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Zedler: Gebrochner Ort HIS-Data
5028-10-497-1
Titel: Gebrochner Ort
Quelle: Zedler Universal-Lexicon
Band: 10 Sp. 497
Jahr: 1735
Originaltext: Digitalisat BSB Bd. 10 S. 262
Vorheriger Artikel: Gebrochene Zahlen
Folgender Artikel: Gebrochner Strahl
Siehe auch:
  • Ersch/Gruber: Sect. 1 Th. 55 (1852) S. 308: Gebrochener Ort (Astronom.), s. Refractus [nicht erschienen]
  • Wikipedia: fehlt
Hinweise:
  • Allgemeine Bemerkungen zur Textgestaltung siehe Hauptartikel
  • Für die Auflösung der Quellenangaben siehe: Personen

  Text Quellenangaben
  Gebrochner Ort, Lat. Locus refractus, ist in der Astronomie der Ort eines Sterns am Himmel, dahin wir ihn bezühen, in so ferne wir ihn durch den in unserer Lufft gebrochenen Strahl sehen.  
  Es weiset die Erfahrung, daß, wenn ein Licht-Strahl aus einem durchsichtigen Cörper oder Medio in ein ander Medium, so der Dichtigkeit nach von jenem unterschieden ist, fähret, derselbe nicht in dem letztern die Direction behalte, die er in dem erstern gehabt, sondern von derselben weggebogen oder gebrochen werde, allwo er alsdenn der gebrochene Strahl genennet wird. (siehe Gebrochner Strahl).  
  Ein gleiches äussert sich in der Lufft, als welche beständig dünner wird, je höher sie von der Erden ist; dahero ein Licht-Stahl, der von einem Stern durch die Himmels-Lufft in selbige einfällt, seine Direction nicht behält, sondern von derselben, und zwar nach der Perpendicular-Linie, die auf den Ort der Lufft, wo der Strahl aus der Himmels-Lufft in sie einfällt, aufgerichtet ist, zu gebrochen wird.  
  Es sey in der Figur unter dem Titel: Gebrochner Winckel, EC die Direction des Strahls, welche er in der Himmels-Lufft hat, und in C falle er in unsere Atmosphaeram ein, so gehet er von C nicht nach CH oder der verlängerten Linie, EC fort, sondern bekommt die Direction CG, welches den gebrochenen Strahl vorstellet. Wir sehen eine Sache nach der Gegend und Direction, von welcher ein Strahl in unser Auge einfällt; dahero wenn HB den Horizont repraesentiret, so siehet ein Spectator auf der Erden den Stern nicht nach der Linie HCE oder unter dem Winckel EHB über dem Horizont erhaben; sondern das Licht, so von dem Sterne zu ihm gelanget, kommt nach der Direction CG zu ihm, und es scheinet ihm der Stern unter dem Winckel CGB über dem Horizont erhaben zu seyn.  
  Nun ist aber der Winckel CGB grösser als CHB, weil CG dem Perpendicel CF näher liegt als CH; dahero siehet er vermittelst des gebrochenen Strahls CG den Stern höher über dem Horizont erhaben, als er ihm erscheinen würde, wenn der Strahl ungebrochen durch die Lufft gegangen wäre. Da nun das Licht von denen Sternen zu uns nicht gelangen kann, daß es nicht durch unsere Atmosphaeram passiren müste, so sehen wir durch lauter gebrochene Strahlen, und also niemahls an ihrem wahren Orte, sondern alle Zeit höher über dem Horizonte, ausser wenn sich der Stern im Zenith befindet, allwo der perpendicular in die Lufft einfallende Strahl ungebrochen durchgehet.  
  Es bekräfftiget dieses die Erfahrung vielfältig. Wir sehen die Sonne und Sterne bereits über dem Horizont, da solche Vermöge des Calculi noch würcklich unter dem Horizont verborgen sind. Solcher Gestallt haben die Holländer als sie den Winter über hinter der Tatarey verblieben, nach einer Nacht von drei Monathen zu Mittage die Sonne gesehen, da sie doch etliche Grad unter dem Horizont war. Keplerus Epitom. Astronom. ...
  Carolus XI. König in Schweden hat zu Torneo selbst obseruiret, daß zwischen dem 14. und 15. Junii 1694. die gantze Nacht durch die Sonne über dem Horizont erschienen, ungeachtet die Pol-Höhe nur 65°.43'. an selbigem Orte ist; welche Obseruation im folgenden Jahre seine Mathematici Bilenberg und  
  {Sp. 498}  
  Spoer auf dessen Befehl genauer angestellet haben, wie aus einem besondern Buche, so unter dem Titel: Refractio Solis inoccidui in Septemtrionalibus oris aliquot obseruationibus Astronomicis detecta, Stockholm 1695. herausgekommen, weitläufftiger zu ersehen.
  Wir können eine Sache nicht sehen, wo nicht Strahlen davon in unser Auge gelangen. Nun ist aber die Sonne über dem Horizont erschienen, da sie noch würcklich unter dem Horizont gestanden, welches durch die geradlienigte Direction derer Strahlen, die sie in der Himmels-Lufft als in einerley Medio gehabt, nicht hat geschehen können; dahero dieselben nothwendig in unsrer Lufft haben müssen gebrochen, und solcher Gestalt zu unserm Auge gebracht werden.  
  Die Astronomischen Obseruationes, da man den Unterscheid des gebrochenen Orts von dem wahren Orte eines Sterns immer geringer befindet, je höher der Stern über dem Horizont ist, bekräfftigen dieses ferner, und zeigen die Übereinstimmung derselbigen mit der Theorie der Refraction, welche Theils nach der Verhältniß des Sinus des Inclinations-Winckels zum gebrochenen Winckel, Theils nachdem ein dichter Medium, z.E. die Dünste um den Horizont, durch welche die Strahlen passiren müssen, vorhanden ist, veränderlich befunden wird.  
  In der Schärffe aber zu reden, so äussert sich die Strahlen-Brechung in der Lufft nicht auf eine solche Art, wie wir oben angeführet, daß nemlich der nach EC aus der Himmels-Lufft einfallende Strahl in C, als dem äussersten Rande gleichsam der Lufft, gebrochen, und hernachmahls innerhalb der Lufft nach einer geraden Linie CG fort beweget werde; sondern, weil die Lufft nicht von gleicher Dichtigkeit ist, sondern daran beständig abnimmt, je höher man in derselbigen kommt; so kann ein Strahl, der in der öbersten Lufft gebrochen ist, nicht nach dieser gebrochenen Direction fortgehen, sondern, nachdem er verschiedene Strata der Lufft antrifft, die immer dichter sind, je näher solche der Fläche der Erden liegen, so wird er in singulis stratis mehr ad perpendiculum gebrochen, und repraesentiret also der gebrochene Strahl in unserer Atmosphaera eine continuam curuaturam, deren Tangens in dem Orte, wo solche zu unserm Auge gelanget, die Direction des Strahls zeiget, nach welcher wir den Stern am Himmel referiren, das ist, welcher uns den gebrochenen Ort des Sterns weiset.  
  Es wird diese krumme Linie, welche der gebrochene Strahl in unserer Atmosphaere solcher Gestallt formiret, Curua Refractionis genennet, von welcher Bernouilli aus dem Principio Fermatii, daß ein Licht-Strahl, der aus einem dünnern Medio in ein dichteres fähret, der Gestallt ad perpendiculum gebrochen werde, daß er in Ansehung der Zeit den kürtzesten Weg passire, in denen Actis Erud. an. 1697. p. 206. erwiesen, wie solche einerley mit der curua brachystochrona sey; von welcher Curua refractionis ferner Jo. Hermann, in Disquisitione dioptrica radiorum ..., so in denen Actis Erud. anno 1706. ... befindlich, und F.D.C. Abb. Vall. in Actis Erud. an. 1707. ... in Schediasmate de notanda Aequalitate ...
  {Sp. 499|S.263}  
    ... verschiedenes dargethan.
  Doch dieses, daß der gebrochene Strahl in der Atmosphaere eine krumme Linie sey, thut unserer angeführten Eigenschafft von dem gebrochenen Orte keinen Eintrag. Denn weil der Tangens der Curuatur des gebrochenen Strahls, wo solcher in unser Auge fähret, uns den gebrochenen Ort eines Sterns weiset, so können wir uns einbilden, als wäre der Strahl zuvor allenthalben ungebrochen durchpassiret, biß er an unser Auge gelangte, da er alsdenn der Gestallt gebrochen würde, daß er verlängert den Tangentem ermeldeter Curuatur abgebe; und auf solche Art hätten wir den obigen Casum wiederum, da der einfallende Strahl EC nach CG gebrochen wurde, EHB oder CHB die wahre Höhe oder den wahren Ort des Sterns über dem Horizont zeigte, hingegen der Stern nach GC unter dem Winckel CGB über dem Horizont gesehen wurde, der folglich den gebrochenen Ort des Sterns determinirte.  
  In der Astronomie müssen wir die wahren Örter derer Sterne wissen, da wir aber durch die Obseruationes nur ihre gebrochene Örter erhalten; so ist es nöthig, zu untersuchen, um wieviel der gebrochene Ort von dem wahren Orte unterschieden, oder um wieviel der Winckel CGB grösser als CHB sey, dieses pfleget man durch Obseruationes folgender Massen zu bestimmen: Man erwählet sich einen Stern, der im Meridiano den Zenith sehr nahe kommt, und mercket die Zeit, wenn dieses geschiehet, nach einer accuraten Perpendicel--Uhr, die bey Tage nach der Mittags-Linie genau gestellet worden. So man nun diese mittägige Höhe des Sterns abnimmt, so kann man daraus, und aus der angemerckten Zeit die Declination u. gerade Adscension des Sterns berechnen, welche den wahren Ort des Sterns am Himmel zeigen wird, Massen durch die Refraction die Obseruation nicht ist turbiret worden, weil der Stern dem Zenith nahe gestanden, da die Strahlen ungebrochen durchgehen.  
  Nach diesem obseruiret man einige andere Höhen desselben Sterns über dem Horizont, und bemercket zugleich die Zeit der Obseruation. Auf diese berechnet man die wahre Höhe des Sterns über dem Horizont, welche von der obseruirten Höhe, so den gebrochenen Ort des Sterns weiset, abgezogen, den Unterscheid zwischen dem wahren und gebrochnen Orte oder die Grösse der Refraction zu erkennen giebet. Nach dieser Methode hat man auf alle Grade der Höhe eines Sterns über dem Horizont die Grösse der Refraction gesuchet, und solche in eine Tabelle zusammen getragen, so man Tabulam Refractionis genennet, und welche anzeiget, wie groß der Unterscheid bey einem jeden Grade der Höhe eines Sterns zwischen dem wahren und gebrochenen Orte sey, und wie viel man von der obseruirten Höhe abziehen müsse, um die wahre zuerlangen.  
  Es ist aber auch nicht nöthig, solcher Gestallt auf alle Grade der Höhe die Grösse der Refraction durch Obseruationes zubestimmen, sondern man darf nur solche auf einen gewissen Grad der Höhe finden, und daraus die Verhältniß des Sinus des Inclinations-Winckels zu dem Sinu des gebrochenen Winckels ausfündig machen: denn weil diese Verhältniß nicht veränderlich ist, so kann man vor alle übrige Grade derer  
  {Sp. 500}  
  Höhen die Grösse der Refraction nach der Regel de tri determiniren.  
  Aus diesen folget, daß, ie grösser die Höhe eines Sterns über dem Horizonte, ie geringer auch dessen Complementum zu 90. Graden oder der Inclinations-Winckel sey, folglich je weniger der gebrochene Ort von dem wahren differire, biß dieser Unterscheid im Zenith endlich gar verschwinde. Und hiermit stimmen auch die Obseruationes dererjenigen überein, so die Refraction gesuchet, als welche befunden haben, daß sie immer abnehmen, indem die Höhe des Sterns zunimmt.  
  Tycho de Brahe hat sich am ersten über diese Arbeit gemacht, wiewohl er in seinem Progymnasmatibus ... eine andere Manier, die Refraction zu obseruiren, vorschreibet. Man hatte auch bißher mit ihm geglaubet, daß die Refraction oder der Unterscheid zwischen dem wahren und gebrochenen Orte in dem Monde und der Sonnen unmercklich werde, wenn sie den 45°. in denen Fix-Sternen aber, wenn sie den 20. Grad der Höhe erreichet. Allein Cassini hat gefunden, daß sie sich biß an das Zenith erstrecke, wie solches die Gründe der Dioptrie erfordern.  
  de la Hire Tabb. Astron. V. setzet noch im 45°. die Refraction 1'.11", im 68. Grad noch ½ Minute; da hingegen Tycho schon im 33. Grade nur 55". und in 45°, nur 5". ja in Fix-Sternen im 19° nur 30. Secunden die Refraction setzet. de la Hire Tabb. Astron. Part. II. bezeuget, daß die Refraction zu verschiedenen Zeiten in einerley Höhe des Sterns über dem Horizont einerley sey; dahero er auch nur eine Tabulam Refractionum gegeben. Doch ist nicht zu leugnen, daß mit der Veränderung in der Dichtigkeit der Lufft auch die Grösse der Refraction veränderlich seyn müsse, weil in einem dichtern Medio die Strahlen stärcker gebrochen werden, besonders wenn die Höhe des Sterns über dem Horizont nicht allzu groß ist, da der Strahl die um den Horizont starck befindlichen Dünste durchpassiren muß. Man hat auch daher angemercket, daß, weil an verschiedenen Örtern zu einerley Zeit die Lufft nicht einerley Beschaffenheit habe, die Refraction auch an selbigen zu einerley Zeit gar mercklich unterschieden sey; wovon mit mehrern Cassini in denen Memoires de l'Academie Royale des Sciences an. 1700 ... nachzusehen.
  Auf solche Art erfordert ein jedes obseruatorium bey nahe eine besondere Tabulam Refractionum, um daraus die obseruirten Höhen derer Sterne zu corrigiren, Massen die, so weiter gegen Norden wohnen, wegen der dort dichtern Lufft eine stärckere Refraction erfahren, als die in denen mittägigen Ländern. Wir wollen so aus des Herrn von Wurtzelbauer Basi Vranies Noricae die Tabulam Refractionis ins kurtze zusammen beyfügen, um daraus abzunehmen, was die Höhen derer Sterne durch die Refraction, welche so wohl an der Sonne und Mond als an denen Fix-Sternen, an einerley Ort und zu einerley Zeit, in einerley Höhe, von gleicher Grösse ist, vor eine Veränderung erleiden.  
  [Tabelle in lateinischer Schrift]  
  {Sp. 501|S.264}  
  [Fortsetzung der Tabelle]  
  Wenn man nun vermittelst eines guten Quadrantens die Höhe eines Sterns über dem Horizont genommen hat; so muß man in voriger Tabelle die der gefundenen Höhe correspondirende Refraction excerpiren, solche von derselben abzühen, so bekommt man die wahre Höhe des Sterns über dem Horizont. Zum Exempel, es sey durch die Obseruation die Höhe der Sonnen oder ihr gebrochner Ort 18. Grad befunden worden, so ist die correspondirende Refraction 4'. 53". folglich die wahre Höhe der Sonnen 17°. 51'. 7".  
  Die Refraction äussert sich lediglich der Höhe nach, dahero befindet sich der wahre und gebrochene Ort eines Sterns in einerley Vertical-Circel, als inwelchem die Höhen genommen werden; Weil aber der gebrochene Ort sich höher darinnen befindet, als der wahre, so können die aus denen Polis des Aequatoris durch den gebrochenen und wahren Ort des Sterns gezogene Declinations-Circel nicht zusammen treffen, und ist daher die Adscensio recta und Declination des gebrochenen Orts von der Adscensione recta und Declination des wahren Orts unterschieden. Ein gleiches äussert sich bei der Länge und Breite des gebrochenen und wahren Orts, wenn man solche auf die Ecliptic bezühet.  
  Hieraus erwachsen nun wieder verschiedene Notiones in der Astronomie, und nennet man  
 
  • Refractionem Altitudinis den Bogen des Vertical-Circels um welchen der Stern durch die Refraction mehr über dem Horizont erhaben erscheinet, als er würcklich ist;
  • Refractionem Declinationis einen Bogen des Declinations-Circels, um welchen die Declination des wahren Orts von der Declination des gebrochenen Orts eines Sterns unterschieden ist;
  • Refractionem Adscensionis et Descensionis den Unterscheid zwischen der Adscension und Descension des wahren und gebrochenen Orts;
  • Refractionem Longitudinis den Bogen der Ecliptic, welcher den Unterscheid zwischen denen Längen des wahren und gebrochenen Orts bemercket;
  • und Refractionem Latitudinis den Unterscheid, um welchen die Breiten des wahren Orts von einander differiren.
 
  In der Astronomie erweiset man, daß die Refraction die Adscensionem rectam und obliquam eines Sterns verringere, hingegen die Descensiones vermehre; ferner die nördliche Declination vermehre, die südliche vermindere; die Länge im östlichen Theile des Himmels geringer, im westlichen grösser mache, der südlichen  
  {Sp. 502}  
  Breite aber etwas benehme, der nördlichen hingegen etwas zusetze; und man ist darinnen beschäfftiget, nach vorigen Notionen die Refractiones Declinationis, Longitudinis, Latitudinis, aus der obseruirten Refractione Altitudinis durch Hülffe der Trigonometriae sphaericae zu berechnen.  
  Ein jeder solcher Ort, wo ein Stern vermittelst der Refraction seiner Höhe, Declination, Adscension, Länge und Breite nachgesehen wird, heisset der gebrochene Ort des Sterns, Locus refractus, die man hernachmahls nach ihren besondern Namen zu nennen pfleget. Dahero man gar leicht verstehen wird, was die Wörter, Altitudo refracta, Declinatio refracta, Adscensio refracta, Longitudo refracta, Latitudo refracta, sagen wollen, da man die gebrochenen Örter darunter verstehet.  
  Man pfleget solche aus denen wahren Örtern zu berechnen, wenn man bestimmen will, wo ein Stern am Himmel durch die Refraction erscheine; und erhellet aus dem vorigen zur Gnüge, wie vielfältig die Astronomie mit der Refraction und denen gebrochenen Örtern zu thun habe, und wie unvollkommen auch die alte Astronomie in diesem Stücke gewesen sey, da man vor denen Zeiten des Tychonis von der Refraction nichts gewust hat.  
     

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Stand: 18. August 2013 © Hans-Walter Pries