschwindigkeit nicht gleiche Kräffte besitzen, wenn man eines in die Stelle des andern setzet, giebt aber doch zuletzt einen Modum an, solches vermittelst einer Machination von Hebeln zu bewerckstelligen. Hierwider aber hat nun Papinus weiter nichts einzuwenden gewust, als daß es keine vectes perfecte rigidos in der Natur gebe, welche exception aber sich hieher nicht schicket, indem die Sache des Leibnitii ohne Hebel kan erkläret werden. Und hiermit hat sich auch die controvers zwischen Papinum und Leibnitium geendiget.  
  Kurtz nach dem Tode Leibnitii haben die Engländer aus äussersten Kräfften sich bemühet, die Meynung desselbigen über den Hauffen zu werffen. Insonderheit hat Samuel Clarke, ein berühmter Englischer Theologus und Philosophus, viele Einwürffe wieder die thesin des Leibnitii gemacht, und zwar in seinem Wercke, so unter dem Titel: A Collection of Papers … zu Londen an. 1712 in 8 herausgekommen, und welches Maizeaux mit einer weitläufftigen Vorrede und andern Schrifften vermehret in Frantzösischer Sprache unter dem Titel: Recueil de diverses pieces … zu Amsterdam an. 1720 in 12 herausgegeben. Diese Einwürffe des Clarke hat Jacob Hermann dissert. de mensura virium corporum, so in Tom. I. Commentar. Academ. Imper. Petropol. befindlich, … zu widerlegen sich angelegen seyn lassen.  
  Jean. Bernouilli in seinen Discours sur les loix de la communication du mouvement, hat zwar nicht die Einwürffe derer adversariorum des Leibnitii beantworten, doch aber per demonstrationes directas die Wahrheit der Leibnitianischen thesis darthun wollen, wie er denn p. 37. 38, selbst bekennet, daß die Argumente des Leib-  
  {Sp. 1599|S. 815}  
  nitii, womit er seine thesin beweisen wollen, indem sie sehr indirecte abgefasset und nicht aus dem Grunde der Materie selbst hergeholet wären, ihn keinesweges auf seine Seite gebracht; sondern nur Gelegenheit gegeben, der Sache weiter nachzudencken, und selbige directe zu beweisen.  
  Seine erstere Arbeit ist, den Unterscheid zwischen der lebendigen und todten Krafft, wie sie Leibnitius genennet, zu zeigen, welchen auch kein Mechanicus leugnen wird. Hernachmahls will er aus verschiedenen Reyhen derer Elastrorum und deren Ausdehnung zeigen, daß die lebendigen Kräffte, so aus der beständig wiederhohlten Action derer todten Kräffte gezeuget worden, sich wie die Producte aus denen massen in die Quadrata derer Geschwindigkeiten verhalten, fehlet aber hier sehr starck in der adplication derer todten Kräffte, und rechnet auch dasjenige mit von denen todten Kräfften zur Production der lebendigen Krafft, was selbige doch eigentlich zur Ausspannung derer Elastrorum anwenden müssen; zudem, so macht er auch keinen Unterscheid zwischen dem Vermögen einer Krafft extra compositionem motus, und zwischen dem Vermögen derselbigen in compositione.  
  Vieles wird auch noch an denen Demonstrationen des Bernouilli ausgesetzet, in denen Remarques by Mr. Benjamin. Robins. F.R.S. … In dem Tom. I. Commentar. Acad. Imperial. Petrop. befinden sich verschiendene Disputationes, als des  
 
  • Jac. Hermanni de mensura virium corporu,
  • Georg. Bernh. Bülffinger de viribus corpori moto infitis.
  • Christian Wolffi principia dynamica,
 
  welche alle vor die Leibnitianische thesin geschrieben sind, und durch verschiedene neue Beweiß-Gründe selbige bekräfftigen sollen.  
  Hermann l.c. räumet zwar das Principium ein, daß die caussae denen effectibus integris, woraus die Cartesianer und übrigen Mechanici ihren Satz beweisen; leugnet aber, daß die Grösse der Bewegung ein effectus integer der bewegenden Krafft sey, sondern meynet, man müsse die Spatia, durch welche die Cörper vermöge ihrer Krafft steigen können, vor das Maas derer Effecte annehmen, keinesweges aber die Geschwindigkeiten, indem diese nur entia modalia et incompleta wären: allein da derselbige hernachmahls die bewegenden Kräffte nach denen Quadraten derer Geschwindigkeiten aestimiret, so möchte man billig fragen, ob denn das Quadrat der Geschwindigkeit nicht auch ein ens modale wäre, da die Geschwindigkeit selbst ein solches ist:  
  Der vornehmste Beweiß seiner thesis ist dieser: Weilen in hypothesi Galileana von Bewegung der schweren Cörper die Sollicitationes der Schwere alle einander gleich und allen Puncten des Spatii descensus adpliciret sind, (wie solches mit mehrern unter dem Titel: Bewegung der schweren Cörper, ausgeführet worden) aus der Adplication aber dieser Sollicitationum dem Cörper die bewegende Krafft mitgetheilet werde, so ist klar, daß die Summe dieser Sollicitationum die bewegende Krafft des Cörpers vorstelle, folglich, daß diese Summe so groß, als das Quadrat der Geschwindigkeit, so müste auch die bewegende Krafft durch das Quadrat der Geschwindigkeit ausgedrücket werden.  
  Die demonstration wäre richtig, wenn die gedachte Summe der Sollicitationum, wie sie in der Scalavirium disponiret sind,  
  {Sp. 1600}  
  die Krafft, womit der Cörper beweget wird, ausmache, welches aber nicht kan eingeräumet werden. Denn, wenn ein Cörper von einer Krafft in Bewegung gesetzet wird, und dadurch eine Geschwindigkeit erhält; hernachmahls aber eine andere Krafft, die der vorigen gleich ist, eodem manente adplicationis vis modo eben dem in Bewegung gesetzten Cörper einen Stoß giebt; so kan dieser Stoß nicht so groß seyn, als der, welchen die erste Krafft dem Cörper, da er noch in der Ruhe war, beygebracht hat, indem die durch den ersten Stoß schon erlangte Geschwindigkeit des Cörpers verursachet, daß derselbe den andern Stoß nicht gäntzlich aushält, sondern gleichsam echappiret, ehe noch der andere Stoß von der andern Krafft gantz ist ausgeführet worden. Hieraus ist klar, daß nicht alle in scala virium vorhandenen Sollicitationes ihren gantzen Stoß den Cörper mittheilen können, indem dieser schon von den ersten Sollicitationibus eine Geschwindigkeit erhalten.  
  Die Sache wird noch deutlicher, wenn wir betrachten, daß eine jedwede Sollicitation ein gewisses Elementum der Geschwindigkeit hervor bringe, und folglich zwey gleiche Sollicitationes auch zwey gleiche Elementa der Geschwindigkeit zeuge: Wir wollen nach der Meynung des Hermanns setzen, alle Sollicitationes in scala virium conferirten dem fallenden Cörper ihren gantzen Stoß; so folget nothwendig, daß, da alle Sollicitationes einander gleich sind, auch die elementaria incrementa derer Geschwindigkeiten einander gleich seyn müssen; folglich ist die scala velocitatum eine gerade Linie.  
  Nun ist aber, wie nach dem Galileo alle Mechanici, und Hermann selbst behaupten, in dem Systemate Galilei de motu gravium die Scala velocitatum eine Apollonianische Parabel; in dieser aber nehmen die Elementa derer Ordinaten, und folglich die Elementa derer Geschwindigkeiten, als welche durch die Ordinaten ausgedruckt werden, beständig ab: derowegen ist auch hieraus klar, daß, da die Elementa derer Geschwindigkeiten Effectus von denen Sollicitationibus sind, diese keinesweges den gantzen Stoß dem fallenden Cörper mittheilen. Es hat demnach derselbe seine bewegende Krafft nicht von der gantzen Actuositaet derer Sollicitationen erhalten, sondern nur von einem Theile derselbigen, so viel nemlich eine jede Sollicitation zu der Bewegung des Cörpers contribuiret hat. Es hat aber eine jede von ihnen so viel beygetragen, als das Elementum velocitatis, so daraus entstanden, ausmacht, derowegen, wenn man die bewegende Krafft des Cörpers verlanget, so darff man nur die Elementa der Geschwindigkeit, die der Cörper nach und nach bekommen, summiren.  
  Nun ist aber die Summe aller dieser Elemente der Geschwindigkeit so groß als die Geschwindigkeit selbst, so daraus entstanden, derowegen ist die erlangte Geschwindigkeit so groß als die bewegende Krafft des Cörpers; wodurch abermahls die Thesis derer Cartesianer bekräfftiget wird, sintemahl die Grösse der Bewegung so groß als die Geschwindigkeit ist, wenn wir selbige bey einerley Cörper, wie wir hier gethan haben, betrachten. Ja eben die itzige Abhandlung ist es, wodurch die erstere Demonstration des Leibnitii, wie oben schon gedacht worden, über den Hauffen fällt.  
  Ausser der vorher angeführten Demonstration füget Hermann l.c. … noch eine hinzu, und leitet solche aus der Communication der Bewegung derer ela-  
  {Sp. 1601|S. 816}  
  stischen Cörper her; begehet aber eben den Fehler, welchen Leibnitzius in seiner andern oben angeführten Demonstration begangen hat, indem er duplicem caussam und duplicem effectum vor eine caussam und einen Effectum ausgiebet, da er nicht betrachtet, daß hier zweyerley Kräffte seyn, eine, womit z.E. der Cörper A gegen den Cörper B beweget wird, und diesen eine Bewegung mittheilet; die andere, womit der Cörper B durch seine elastische Krafft ex statu compressionis, worein er durch die Action des Cörpers A ist gesetzet worden, sich wieder restituiret, und verursachet, daß der Cörper A. zurück springen muß.  
  Bulffinger l.c. und zwar in der ersten Section considerirt die vires vivas puras, und will daraus die Thesin des Leibnitii beweisen. Sein vornehmstes Principium, woraus er solches herleiten will, ist precarium, indem er dadurch in casu motus compositi, wo die Directiones derer Kräffte auf einander perpendicular, die Würckung der einen Krafft in die andere leugnet, da doch der Cörper würcklich von beyden Kräfften zusammen in statu adplicationis virium durch die Diagonal-Linie des parallelogrammi sub viribus beweget wird, und die Bewegung durch die Diagonal-Linie allerdings durch die Adplication derer Kräffte stärcker worden ist. Zu dem so distinguiret er nicht das Vermögen, so eine Krafft extra motum compositum hat, von dem Vermögen, so sie in motu composito und statu adplicationis erhält; welches allerdings beobachtet werden muß. In der andern Section handelt Bulffinger von der accelerirten Bewegung derer schweren Cörper, und sucht daraus die Thesin des Leibnitii zu beweisen; weilen aber hiervon schon vieles oben ist gedacht worden, so würde es zu weitläufftig fallen, sich mit der Recension seiner Argumente aufzuhalten.  
  Wolff l.c. definirt den Effect durch die Translation eines Cörpers durch einen Raum, und setzet als ein axioma voraus, daß wenn einerley Cörper durch einerley Raum getragen werde, der Effect einerley sey; verwickelt aber die demonstrationes aus dieser Notion dergestalt, daß er den Effect bald in diesem, bald in einem andern Verstande nimmt, bis er endlich die Thesin des Leibnitii demonstriret zu haben behauptet.  
  Jo. Polenius, S. Gravesande, Muschenbroek, haben die Leibnitianische Theorie durch Experimente bekräfftigen wollen, indem sie eine Lage von Thon Wasser-Paß verfertiget, und auf selbige von verschiedenen Höhen Kugeln haben fallen lassen; da sie alsdenn die Grösse des Raums, um welchen die Kugeln in den Thon gedrungen sind, untersucht und befunden haben, daß sie sich wie die Höhen, aus welchen die Kugeln herabgelassen worden, verhielten. Es beweisen aber alle diese Experimente weiter nichts, als daß diese Spatia denen Quadraten der Geschwindigkeiten proportioniret sind.  
  Und aus diesen allen kan man sich nun den Zustand einer derer berühmtesten Streitigkeiten unter denen grösten Mathematicis vorstellen. Der gröste Hauffen hiervon, und insonderheit die Ausländer behalten die Meynung des Cartesii; die übrigen, deren nach dem Geständniß des Bernouilli l.c. … sehr wenig sind, folgen dem Leibnitio. Die Beweiß-Gründe von beyden Seiten sind hier einiger massen berühret worden; eine weitere Ausführung von denen auf Leibnitianischer Parthey findet man in denen angezogenen Schrifften: die Widerlegung aber aller derer Beweißthümer, die  
  {Sp. 1602}  
  pro sententia Leibnitii sind vorgebracht worden, trifft man in einer gelehrten Disputation de Quantitate Virium Motricium an, so nur neulich unter dem Praesidio Prof. Hausens zu Leipzig ist gehalten worden; von welchen Widerlegung wir hier nur eines und das andere mit angeführet und wenigstens den Grund angezeiget haben, woraus man die Argumente derer Leibnitianer refutiren könne; indem wir übrigens den geneigten Leser, der weiter hiervon unterrichtet zu seyn verlanget, zu jetztgedachter Dissertation verweisen.  
  Newton princip. Philos. Natur. mathem. … ist gleichfalls hierinnen auf der Cartesianer Seite, indem er die Grösse der bewegenden Krafft, durch die Grösse der Bewegung abmisst, welche sie in einer gegebenen Zeit hervor bringet. Von der Grösse der bewegenden Krafft unterscheidet er die Grösse der accelerirenden Krafft, indem er zu dieser ihren Maaß die Geschwindigkeit setzet, so sie in einer gegebenen Zeit zu zeugen vermögend ist. Hieraus beweiset er, daß die bewegende Krafft zur vi acceleratrici sich verhalte, wie die Grösse der Bewegung zu der Geschwindigkeit. Es sey die bewegende Krafft m, vis acceleratirx a, Grösse der Bewegung q, Geschwindigkeit c, die Masse oder Menge der Materie des Cörpers M. Weilen die Grösse der Bewegung so groß als das Product aus der Masse in die Geschwindigkeit, so ist q = MXC.  
  Ferner, weil die bewegende Krafft des gantzen Cörpers entstehet, indem die Summe aller Action der accelerirenden Krafft einem jeden Theilgen des Cörpers ins besondere appliciret wird, so ist m = a x M. hieraus ist klar, daß sich verhalte  
  m : q = a x M: c x M = a : c  
  und permutando  
  m: a = q: c  
  das ist, die bewegende Krafft verhält sich zu der accelerirenden wie die Grösse der Bewegung zur Geschwindigkeit.  
  Man verstehet hier durch die bewegende Krafft diejenige, so aus denen motibus elementaribus entstanden ist; durch die accelerirende aber die, welche ex continua sollicitationum adplicatione, so ferne die Sollicitationes etwas zu denen motibus elementaribus beygetragen, ist hervorgebracht worden: Denn sonst begreifft man auch die vires motrices und acceleratrices unter die todten Kräffte, indem man durch diese diejenige todte Krafft verstehet, wodurch eine jede particul eines Cörpers ins besondere ihren motum elementarem erhält, und welche Hermann in seiner Phoronomia sollicitationes nennet; durch die vim motricem verstehet man aber diejenige, wodurch alle Theilgen des Cörpers zugleich ihren motum elementarem bekommen; welche also nothwendig so groß ist als das product aus der vi acceleratrici in die masse des Cörpers.  
  Die bewegende Krafft, wie wir sie hier beständig genommen haben, nennet Leibnitius eine lebendige Krafft, oder vim vivam, und zeiget deren Unterscheid von der todten Krafft in denen Actis Erud. 1695. … welchen auch Bernouilli in seinem offt gedachten Wercke erwiesen; und ist es allerdings wahr, daß die todte Krafft zu der lebendigen sich verhalte wie eine Linie zu einer Fläche, oder wie eine geometrische Fläche zu einem Cörper: allein die Art und Weise des Ursprungs einer Fläche aus einer Linie, und einer lebendigen Krafft aus einer todten Krafft ist nicht einerley, wie die  
  {Sp. 1603|S. 817}  
  Gleichheit derselbigen Bernouilli l.c. … behaupten will; indem dort währender Generation die Linie von einerley Grösse verbleibet; da hingegen hier dieses keines weges geschiehet, indem die Kräffte, wenn man sie gleich vor sich unter einerley Grösse betrachtet, in der Adplication an dem Cörper selbst, da derselbige von den erstern Kräfften schon einige Geschwindigkeit erhalten, ihre gantze Krafft nicht mehr, sondern nur einen Theil derselbigen communiciren; und derowegen Zeit währender Bewegung und deren Generation nicht mehr unter einerley Grösse, wie die Linie in Erzeugung einer Fläche betrachtet werden können; wie dieses oben mit mehrern bey der Demonstration des Hermanns, so er von der Gleichheit der Kräffte hergenommen, ist erwiesen worden.  
     

HIS-Data 5028-3-1595-4: Zedler: Bewegende Krafft HIS-Data Home
Stand: 11. Oktober 2022 © Hans-Walter Pries