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Quellenangaben |
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Gebrochner Ort,
Lat. Locus refractus, ist in der
Astronomie der
Ort eines Sterns am Himmel, dahin wir ihn bezühen, in so ferne wir ihn durch
den in unserer
Lufft gebrochenen Strahl sehen. |
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Es weiset die
Erfahrung, daß, wenn ein Licht-Strahl aus einem durchsichtigen
Cörper oder Medio in ein ander Medium, so der Dichtigkeit nach von
jenem
unterschieden ist, fähret, derselbe nicht in dem letztern die
Direction behalte, die er in dem erstern gehabt, sondern von derselben
weggebogen oder gebrochen werde, allwo er alsdenn der gebrochene Strahl
genennet
wird. (siehe Gebrochner Strahl). |
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Ein gleiches äussert sich in der Lufft, als welche beständig dünner wird, je
höher sie von der
Erden ist; dahero ein Licht-Stahl, der von einem Stern durch
die Himmels-Lufft in selbige einfällt, seine Direction nicht behält,
sondern von derselben, und zwar nach der Perpendicular-Linie, die auf
den Ort der Lufft, wo der Strahl aus der Himmels-Lufft in sie einfällt,
aufgerichtet ist, zu gebrochen wird. |
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Es sey in der Figur unter dem
Titel: Gebrochner Winckel,
EC die Direction des Strahls, welche er in der Himmels-Lufft
hat, und in C falle er in unsere Atmosphaeram ein, so gehet er
von C nicht nach CH oder der verlängerten Linie, EC
fort, sondern bekommt die Direction CG, welches den gebrochenen Strahl
vorstellet. Wir sehen eine
Sache nach der Gegend und Direction, von
welcher ein Strahl in unser Auge einfällt; dahero wenn HB den
Horizont repraesentiret, so siehet ein Spectator auf der Erden den
Stern nicht nach der Linie HCE oder unter dem Winckel EHB über
dem Horizont erhaben; sondern das
Licht, so von dem Sterne zu ihm
gelanget, kommt nach der Direction CG zu ihm, und es scheinet ihm der
Stern unter dem Winckel CGB über dem Horizont erhaben zu seyn. |
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Nun ist aber der Winckel CGB grösser als CHB, weil CG
dem Perpendicel CF näher liegt als CH; dahero siehet er
vermittelst des gebrochenen Strahls CG den Stern höher über dem
Horizont erhaben, als er ihm erscheinen würde, wenn der Strahl ungebrochen
durch die Lufft gegangen wäre. Da nun das Licht von denen Sternen zu uns nicht
gelangen kann, daß es nicht durch unsere Atmosphaeram passiren
müste,
so sehen wir durch lauter gebrochene Strahlen, und also niemahls an ihrem
wahren
Orte, sondern alle Zeit höher über dem Horizonte, ausser wenn sich der
Stern im Zenith befindet, allwo der perpendicular in die Lufft
einfallende Strahl ungebrochen durchgehet. |
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Es bekräfftiget dieses die Erfahrung vielfältig. Wir sehen die Sonne und
Sterne bereits über dem Horizont, da solche Vermöge des Calculi
noch würcklich unter dem Horizont verborgen sind. Solcher
Gestallt
haben die
Holländer als sie den
Winter über hinter der Tatarey verblieben, nach
einer Nacht von drei
Monathen zu
Mittage die Sonne gesehen, da sie doch etliche
Grad unter dem Horizont war. |
Keplerus Epitom. Astronom. ...
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Carolus XI.
König in Schweden hat zu
Torneo selbst obseruiret, daß zwischen dem 14. und 15.
Junii
1694. die
gantze Nacht durch die Sonne über dem Horizont erschienen,
ungeachtet die Pol-Höhe nur 65°.43'. an selbigem
Orte ist; welche Obseruation im folgenden
Jahre seine Mathematici
Bilenberg und |
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{Sp. 498} |
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Spoer auf dessen
Befehl
genauer angestellet haben, |
wie aus einem besondern
Buche, so unter dem Titel: Refractio
Solis inoccidui in Septemtrionalibus oris aliquot obseruationibus Astronomicis
detecta, Stockholm 1695. herausgekommen, weitläufftiger zu ersehen. |
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Wir können eine Sache nicht sehen, wo nicht Strahlen davon in unser Auge
gelangen. Nun ist aber die Sonne über dem Horizont erschienen, da sie
noch würcklich unter dem Horizont gestanden, welches durch die
geradlienigte Direction derer Strahlen, die sie in der Himmels-Lufft
als in einerley Medio gehabt, nicht hat geschehen können; dahero
dieselben
nothwendig in unsrer Lufft haben müssen gebrochen, und solcher
Gestalt
zu unserm Auge gebracht werden. |
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Die Astronomischen Obseruationes, da man den
Unterscheid
des gebrochenen Orts von dem
wahren
Orte eines Sterns immer geringer befindet, je höher der Stern über dem
Horizont ist, bekräfftigen dieses ferner, und zeigen die
Übereinstimmung
derselbigen mit der
Theorie der Refraction, welche Theils nach
der Verhältniß des Sinus des Inclinations-Winckels zum
gebrochenen Winckel, Theils nachdem ein dichter Medium,
z.E. die Dünste
um den Horizont, durch welche die Strahlen passiren müssen,
vorhanden ist,
veränderlich befunden wird. |
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In der Schärffe aber zu
reden, so äussert sich die Strahlen-Brechung in der
Lufft nicht auf eine solche Art, wie wir oben angeführet, daß nemlich der nach
EC aus der Himmels-Lufft einfallende Strahl in C, als dem
äussersten Rande gleichsam der Lufft, gebrochen, und hernachmahls innerhalb der
Lufft nach einer geraden Linie CG fort beweget werde; sondern, weil die
Lufft nicht von gleicher Dichtigkeit ist, sondern daran beständig abnimmt, je
höher man in derselbigen kommt; so kann ein Strahl, der in der öbersten Lufft
gebrochen ist, nicht nach dieser gebrochenen Direction fortgehen,
sondern, nachdem er verschiedene Strata der Lufft antrifft, die immer
dichter sind, je näher solche der Fläche der
Erden liegen, so wird er in
singulis stratis mehr ad perpendiculum gebrochen, und
repraesentiret also der gebrochene Strahl in unserer Atmosphaera
eine continuam curuaturam, deren Tangens in dem Orte, wo
solche zu unserm Auge gelanget, die Direction des Strahls zeiget, nach
welcher wir den Stern am Himmel referiren, das ist, welcher uns den
gebrochenen Ort des Sterns weiset. |
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Es wird diese krumme Linie, welche der gebrochene Strahl in unserer
Atmosphaere solcher
Gestallt formiret, Curua Refractionis
genennet, von welcher Bernouilli aus dem
Principio Fermatii, daß ein Licht-Strahl, der aus einem dünnern Medio
in ein dichteres fähret, der Gestallt ad perpendiculum gebrochen werde,
daß er in Ansehung der Zeit den kürtzesten Weg passire, in denen
Actis Erud.
an. 1697. p. 206. erwiesen,
wie solche einerley mit der curua brachystochrona sey; |
von welcher
Curua refractionis ferner Jo. Hermann, in
Disquisitione dioptrica radiorum ..., so in denen
Actis Erud. anno 1706. ... befindlich, und
F.D.C. Abb. Vall. in Actis Erud. an.
1707. ... in Schediasmate de notanda Aequalitate ... |
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{Sp. 499|S.263} |
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... verschiedenes
dargethan. |
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Doch dieses, daß der gebrochene Strahl in der Atmosphaere eine
krumme Linie sey, thut unserer angeführten
Eigenschafft von dem gebrochenen Orte
keinen Eintrag. Denn weil der Tangens der Curuatur des
gebrochenen Strahls, wo solcher in unser Auge fähret, uns den gebrochenen Ort
eines Sterns weiset, so können wir uns einbilden, als wäre der Strahl zuvor
allenthalben ungebrochen durchpassiret, biß er an unser Auge gelangte,
da er alsdenn der Gestallt gebrochen würde, daß er verlängert den Tangentem
ermeldeter Curuatur abgebe; und auf solche Art hätten wir den obigen
Casum wiederum, da der einfallende Strahl EC nach CG
gebrochen wurde, EHB oder CHB die wahre Höhe oder den wahren
Ort des Sterns über dem Horizont zeigte, hingegen der Stern nach GC
unter dem Winckel CGB über dem Horizont gesehen wurde, der
folglich den gebrochenen Ort des Sterns determinirte. |
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In der Astronomie müssen wir die
wahren
Örter derer Sterne
wissen, da wir aber durch die Obseruationes nur
ihre gebrochene Örter erhalten; so ist es
nöthig, zu
untersuchen, um wieviel der
gebrochene Ort von dem wahren Orte
unterschieden, oder um wieviel der Winckel CGB grösser als CHB sey, dieses pfleget man durch
Obseruationes folgender Massen zu bestimmen: Man
erwählet sich einen Stern,
der im Meridiano den Zenith sehr nahe kommt, und mercket die
Zeit, wenn dieses geschiehet, nach einer accuraten Perpendicel--Uhr,
die bey
Tage nach der Mittags-Linie genau gestellet worden. So man nun diese
mittägige Höhe des Sterns abnimmt, so kann man daraus, und aus der angemerckten
Zeit die Declination u. gerade Adscension des Sterns
berechnen, welche den wahren Ort des Sterns am Himmel zeigen wird, Massen durch
die Refraction die Obseruation nicht ist turbiret
worden, weil der Stern dem Zenith nahe gestanden, da die Strahlen
ungebrochen durchgehen. |
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Nach diesem obseruiret man einige andere Höhen desselben Sterns
über dem Horizont, und bemercket zugleich die Zeit der Obseruation.
Auf diese berechnet man die wahre Höhe des Sterns über dem Horizont,
welche von der obseruirten Höhe, so den gebrochenen Ort des Sterns
weiset, abgezogen, den Unterscheid zwischen dem wahren und gebrochnen Orte oder
die Grösse der Refraction zu
erkennen giebet. Nach dieser
Methode
hat man auf alle Grade der Höhe eines Sterns über dem Horizont die
Grösse der Refraction gesuchet, und solche in eine Tabelle
zusammen getragen, so man Tabulam Refractionis genennet, und welche
anzeiget, wie groß der Unterscheid bey einem jeden Grade der Höhe eines Sterns
zwischen dem wahren und gebrochenen Orte sey, und wie viel man von der
obseruirten Höhe abziehen müsse, um die wahre zuerlangen. |
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Es ist aber auch nicht nöthig, solcher
Gestallt auf alle Grade der Höhe die
Grösse der Refraction durch Obseruationes zubestimmen, sondern
man darf nur solche auf einen
gewissen Grad der Höhe finden, und daraus die
Verhältniß des Sinus des Inclinations-Winckels zu dem Sinu
des gebrochenen Winckels ausfündig machen: denn weil diese Verhältniß nicht
veränderlich ist, so kann man vor alle übrige Grade derer |
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{Sp. 500} |
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Höhen die Grösse der Refraction nach der Regel de tri determiniren. |
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Aus diesen folget, daß, ie grösser die Höhe eines Sterns über dem
Horizonte, ie geringer auch dessen Complementum zu 90. Graden oder
der Inclinations-Winckel sey, folglich je weniger der gebrochene Ort
von dem wahren differire, biß dieser Unterscheid im Zenith
endlich gar verschwinde. Und hiermit stimmen auch die Obseruationes
dererjenigen überein, so die Refraction gesuchet, als welche befunden
haben, daß sie immer abnehmen, indem die Höhe des Sterns zunimmt. |
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Tycho de Brahe hat sich am ersten über
diese
Arbeit gemacht, wiewohl er in seinem Progymnasmatibus ... eine
andere Manier, die Refraction zu obseruiren, vorschreibet. Man
hatte auch bißher mit ihm geglaubet, daß die Refraction oder der
Unterscheid zwischen dem wahren und gebrochenen Orte in dem Monde und der Sonnen
unmercklich werde, wenn sie den 45°. in denen
Fix-Sternen aber, wenn sie den 20. Grad der Höhe erreichet. Allein
Cassini hat gefunden, daß sie sich biß an
das Zenith erstrecke, wie solches die
Gründe der Dioptrie
erfordern. |
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de la Hire Tabb. Astron. V. setzet noch
im 45°. die Refraction 1'.11", im 68. Grad
noch ½ Minute; da hingegen
Tycho schon im 33. Grade nur 55". und in 45°,
nur 5". ja in Fix-Sternen im 19° nur 30.
Secunden die Refraction setzet. de la
Hire Tabb. Astron. Part. II. bezeuget, daß die Refraction
zu
verschiedenen Zeiten in einerley Höhe des Sterns über dem Horizont
einerley sey; dahero er auch nur eine Tabulam Refractionum gegeben.
Doch ist nicht zu
leugnen, daß mit der
Veränderung in der Dichtigkeit der Lufft
auch die Grösse der Refraction veränderlich seyn müsse, weil in einem
dichtern Medio die Strahlen stärcker gebrochen werden, besonders wenn
die Höhe des Sterns über dem Horizont nicht allzu groß ist, da der
Strahl die um den Horizont starck befindlichen Dünste durchpassiren
muß. Man hat auch daher angemercket, daß, weil an verschiedenen Örtern zu
einerley Zeit die
Lufft nicht einerley Beschaffenheit habe, die Refraction
auch an selbigen zu einerley Zeit
gar mercklich unterschieden sey; |
wovon mit mehrern Cassini in denen
Memoires de l'Academie Royale des Sciences an.
1700 ... nachzusehen. |
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Auf solche Art erfordert ein jedes obseruatorium bey nahe eine
besondere Tabulam Refractionum, um daraus die obseruirten
Höhen derer Sterne zu corrigiren, Massen die, so weiter gegen Norden
wohnen, wegen der dort dichtern Lufft eine stärckere Refraction
erfahren, als die in denen mittägigen Ländern. Wir
wollen so aus des
Herrn
von Wurtzelbauer Basi Vranies Noricae die Tabulam
Refractionis ins kurtze zusammen beyfügen, um daraus abzunehmen, was die
Höhen derer Sterne durch die Refraction, welche so wohl an der Sonne
und Mond als an denen Fix-Sternen, an einerley Ort und zu einerley
Zeit, in einerley Höhe, von gleicher Grösse ist, vor eine
Veränderung erleiden. |
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[Tabelle in lateinischer Schrift] |
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{Sp. 501|S.264} |
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[Fortsetzung der Tabelle] |
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Wenn man nun vermittelst eines guten Quadrantens die Höhe eines
Sterns über dem Horizont genommen hat; so muß man in voriger Tabelle
die der gefundenen Höhe correspondirende Refraction excerpiren,
solche von derselben abzühen, so bekommt man die wahre Höhe des Sterns über dem
Horizont.
Zum Exempel, es sey durch die Obseruation die Höhe
der Sonnen oder ihr gebrochner Ort 18. Grad befunden worden, so ist die
correspondirende Refraction 4'. 53". folglich die wahre Höhe der
Sonnen 17°. 51'. 7". |
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Die Refraction äussert sich lediglich der Höhe nach, dahero
befindet sich der wahre und gebrochene Ort eines Sterns in einerley Vertical-Circel,
als inwelchem die Höhen genommen werden; Weil aber der gebrochene Ort sich höher
darinnen befindet, als der wahre, so können die aus denen Polis des
Aequatoris durch den gebrochenen und wahren Ort des Sterns gezogene
Declinations-Circel nicht zusammen treffen, und ist daher die Adscensio
recta und Declination des gebrochenen Orts von der Adscensione
recta und Declination des wahren Orts unterschieden. Ein gleiches
äussert sich bei der Länge und Breite des gebrochenen und wahren Orts, wenn man
solche auf die Ecliptic bezühet. |
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Hieraus erwachsen nun wieder verschiedene
Notiones in der
Astronomie, und nennet man |
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- Refractionem Altitudinis den Bogen des Vertical-Circels
um welchen der Stern durch die Refraction mehr über dem
Horizont erhaben erscheinet, als er
würcklich ist;
- Refractionem Declinationis einen Bogen des Declinations-Circels,
um welchen die Declination des wahren Orts von der Declination
des gebrochenen Orts eines Sterns unterschieden ist;
- Refractionem Adscensionis et Descensionis den Unterscheid
zwischen der Adscension und Descension des wahren und
gebrochenen Orts;
- Refractionem Longitudinis den Bogen der Ecliptic,
welcher den Unterscheid zwischen denen Längen des wahren und gebrochenen
Orts bemercket;
- und Refractionem Latitudinis den Unterscheid, um welchen die
Breiten des wahren Orts von einander differiren.
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In der Astronomie erweiset man, daß die Refraction die
Adscensionem rectam und obliquam eines Sterns verringere, hingegen
die Descensiones vermehre; ferner die nördliche Declination
vermehre, die südliche vermindere; die Länge im östlichen
Theile des Himmels
geringer, im westlichen grösser mache, der südlichen |
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{Sp. 502} |
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Breite aber etwas benehme, der nördlichen hingegen etwas zusetze; und man
ist darinnen beschäfftiget, nach vorigen Notionen die Refractiones
Declinationis, Longitudinis, Latitudinis, aus der obseruirten
Refractione Altitudinis durch Hülffe der Trigonometriae sphaericae
zu berechnen. |
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Ein jeder solcher Ort, wo ein Stern vermittelst der Refraction
seiner Höhe, Declination, Adscension, Länge und Breite nachgesehen
wird, heisset der gebrochene Ort des Sterns, Locus refractus, die man
hernachmahls nach ihren besondern
Namen zu nennen pfleget. Dahero man gar leicht
verstehen wird, was die
Wörter, Altitudo refracta, Declinatio refracta,
Adscensio refracta, Longitudo refracta, Latitudo refracta,
sagen wollen, da
man die gebrochenen Örter darunter
verstehet. |
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Man pfleget solche aus denen
wahren
Örtern zu berechnen, wenn man bestimmen will, wo ein Stern am Himmel durch
die Refraction erscheine; und erhellet aus dem vorigen zur Gnüge, wie
vielfältig die Astronomie mit der Refraction und denen
gebrochenen Örtern zu thun habe, und wie
unvollkommen
auch die
alte
Astronomie in diesem Stücke gewesen sey, da man vor denen Zeiten des
Tychonis von der Refraction nichts gewust hat. |
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